VwGH 2009/21/0031

VwGH2009/21/00319.11.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 27. Februar 2007, Zl. 2 F 713- 2/2005, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §39 Abs2 Z3;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z3;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §39 Abs2 Z3;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Angola, reiste gemäß seinen Angaben am 13. August 2001 in das Bundesgebiet ein und stellte hier in der Folge einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. März 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen, zugleich sprach das Bundesasylamt aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Angola gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 2. August 2005 ab. Einer dagegen erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde zunächst die aufschiebende Wirkung zuerkannt, ehe mit Beschluss vom 8. Juni 2006 zu Zl. 2005/01/0771 ihre Behandlung abgelehnt wurde.

Am 4. August 2006 wurde der Beschwerdeführer hierauf von der Bundespolizeidirektion Graz einer fremdenpolizeilichen Befragung unterzogen. Bei dieser ohne Beiziehung eines Dolmetschers durchgeführten Einvernahme gab er - auszugsweise - Folgendes an:

"In meiner Heimat 6 Jahre Grundschule und 6 Jahre Mittelschule mit Matura, anschl. Lehre als Maler mit Meisterabschluss (3 Jahre). 1 Jahr habe ich in meinem Beruf gearbeitet, dann reiste ich nach Österreich.

In Österreich habe ich 2001 nichts gemacht, ab 2002 den Sprachkurs 1 - 4 bei ISOP besucht. Ab dem Sommer 2002 habe ich auch schon gearbeitet, und zwar als Kolpo. bei F. Im Winter 2002/2003 habe ich dann bei der K. gearbeitet. Im Herbst 2003 habe ich zur K. gewechselt, wo ich heute noch bin. Mein derzeitiger Gehalt ist monatlich EUR 581,77.

...

Es ist schade, dass das Asyl negativ entschieden wurde, ich möchte unbedingt in Österreich bleiben. Im März, und zwar am 11.03.2006, ehelichte ich Rachel K. geb. 10.10.1982 in Kinshasa, welche bereits seit 16.01.2006 Österreichische Staatsangehörige ist. Meine Ehegattin bringt zwei mj. Kinder mit in die Ehe, welchen ich ein guter Vater sein will.

1. Kind:

K. Raphael

geb.: 21.09.2004

2. Kind:

K. Jeremie Laurent

geb.: 16.01.2006

Der Kindesvater lebt in Salzburg und hat so gut wie keinen Kontakt zu den Kindern, die Alimente in der Höhe von ca. EUR 380,00 für beide Kinder zusammen bekommt meine Gattin vom Kindesvater.

Zurzeit ist meine Gattin in Karenz, will aber ihre Ausbildung

als Pflegehelferin so schnell wie möglich beenden.

...

Ich kenne meine heutige Gattin seit 2003, kennen gelernt haben wir uns über den Vater meiner Gattin. Im September 2005 begann unsere Beziehung. Am 11.03.2006 haben wir geheiratet und seit diesem Zeitpunkt haben wir einen gemeinsamen Haushalt.

Ich bitte alle Behörden mir zu helfen, dass ich bei meiner Familie in Österreich bleiben kann.

Die Niederschrift wurde mit mir in deutscher Sprache aufgenommen, welche ich in Wort und Schrift beherrsche, ich habe alles verstanden und dem nichts mehr hinzuzufügen."

Mit Bescheid vom 14. August 2006 wies die Bundespolizeidirektion Graz den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG aus. Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 27. Februar 2007 ab. Sie führte aus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers bis zum rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens "nach den asylrechtlichen Bestimmungen" geregelt gewesen sei, gegenwärtig jedoch halte er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Unter Bezugnahme auf § 66 Abs. 1 FPG hielt die belangte Behörde eingangs fest, dass bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt die öffentliche Ordnung in hohem Maße gefährde, weshalb "die Ausweisung" zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten sei. In der Folge betonte die belangte Behörde mehrfach, dass der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Im Anschluss daran wurde u. a. ausgeführt, dass sich die Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 51 iVm § 50 FPG oder in einem Verfahren betreffend die Erteilung eines "Abschiebungsauftrages" stelle, nicht jedoch im Verfahren betreffend die Ausweisung nach § 53 Abs. 1 FPG. Hierauf findet sich im bekämpften Bescheid erneut die Aussage, dass den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und der Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme. Das habe zur Folge - so die belangte Behörde weiter -, dass jedenfalls ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich, dem wie im Fall des Beschwerdeführers "nie ein rechtmäßiger vorausgegangen" sei, eine Beeinträchtigung des bezeichneten maßgeblichen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen von solchem Gewicht darstelle, dass das Dringend-Geboten-Sein der Ausweisung und damit die Zulässigkeit dieser Maßnahme, trotz des damit einhergehenden Eingriffs in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers, im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen sei. Tatsache sei, dass sich der Beschwerdeführer seit geraumer Zeit im Bundesgebiet aufhalte und keiner legalen Beschäftigung nachgehe. Zu seinen "privaten und wirtschaftlichen Verbindungen im Bundesgebiet" sei festzustellen, dass er eine österreichische Gattin mit zwei in die Ehe mitgebrachten Kleinkindern habe. Bis zur Erlangung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet könne der Beschwerdeführer den Kontakt zu diesen Familienangehörigen allerdings dadurch aufrechterhalten, dass er von diesen im Ausland besucht werde. Angesichts der "Sorge- bzw. Alimentationspflicht für die Gattin und eventuell die beiden Kleinkinder" sei anzumerken, dass es dem Beschwerdeführer auch möglich sei, vom Ausland aus finanziell für die Familie zu sorgen.

