VwGH 2009/18/0299

VwGH2009/18/02999.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des Sicherheitsdirektors für das Bundesland Wien vom 27. Juli 2009, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 8. Juli 2009, Zl. UVS-FRG/5/3562/2008- 13, betreffend Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: I C in 1050 W, Hgasse 13/38, geboren am 1. Februar 1980), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §65 Abs1;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom 18. März 2008 wurde ein Antrag des Mitbeteiligten, eines rumänischen Staatsangehörigen, vom 4. Februar 2008 auf Aufhebung des gegen ihn mit Bescheid der Erstbehörde vom 12. März 2004 erlassenen unbefristeten Aufenthaltsverbotes (gemäß § 65 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100), abgewiesen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 8. Juli 2009 gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) der dagegen gerichteten Berufung des Mitbeteiligten gemäß § 66 Abs. 4 AVG Folge und änderte den erstinstanzlichen Bescheid dahingehend ab, dass das gegen den Mitbeteiligten verhängte Aufenthaltsverbot gemäß § 65 Abs. 1 FPG aufgehoben werde.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass das im März 2004 gegen den Mitbeteiligten verhängte unbefristete Aufenthaltsverbot auf dessen rechtskräftiger Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 8. März 2004 wegen des Verbrechens des Raubes gemäß § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zehn Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, beruhe; der Mitbeteiligte habe gemeinsam mit einem weiteren Täter am 2. Jänner 2004 in W C.S. mit Gewalt zu Boden gestoßen, ihm einen heftigen Schlag in das Gesicht versetzt und eine Geldbörse mit einem Bargeldbetrag von ca. EUR 14,-- sowie ein Handy im Wert von EUR 80,-- mit dem Vorsatz weggenommen, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern; bei C.S. sei aufgrund des heftigen Schlages in das Gesicht eine Schwellung an der rechten Gesichtshälfte und im Bereich des rechten Auges und des rechten Backenknochens entstanden. (Nach den nicht bekämpften Feststellungen des Aufenthaltsverbotsbescheides hielt sich der Mitbeteiligte zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufenthaltsverbotes erst seit kurzer Zeit im Bundesgebiet auf, ging keiner legalen Beschäftigung nach, war weder kranken- noch sozialversichert und verfügte in Österreich über keine familiären Bindungen.)

Bei seiner Befragung als Partei habe der Mitbeteiligte im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde unter anderem angegeben, dass er etwa acht Monate vor dem Vorfall, für den er gerichtlich verurteilt worden sei, unter einem falschen griechischen Namen in Österreich gearbeitet habe.

Am 1. Juni 2004 sei der Mitbeteiligte nach Verbüßung des unbedingten Teiles der Freiheitsstrafe in sein Heimatland abgeschoben worden. Er sei trotz des bestehenden Aufenthaltsverbotes im Jahr 2006 nach Österreich eingereist, habe hier "schwarz" gearbeitet und sich bis März 2007 unangemeldet im Bundesgebiet aufgehalten.

Seit März 2007 habe der Mitbeteiligte "die österreichischen Meldevorschriften befolgt". Er sei seit 1. November 2007 bei der "Österreichischen Sozialversicherung" laufend als gewerblich selbständig Erwerbstätiger gemeldet und lebe mit seiner Lebensgefährtin und seinen zwei Kindern in W. Der Mitbeteiligte habe keine weiteren Straftaten begangen, er sei in seiner Heimat Rumänien unbescholten. Er sei zwar dreimal wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung verwaltungsstrafrechtlich vorgemerkt, und zwar mit zwei Geldstrafen zu je EUR 70,-- und einer Geldstrafe zu EUR 56,--, weise aber darüber hinaus keine weiteren verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen auf. Seit 1. Jänner 2007 sei der Mitbeteiligte als rumänischer Staatsangehöriger Bürger der Europäischen Union.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 65 Abs. 1 und 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG - im Wesentlichen aus, dass bei der Beurteilung, ob die Annahme eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinn des § 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG gerechtfertigt sei, Änderungen in den Lebensumständen des Fremden, die gegen den Fortbestand einer Gefährdungsprognose sprächen, nicht ausgeklammert werden dürften. In Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte nunmehr Unionsbürger sei, könne - anders als bei Verhängung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes - nicht davon ausgegangen werden, dass dieser sich wiederum unter Vorspiegelung einer falschen Identität Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt verschaffen werde.

Zwar sei der Erstbehörde darin beizupflichten, dass aufgrund der Straftat des Mitbeteiligten, in der sich doch eine erhebliche Gewaltbereitschaft und kriminelle Energie gezeigt habe, eine von diesem ausgehende tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr bestanden habe, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt habe. Nunmehr sei jedoch insgesamt festzustellen, dass die im Jahr 2004 von der Erstbehörde aufgestellte Gefährlichkeitsprognose zumindest hinsichtlich der "Gegenwärtigkeit der vom (Mitbeteiligten) ausgehenden Gefahr" nicht aufrecht erhalten werden könne.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG iVm § 10 FPG mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten ihres Verfahrens vor, nahm allerdings von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Gemäß § 65 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu seiner Erlassung geführt haben, weggefallen sind. Nach der hg. Judikatur kann ein Antrag auf Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit der Erlassung der Maßnahme die dafür maßgebenden Umstände zu Gunsten des Fremden geändert haben, wobei im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag auch auf die nach der Verhängung des Aufenthaltsverbotes eingetretenen und gegen die Aufhebung dieser Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen ist. Weiters kann bei der Entscheidung über die Aufhebung eines Aufenthaltsverbotes die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem das Aufenthaltsverbot erlassen wurde, nicht mehr überprüft werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 2008, Zl. 2007/18/0295, mwN).

1.2. Bei der Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG kommt es darauf an, ob eine Gefährlichkeitsprognose aufgrund des - wegen des Beitritts Rumäniens zur Europäischen Union auf den Mitbeteiligten als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger mittlerweile anzuwendenden - § 86 Abs. 1 FPG dergestalt (weiterhin) zu treffen ist, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes erforderlich ist, weil aufgrund des persönlichen Verhaltens des Mitbeteiligten die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Bei dieser Beurteilung kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2007, Zl. 2006/18/0420).

Ferner ist für die Beurteilung nach § 65 Abs. 1 FPG maßgeblich, ob die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG zulässig ist. Darüber hinaus hat die Behörde auch bei einer Entscheidung über einen Aufhebungsantrag das ihr in § 60 Abs. 1 iVm § 86 Abs. 1 FPG eingeräumte Ermessen zu üben (vgl. wiederum das hg. Erkenntnis vom 2. Dezember 2008, mwN).

2.1. Die Beschwerde bringt im Wesentlichen vor, dass der Mitbeteiligte, der das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot missachtet habe, seine familiären Bindungen im Inland zu einem Zeitpunkt begründet habe, in dem er mit einem weiteren Aufenthalt in Österreich nicht habe rechnen dürfen.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Die Erstbehörde hat ausgehend von der der strafgerichtlichen Verurteilung des Mitbeteiligten zu Grunde liegenden Straftat und dessen völliger Missachtung des gegen ihn mit Bescheid vom 12. März 2004 verhängten Aufenthaltsverbotes im Ergebnis völlig zutreffend die Gefährlichkeitsprognose gemäß § 86 Abs. 1 FPG bejaht. Das persönliche Verhalten des Mitbeteiligten stellt eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit (insbesondere die Gesundheit und die Rechte anderer) dar, die wegen der besonderen Gefährlichkeit der Gewaltkriminalität (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 2. September 2008, Zl. 2006/18/0512) ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinn des § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG berührt.

3. Da die belangte Behörde aus diesen Gründen bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die Rechtslage verkannt hat, war dieser wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 9. November 2009

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