VwGH 2009/06/0171

VwGH2009/06/01719.11.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kail und die Senatspräsidentin Dr. Bernegger sowie die Hofräte Dr. Waldstätten, Dr. Bayjones und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerden der Vorarlberger Landesregierung gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Vorarlberg vom 24. Juni 2009, 1. Zl. UVS-2-012/E1-2008 (Beschwerde Zl. 2009/06/0172) und 2. Zl. UVS-2-013/E1-2008 (Beschwerde Zl. 2009/06/0171), betreffend jeweils die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt nach dem Vorarlberger Straßengesetz (mitbeteiligte Partei in beiden Beschwerdeverfahren: J E in L, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH, Dr. Wilfried Ludwig Weh, in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1),

Normen

AVG §67c;
B-VG Art129a Abs1 Z2;
LStG Vlbg 1969 §1 Abs1;
LStG Vlbg 1969 §1 Abs5 litb;
LStG Vlbg 1969 §2 Abs2;
LStG Vlbg 1969 §51 Abs4;
LStG Vlbg 1969 §53;
LStG Vlbg 1969 §9 Abs8;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2011:2009060171.X00

 

Spruch:

1. den Beschluss gefasst:

Die von der Gemeinde L, vertreten durch Dr. Dietmar Fritz, Rechtsanwalt in 6870 Bezau, Unterdorf 10, für beide Beschwerdeverfahren eingebrachte Gegenschrift wird - ohne Auferlegung einer Kostenersatzpflicht - zurückgewiesen;

2. zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Beschwerden betreffen eine Gemeindestraße im Gebiet der Gemeinde L. Der Mitbeteiligte brachte Anfang 2008 am südwestlichen und am nordöstlichen Ende eines Straßenstückes jeweils eine Tafel mit einem dem Vorschriftszeichen gemäß § 52 lit. a Z. 1 StVO nachgebildeten Zeichen ("Fahrverbot (in beiden Richtungen)") und den Aufschriften "Privatstraße" sowie "Zugang nur für vertraglich Berechtigte" an.

In der Folge wurden die Tafeln von einem Gemeindebediensteten über Auftrag des Bürgermeisters am 7. oder 8. August 2008 entfernt und der Mitbeteiligte hievon in Kenntnis gesetzt. Ihm wurde mitgeteilt, dass er die Tafeln im Gemeindeamt abholen könne.

Am 3. September 2008 stellte der Mitbeteiligte die Tafeln erneut an denselben Orten auf. Am folgenden Tag wurden diese Tafeln wiederum über Veranlassung des Bürgermeisters entfernt, darüber hinaus auch die Befestigungseinrichtungen für diese Tafeln. In der Folge wurde der Mitbeteiligte abermals von der Entfernung der Tafeln in Kenntnis gesetzt und es wurde ihm mitgeteilt, dass er die Tafeln im Gemeindeamt abholen könne.

Der Mitbeteiligte erhob jeweils Beschwerde an die belangte Behörde.

Diesen Beschwerden wurde von der Gemeinde L entgegengehalten, der Bürgermeister habe als Straßenbehörde verfügt, die vom Mitbeteiligten aufgestellten Tafeln durch Bedienstete der Gemeinde zu entfernen. Beim zweiten Mal sei die im Asphalt der Straße als Verankerung einbetonierte Halterung entfernt worden, da diese eine Gefahr für andere Straßenbenützer dargestellt habe.

