VwGH 2009/22/0008

VwGH2009/22/000814.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerden

1. der S, und 2. der mj. H, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 12/1/27, gegen die Bescheide der Bundesministerin für Inneres vom 27. November 2008,

1. Zl. 152.839/2-III/4/08 und 2. Zl. 152.839/3-III/4/08, wegen u. a. Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs2 Z1;
NAG 2005 §11 Abs4 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden im Umfang der Spruchpunkte II. wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführerinnen Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheiden wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) die von den Beschwerdeführerinnen am 31. August 2006 gestellten Erstanträge auf Erteilung von Niederlassungsbewilligungen für den Aufenthaltszweck "beschränkt" - unter Wiederaufnahme der aufgrund dieser Anträge durchgeführten Verwaltungsverfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 3 AVG - gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Die belangte Behörde legte ihren Entscheidungen im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass die Erstbeschwerdeführerin im eigenen Niederlassungsverfahren eine Einkommensbestätigung des Zeitschriftenhandels E.W. vom 4. April 2007 bzw. im Niederlassungsverfahren der Zweitbeschwerdeführerin als deren gesetzliche Vertreterin eine Einkommensbestätigung des Zeitschriftenhandels E.W. vom 8. August 2006 zum Beweis des Einkommens des Zusammenführenden, des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vaters der Zweitbeschwerdeführerin, vorgelegt habe. Kriminalpolizeiliche Ermittlungen hätten ergeben, dass E.W., der Inhaber des gleichnamigen Zeitschriftenhandels, im April 2006 verstorben und mit seinem Tod sein Unternehmen geschlossen worden sei.

Aufgrund der Verwendung einer falschen Einkommensbestätigung als Beweismittel zur Erlangung eines Aufenthaltstitels durch die Erstbeschwerdeführerin sei wegen der damit verbundenen negativen Beispielwirkung auf andere Fremde eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in hohem Maße gegeben, sodass der Aufenthalt der Beschwerdeführerinnen dem öffentlichen Interesse gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG widerstreite, weshalb die Voraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG für die Erteilung der beantragten Aufenthaltstitel nicht vorliege.

Eine Beurteilung nach §§ 72 ff NAG ergebe, dass den in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entwickelten Kriterien für ein humanitäres Bleiberecht in den vorliegenden Fällen keinesfalls entsprochen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorausgeschickt sei, dass die Beschwerde als Beschwerdepunkt (§ 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG) vorbringt, dass die Beschwerdeführerinnen durch die angefochtenen Bescheide in ihrem "Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verletzt" seien. Die Bezeichnung des Beschwerdepunktes ist für die Begrenzung des Prozessgegenstandes wesentlich, weil der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid nur im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte prüfen darf (vgl. etwa bei Mayer, B-VG4 Anm. V zu § 28 VwGG mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung). In Hinblick auf den durch die Beschwerdeführerinnen bezeichneten Beschwerdepunkt ist daher von der in den angefochtenen Bescheiden ausgesprochenen Wiederaufnahme der Niederlassungsverfahren auszugehen.

Die belangte Behörde stützt die von ihr ausgesprochene Abweisung der Anträge vom 31. August 2006 ausschließlich auf § 11 Abs. 2 Z. 1 iVm Abs. 4 Z. 1 NAG.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet. Gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG widerstreitet der Aufenthalt eines Fremden dem öffentlichen Interesse im Sinn des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG, wenn sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde.

Die Beschwerde bringt in diesem Zusammenhang vor, dass der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der Zweitbeschwerdeführerin die möglicherweise falschen Einkommensbestätigungen vorgelegt habe; die Beschwerdeführerinnen seien der deutschen Sprache nicht mächtig und könnten die Einkommensbestätigungen nicht lesen. Sie hätten auf die Richtigkeit der vom Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegten Urkunden vertrauen müssen.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat zutreffend darauf hingewiesen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt und dass die Verwendung gefälschter Urkunden durch einen Antragsteller zur Erlangung eines Aufenthaltstitels eine schwere Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesens, insbesondere an einer geregelten Zuwanderung, darstellt. Bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffes der Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG ist eine das Gesamtverhalten des Fremden berücksichtigende Prognosebeurteilung geboten, wobei die Behörde berechtigt ist, alle einen antragstellenden Fremden betreffenden relevanten Umstände zu berücksichtigen; sie ist aber auch verpflichtet, diese einer auf ihn bezogenen Bewertung zu unterziehen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 3. April 2009, 2008/22/0908, sowie vom 17. September 2008, 2008/22/0269).

Aus den Verwaltungsakten ist nicht ersichtlich, von wem die Einkommensbestätigungen des E.W. vom 8. August 2006 bzw. 4. April 2007 vorgelegt wurden; sie sind jedenfalls - anders als die bei der Österreichischen Botschaft Kairo überreichten Niederlassungsanträge der Beschwerdeführerinnen - unmittelbar bei der Erstbehörde eingelangt.

In dem die Erstbeschwerdeführerin betreffenden erstinstanzlichen Bescheid wurde festgestellt, dass diese "bzw. ihr Gatte" die fragliche Einkommensbestätigung vorgelegt habe; hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin stellte die Erstbehörde u. a. fest, dass deren Vater die Einkommensbestätigung der Firma E.W. vom 8. August 2006 vorgelegt habe.

In ihren Berufungen brachten die Beschwerdeführerinnen - wie nun in der Beschwerde - im Wesentlichen vor, dass die möglicherweise falschen Einkommensbestätigungen durch den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin bzw. Vater der Zweitbeschwerdeführerin vorgelegt worden seien, die beiden der deutschen Sprache nicht mächtig seien und auf die Richtigkeit der vorgelegten Urkunde vertrauen hätten müssen.

Die belangte Behörde hat es nun aber verabsäumt, zu diesem Vorbringen auf der Grundlage ergänzender Erhebungen (§§ 37, 39 Abs. 2 AVG) eingehende Feststellungen zu treffen. Bei Zutreffen des in den Berufungen erstatteten Vorbringens der Beschwerdeführerinnen kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass diese ein Verhalten gesetzt hätten, welches die Annahme gemäß § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG rechtfertigen würde.

Da die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage davon ausging, dass bereits die Vorlage gefälschter Unterlagen - selbst wenn dies ohne Wissen und ohne Zutun der Beschwerdeführerinnen erfolgt sein sollte - für die Prognose nach § 11 Abs. 4 Z. 1 NAG ausreichend sei, und demzufolge keine weiteren Erhebungen zum Sachverhalt tätigte (sekundärer Verfahrensmangel), belastete sie die angefochtenen Bescheide mit Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009).

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf den Ersatz von Umsatzsteuer abzielende Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese in den in der genannten Verordnung angeführten Pauschalbeträgen bereits enthalten ist.

Wien, am 14. Mai 2009

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