VwGH 2009/22/0049

VwGH2009/22/004927.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Wolfgang Rainer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwedenplatz 2/74, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 6. Juni 2007, Zl. 148.896/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

32004L0038 Unionsbürger-RL;
NAG 2005 §54 Abs1;
32004L0038 Unionsbürger-RL;
NAG 2005 §54 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Ecuador, vom 8. Mai 2006, ihm als einem Familienangehörigen einer "Österreicherin einen Aufenthaltstitel auszustellen", gemäß § 19 Abs. 1 und § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer seit 25. Juli 2005 durchgehend im Bundesgebiet gemeldet sei und nach seiner Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin (am 5. Dezember 2005 in Wien) den gegenständlichen Antrag per Post durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter gestellt habe.

Der Beschwerdeführer, der noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für Österreich gewesen sei, habe sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 19 Abs. 1, 21 Abs. 2, 74 und 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag entgegen § 19 Abs. 1 NAG nicht persönlich bei der Behörde gestellt habe.

Weiters stützte die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid auch auf § 21 Abs. 1 NAG und führte in Hinblick auf § 74 iVm § 72 Abs. 1 NAG aus, dass der Beschwerdeführer in seiner Berufung als besonders berücksichtigungswürdige Gründe angegeben habe, dass er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet wäre und "zum damaligen Zeitpunkt" sichtvermerksfrei hätte einreisen dürfen. Die belangte Behörde vertrat dazu die Auffassung, dass damit kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sei.

Im Übrigen hielt die belangte Behörde mit Blick auf die Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie), fest, dass der Beschwerdeführer die dort festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle; er habe nicht dargetan, dass seine Ehefrau das Recht auf die (gemeinschaftsrechtliche) Freizügigkeit in Anspruch genommen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers seit August 2006 eine Begleitagentur und seit Mai 2007 auch eine Werbeagentur betreibe, wobei Betriebssitz jeweils die Ehewohnung in Wien sei, aber die Dienstleistungen europaweit angeboten und auch von Dienstleistungsempfängern mit Sitz im EWR-Ausland in Anspruch genommen würden. Daraus leitet die Beschwerde die Anwendung des Gemeinschaftsrechts und insbesondere auch der Freizügigkeitsrichtlinie ab.

Der Beschwerdeführer hat allerdings im Verwaltungsverfahren keinerlei Vorbringen in dieser Richtung erstattet, sodass diese erstmals in der Beschwerde unterbreiteten Behauptungen der Beurteilung des angefochtenen Bescheides schon in Hinblick auf das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG) nicht zugrunde zu legen sind.

Im Übrigen bleibt es dem Beschwerdeführer unbenommen, jederzeit - unter Berufung auf einen von seiner Ehefrau verwirklichten "Freizügigkeitssachverhalt" - die Ausstellung der vorgesehenen Dokumentation seines Aufenthaltsrechts zu beantragen, wozu er auch gegebenenfalls verpflichtet wäre (§ 54 Abs. 1 letzter Satz NAG in der hier maßgeblichen Stammfassung). Da er dies im hier zu beurteilenden Verwaltungsverfahren nicht getan hat, ist der angefochtene Bescheid auch unter dem Gesichtspunkt des in der Beschwerde in mehrfacher Hinsicht behaupteten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht nicht mit Rechtswidrigkeit belastet, zumal weder das NAG noch die Freizügigkeitsrichtlinie die amtswegige Ausstellung einer derartigen Dokumentation vorsieht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 2010, 2008/21/0323).

Der Beschwerdeführer hat in seinem Antrag vom 8. Mai 2006 ausdrücklich die Ausstellung eines "Aufenthaltstitels" für ihn als Familienangehörigen einer österreichischen Staatsbürgerin beantragt und sich auch in seiner Berufung gegen den Bescheid erster Instanz nicht dagegen gewandt, dass dieser zutreffend von einem auf die Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familienangehöriger" (§ 47 Abs. 2 NAG) gerichteten Antrag ausgegangen ist.

Aufgrund des durch den Beschwerdeführer gestellten Antrages und seines im Verwaltungsverfahren erstatteten Vorbringens bestand daher für die belangte Behörde zu einem Vorgehen nach § 23 Abs. 1 NAG (in der hier maßgeblichen Stammfassung) keine Veranlassung, sodass sich weitere Ausführungen dazu erübrigen, dass der Beschwerdeführer sowohl bei Antragstellung als auch bei Einbringung der Berufung rechtsanwaltlich vertreten war (vgl. § 13a AVG).

Zu den in der Beschwerde geäußerten gleichheitsrechtlichen Bedenken gegen die Rechtslage nach dem NAG ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09 u. a., hinzuweisen, wonach sich die in diesem Zusammenhang relevante Bestimmung des § 57 NAG nicht als verfassungswidrig darstellt.

Der Beschwerdeführer beruft sich im Zusammenhang mit seinen gleichheitsrechtlichen Bedenken darüber hinaus auf die - infolge Art. 6 des Vertrages über die Europäische Union mit Wirkung vom 1. Dezember 2009 (vgl. BGBl. III Nr. 132/2009) in Kraft gesetzte - Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Zu diesen Überlegungen hat sich der Gerichtshof bereits im hg. Erkenntnis vom 29. April 2010, 2007/21/0314, geäußert, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird.

Zutreffend wendet sich die Beschwerde zwar gegen die Anwendung des § 19 Abs. 1 NAG durch die belangte Behörde; die Heranziehung dieser Bestimmung war schon deshalb verfehlt, weil die belangte Behörde zuvor ein Verbesserungsverfahren hätte einleiten müssen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 18. März 2010, 2008/22/0408, mwN). Dies führt im vorliegenden Fall aber aus nachstehenden Gründen nicht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides:

Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, dass der Beschwerdeführer noch nie über einen Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet verfügt, sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten hat und sich auch seitdem im Bundesgebiet aufhält. Die Auffassung der belangten Behörde, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag im Sinn des § 21 Abs. 1 NAG handle, erweist sich somit als zutreffend. Dem in dieser Bestimmung verankerten Grundsatz der Auslandsantragstellung folgend hätte der Beschwerdeführer daher den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels grundsätzlich im Ausland stellen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen.

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 NAG (jeweils in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2008/22/0287, mwN).

Nach dem Beschwerdevorbringen hat sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides knapp zwei Jahre lang in Österreich aufgehalten. Er kann auf die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin seit Dezember 2005, aber auf keine Integration in beruflicher Hinsicht verweisen. Damit aber liegt hier kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 72 Abs. 1 vor, der die Zulassung der Antragstellung im Inland gemäß § 74 NAG erfordert hätte (vgl. demgegenüber die dem zitierten Erkenntnis vom 26. Jänner 2010 zugrunde liegenden Umstände).

Die belangte Behörde durfte daher den gegenständlichen Antrag gestützt auf § 21 Abs. 1 NAG abweisen, weshalb die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 27. September 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte