VwGH 2009/22/0147

VwGH2009/22/014722.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Andreas Oberhofer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schidlachstraße 7, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 27. März 2009, Zl. E1/6393/09, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.211,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Tunesien, ein für fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftigen Bestrafungen des Beschwerdeführers vom 3. November 2005 nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe und vom 31. Juli 2008 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 zweiter Fall und Abs. 2 Z 3 SMG sowie des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren. Im Folgenden gab die belangte Behörde den Schuldspruch mit der Tatumschreibung wieder und folgerte daraus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit gefährde und eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Die Rückfallsquote bei Drogensüchtigen sei erfahrungsgemäß sehr hoch und das Risiko des weiteren Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei für die Gesundheit anderer Personen "zu groß".

In rechtlicher Hinsicht verwies die belangte Behörde auf § 86 Abs. 1 erster Satz in Verbindung mit § 87 FPG. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei österreichische Staatsbürgerin und er habe mit dieser zwei 1993 und 1996 geborene Kinder, die die österreichische Staatsbürgerschaft besäßen und bei der Großmutter in Innsbruck aufwüchsen. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei schwer drogensüchtig und HIV-positiv und lebe von Sozialhilfe. Der Beschwerdeführer lebe seit dem Jahr 2002 rechtmäßig bei seiner Ehefrau in Österreich, die sich in einer stationären Suchtgift-Entzugsbehandlung in Wien befinde. Gemäß § 39 Abs. 1 SMG sei der Vollzug der über den Beschwerdeführer verhängten Freiheitsstrafe aufgeschoben worden, damit sich der Beschwerdeführer einer ambulanten psychotherapeutischen Behandlung unterziehe.

Es liege zwar - so die belangte Behörde - ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG vor; das Aufenthaltsverbot sei jedoch dringend geboten und es wögen die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes. Dieses sei somit gemäß § 66 Abs. 2 FPG zulässig.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage samt Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer ihr Freizügigkeitsrecht offenkundig nicht in Anspruch nehmenden Österreicherin ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne Weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der dieser zugrunde liegenden Straftat und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Februar 2009, 2007/18/0470).

In der Beschwerde werden die behördlichen Feststellungen nicht bestritten. Es wird auch nicht ernsthaft der - völlig zutreffenden - Ansicht der belangten Behörde entgegengetreten, dass durch das sehr schwere Fehlverhalten des Beschwerdeführers im Bereich der Suchtmittelkriminalität die Gefährlichkeitsprognose nach § 86 Abs. 1 FPG zu bejahen sei.

Mit dem Hinweis auf die familiären Umstände zeigt der Beschwerdeführer jedoch einen dem angefochtenen Bescheid anhaftenden Verfahrensmangel auf.

Die Beurteilung nach § 66 Abs. 1 leg. cit., ob ein Aufenthaltsverbot zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist, verlangt eine abwägende Gegenüberstellung der persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib in Österreich mit den öffentlichen Interessen an der Erlassung der fremdenpolizeilichen Maßnahme.

Eingangs ist in Einklang mit der belangten Behörde darauf hinzuweisen, dass das öffentliche Interesse an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes mit dem Ziel der Unterbindung einer derart schweren Suchmittelkriminalität tatsächlich sehr hoch anzusetzen ist. Um diese Maßnahme als unverhältnismäßig im Sinn des Art. 8 EMRK werten zu können, müssen die mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriffe in das Familienleben des Fremden ebenfalls ein sehr hohes Gewicht aufweisen. Um dies beurteilen zu können, fehlen dem angefochtenen Bescheid relevante Feststellungen.

Die belangte Behörde stellte fest, dass die Kinder des Beschwerdeführers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und bei der Großmutter in Innsbruck leben. Die belangte Behörde folgerte auch zu Recht, dass die strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers ein derart großes Ausmaß erreicht haben, dass die Trennung von der Familie an sich im öffentlichen Interesse in Kauf zu nehmen wäre.

Die Besonderheit des vorliegenden Falls liegt jedoch darin, dass nach den unbestritten gebliebenen behördlichen Feststellungen die Ehefrau des Beschwerdeführers sich einer stationären Entzugsbehandlung unterzieht und überdies HIV-positiv ist. Somit muss in Zweifel gezogen werden, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers die Obsorge für die gemeinsamen Kinder ausüben wird können. Nach den behördlichen Feststellungen leben diese zwar bei der Großmutter, es fehlen aber die maßgeblichen Feststellungen, ob der Großmutter auch die Obsorge für die Kinder übertragen wurde und ob diese auch in Zukunft - jedenfalls bis zum Ablauf der Gültigkeitsdauer des über den Beschwerdeführer verhängten Aufenthaltsverbotes - in der Lage sein wird, die Kinder des Beschwerdeführers entsprechend zu betreuen.

In diesem Zusammenhang ist nämlich bedeutsam, dass es diesen Kindern, die die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, in Österreich aufgewachsen und bereits 16 bzw. 13 Jahre alt sind, nicht zugemutet werden kann, ihr Leben (mit dem Vater) in Tunesien fortzusetzen. Jedenfalls geht aus den behördlichen Feststellungen nicht hervor, dass diese mit der tunesischen Sprache und Kultur vertraut wären.

Fällt somit die Mutter für die Betreuung der Kinder aus und kann diese Betreuung nicht von anderen Personen in Österreich im erforderlichen Ausmaß erbracht werden, könnte das familiäre Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich ein Ausmaß erreichen, das trotz Berücksichtigung seiner massiven Suchtmittelkriminalität die getroffene Maßnahme als unverhältnismäßig werten lassen könnte. (In der Beschwerde wird nicht nur vorgebracht, dass die Kinder seit ihrer Geburt in Österreich aufhältig seien, sondern dass der Beschwerdeführer zur Erziehung dieser Kinder erheblich beitrage und im selben Haus wie die Großmutter wohne.)

Um die Richtigkeit der behördlichen Beurteilung nach § 66 FPG in Verbindung mit § 60 Abs. 6 FPG prüfen zu können, sind somit nach dem Gesagten genauere Feststellungen zur familiären Lage insbesondere der Kinder des Beschwerdeführers erforderlich.

Aus diesem Grund musste der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufgehoben werden.

Die Kostenentscheidung beruht - im angesprochenen Ausmaß - auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 22. September 2009

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