VwGH 2009/11/0226

VwGH2009/11/022618.12.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl, Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des JH in W, vertreten durch Mag. Nikolaus Vasak, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Ungargasse 4/1/10, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom 9. September 2009, Zl. 41.550/282- 9/09, betreffend Hilfeleistung nach dem Verbrechensopfergesetz (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASVG §256;
AVG §13a;
AVG §52;
VOG 1972 §1 Abs1 Z1;
VOG 1972 §2;
ASVG §256;
AVG §13a;
AVG §52;
VOG 1972 §1 Abs1 Z1;
VOG 1972 §2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Nach dem im Akt erliegenden Strafurteil vom 11. Juli 2007 wurde J.R. schuldig erkannt, den Beschwerdeführer am 19. Februar 2007 an den Beinen erfasst und über ein Geländer einer U-Bahn-Treppe am Westbahnhof hinabgeschleudert zu haben, worauf dieser etwa 6,50 m tief hinabgestürzt und u.a. eine Fraktur des linken Oberschenkels, eine Trümmerfraktur des linken Oberarms, Rippenbrüche sowie Brüche der linken Querfortsätze des 1. bis 3. Lendenwirbels erlitten habe. J.R. habe hiedurch das Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB begangen und wurde dafür zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde dem Beschwerdeführer als Privatbeteiligtem ein Betrag in Höhe von EUR 25.000,-- zugesprochen.

Am 31. Juli 2007 beantragte der Beschwerdeführer u.a. den Ersatz von Verdienstentgang nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) und brachte vor, er sei wegen der genannten Verletzungen mehrfach operiert worden. Er sei vom Beruf Tischler und habe wegen der Gesundheitsschädigungen seine neue Arbeit als Zimmerer am 1. März 2007 nicht antreten können.

Mit Bescheid des Bundessozialamtes vom 11. Februar 2009 wurden dem Beschwerdeführer Ersatzleistungen für den Verdienstentgang von März 2007 bis zum 4. Dezember 2007 in näher genannter Höhe zugesprochen (Spruchteil 1.). Weiters wurde gemäß §§ 3a und 10 Abs. 1 VOG von Amts wegen festgestellt, dass kein Anspruch auf Gewährung einer einkommensabhängigen Zusatzleistung bestehe (Spruchteil 2.).

In der Begründung führte die Erstbehörde unter Bezugnahme auf § 1 Abs. 1 VOG aus, es stehe mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass der Beschwerdeführer am 19. Februar 2007 im Zuge einer strafbaren Handlung am Körper schwer verletzt worden sei. Als verbrechenskausale Gesundheitsschädigungen seien nach den eingeholten unfallchirurgischen und nervenfachärztlichen Sachverständigengutachten der Bruch des linken Oberschenkels, der Bruch des linken Oberarms am körperfernen Ende, der Bruch der Querfortsätze am 1. und 3. Lendenwirbel links und mehrfache Rippenbrüche links anzusehen. Hingegen seien die Alkoholabhängigkeit und reaktive Depressionen des Beschwerdeführers nicht durch das genannte Verbrechen verursacht. Auf Grund der genannten Gutachten hätten die verbrechenskausalen Gesundheitsschädigungen die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Tischler/Schalungszimmerer bis zum 4. Dezember 2007 beeinträchtigt, ab dem 5. Dezember 2007 sei keine Arbeitsunfähigkeit mehr anzunehmen. Zu Spruchteil 2. führte die Erstbehörde begründend aus, dass das Einkommen des Beschwerdeführers unter Bedachtnahme auf Spruchpunkt 1. den im § 3a VOG genannten Richtsatz überschreite, sodass die in dieser Bestimmung genannte Zusatzleistung nicht zuzuerkennen gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er auf die ihm zuerkannte (Invaliditäts-)Pension verwies und geltend machte, dass er in seinem Beruf weiterhin nicht arbeitsfähig sei.

Die belangte Behörde holte eine ergänzende Stellungnahme des unfallchirurgischen Sachverständigen vom 12. Mai 2009 ein, die sich mit der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers durch die Pensionsversicherungsanstalt beschäftigt. Nach Einräumung des Parteiengehörs wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 1 Abs. 1 und 3, § 2 und § 3 Abs. 1 VOG ab. In der Begründung führte sie aus, auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers sei strittig, ob dieser Anspruch auf Ersatz des Verdienstentganges auch für die Zeit ab dem 5. Dezember 2007 habe. Unbekämpft durch die Berufung seien sowohl die Höhe des zugesprochenen Ersatzes des Verdienstentganges für den Zeitraum 1. März bis 4. Dezember 2007 als auch die Feststellung, dass kein Anspruch auf Gewährung einer einkommensabhängigen Zusatzleistung bestehe.

Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers ab dem 5. Dezember 2007 gelangte die belangte Behörde auf Grund der ärztlichen Gutachten zu dem Ergebnis, dass ab dem 5. Dezember 2007 keine verbrechenskausale Einschränkung der Arbeitsfähigkeit mehr vorgelegen sei. Nach den Gutachten sei zwischen jenen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers, die durch das gegenständliche Verbrechen verursacht worden seien, und seinen verbrechensunabhängigen Gesundheitsschädigungen zu unterscheiden:

"Akausale Diagnosen:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes - VOG, BGBl. Nr. 288/1972 in der hier maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 40/2009, lauten auszugsweise:

Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1. durch eine mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohte rechtswidrige und vorsätzliche Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

...

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre

Erwerbsfähigkeit gemindert ist. ...

...

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1. dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2. durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

...

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

1. Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges;

...

Ersatz des Verdienst- oder Unterhaltsentganges

§ 3. (1) Hilfe nach § 2 Z 1 ist monatlich jeweils in Höhe des Betrages zu erbringen, der dem Beschädigten durch die erlittene Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung (§ 1 Abs. 3) als Verdienst oder den Hinterbliebenen durch den Tod des Unterhaltspflichtigen als Unterhalt entgangen ist oder künftighin entgeht. Sie darf jedoch zusammen mit dem Einkommen nach Abs. 2 den Betrag von monatlich 2 068,78 Euro nicht überschreiten. ...

(2) Als Einkommen gelten alle tatsächlich erzielten und erzielbaren Einkünfte in Geld oder Güterform einschließlich allfälliger Erträgnisse vom Vermögen, soweit sie ohne Schmälerung der Substanz erzielt werden können, sowie allfälliger Unterhaltsleistungen, soweit sie auf einer Verpflichtung beruhen. ...

Einkommensabhängige Zusatzleistung

§ 3a. Zum Ersatz des Verdienst- und Unterhaltsentganges gebührt eine einkommensabhängige Zusatzleistung in dem Ausmaß, als die Ersatzleistung und das Einkommen im Sinne des § 292 ASVG die Höhe des jeweiligen dem Familienstand des Antragstellers entsprechenden aktuellen Richtsatzes gemäß § 293 ASVG nicht erreicht, sofern kein Anspruch auf eine Ausgleichszulage besteht. ...

Anträge auf Hilfeleistungen und ihre Erledigung

§ 9. ...

(2) Über Anträge auf Gewährung von Hilfeleistungen nach § 2 entscheidet in erster Instanz das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, in zweiter und letzter Instanz die Bundesberufungskommission.

...

Beginn und Ende der Hilfeleistungen, Rückersatz und Ruhen

§ 10. ...

(2) Die Hilfeleistung endet, wenn sich die für die Hilfeleistung maßgebenden Umstände ändern, nachträglich ein Ausschließungsgrund (§ 8) eintritt oder nachträglich hervorkommt, dass die Voraussetzungen für eine Hilfeleistung nicht gegeben sind.

...

1. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seiner Beschwerde im gesetzlich gewährleisteten subjektiven Recht auf Zuerkennung der Hilfeleistung nach dem VOG, konkret betreffend den Verdienstentgang für die Zeit ab dem 5. Dezember 2007, verletzt.

In der Beschwerde wird nicht vorgebracht, dass die belangte Behörde auf Grund der Berufung des Beschwerdeführers die Höhe der diesem zuerkannten Ersatzleistungen für Verdienstentgang (Spruchpunkt 1. des erstinstanzlichen Bescheides) oder die Feststellung, dass kein Anspruch auf Gewährung einer einkommensabhängigen Zusatzleistung bestehe (Spruchpunkt 2. des erstinstanzlichen Bescheides), nachprüfen oder abändern hätte müssen.

Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist demnach ausschließlich die Frage, ob der Beschwerdeführer einen Anspruch auf Zuerkennung von Hilfeleistungen nach dem VOG auch für den Zeitraum nach dem 4. Dezember 2007 hat (was durch den mit dem angefochtenen Bescheid bestätigten Erstbescheid implizit verneint wurde).

2. Der Beschwerdeführer macht geltend, die belangte Behörde habe ihm zwar im Rahmen des Parteiengehörs die Sachverständigengutachten zur Kenntnis gebracht, gegen die er im Verwaltungsverfahren keine Einwände erhoben habe. Die belangte Behörde hätte den unvertretenen Beschwerdeführer jedoch gemäß § 13a AVG umfassend anleiten müssen, seine Einwendungen unter Beiziehung allfälliger Privatsachverständiger zu erheben, da es sich gegenständlich um eine komplexe Materie handle, die überwiegend den medizinischen Bereich betreffe.

