VwGH 2009/21/0174

VwGH2009/21/01748.9.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des U, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 4. Mai 2009, Zl. E1/721-2009, betreffend Aufhebung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2005/I/100;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2009/I/029;
EMRK Art8;
StGB §43;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2005/I/100;
FrPolG 2005 §66 Abs2 idF 2009/I/029;
EMRK Art8;
StGB §43;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Aus der Beschwerde, dem vorgelegten angefochtenen Bescheid und dem hg. Akt VH 2007/21/0128 ergibt sich Folgendes:

Der Beschwerdeführer, ein seit Mitte 2003 in Österreich aufhältiger nigerianischer Staatsangehöriger, war mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 2. September 2006 wegen § 27 Abs. 1, erster, zweiter und sechster Fall, Abs. 2 Z 1 und 2 erster Halbsatz, erster Fall Suchtmittelgesetz zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten (davon sechs Monate bedingt nachgesehen) rechtskräftig verurteilt worden. Dem Schuldspruch zufolge hatte er nicht nur den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift erworben und besessen, sondern auch Marihuana und Haschisch an verschiedenen Orten in der Steiermark gewerbsmäßig näher angeführten Personen verkauft, wobei er auch Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglichte.

Im Hinblick auf diese Straftat verhängte die Bundespolizeidirektion Leoben über den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 11. November 2006 gemäß § 62 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein mit zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot. Die dagegen erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark mit Bescheid vom 2. Juli 2007 ab. Nachdem ein Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof mit hg. Beschluss vom 1. Oktober 2007, VH 2007/21/0128-8, abgewiesen worden war, wurde eine solche Beschwerde gegen das verhängte Rückkehrverbot nicht erhoben.

Ein in der Folge vom Beschwerdeführer gestellter Antrag auf Aufhebung des Rückkehrverbotes wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Leoben vom 9. Jänner 2009 abgewiesen. Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) gab der dagegen erhobenen Berufung mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 4. Mai 2009 keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.

In der Begründung verwies die belangte Behörde auf eine weitere strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers, der mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 6. Juli 2007 wegen des Vergehens nach § 107a StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt worden sei, weil er - der Aktenlage nach - seine ehemalige Lebensgefährtin Mitte Dezember 2006 widerrechtlich beharrlich verfolgt hatte. Entgegen der Meinung des Beschwerdeführers - so die belangte Behörde - könne keine Rede davon sein, dass die Gründe für die Erlassung des Rückkehrverbotes weggefallen seien bzw. sich die dafür maßgeblichen Umstände zu seinen Gunsten geändert hätten, wobei in diesem Zusammenhang auch die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität und die bei derartigen Delikten erfahrungsgemäß bestehende große Wiederholungsgefahr ins Treffen geführt wurde. Das Wohlverhalten seit der letzten Straftat sei viel zu kurz, um auch nur eine erhebliche Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr annehmen zu können. Im Hinblick auf die in der Berufung aufgezeigte aktuelle familiäre Situation - der Beschwerdeführer wohne mit seiner (neuen) österreichischen Lebensgefährtin, die er nach Erhalt der erforderlichen Dokumente zu heiraten beabsichtige, und deren Sohn, zu dem er eine "Vater-Sohn-ähnliche" Beziehung habe, in geordneten Verhältnissen - sei zwar von einem beachtlichen persönlichen Interesse des Beschwerdeführers an den Aufhebungen des Rückkehrverbots auszugehen. Dessen Gewicht werde jedoch dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer die familiären Bindungen eingegangen sei, obwohl gegen ihn ein rechtskräftiges Rückkehrverbot bestanden habe. Er und seine neue Familie hätten somit nicht damit rechnen können, in Österreich das "neu gegründete Familienleben fortsetzen zu können." Dem dennoch großen Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich stehe jedoch die aus den Straftaten resultierende Beeinträchtigung des sehr hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses, vor allem an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Gesundheit, gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessen ergebe sich, dass die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes dringend geboten sei und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen einer Aufhebung des Rückkehrverbotes.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist (u.a.) ein Rückkehrverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Ein solcher Antrag kann nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung des Rückkehrverbotes die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Rückkehrverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG ist maßgeblich, ob eine Gefährlichkeitsprognose dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes erforderlich ist, um eine vom Fremden ausgehende erhebliche Gefahr im Bundesgebiet abzuwenden, und ob die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes im Grunde des § 66 FPG zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde auch bei dieser Entscheidung das ihr eingeräumte Ermessen zu üben (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Aufhebung von Aufenthaltsverboten nach § 65 FPG etwa das Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0259).

Die Beschwerde bestreitet vor allem, dass die Gefährdungsprognose - auf Grund bestimmter Tatsachen sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderlaufe (§ 62 Abs. 1 FPG) - aufrecht zu erhalten sei, obwohl sich sein Leben durch die Bekanntschaft zu seiner Lebensgefährtin vollständig geändert habe. Der Beschwerdeführer weise zweifelsohne eine günstige Sozialprognose auf. Gerade die Tatsache, dass über den Beschwerdeführer nur eine teilbedingte bzw. eine gänzlich bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe verhängt worden sei, zeige, dass man ihm jedenfalls eine Chance einräume, sich künftig wohl zu verhalten.

