VwGH 2009/08/0149

VwGH2009/08/014914.4.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der K GmbH in Wien, vertreten durch Dr. Carl Benkhofer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 26, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 20. Mai 2009, Zl. UVS-06/42/2721/2009-16, betreffend Verletzung der Meldepflicht nach dem ASVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §19;
AVG §59 Abs1;
AVG §8;
VStG §24;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs7;
AVG §19;
AVG §59 Abs1;
AVG §8;
VStG §24;
VStG §9 Abs1;
VStG §9 Abs7;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführende Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 11. Februar 2009 wurde von der Fortführung des Strafverfahrens gegen den handelsrechtlichen Geschäftsführer der beschwerdeführenden Partei, Jozef Z., hinsichtlich des Vorwurfs, er habe es zu verantworten, dass die beschwerdeführende Partei der ihr als Dienstgeberin nach dem ASVG obliegenden Verpflichtung zur Erstattung von Meldungen und Anzeigen bzw. zur Übermittlung von Meldungsabschriften an die Dienstnehmer insofern nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen ist, als drei näher genannte, vom 23. bis zum 24. Oktober 2008 beschäftigten Arbeitnehmer nicht vor Beginn ihrer Tätigkeit "weder Voll- noch Teilzeitbeschäftigt versichert" gemeldet worden sind, gemäß § 45 Abs. 1 Z. 2 VStG abgesehen und die Einstellung verfügt.

Dieser Bescheid wurde - wie sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt - Jozef Z. und dem Finanzamt W, nicht aber der beschwerdeführenden Partei zugestellt.

Gegen diesen Bescheid erhob das Finanzamt W Berufung mit dem Antrag, die belangte Behörde möge den Einstellungsbescheid beheben und über Jozef Z. eine tat- und tätergerechte Strafe im Sinn des ASVG verhängen.

Mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens gegen Jozef Z. aufgehoben und diesen für schuldig erkannt, er habe es zu verantworten, dass die beschwerdeführende Partei der ihr als Dienstgeberin nach dem ASVG obliegenden Verpflichtung zur Erstattung von Meldungen und Anzeigen bzw. zur Übermittlung von Meldungsabschriften an die Dienstnehmer insofern nicht nachgekommen ist, als drei näher genannte, am 23. Oktober 2008 beschäftigte Arbeitnehmer nicht vor Beginn ihrer Tätigkeit beim zuständigen Krankenversicherungsträger zur Kranken-, Pensions- und Unfallversicherung gemeldet worden sind. Gegen Josef Z. wurden wegen dieser Verwaltungsübertretungen drei Geldstrafen von jeweils EUR 1.700,--, sohin insgesamt von EUR 5.700,--, verhängt und ein Beitrag zu den Verfahrenskosten in Höhe von EUR 570,-- auferlegt.

Des Weiteren hat die belangte Partei im Spruch des angefochtenen Bescheides darauf "hingewiesen", dass die beschwerdeführende Partei gemäß § 9 Abs. 7 VStG zur ungeteilten Hand für die über ihren zur Vertretung nach außen berufenen Geschäftsführer verhängten Geldstrafen in der Gesamthöhe von EUR 5.700,-- und die angeführten Verfahrenskosten in Höhe von EUR 570,--, sohin für einen Gesamtbetrag in der Höhe von EUR 6.270,-- haftet.

Der angefochtene Bescheid wurde neben Jozef F. auch der - nach Ausweis der Verwaltungsakten zuvor in keiner Phase des Verwaltungsverfahrens zugezogenen - beschwerdeführenden Partei zugestellt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Verwaltungsgerichtshof ist im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. November 2000, VwSlg. 15527/A, von seiner älteren Rechtsprechung zur gesetzlichen Solidarhaftung nach § 9 Abs. 7 VStG abgegangen, wonach die Haftung der betreffenden juristischen Person für die gegen ihren gesetzlichen Vertreter verhängte Strafe erst nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens durch einen eigenen Bescheid ausgesprochen werden dürfe und der Haftungspflichtige im Verwaltungsstrafverfahren keine Parteistellung habe. Er schloss sich nunmehr der Auffassung von Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts7, Rz 780, an, wonach eine auch dem Art. 6 EMRK gerecht werdende Lösung der dargestellten Problematik nur in der Bejahung der Parteistellung des Haftungspflichtigen im Verwaltungsstrafverfahren gegen das Organ gefunden werden könne. Es sei daher zu fordern, dass der Haftungspflichtige im Sinne der § 24 VStG und § 8 AVG bereits dem Verwaltungsstrafverfahren als Partei beizuziehen ist und in diesem Verfahren auch alle Parteirechte einschließlich des Berufungsrechtes ausüben kann. Nur so sei es dem Haftungspflichtigen in einer rechtsstaatlich einwandfreien Weise möglich, einen Strafbescheid, der ihn im Wege der Haftung dem Grunde und der Höhe nach zu Geldzahlungen verpflichtet, zu bekämpfen und damit seine Haftung gegebenenfalls auszuschließen oder zu vermindern. Die bisherige Rechtsprechung, die eine etwaige Bekämpfungsmöglichkeit des Haftungspflichtigen ausschloss, widerstreite dem Art. 6 MRK. Wer den Beweis und die Zurechnung einer für die Entscheidung über seine Ansprüche und Verpflichtungen wesentlichen Handlung nicht verfahrensrechtlich in Frage stellen könne, weil eine Bindung an eine andere Entscheidung aus einem Verfahren vorliege, zu welchem er aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keinen Zugang gehabt habe, dessen rechtlicher Anspruch auf Gehör sei nicht erfüllt. Gegen die Lösung der älteren Judikatur und Lehre spreche insbesondere, dass sie es dem Haftungspflichtigen nicht ermögliche, gegen den Strafbescheid andere Gründe geltend zu machen als jene, "die die Haftung als solche ausschließen würden". Dem Haftungspflichtigen wäre es mangels rechtzeitiger Anhörung somit nicht möglich, den Nachweis zu führen, dass sein Organ (oder sein verantwortlicher Beauftragter) nicht oder nicht in einem bestimmten Ausmaß bestraft werden dürfe. Eine rechtlich einwandfreie Lösung der Problematik biete nach der nunmehrigen Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes nur die volle Einbindung des Haftungspflichtigen als Partei in jenes Verfahren, in welchem die Grundlage und der Umfang seiner Haftung ermittelt und festgesetzt werde. Der Erlassung eines eigenen Haftungsbescheides in einem besonderen Verfahren bedürfe es nicht.

Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt:

Im Rahmen des geltend gemachten Beschwerdepunktes ist nämlich von Amts wegen der Umstand aufzugreifen, dass - entgegen der in einem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. November 2000, VwSlg. 15527/A, aufgezeigten Rechtslage - der haftungsbeteiligten beschwerdeführenden Partei weder der erstinstanzliche Bescheid zugestellt noch sie am Berufungsverfahren beteiligt wurde; sie wurde insbesondere auch nicht zur mündlichen Verhandlung geladen. Es wurde ihr lediglich der angefochtene Bescheid zugestellt.

Die Beiziehung der beschwerdeführenden Gesellschaft als Partei war nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der erstinstanzliche Bescheid keinen Ausspruch über die Haftung der Gesellschaft im Sinne des § 9 Abs. 7 VStG enthielt. Eine solche Haftung ergibt sich nämlich - wie der verstärkte Senat im genannten Erkenntnis vom 21. November 2000 entschieden hat - unmittelbar kraft Gesetzes aus § 9 Abs. 7 VStG. Wenn - wie der verstärkte Senat weiters entschieden hat - ein gesonderter Bescheid über diese Haftung entbehrlich ist, dann ist konsequenterweise auch ein normativer Abspruch im Strafbescheid entbehrlich.

Maßgebend in rechtlicher Hinsicht ist vielmehr, dass die gesetzlich angeordnete Haftung einen normativen Ausspruch in einem Bescheid entbehrlich macht, sodass die Haftungsfrage nicht eigener Gegenstand des Strafverfahrens ist (zutreffend daher Wilfert, Die Haftung juristischer Personen gemäß § 9 Abs. 7 VStG, UVS aktuell 2009, 12 ff). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die vertretene Gesellschaft, welcher die Tat zuzurechnen ist, wegen deren Begehung der gesetzliche Vertreter in Anspruch genommen wurde, neben der Bezeichnung des Bestraften im Spruch des Bescheides zu nennen (vgl. Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren II2, § 9 VStG, E 268 ff). Der Strafbescheid ist sodann kraft § 9 Abs. 7 VStG in Bezug auf die "verhängten Geldstrafen, sonstige(n) in Geld bemessene(n) Unrechtsfolgen und die Verfahrenskosten" unmittelbar gegen jene GesmbH vollstreckbar, als deren Vertreter der Beschuldigte nach dem Spruch dieses Bescheides bestraft worden ist. Es ist daher weder erforderlich, die Haftung der Gesellschaft in den Strafbescheid aufzunehmen (so schon die Erkenntnisse vom 21. Oktober 1994, Zl. 94/11/0261, und vom 28. Juli 1999, Zl. 97/09/0335), noch ist ein solcher Abspruch - auch wenn er erstmals im Berufungsbescheid erfolgt - rechtswidrig, weil er die nach § 9 Abs. 7 VStG ohnehin gegebene Rechtslage nicht zu verändern vermag.

Die belangte Behörde hatte die beschwerdeführende Partei im Berufungsverfahren daher ungeachtet dessen beizuziehen, dass der erstinstanzliche Bescheid keinen Abspruch über die Haftung nach § 9 Abs. 7 VStG enthalten hat. Eine solche Beiziehung hat ausdrücklich durch Ladung der beschwerdeführenden Partei zu Handen eines ihrer gesetzlichen Vertreter zu erfolgen. Der Umstand, dass der gesetzliche Vertreter der beschwerdeführenden Partei dem Verfahren in seiner Eigenschaft als Beschuldigter beigezogen war, vermag die ausdrückliche Ladung der juristischen Person nicht entbehrlich zu machen (vgl. dazu nochmals das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. November 2000).

Abgesehen davon, dass der angefochtene Bescheid schon wegen der daraus resultierenden Verletzung der beschwerdeführenden Partei im Recht auf eine mündliche Verhandlung vor der belangten Behörde rechtswidrig ist, konnte die im Verwaltungsstrafverfahren übergangene beschwerdeführende Partei ohne gegen das Neuerungsverbot zu verstoßen auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren erstmals alle ihre Einwendungen gegen den angefochtenen Bescheid vorbringen (vgl. zu diesem Recht bei Verletzung des Parteiengehörs z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0305, und aus jüngerer Zeit jenes vom 28. August 2008, Zl. 2008/22/0374, uva). Da dieses Vorbringen - würde man es in tatsächlicher Hinsicht für erwiesen erachten - zu einem anderen Ergebnis des Verfahrens führen könnte, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen im Einzelnen eingegangen werden musste.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 14. April 2010

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