Es entspricht der Aktenlage (S. 307), dass der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren seit dem 1. Dezember 2008 nicht mehr anwaltlich vertreten war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die Behörde jedoch Personen, die nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertreten sind, gemäß § 13a AVG nur die zur Vornahme ihrer Verfahrenshandlungen nötigen Anleitungen zu geben, sie aber nicht in materieller Hinsicht zu beraten und insbesondere nicht anzuleiten, welche Behauptungen sie anzustellen oder mit welchen Beweismitteln oder Beweisanträgen sie vorzugehen habe. Insbesondere geht die behördliche Anleitungspflicht nicht so weit, dass die Partei auf das Erfordernis der Widerlegung eines Sachverständigengutachtens auf gleicher fachlicher Ebene hingewiesen werden muss (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juli 2001, Zl. 2001/07/0017, und die weitere bei Hengstschläger/Leeb, AVG, § 13a, Rz 6, referierte hg. Judikatur). Da die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die genannten Gutachten übermittelt und darauf hingewiesen hat, dass auf deren Grundlage im Falle des Unterbleibens einer Stellungnahme entschieden werde, ist ein Verstoß gegen § 13a AVG gegenständlich nicht zu erkennen.

3. Entgegen den Beschwerdebehauptungen hat sich die belangte Behörde mit dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers, sein Gesundheitszustand habe sich, wie die Beurteilung durch die Pensionsversicherungsanstalt zeige, nicht verbessert und er sei daher (gemeint: auch nach dem 4. Dezember 2007) in seinem Beruf nicht arbeitsfähig, auseinandergesetzt und Ermittlungen angestellt: So hat sie den unfallchirurgischen Sachverständigen mit der Erstattung einer Stellungnahme zur abweichenden Beurteilung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers im pensionsversicherungsrechtlichen Verfahren (Bescheid über die Zuerkennung der Invaliditätspension bzw. in den diesem Bescheid zu Grunde liegenden Gutachten) beauftragt. In seiner Stellungnahme vom 12. Mai 2009 hat der unfallchirurgische Sachverständige Dr. K. (Akt S. 328/9) zusammengefasst ausgeführt, dass in dem von der Pensionsversicherungsanstalt eingeholten Gutachten zwar jene Diagnosen genannt seien, die eine Minderung der Erwerbsfähigkeit verursachten, dass in diesen Gutachten allerdings - anders als im unfallchirurgischen Gutachten vom 17. Oktober 2008 - auf das Ausmaß der funktionellen Einschränkung nicht eingegangen werde.

4. Nach dem Gutachten des unfallchirurgischen Sachverständigen vom 17. Oktober 2008 (Akt S. 311 ff) waren mit dem Ende des letzten Rehabilitationsaufenthaltes des Beschwerdeführers (das ist der im Spruch des erstinstanzlichen Bescheides genannte 4. Dezember 2007) die verbrechenskausalen Gesundheitsschädigungen des Beschwerdeführers teilweise folgenlos abgeheilt (Verletzungen der Lendenwirbel und der Rippen). Die zu diesem Zeitpunkt "nicht zur Gänze folgenlos abgeheilt" gewesenen Gesundheitsschädigungen wurden im Gutachten beschrieben:

unwesentliche Beugehemmung an der linken Hüfte, Muskelverschmächtigung und reaktionslose Narbe am linken Oberschenkel, geringfügige Beugehemmung am Ellbogen und gering einschränkte Drehfähigkeit am Unterarm. Die gutachtliche Schlussfolgerung des Sachverständigen, diese nach dem 4. Dezember 2007 verbliebenen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers seien für die Berufsausübung nicht wesentlich und der Beschwerdeführer sei seit dem 5. Dezember 2007 in seinem Beruf wieder einsatzfähig, sind nicht als unschlüssig zu erkennen.

Es ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn die belangte Behörde insbesondere auf Grund des unfallchirurgischen Sachverständigengutachtens zu dem Ergebnis gelangte, dass der Beschwerdeführer jedenfalls durch das obgenannte Verbrechen gemäß § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG (bloß) bis zum 4. Dezember 2007 in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert war.

5. Abgesehen davon ist nicht schon aus dem Umstand, dass dem Beschwerdeführer gemäß § 256 ASVG eine Invaliditätspension über den 4. Dezember 2007 hinausgehend zuerkannt wurde, abzuleiten, dass auch die Erwerbsfähigkeit iSd § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG über den 4. Dezember 2007 hinausgehend gemindert war, weil nach der letztgenannten Bestimmung nur jene Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen ist, die durch die in dieser Bestimmung genannte strafbare Handlung herbeigeführt wurde. Hingegen ist eine allfällige Minderung der Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers, die durch die im Sachverständigengutachten aufgezählten "akausalen Diagnosen" hervorgerufen wurde (darunter die in der Beschwerde genannten Schmerzen am linksseitigen Becken; laut Gutachten hatte der Beschwerdeführer im Jahr 1995 einen Verkehrsunfall mit Beckenverletzung), bei der Beurteilung der geminderten Erwerbsfähigkeit iSd § 1 Abs. 1 Z. 1 VOG nicht zu berücksichtigen.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 18. Dezember 2012

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