Mit den angefochtenen Bescheiden hat die belangte Behörde den Beschwerden stattgegeben, das Entfernen der Tafeln für rechtswidrig erklärt (im zweiten Fall auch das Entfernen der Befestigungseinrichtungen) und die Gemeinde zum Kostenersatz verpflichtet. Die belangte Behörde ging davon aus, dass das Aufstellen der Tafeln durch den Mitbeteiligten eine Beschränkung des Gemeingebrauches im Sinne des § 2 Abs. 2 des Vorarlberger Straßengesetzes (StrG) darstelle. Es sei für Dritte eindeutig zum Ausdruck gebracht worden, dass nicht jedermann unter den gleichen Bedingungen ohne ausdrückliche Bewilligung die Benützung zum Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr zustehe, sondern nur eine bestimmte, vertraglich eingeräumte Benützung erlaubt sei. Eine Beschränkung des Gemeingebrauches dürfe nach § 2 Abs. 2 StrG grundsätzlich aber nur durch den Straßenerhalter und nur vorübergehend wegen bestimmter Notwendigkeiten erfolgen. Diese Voraussetzungen seien in den Beschwerdefällen schon deswegen nicht gegeben gewesen, weil der Mitbeteiligte nicht Straßenerhalter sei und weil weder eine nur vorübergehende Beschränkung erfolgt sei noch eine solche, die wegen des Zustandes der Straße zur Vermeidung oder Behebung von Schäden an der Straße oder von Gefahren für die Straßenbenützer notwendig gewesen sei.

In den Beschwerdefällen sei allein die Frage entscheidend, welche Bedeutung dem § 53 StrG (über die Zwangsbefugnisse) im Fall des § 2 Abs. 2 leg. cit. zukomme. Die Straßenbehörde sei offensichtlich davon ausgegangen, dass die Bestimmung für die Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustandes im Falle jeglicher Beschränkung des Gemeingebrauches, also auch im Fall, dass sie nicht durch den Straßenerhalter erfolgt sei, anwendbar sei. Für dieses Verständnis spreche allenfalls, dass eine solche Regelung rechtspolitisch sinnvoll wäre.

In den Beschwerdefällen sei aber von Bedeutung, dass auch der Anwendungsbereich von Zwangsbefugnissen im Sinne des Art. 18 B-VG determiniert sein müsse und die Ausübung der Zwangsbefugnisse nur in den gesetzlich genau umschriebenen Anwendungsfällen erfolgen dürfe. Hier zeige sich, dass Maßnahmen gemäß § 2 Abs. 2 StrG nur bei der "Beschränkung des Gemeingebrauchs durch den Straßenerhalter" (erster Satz) und nur durch "die Aufhebung der zuvor vom Straßenerhalter vorgenommenen Beschränkungen im Sinne des ersten Satzes durch die Behörde" (dritter Satz) in Betracht kämen. Da § 53 StrG iVm § 2 Abs. 2 leg. cit. somit keine Grundlage für eine Beseitigung einer von einer Privatperson vorgenommenen Beschränkung des Gemeingebrauches biete, sei die Entfernung der vom Beschwerdeführer angebrachten Tafeln (im zweiten Fall auch der Befestigungseinrichtungen) für rechtswidrig zu erklären gewesen.

Dagegen richten sich die vorliegenden Amtsbeschwerden wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie der Mitbeteiligte, in einer Gegenschrift (für beide Verfahren) die kostenpflichtigen Abweisungen der Beschwerden beantragt.

Auch die Gemeinde hat eine Gegenschrift (für beide Verfahren) erstattet mit dem Antrag, den Beschwerden Folge zu geben; der Mitbeteiligte begehrt in seiner Gegenschrift die kostenpflichtige Zurückweisung der Gegenschrift der Gemeinde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, beide Beschwerdeverfahren wegen des persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung zu verbinden.

Zu 1.:

Der Gemeinde kommt in den Beschwerdeverfahren entgegen der vorläufigen Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Einleitung des Vorverfahrens nicht die Rechtsstellung einer mitbeteiligten Partei zu, weil ein rechtliches Interesse an der Abweisung der Amtsbeschwerden nicht erkennbar ist (§ 21 Abs. 1 Z. 4 VwGG) und im Übrigen auch nicht vorgetragen wird; vielmehr wird ausdrücklich beantragt, den Beschwerden stattzugeben. Die Gegenschrift war daher zurückzuweisen.

Der Mitbeteiligte hat in seiner Gegenschrift die kostenpflichtige Zurückweisung der Gegenschrift der Gemeinde beantragt. Für einen solchen Kostenzuspruch gibt es aber im VwGG keine Rechtsgrundlage.

