VwGH 2009/21/0267

VwGH2009/21/026724.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des T, vertreten durch Dr. Gernot Kerschhackel, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Wiener Straße 44/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 2. Juli 2009, Zl. E1/212/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §1;
AVG §3 Z3;
FrPolG 2005 §6 Abs1;
FrPolG 2005 §6 Abs2;
FrPolG 2005 §60;
JN §66 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §1;
AVG §3 Z3;
FrPolG 2005 §6 Abs1;
FrPolG 2005 §6 Abs2;
FrPolG 2005 §60;
JN §66 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, kam Ende 1992 im Alter von fünf Jahren nach Österreich und verfügte seit September 1993 (zuletzt bis 7. September 2004) über Aufenthaltstitel. In Österreich leben auch die Mutter des Beschwerdeführers und zwei Schwestern.

Mit Bescheid vom 12. Juni 2008 erließ die Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld gegen den Beschwerdeführer gemäß § 60 Abs. 1 und 2 (Z 1) iVm § 61 Z 4 und §§ 63 und 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 2. Juli 2009 mit der Maßgabe ab, dass das Aufenthaltsverbotes mit zehn Jahren befristet wurde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Die örtliche Zuständigkeit in einem Verfahren wie dem vorliegenden auf Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach den §§ 60 ff FPG richtet sich gemäß § 6 Abs. 1 FPG nach dem vom Fremden im Inland begründeten Hauptwohnsitz im Sinne des § 1 Abs. 7 MeldeG, in Ermangelung eines solchen nach einem sonstigen Wohnsitz des Fremden im Bundesgebiet. Hat dieser keinen Wohnsitz in Österreich, richtet sich die Zuständigkeit gemäß § 6 Abs. 2 FPG "nach seinem Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz".

Der Beschwerdeführer weist - beginnend mit dem Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 29. August 2002 - nunmehr insgesamt sieben rechtskräftige gerichtliche Verurteilungen zu Freiheitsstrafen auf. Zuletzt war über ihn vom Landesgericht Wiener Neustadt vom 28. Mai 2008 wegen Verleumdung eine Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verhängt worden. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Ende 2002 durchgehend in (Untersuchungs- und) Strafhaft, deren Ende - unter Einbeziehung der letzten Verurteilung - voraussichtlich im Jahr 2010 sein wird. Seit Jänner 2007 verbüßt der Beschwerdeführer die über ihn verhängten Freiheitsstrafen in der - im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft Baden gelegenen - Justizanstalt Hirtenberg.

Dessen ungeachtet haben sich weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde mit der Frage der örtlichen Zuständigkeit auseinandergesetzt, sondern haben - ohne nähere Begründung - offenbar nur aufgrund der aufrechten Meldung an der Wohnadresse der Mutter das Bestehen eines (Haupt-)Wohnsitzes des Beschwerdeführers im Sprengel der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld unterstellt.

In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde zwar die Auffassung vertreten, ein zwangsweise begründeter Aufenthalt eines Häftlings sei kein Wohnsitz (vgl. aus der letzten Zeit beispielsweise das Erkenntnis vom 11. Mai 2009, Zl. 2008/18/0522). Um so weniger könnte in diesen Fällen das Vorliegen eines Hauptwohnsitzes angenommen werden (vgl. das Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0238). Entgegen der behördlichen Auffassung kann in der vorliegenden Konstellation aber auch nicht - ohne Weiteres - angenommen werden, der Beschwerdeführer habe seinen früheren (Haupt-)Wohnsitz bei seiner Mutter in Knittelfeld aufrechterhalten, zumal sich der (damals im 16. Lebensjahr befindliche und nunmehr 22 Jahre alte) Beschwerdeführer seit Ende 2002 durchgehend zur Verbüßung von Freiheitsstrafen im Gesamtausmaß von acht Jahren in verschiedenen Justizanstalten aufgehalten hat.