Die belangte Behörde schloss schließlich damit, dass der Beschwerdeführer abgesehen von seiner Ehe keine familiären "oder sonst nennenswerte Bindungen" zu im Bundesgebiet aufhältigen Personen namhaft gemacht habe. "In diesem Hinblick" und im Rahmen der ihr obliegenden Verpflichtung zur Abwägung der für und gegen eine Ausweisung sprechenden öffentlichen und privaten Interessen verkenne sie nicht, dass die Ausweisung einen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers darstelle. Diese Maßnahme erweise sich jedoch angesichts des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers, was einen schwer wiegenden Verstoß gegen fremdenpolizeiliche Vorschriften darstelle, zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele als dringend geboten. Auch im Wege der Ermessensübung könne von einer Ausweisung nicht abgesehen werden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde und nachdem die im hg. Aussetzungsbeschluss vom 28. Mai 2008 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Dezember 2009, G 244/09 ua., nicht aufrechterhalten werden können, erwogen:

Zunächst ist festzuhalten, dass sich die Beurteilung des gegenständlichen Falles im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des FPG in der Fassung des BGBl. I Nr. 99/2006 richtet.

Der Beschwerdeführer hält sich nach Abweisung seines Asylantrages unstrittig unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Gegen die behördliche Annahme, dass der Ausweisungstatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, bestehen daher keine Bedenken.

Würde durch eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist sie gemäß § 66 Abs. 1 FPG jedoch nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. In diesem Zusammenhang hat die belangte Behörde zwar grundsätzlich zutreffend - wenn auch textbausteinartig und unnötig wiederholend - ausgeführt, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme. Wie dargestellt hat sie bei letztmaliger Betonung dieses Grundsatzes formuliert, dies habe zur Folge, dass jedenfalls ein unrechtmäßiger Aufenthalt eines Fremden in Österreich, dem wie vorliegend nie ein rechtmäßiger vorausgegangen sei, eine Beeinträchtigung des bezeichneten maßgeblichen öffentlichen Interesses an einem geordneten Fremdenwesen von solchem Gewicht darstelle, dass das Dringend-Geboten-Sein der Ausweisung und damit die Zulässigkeit dieser Maßnahme trotz des damit einhergehenden Eingriffs in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen sei. Damit hat sie sich nicht nur zu ihrer eigenen einleitenden Feststellung in Widerspruch gesetzt, wonach der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich bis zum rechtskräftigen Abschluss seines Asylverfahrens "nach den asylrechtlichen Bestimmungen" geregelt gewesen sei (wobei hinzuzufügen ist, dass dem Beschwerdeführer nach der Aktenlage bis zur Erledigung des eingangs erwähnten Beschwerdeverfahrens zur Zl. 2005/01/0771 ein vorläufiges asylrechtliches Aufenthaltsrecht zukam). Sie brachte damit vielmehr auch zum Ausdruck, dass dem von ihr betonten öffentlichen Interesse absoluter Charakter zukomme. An dieser - mit der Rechtslage nicht in Einklang stehenden (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zlen. 2007/21/0317, 0318) - Auffassung hielt sie zwar in weiterer Folge nicht fest, wenn sie auf die ihr obliegende Verpflichtung zur Abwägung der für und gegen eine Ausweisung sprechenden öffentlichen und privaten Interessen hinwies. Diese Abwägung hat sie aber abgesehen von der ihr unterlaufenen Aktenwidrigkeit in Bezug auf die Dauer des unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers in Österreich (siehe eben) vor dem Hintergrund der in der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes in Anlehnung an Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hervorgestrichenen Kriterien (vgl. insbesondere das Erkenntnis vom 29. September 2007, B 328/07; siehe im Übrigen auch das oben genannte hg. Erkenntnis vom 22. November 2007) jedenfalls nur unzureichend vorgenommen. So blieb völlig unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer über derart gute Deutschkenntnisse verfügt, dass seine fremdenpolizeiliche Einvernahme vom 4. August 2006 - in der ausdrücklich festgehalten worden war, dass er die deutsche Sprache in Wort und Schrift beherrsche - ohne Beiziehung eines Dolmetschers erfolgen konnte. Vor allem aber hat die belangte Behörde die aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die Mutter zweier Kleinkinder ist, nicht im erforderlichen Ausmaß berücksichtigt und sich insbesondere nicht mit der Frage auseinander gesetzt, ob der Ehefrau des Beschwerdeführers und ihren Kindern ein Familiennachzug in das Herkunftsland des Beschwerdeführers möglich und zumutbar ist (vgl. zu diesem Gesichtspunkt etwa die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Juli 2009, U 992/08 und U 1104/08; ähnlich auch das Erkenntnis vom 14. Juni 2010, B 326/08). Der Verweis auf - im Einzelnen aber nicht näher geprüfte - Besuchsmöglichkeiten der Ehefrau bis zur Erlangung eines Aufenthaltstitels durch den Beschwerdeführer reicht schon deshalb nicht aus, weil nicht absehbar ist, wann dem Beschwerdeführer ein solcher Titel erteilt werden würde. Die Anmerkung aber, dass allfällige Sorge- bzw. Alimentationspflichten auch vom Ausland aus erfüllt werden könnten, wird dem vom Beschwerdeführer geführten Familienleben mit Ehefrau und Stiefkindern, das von der belangte Behörde nicht in Abrede gestellt wurde, nicht gerecht.

Die nach dem Gesagten unzureichende Auseinandersetzung mit den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich kann nicht dadurch aufgewogen werden, dass die belangte Behörde den Umstand, dass den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukommt, in formelhafter Weise mehrfach wiederholte. Auch die - was vom Beschwerdeführer gar nicht angesprochen worden war - Überlegungen zur Frage der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat vermögen in diesem Zusammenhang nichts beizutragen, weshalb der bekämpfte Bescheid zusammenfassend gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 9. November 2010

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