VwGH 2009/22/0247

VwGH2009/22/02477.4.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der D, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 29. Mai 2009, Zl. E1/689/2009 (Fr-495/08), betreffend Ausweisung gemäß § 54 FPG, zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §293 Abs1 litaa;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §66 Abs3 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;
ASVG §293 Abs1 litaa;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z2;
FrPolG 2005 §66 Abs3 idF 2009/I/029;
FrPolG 2005 §66 idF 2009/I/029;
MRK Art8 Abs2;
NAG 2005 §11 Abs2 Z4;
NAG 2005 §11 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Kosovo, gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 iVm § 55 Abs. 1 und § 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ausgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin habe erstmals am 19. Juli 2004 bei der österreichischen Botschaft in Skopje einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt, worauf ihr ein Aufenthaltstitel mit Gültigkeit vom 2. März 2005 bis 1. März 2006 erteilt worden sei. Dieser sei zuletzt bis 1. März 2008 verlängert worden. Im Zentralen Melderegister scheine die Beschwerdeführerin seit 21. April 2005 als amtlich gemeldet auf.

Am 14. Februar 2008 habe die Beschwerdeführerin einen weiteren Verlängerungsantrag eingebracht und diesem eine Bezugsbestätigung des Arbeitsmarktservice vom 18. Jänner 2008 beigelegt, wonach ihr Ehemann - ebenfalls ein Staatsangehöriger von Kosovo - monatlich EUR 803,10 an Notstandshilfe und Pensionsvorschuss beziehe. Dieser habe zudem am 14. Februar 2008 bestätigt, kein zusätzliches Einkommen bzw. Vermögen zu haben. Die Beschwerdeführerin selbst beziehe kein Einkommen. Ihr Lebensunterhalt sei auf Grund des zu geringen Einkommens ihres Ehemannes im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG als nicht gesichert zu bezeichnen, weil für ein im gemeinsamen Haushalt lebendes Ehepaar gemäß § 293 ASVG Unterhaltsmittel in der Höhe von EUR 1.158,08 zur Verfügung stehen müssten.

Dem Verwaltungsakt sei zu entnehmen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin eine Klage beim Arbeits- und Sozialgericht Salzburg auf Zuerkennung der Invaliditätspension gemäß § 255 ASVG eingebracht, jedoch am 23. Juni 2008 wieder zurückgezogen habe. In ihrer Berufung habe die Beschwerdeführerin dazu ausgeführt, ihr Ehemann habe wieder eine Arbeit aufgenommen, daher stünden ausreichende Unterhaltsmittel zur Verfügung. Einem aktuellen Versicherungsdatenauszug - so die belangte Behörde weiter - sei jedoch zu entnehmen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin seit Zurückziehung der obgenannten Klage im Juni 2006 lediglich dreieinhalb Monate einer meldepflichtigen Erwerbstätigkeit nachgegangen sei; auch dafür sei es ihm nicht möglich gewesen, Gehaltsbestätigungen vorzulegen. Es sei daher davon auszugehen, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin monatlich insgesamt EUR 803,10 an Pensionsvorschuss und Notstandshilfe beziehe und auch künftig kein höheres Einkommen zu erwarten sei. Daher sei die Gefahr einer möglichen finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft gegeben. Gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG könne die Beschwerdeführerin daher ausgewiesen werden, weil der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein "Versagungsgrund" (die finanziellen Mittel für ihren Unterhalt seien nicht gesichert) entgegenstehe.

Die Beschwerdeführerin habe im Juli 1979 im Kosovo ihren Ehemann geheiratet, dieser Ehe entstammten insgesamt sieben Kinder, die alle im Kosovo lebten. Ihr Ehemann halte sich seit 1972 mit Unterbrechungen als Gastarbeiter in Österreich auf. Die Beschwerdeführerin sei im Kosovo geblieben und habe sich um die Erziehung der Kinder gekümmert. Im Jahr 2004 habe sie erstmals einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem Ehemann gestellt, seit 21. April 2005 sei sie in Österreich behördlich gemeldet.