Dem ist zunächst zu erwidern, dass die bedingte Nachsicht einer Freiheitsstrafe durch das Strafgericht einer unter fremdenrechtlichen Gesichtpunkten vorzunehmenden Gefährlichkeitsprognose im Sinne des § 62 Abs. 1 FPG nicht entgegensteht (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa das Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0499). Vielmehr hat gemäß der - im vorliegenden Fall in Verbindung mit § 62 Abs. 2 FPG in Betracht kommenden - Z 1 des § 60 Abs. 2 FPG als bestimmte, eine solche Gefährdungsannahme rechtfertigende Tatsache (unter anderem auch) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Zu Recht hat die belangte Behörde in diesem Zusammenhang aber auch auf die Gefährlichkeit des (sogar mit Minderjährigen geführten) Suchtgifthandels, dessen gewerbsmäßige Begehung und die erfahrungsgemäß bestehende große Wiederholungsgefahr bei derartigen Delikten verwiesen. Ihr ist auch darin beizupflichten, dass der Zeitraum des Wohlverhaltens noch zu kurz ist, um eine verlässliche Verhaltensänderung prognostizieren zu können. Gegen eine solche Annahme spricht im Übrigen auch, dass der Beschwerdeführer ungeachtet des anhängigen Berufungsverfahrens betreffend die Erlassung des Rückkehrverbotes neuerlich straffällig und deshalb Mitte 2007 gerichtlich verurteilt werden musste. Vor diesem Hintergrund kann - entgegen der Meinung in der Beschwerde - nicht von einer "günstigen Sozialprognose" gesprochen werden.

An dieser Beurteilung vermag auch die bestehende Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin und deren Sohn nichts zu ändern, lebte der Beschwerdeführer doch auch schon in der Vergangenheit - wie er in der Berufung im Rückkehrverbotsverfahren ins Treffen geführt hatte - in Lebensgemeinschaft mit einer (anderen) Österreicherin und deren Sohn, ohne dass dies Einfluss auf seine Rechtstreue gehabt hätte. Auch insofern wäre daher eine längere Beobachtungsphase notwendig, um die Nachhaltigkeit geänderter Begleitumstände und eines allenfalls damit einhergehenden Gesinnungswandels überprüfen zu können.

Zu der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung gemäß § 62 Abs. 3 iVm § 66 Abs. 1 und 2 FPG ist zunächst anzumerken, dass § 66 Abs. 2 FPG in der am 1. April 2009 in Kraft getretenen Fassung der Novelle 2009, BGBl. I Nr. 29, anzuwenden gewesen wäre. Dass die belangte Behörde insoweit offenbar von der nur bis 31. März 2009 geltenden Fassung ausging, bewirkt aber keine Rechtsverletzung des Beschwerdeführers. Die bisher in § 66 Abs. 2 FPG normierte Abwägung zwischen öffentlichem und persönlichem Interesse für die Beurteilung der Zulässigkeit eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben des Fremden gemäß Art. 8 EMRK wurde nämlich nur durch die Aufzählung der bei einer derartigen Interessenabwägung insbesondere zu berücksichtigenden Kriterien ersetzt und es ist damit keine inhaltliche Änderung der Rechtslage verbunden. Da die "verfassungs- und menschenrechtliche Schranke des Art. 8 EMRK" unter Berücksichtigung der höchstgerichtlichen Judikatur schon nach der bisherigen Rechtslage zu beachten war, schafft die neue Regelung nach der Absicht des Gesetzgebers weder eine zusätzliche formelle noch eine inhaltliche Änderung der Prüfung der Unzulässigkeit der Ausweisung bzw. eines Aufenthalts- oder Rückkehrverbotes (siehe dazu die ErlRV 88 BlgNR 24. GP 5).

Diesbezüglich hat die belangte Behörde unter Berücksichtigung der Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin und deren Sohn zutreffend einen durch das Fortdauern des Rückkehrverbotes (verbunden mit einer erlassenen Ausweisung) bewirkten relevanten Eingriff in das Privat- und Familienleben angenommen. Zutreffend ist sie aber von einer entscheidenden Relativierung des Gewichts der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin ausgegangen, zumal sie die Beziehung zu einem Zeitpunkt eingegangen sind, in dem sie angesichts des erst im Juli 2007 rechtskräftig erlassenen Rückkehrverbotes nicht davon ausgehen konnten, ein gemeinsames Familienleben dürfe auf Dauer in Österreich geführt werden. An dieser Beurteilung vermag auch die vorgebrachte Heiratsabsicht nichts zu ändern. Wenn die belangte Behörde daher angesichts der Schwere der oben erwähnten Straftaten die Beibehaltung des Rückkehrverbotes für dringend geboten erachtete, so ist dies in Ansehung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Verhinderung strafbarer Handlungen, vor allem des gewerbsmäßigen Suchtgifthandels, sowie zum Schutz der Gesundheit und der Rechte und Freiheiten anderer Personen nicht als rechtswidrig zu erkennen. Unter Zugrundelegung dieses großen öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung der Maßnahme erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Abwägung der wechselseitigen Interessen als unbedenklich.

Soweit die Beschwerde unter diesem Gesichtspunkt noch die Unterlassung der im Verwaltungsverfahren beantragten Einvernahme des Beschwerdeführers und seiner Lebensgefährtin rügt, wird nicht ausreichend konkretisiert, welche - über die von der belangten Behörde ohnehin zugrundegelegten Umstände zum Bestehen einer Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin und zur Beziehung zu deren Sohn - entscheidungsrelevanten Umstände dadurch hätten erwiesen werden sollen. Ein maßgeblicher Verfahrensfehler wird in der Beschwerde insoweit daher nicht aufgezeigt.

Da in der Beschwerde schließlich auch keine Umstände geltend gemacht werden, welche die Aufrechterhaltung des Rückkehrverbotes aus Ermessensgesichtspunkten nicht indiziert erscheinen ließen, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am 8. September 2009

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