VwGH 2009/11/0228

VwGH2009/11/022822.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Z in G, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in 8020 Graz, Neubaugasse 24, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 9. September 2009, Zl. 41.550/488-9/09, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

VOG 1972 §1 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VOG 1972 §1 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 1. April 2008 wurde der Beschuldigte P.T. von der wider ihn erhobenen Anklage, er habe am 13. Februar 2007 den Beschwerdeführer durch Versetzen von Fußtritten vorsätzlich am Körper verletzt, wobei die Tat neben einem Hämatom am rechten Oberarm an sich schwere Verletzungen, nämlich einen Schienbeinkopftrümmerbruch rechts und einen Wadenbeinkopftrümmerbruch rechts, verbunden mit einer 24 Tage übersteigenden Gesundheitsschädigung und Berufsunfähigkeit zur Folge gehabt habe, nach § 259 Z. 3 StPO freigesprochen und der Beschwerdeführer als Privatbeteiligter gemäß § 366 Abs. 1 StPO mit seinen Ansprüchen auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

In der Begründung führte das Oberlandesgericht Graz aus, dass es - nach durchgeführter Beweiswiederholung - die Ansicht des Erstgerichtes (Landesgericht für Strafsachen Graz) teile, es sei wegen verbliebener Zweifel - in dubio pro reo - davon auszugehen, dass P.T. den Beschwerdeführer nicht vorsätzlich am Körper in der aufgezeigten Weise, insbesondere nicht durch einen Tritt gegen dessen rechtes Knie, schwer verletzt habe. Der vom Beschwerdeführer behauptete Tritt sei "objektiv in einem Bereich der Wahrscheinlichkeit, die einen Schuldspruch nicht zu tragen vermag", geblieben. Bei der gegebenen Beweislage habe das Berufungsgericht "nicht die uneingeschränkte Überzeugung" gewonnen, dass P.T. die ihm vorgeworfene Tat begangen habe.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid vom 9. September 2009 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Hilfeleistungen nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) in Form des Ersatzes von Verdienstentgang, der Heilfürsorge, der orthopädischen Versorgung, der Rehabilitation und der Pflegezulage abgewiesen.

In der Begründung führte die belangte Behörde aus, schon die Erstbehörde sei zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Handlung gemäß § 1 Abs. 1 VOG nicht mit Wahrscheinlichkeit vorliege. Die belangte Behörde gab sodann wesentliche der im strafgerichtlichen Verfahren in beiden Instanzen protokollierten Aussagen des Beschwerdeführers, mehrerer Zeugen und der dort beigezogenen Sachverständigen wieder. In der rechtlichen Beurteilung verwies sie auf § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG, wonach österreichische Staatsbürger Anspruch auf Hilfe haben, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass sie durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist.

Für die Auslegung des Begriffes "wahrscheinlich" sei nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit sei gegeben, wenn erheblich mehr für als gegen das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG spreche. Nach Ansicht der belangten Behörde gelte das Kriterium der Wahrscheinlichkeit sowohl für die Tatbestandsmäßigkeit (tatbildmäßige Handlung) als auch für die Kausalität.

Im gegenständlichen Fall könne zunächst auf Grund der Feststellungen in den Urteilen des Strafgerichts nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass eine mit einer mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung vorliege, da der genaue Ablauf der Geschehnisse am 13. Februar 2007 vom Strafgericht nicht habe festgestellt werden können.

Daher ziehe die belangte Behörde für ihre Beurteilung, ob § 1 Abs. 1 VOG verwirklicht sei, die im Zuge des gerichtlichen Strafverfahrens festgestellten Tatsachen sowie die dort erstatteten gutachtlichen Äußerungen heran: Die Ermittlungsergebnisse des Strafverfahrens sprächen nach Ansicht der belangten Behörde aber überwiegend dagegen, dass die seitens des Beschwerdeführers am 13. Februar 2007 erlittenen Gesundheitsschädigungen durch eine vorsätzliche Handlung verursacht worden seien. Dazu führte die belangte Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung die - sich aus dem Akt des Strafgerichtes ergebenden - Umstände und Fakten an, die einerseits für und andererseits gegen die Wahrscheinlichkeit einer mit einer mehr als einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung des P.T. sprächen. Gegen die Wahrscheinlichkeit der von P.T. gegenüber dem Beschwerdeführer begangenen Körperverletzung spreche vor allem, dass einerseits die Knieverletzung laut Gutachten durch eine überaus starke Kraft herbeigeführt worden sei, dass aber andererseits P.T. im Zeitpunkt des behaupteten Vorfalls am rechten Bein eingeschränkt belastbar und überdies alkoholisiert gewesen sei und weiche Schuhe getragen habe. Es könne daher "nicht mit Wahrscheinlichkeit" angenommen werden, dass eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde im Wesentlichen gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und gegen die seines Erachtens unzureichende Begründung des angefochtenen Bescheides. Dort seien lediglich die gegenläufigen Beweisergebnisse dargestellt, es fehle jedoch eine Begründung, weshalb aus Sicht der Behörde die Ermittlungsergebnisse letztlich überwiegend gegen eine vorsätzliche Handlung sprechen sollten. Daran anschließend legt die Beschwerde im Einzelnen jene Umstände dar, die nach Ansicht des Beschwerdeführers für das vorsätzliche Verhalten des P.T. als wahrscheinlichste Ursache der erlittenen Verletzungen sprächen. Außerdem habe der Beschwerdeführer die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt, in welcher er seinen Standpunkt nochmals überzeugend hätte darlegen können, die belangte Behörde habe davon jedoch ohne ausreichenden Grund Abstand genommen.

2.1. Das Verbrechensopfergesetz, BGBl. Nr. 288/1972 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 48/2005, lautet auszugsweise:

"§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

...

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre

Erwerbsfähigkeit gemindert ist. ..."

2.2. Im vorliegenden Beschwerdefall hat die belangte Behörde die Wahrscheinlichkeit, dass P.T. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung des Beschwerdeführers herbeigeführt hat, verneint und die für diese Annahme ausschlaggebenden Gründe, die sie ausschließlich aus dem gerichtlichen Strafakt entnommen hat, in der Beweiswürdigung dargestellt.

Diese Annahme der belangten Behörde steht allerdings im Widerspruch zur eingangs wiedergegebenen Begründung des Strafurteils vom 1. April 2008. In diesem Strafurteil (vgl. dort S. 7) ist das Oberlandesgericht Graz (im Übrigen aufgrund einer ähnlichen Beweiswürdigung, wie sie die belangte Behörde dargelegt hat) zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tatbegehung durch P.T. lediglich "in einem Bereich der Wahrscheinlichkeit" gelegen sei, dass aber die Beweislage nicht die uneingeschränkte Überzeugung von der Tatbegehung durch P.T. habe vermitteln können. Wie erwähnt ist das Oberlandesgericht Graz zu diesem Ergebnis nach eigener Wiederholung der Beweisaufnahme, im Rahmen welcher neben dem Beschuldigten und dem Beschwerdeführer auch Zeugen und Sachverständige gehört wurden, gelangt.

Es ist daher unschlüssig, wenn die belangte Behörde - ohne sich durch eigene Beweisaufnahme einen Eindruck von den Geschehnissen zu verschaffen - zum gegenteiligen Ergebnis des Strafgerichts gelangte, indem sie die Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung verneinte.

Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 22. Jänner 2013

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