Im April 2007 hätten zwei Söhne der Beschwerdeführerin ebenfalls Anträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen bei der österreichischen Botschaft in Skopje gestellt und diesen eine Einkommensbestätigung beigelegt, wonach dem Ehemann der Beschwerdeführerin ein monatliches Einkommen in der Höhe von EUR 1.850,-- bescheinigt worden sei. Dieser Einkommensnachweis habe sich als Fälschung erwiesen, weshalb der Ehemann mit Bescheid vom 19. Februar 2008 wegen Urkundenfälschung gemäß § 223 Abs. 1 StGB rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei.

Die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann hätten seit ihrer Heirat im Jahr 1979 ein getrenntes Familien- und Eheleben geführt. Sie habe nie eine Schule besucht und es während ihres bisherigen Aufenthaltes in Österreich nicht geschafft, sich auch nur grundlegende Kenntnisse der deutschen Sprache anzueignen. Die Beschwerdeführerin scheine somit auch "sozial und im alltäglichen Gesellschaftsleben nicht integriert" zu sein. Sie sei strafgerichtlich unbescholten.

Einer vorgelegten Bestätigung des Hausarztes Dr. E. zufolge leide die Beschwerdeführerin unter chronischer Herzschwäche und Bluthochdruck; eine Versorgung im Kosovo sei derzeit "sicher nicht möglich" und eine Abschiebung würde ein hohes gesundheitliches Risiko für die Beschwerdeführerin darstellen. Dazu sei ein amtsärztliches Gutachten eingeholt worden, wobei der internistische Befund von Dr. K. lediglich eine Hypertonie (Bluthochdruck) attestiert habe, der behandlungsfähig sei; es sei auch festgestellt worden, dass die Beschwerdeführerin die dafür vorgesehenen Medikamente nicht eingenommen habe. Ein Thoraxröntgen sei durchgeführt worden, der konsultierte Arzt Dr. D. habe jedoch keine chronische Herzinsuffizienz feststellen können. Aus amtsärztlicher Sicht habe bei der Beschwerdeführerin daher lediglich Hypertonie (Bluthochdruck) festgestellt werden können, die auch in ihrem Heimatland Kosovo behandelt werden könne.

Mit der Erlassung der Ausweisung könne von einem mit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme einhergehenden Eingriff in das Familien- und Privatleben der Beschwerdeführerin ausgegangen werden. Allerdings wirke die relativ kurze Zeit ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet wesentlich interessenmindernd. Der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften durch den Normadressaten komme aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der geordneten Abwicklung des Fremdenwesens (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu. Die Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens sei von solchem Gewicht, dass die allenfalls vorhandenen gegenläufigen privaten Interessen jedenfalls nicht höher zu bewerten seien als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise der Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Da sich die Beschwerdeführerin unstrittig während eines Verlängerungsverfahrens im Bundesgebiet aufhält, kann sie gemäß § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund entgegensteht.

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes resultiert aus der Mittellosigkeit eines Fremden die Gefahr der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft und die Gefahr der illegalen Beschaffung der Mittel zum Unterhalt. Vermag ein Fremder den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen, so ist infolge Fehlens der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 4 iVm Abs. 5 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) ein "Versagungsgrund" im Sinn des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG erfüllt.

Diesbezüglich bringt die Beschwerde vor, der Ehemann der Beschwerdeführerin beziehe Notstandshilfe von EUR 840,-- pro Monat und erziele darüber hinaus ein Einkommen aus einer Teilzeitbeschäftigung in der Höhe von monatlich EUR 307,23 netto. Dazu wurde eine Lohn/Gehaltsabrechnung vom Juli 2009 eines näher genannten Unternehmens vorgelegt.

Abgesehen davon, dass der behauptete höhere Notstandshilfenbezug von EUR 840,-- nicht nachgewiesen wurde, wurde das Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin aus einer Teilzeitbeschäftigung während des Verwaltungsverfahrens nicht geltend gemacht. Auf Grund des im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbotes (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG) hat dieses daher außer Betracht zu bleiben. Die Ansicht der belangten Behörde, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin kein ausreichendes Einkommen im Sinn des § 11 Abs. 5 NAG mit Blick auf § 293 Abs. 1 lit. aa ASVG (in der Fassung BGBl. II Nr. 7/2009) ins Verdienen bringt und somit der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführerin zu einer finanziellen Belastung im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 4 NAG führen könnte, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 54 Abs. 1 Z. 2 FPG ist somit erfüllt.

Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grunde des § 66 FPG (idF BGBl. I Nr. 29/2009) und bringt vor, der Ehemann der Beschwerdeführerin sei auf Grund mannigfacher Erkrankungen nur äußerst eingeschränkt arbeitsfähig. Nur auf Grund des Aufenthaltes der Beschwerdeführerin in Österreich sei eine "sparsame effiziente Haushaltsführung" möglich, weil ihr Ehemann mangels Kochkenntnissen sonst auswärts essen müsse und die Beschwerdeführerin im Kosovo Geldunterstützungen ihres Ehemannes benötigen würde. Auf Grund des Alters und des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin sowie der konkreten familiären und sozialen Lebenssituation seien die Ehepartner in besonderer Weise darauf angewiesen, in Österreich weiterhin ein gemeinsames Familienleben führen zu können. Die belangte Behörde habe das finanzielle Interesse Österreichs an einer Aufenthaltsbeendigung unverhältnismäßig überbewertet und die für die Beschwerdeführerin sprechenden privaten und familiären sowie humanitären Gesichtspunkte weitestgehend ignoriert und ausgeblendet. Eine derartige "Materialisierung" der Rechte ausländischer Staatsangehöriger widerspreche dem Kern des Grundrechts nach Art. 8 EMRK auf Führung eines Privat- und Familienlebens. Mit der Beschwerde wurde auch eine Bestätigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. E. vom 11. August 2009 vorgelegt, wonach die Beschwerdeführerin unter Hypertonie, Adipositas, Verdacht auf KHK ("koronare Herzkrankheit") sowie chronischen Rückenschmerzen auf Grund degenerativer Wirbelsäulenveränderungen leide.

Laut Verwaltungsakten wurde auf Grund einer von der Beschwerdeführerin vorgelegten Bestätigung von Dr. E. vom 24. Februar 2008, wonach diese an einer chronischen Herzschwäche und an Bluthochdruck leide, eine amtsärztliche Untersuchung mit dem Ergebnis durchgeführt, dass lediglich eine behandlungsbedürftige Hypertonie, die auch im Kosovo behandelt werde könne, jedoch keine chronische Herzinsuffizienz habe festgestellt werden können. Dazu wurde der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 27. März 2008 Parteiengehör eingeräumt. In der Stellungnahme vom 14. April 2008 ging sie auf diese medizinischen Befunde jedoch mit keinem Wort ein. Mit der nunmehr vorgelegten Bestätigung von Dr. E. vom 11. August 2009 gelingt es der Beschwerdeführerin nicht, die auf amtsärztliche Untersuchungen gestützten Ausführungen der belangten Behörde zu widerlegen.

Dennoch ist die Beschwerde berechtigt.

Art. 8 EMRK verlangt nämlich eine gewichtende Gegenüberstellung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen mit dem persönlichen Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich. Dabei ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu prüfen, ob bei Gesamtbetrachtung aller Umstände Art. 8 EMRK der Ausweisung entgegensteht. Maßgeblich sind dabei unter anderem die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens; weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert; sowie die Bindungen zum Heimatstaat (vgl. dazu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 29. September 2007, B 1150/07, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR).

Nach den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen erhielt die Beschwerdeführerin erstmals im März 2005 einen Aufenthaltstitel, der zuletzt bis März 2008 verlängert wurde. Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass ihr Ehemann bereits seit 1972 - mit kurzen Unterbrechungen - in Österreich lebt und überwiegend einer Beschäftigung nachgegangen ist. Er ist auch nun wieder bemüht, trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen einen ausreichenden Unterhalt für sich und die Beschwerdeführerin ins Verdienen zu bringen.

Der Verwaltungsgerichtshof mag sich fallbezogen der Beurteilung der belangten Behörde im Rahmen der Gesamtbetrachtung aller von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Umstände nicht anzuschließen, die Ausweisung sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten. Die belangte Behörde hat nämlich dem jahrelangen rechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und dem Familienleben mit ihrem Ehemann nicht das gebührende Gewicht beigemessen (§ 66 Abs. 3 FPG); demgegenüber hat sie in Anbetracht dessen, dass die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nicht festgestellt wurde, dem öffentlichen Interesse ein zu hohes Gewicht beigemessen.

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 7. April 2011

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