Zu 2.:

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Da Prozessgegenstand des Verfahrens über eine Maßnahmenbeschwerde die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes ist, ist jene Sach- und Rechtslage maßgebend, die im Zeitpunkt der Setzung des Verwaltungsaktes bestand (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. August 1998, Zl. 96/07/0053).

In den Beschwerdefällen ist somit das Vorarlberger Straßengesetz (StrG), LGBl. Nr. 8/1969, in der Fassung LGBl. Nr. 22/2006 anzuwenden. Folgende Bestimmungen dieses Gesetzes sind von Bedeutung:

"§ 1

Öffentliche Straßen

(1) Die öffentlichen Straßen sind nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu bauen und zu erhalten.

...

(5) Öffentliche Straßen im Sinne dieses Gesetzes sind die dem Gemeingebrauch gewidmeten Straßen. Sie gliedern sich in

...

b) Gemeindestraßen,

..."

"§ 2

Gemeingebrauch

(1) Der Gemeingebrauch einer Straße ist die jedermann unter den gleichen Bedingungen und innerhalb der durch die Art der Straße sowie durch die straßenpolizeilichen Vorschriften festgelegten Grenzen ohne ausdrückliche Bewilligung zustehende Benützung zum Fußgänger- oder Fahrzeugverkehr sowie zum Reiten oder Viehtrieb.

(2) Der Gemeingebrauch darf - unbeschadet der straßenpolizeilichen Vorschriften - nur durch den Straßenerhalter und nur vorübergehend beschränkt werden, soweit dies wegen des Zustandes der Straße zur Vermeidung oder Behebung von Schäden an der Straße oder von Gefahren für die Straßenbenützer notwendig ist. Solche Beschränkungen sind der für die straßenpolizeilichen Angelegenheiten zuständigen Behörde und der nach diesem Gesetz zuständigen Behörde unverzüglich mitzuteilen. Diese Behörde hat die gänzliche oder teilweise Aufhebung der Beschränkungen anzuordnen, wenn sie nicht oder nicht mehr erforderlich sind oder die Schäden oder Gefahren auf andere Weise vermieden werden können.

…"

"Gemeindestraßen

§ 9

Begriff, Erklärung und Auflassung, Straßenerhalter

(1) Gemeindestraßen sind die von der Gemeindevertretung durch Verordnung als solche erklärten Straßen. Durch Verordnung können auch Straßenzüge zu Gemeindestraßen erklärt werden, deren Bau beabsichtigt, aber noch nicht durchgeführt ist.

(8) Straßenerhalter der Gemeindestraßen ist die Gemeinde als Träger von Privatrechten."

"§ 51

Behörden

(1) Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist, soweit dieses Gesetz nicht etwas anderes bestimmt,

a) in Angelegenheiten der Landesstraßen die Bezirksverwaltungsbehörde,

b) in Angelegenheiten der Gemeindestraßen und des 6. Abschnittes der Bürgermeister,

c) in Angelegenheiten der Genossenschaftsstraßen und der öffentlichen Privatstraßen der Bürgermeister. ...

...

(4) Die in diesem Gesetz geregelten Aufgaben der Gemeinde sind solche des eigenen Wirkungsbereiches."

"§ 53

Zwangsbefugnisse ohne vorausgegangenes Verfahren

In den Fällen der §§ 2 Abs. 2, 4 Abs. 4 und 52 Abs. 2 sowie zur Abwehr unmittelbar drohender Gefahren auch in den Fällen der §§ 35, 37 Abs. 1 und 38 Abs. 2 ist die Anwendung von Zwangsbefugnissen ohne vorausgegangenes Verfahren zulässig."

Gemäß § 2 Abs. 4 lit. a des Gesetzes über den Unabhängigen Verwaltungssenat, LGBl. Nr. 34/1990 idF LGBl. Nr. 6/2003 (UVS-G), kann die Landesregierung gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG Beschwerde an den Verwaltungsgerichthof wegen Rechtswidrigkeit gegen Entscheidungen des Unabhängigen Verwaltungssenates durch eine Kammer oder ein Einzelmitglied in Angelegenheiten, die in Gesetzgebung Landessache sind, erheben.

Der Mitbeteiligte trägt in seiner Gegenschrift zunächst vor, die beiden Amtsbeschwerden könnten verspätet sein, wenn nämlich eine Postaufgabe nach dem 5. August 2009 erfolgt sei. Dies trifft in den Beschwerdefällen nicht zu, denn beide Amtsbeschwerden wurden am 5. August 2009 zur Post gegeben.

Der Mitbeteiligte bringt weiters vor, die Gemeinde habe im Rahmen ihrer Gemeindeautonomie agiert, womit es sich hier um Rechte der Gemeinde und nicht um Rechte des Landes gehandelt habe. Deshalb seien die Amtsbeschwerden unzulässig, weil die Amtsbeschwerden auf Angelegenheiten der Landesverwaltung beschränkt seien.

Damit verkennt der Mitbeteiligte den Regelungsinhalt des § 2 Abs. 4 lit. a UVS-G, der nicht auf "Angelegenheiten der Landesverwaltung" abstellt, sondern auf Angelegenheiten, die in der Gesetzgebung Landessache sind. Das trifft auf Angelegenheiten nach dem Vorarlberger Straßengesetz zu.

Weiters ist die Rüge des Mitbeteiligten nicht zielführend, dass aus den Amtsbeschwerden nicht ersichtlich sei, weshalb die Landesregierung die angefochtenen Bescheide für rechtswidrig halte. Im Fall einer sogenannten Amtsbeschwerde geht es nämlich nicht um die Geltendmachung der Verletzung subjektiver Rechte, und das Formerfordernis der Angabe des Beschwerdepunktes nach § 28 Abs. 1 Z. 4 VwGG kommt bei solchen Beschwerden daher nicht zum Tragen (vgl. § 28 Abs. 2 VwGG und z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Juli 2004, Zl. 2003/05/0137).

Wie die belangte Behörde im Übrigen in der Sache selbst zutreffend erkannt hat, darf nach § 2 Abs. 2 StrG der Gemeingebrauch nur durch den Straßenerhalter und nur unter bestimmten Voraussetzungen beschränkt werden. Daraus ergibt sich allerdings, dass ansonsten niemand den Gemeingebrauch in irgendeiner Weise behindern darf.

Richtig ist die Auffassung der belangten Behörde, dass das Aufstellen der gegenständlichen Tafeln durch den Mitbeteiligten eine - unzulässige - Beschränkung des Gemeingebrauches darstellt.

An sich ist nun der Straßenerhalter - im vorliegenden Fall also die Gemeinde (§ 9 Abs. 8 StrG) - verpflichtet, den Gemeingebrauch zu gewährleisten (vgl. § 1 Abs. 1 und 5 lit. b StrG). Zur Durchsetzung stehen ihr privatrechtliche Mittel zur Verfügung (vgl. § 9 Abs. 8 und § 51 Abs. 4 StrG). Ergreift die Gemeinde aus welchen Gründen immer solche Mittel nicht oder ist aus sonstigen Gründen der Gemeingebrauch behindert, sieht das StrG die Möglichkeit von Sofortmaßnahmen zu dessen Wiederherstellung vor. Entgegen der Auffassung der belangten Behörde liegt ein "Fall" des § 2 Abs. 2 StrG iSd § 53 leg. cit. immer dann vor, wenn der Gemeingebrauch beeinträchtigt ist, wobei es nach § 53 leg. cit. nicht darauf ankommt, durch wen die Beeinträchtigung erfolgt ist.

Dadurch, dass die belangte Behörde verkannte, dass § 53 StrG alle unzulässigen Beschränkungen des Gemeingebrauches durch wen auch immer erfasst und daher die Maßnahmen als rechtswidrig erklärte, belastete sie die angefochtene Bescheide mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb diese gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben waren.

Da eine mündliche Verhandlung bereits vor der belangten Behörde stattgefunden hat, sieht sich der Verwaltungsgerichtshof entgegen dem Antrag des Mitbeteiligten in seiner Gegenschrift nicht veranlasst, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Wien, am 9. November 2011

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