VwGH 2009/02/0055

VwGH2009/02/005519.3.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Riedinger und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Erich Ehn, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilerstätte 28, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 15. Dezember 2008, Zl. UVS-07/S/4/9787/2007-31, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:

Normen

ASchG 1994 §118 Abs3;
ASchG 1994 §130 Abs5 Z1;
AVG §56;
BArbSchV 1994 §87 Abs2;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;
ASchG 1994 §118 Abs3;
ASchG 1994 §130 Abs5 Z1;
AVG §56;
BArbSchV 1994 §87 Abs2;
VStG §5 Abs1;
VStG §9 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer der I. GmbH mit Sitz in Wien und somit als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener zu verantworten, dass am 12. März 2007 auf der Baustelle E. die I. GmbH als Arbeitgeberin entgegen § 87 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), wonach bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3 m Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 BauV vorhanden sein müssten, der Arbeitnehmer K. E. mit Arbeiten auf den Flachdach (Vorbereitungen für die Isolierungsarbeiten am Dach) beschäftigt gewesen sei; obwohl Absturzgefahr über einer Höhe von ca. 6 m durch die Dachöffnung in diesem Flachdach mit den Maßen von ca. 60 cm x 60 cm (welche mit Dachpappe abgedeckt und somit nicht durchbruchsicher gewesen sei), bestanden habe, seien keine geeigneten Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 BauV vorhanden gewesen, wobei der Arbeitnehmer auch nicht mit persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (Sicherheitsgeschirr, Sicherheitsseil, Seilkürzer, Falldämpfer) sicher angeseilt gewesen sei.

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung nach § 87 Abs. 2 BauV iVm § 130 Abs. 5 Z 1 und § 118 Abs. 3 Arbeitnehmerschutzgesetz begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe von EUR 2.700,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: fünf Tage) verhängt wurde.

Nach Wiedergabe des Verfahrensganges sowie der Angaben der von der erstinstanzlichen und der belangten Behörde vernommenen Personen hat die belangte Behörde festgestellt, dass auf der Baustelle E. die B. GmbH Generalunternehmer mit einem Leistungsumfang von ca. einer Million Euro gewesen sei. Die B. GmbH habe die I. GmbH, deren Geschäftsführer der Beschwerdeführer sei, beauftragt, die Flachdachabdichtung durchzuführen, wobei das Auftragsvolumen rund EUR 2.500,-- betragen habe. Der Bauleiter der I. GmbH, J. P., habe am 1. März 2007 auf der Baustelle den Bauleiter der B. GmbH C. L. sowie den Spengler K. getroffen, um die von der I. GmbH durchzuführenden Arbeiten abzusprechen. Dabei seien sie am Flachdach gewesen, das zu diesem Zeitpunkt mit Dachplanen abgedeckt gewesen sei. J. P. habe nach einem Bauplan gefragt, ein solcher sei jedoch seitens der B. GmbH auf der Baustelle nicht vorhanden gewesen. Am 12. März 2007 habe J. P. seinen Mitarbeitern in der Früh anhand einer Skizze die Baustelle dargelegt und angeordnet, das Material auf diese Baustelle zu transportieren und den Voranstrich der Winkelverblechung vorzunehmen. J. P. habe sich dann zu einem Termin nach Neusiedl begeben. Beim Eintreffen der Mitarbeiter der I. GmbH, darunter K. E., auf der Baustelle seien weder der Bauleiter noch der Polier der B. GmbH anwesend gewesen. Auf dem gegenständlichen Flachdach hätten sich drei Dachöffnungen befunden, welche zunächst so abgedeckt gewesen seien, dass über die Öffnung eine Dachpappe gelegt gewesen sei, worüber sich eine mit der Holzdecke vernagelte Gerüstbelagstafel befunden habe. Darüber sei großflächig eine PVC-Plane gelegen, die wiederum mit Pfosten beschwert gewesen sei. Es sei zwischen der B. GmbH und der I. GmbH vereinbart gewesen, dass vor der Leistungserbringung durch die I. GmbH die B. GmbH die beschriebene Abdeckungskonstruktion entfernen und eine ordnungsgemäße Sicherung der Dachöffnungen, die auch eine Durchführung der Arbeiten durch die I. GmbH ermöglicht hätte, vornehmen werde. Als K. E. auf das Flachdach gegangen sei, sei er durch eine Dachöffnung im Ausmaß von 60 cm x 60 cm, welche zu diesem Zeitpunkt nur mit einer Dachpappe abgedeckt gewesen sei, ca. 6 m in die Tiefe gefallen. Technische Schutzmaßnahmen seien nicht vorhanden gewesen. K. E. sei auch nicht mittels persönlicher Schutzausrüstung sicher angeseilt gewesen. Beim Absturz habe er sich tödliche Verletzungen zugezogen.

Nach einer gerafften Beweiswürdigung führte die belangte Behörde in rechtlicher Hinsicht aus, am Flachdach seien zum Unfallszeitpunkt keinerlei Schutzeinrichtungen vorhanden gewesen, was nicht bestritten worden sei. Dem Beschwerdeführer als Geschäftsführer der I. GmbH sei fahrlässiges Handeln vorzuwerfen, weil er nicht glaubhaft gemacht habe, dass ihm die Einhaltung der Verwaltungsvorschiften ohne sein Verschulden unmöglich gewesen sei. Das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems sei nicht behauptet worden. Auch die vertragliche Übernahme der B. GmbH zur Absicherung der Dachfläche ändere nichts am Verschulden des Beschwerdeführers, weil Arbeitgeber immer für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften hinsichtlich der eigenen Arbeitnehmer verantwortlich seien.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 87 Abs. 2 Bauarbeiterschutzverordnung (BauV), BGBl. Nr. 340/1994, müssen bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3 m Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 vorhanden sein.

Unbestritten war im Unfallzeitpunkt bei einer Höhe des Flachdaches von ungefähr 6 m keine der von der BauV vorgeschriebenen Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen an der Baustelle vorhanden. Soweit in diesem Zusammenhang in der Beschwerde von einer Entfernung von vor dem Unfall vorhandenen Gerüstbelagsplatten die Rede ist, deckt sich dies nicht mit dem festgestellten Sachverhalt, weshalb darauf - auch mangels entsprechender Verfahrensrüge - nicht einzugehen war. Es ist im Übrigen ohne Belang, bis zu welchem Zeitpunkt vor dem Betreten der Baustelle durch den Arbeitnehmer der I. GmbH eine Absicherung vorhanden gewesen ist, weil es auf den Zeitpunkt des Beginns der Arbeiten ankommt.

Soweit der Beschwerdeführer hinsichtlich der subjektiven Tatseite auf die Beschäftigung eines qualifizierten und erfahrenen Bauleiters, das Vorhandensein erforderlicher Schutzmaßnahmen im Zeitpunkt der Besichtigung der Baustelle, die eigenmächtige Entfernung der Absicherung, den weisungswidrigen Beginn der Arbeiten, den Umstand, dass der Polier der B. GmbH am Umfalltag verspätet zur Baustelle gekommen sei, sowie die vertragliche Überwälzung der Durchführung der Sicherungsmaßnahmen auf die B. GmbH verweist, begründet er damit weder das Fehlen von Verschulden noch gelingt es ihm, mit diesem Vorbringen - ebenso wie im Verwaltungsstrafverfahren - das Vorliegen eines wirksamen Kontrollsystems zu behaupten.

Für die Darstellung eines wirksamen Kontrollsystems ist es nach der hg. Rechtsprechung nämlich erforderlich, unter anderem aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet war, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolgt und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen hat, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangen und dort auch tatsächlich befolgt werden. Das entsprechende Kontrollsystem hat aber auch für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften Platz zu greifen. Es kann daher kein Vertrauen darauf geben, dass die eingewiesenen, laufend geschulten und ordnungsgemäß ausgerüsteten Arbeitnehmer die Arbeitnehmerschutzvorschriften einhalten (vgl. das Erkenntnis vom 23. März 2012, Zl. 2010/02/0263, mwN).

Verweist der Beschwerdeführer im Rahmen der Rechtsrüge ohne nähere Begründung auf den Umstand, er habe keine Möglichkeit gehabt, eine Verletzung der Sicherungspflicht zu erkennen oder zu verhindern, ist er auf seine umfassenden Verpflichtungen als Arbeitgeber zu verweisen, zu denen auch jene nach § 87 Abs. 2 BauV zählen. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21. Mai 2008, Zl. 2007/02/0279, ausgeführt hat, richten sich diese Anordnungen auch an den Arbeitgeber, dessen Arbeitnehmer eine von einem Dritten hergestellte Vorrichtung betreten sollen.

Da die Verantwortlichkeit von einzelnen Arbeitgebern auf einer Baustelle für die Einhaltung der Arbeitnehmerschutzvorschriften für ihre Arbeitnehmer nicht eingeschränkt werden kann, vermochte auch die vertragliche Überwälzung der Durchführung der Sicherungsmaßnahmen auf die B. GmbH nichts daran zu ändern, dass der Arbeitgeber verpflichtet war, die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften zu überprüfen und nur soweit diese gegeben sind, dem Arbeitnehmer die Verrichtung seiner Tätigkeit zu ermöglichen (vgl. die Erkenntnisse vom 20. April 2001, Zl. 2000/02/0281, vom 11. August 2006, Zl. 2005/02/0224, und vom 21. Mai 2008, Zl. 2007/02/0279). Dass diese Vorgehensweise im Beschwerdefall nicht eingehalten wurde, ergibt sich schon daraus, dass sich der zuständige Bauleiter der I. GmbH zu Beginn der Arbeiten nicht davon überzeugt hat, ob die Sicherung der Dachöffnungen vorgenommen wurde.

Die Beschwerde erweist sich als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 19. März 2013

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