Davon ausgehend wäre es für die Frage der örtlichen Zuständigkeit zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer gemäß § 6 Abs. 2 FPG auf dessen "Aufenthalt zum Zeitpunkt des ersten behördlichen Einschreitens nach diesem Bundesgesetz" angekommen (vgl. auch dazu das schon zitierte Erkenntnis Zl. 2007/21/0238, mit weiteren Judikaturnachweisen). Nach den (mit der Aktenlage übereinstimmenden) Feststellungen im angefochtenen Bescheid stellt das "erste behördliche Einschreiten" im gegenständlichen Aufenthaltsverbotsverfahren das Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Knittelfeld vom 19. März 2008 dar, mit dem der Beschwerdeführer von der Einleitung eines Verfahrens zur Beendigung seines Aufenthaltes verständigt und ihm Parteiengehör zu der beabsichtigten fremdenpolizeilichen Maßnahme eingeräumt worden war. Damals befand sich der Beschwerdeführer aber bereits mehr als ein Jahr in der Justizanstalt Hirtenberg, weshalb von einer Zuständigkeit der Bezirkshauptmannschaft Baden zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den Beschwerdeführer auszugehen gewesen wäre. Diesfalls wäre die Unzuständigkeit der Erstbehörde - auch ohne entsprechenden Einwand in der Berufung - von der belangten Behörde wahrzunehmen gewesen.

Der angefochtene Bescheid leidet somit zumindest an (auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhenden) Feststellungsmängeln betreffend die für die angenommene Zuständigkeit maßgebliche Frage der Aufrechterhaltung eines Wohnsitzes in Knittelfeld, sodass er schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Zur Vollständigkeit ist für das weitere Verfahren noch anzumerken, dass der angefochtenen Bescheid auch deshalb keinen Bestand hätte haben können, weil die belangte Behörde keine ausreichenden Feststellungen betreffend die den Gerichtsurteilen zugrundeliegenden Straftaten getroffen, sondern (neben der Anführung der Urteilsdaten, der maßgeblichen Strafbestimmungen und der verhängten Strafen) lediglich in zwei Fällen den Urteilstenor wiedergegeben hat. Es entspricht aber der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einem Aufenthaltsverbot nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, mwN, und mehrere darauf Bezug nehmende Folgeerkenntnisse, wie beispielsweise das zu § 56 FPG ergangene Erkenntnis vom 20. November 2008, Zl. 2008/21/0603). Solche näheren Feststellungen über die Begleitumstände der - teilweise während der Haftzeiten begangenen -

(Jugendstraf-)Taten wären vor allem für eine nachvollziehbare Gefährlichkeitsprognose erforderlich gewesen, zumal der Beschwerdeführer deren Berechtigung mit dem Hinweis auf seinen durch mehrere Therapien während der Anhaltung und durch geänderte Lebensumstände bei einer Enthaftung bewirkten Gesinnungswandel bestreitet. Im Übrigen hätten die diesbezüglich eingeholten Berichte und Stellungnahmen nicht nur die Wiedergabe im Bescheid, sondern auch eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung zur Folge haben müssen. Schließlich ist unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung noch darauf hinzuweisen, dass § 66 Abs. 2 FPG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 anzuwenden gewesen wäre und dass - insbesondere vor dem Hintergrund des Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers seit seinem 5. Lebensjahr, der in Österreich bestehenden familiären Bindungen sowie dem Fehlen von entsprechenden Anknüpfungspunkten im Herkunftsstaat und der behaupteten mangelnden Kenntnisse der Muttersprache - insoweit eine eingehende Begründung unter Bedachtnahme auf alle in dieser Bestimmung genannten Kriterien geboten gewesen wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. In den dort vorgesehenen Pauschalbeträgen ist die Umsatzsteuer bereits enthalten, sodass das auf deren gesonderten Zuspruch gerichtete Begehren abzuweisen war.

Wien, am 24. November 2009

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte