European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2011:2009010049.X00
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde
- gemäß § 69 Abs. 3 iVm § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG das "Verfahren zur Verleihung der Staatsbürgerschaft durch Erstreckung an Herrn P.O.A, geb. 19.10.1990 in Ghana alias S.D., geb. 30.1.1990 in Ghana, mit dessen Abschluss die österreichische Staatsbürgerschaft durch Erstreckung mit Wirkung vom 29.6.2004, ha. Bescheid, GZ …verliehen wurde, (…) von Amts wegen in jenen Stande wieder aufgenommen, in dem es sich vor Erlassung des vorzitierten Bescheides befand" (Spruchpunkt 1.) und
- gemäß §§ 10, 11, 11a, 12, 13, 14 und 17 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 idF BGBl. I Nr. 4/2008 (StbG 1985) der Antrag des Beschwerdeführers auf Erstreckung der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft abgewiesen (Spruchpunkt 2.).
Begründend führte die belangte Behörde zusammengefasst aus, der Beschwerdeführer habe am 4. April 2003 unter der Identität S.D. einen Antrag auf Verleihung der Staatsbürgerschaft durch Erstreckung nach Frau R.O. gestellt. Im Verfahren habe R.O. den Beschwerdeführer unter Vorlage einer entsprechenden Geburtsurkunde als ihren leiblichen Sohn angegeben. "Mit Abschluss des Verfahrens" sei dem Beschwerdeführer unter der Identität S.D. die Staatsbürgerschaft gemäß § 17 StbG verliehen worden.
Ab dem Jahr 2008 seien - näher dargelegte - Umstände zutage getreten, die die Identität des Beschwerdeführers in Zweifel gestellt hätten. In der Folge hätten sowohl R.O., deren Exmann J.M.O. als auch der Beschwerdeführer vor der Polizei bzw. vor der belangten Behörde zugestanden, dass der Beschwerdeführer nicht der leibliche Sohn von R.O. sei und habe der Beschwerdeführer seine wahre Identität - P.O.A., geboren am 19. Oktober 1990 - offengelegt.
Demnach sei erwiesen, dass dem Beschwerdeführer unter der falschen Identität S.D. die österreichische Staatsbürgerschaft (durch Erstreckung) verliehen worden sei. Dieser Bescheid sei - infolge Täuschung "durch Zusammenwirken aller Beteiligten" im Sinne des § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG erschlichen worden, sodass das Verleihungsverfahren wiederaufgenommen worden sei. Im wiederaufgenommenen Verfahren sei der Antrag des Beschwerdeführers mangels Erfüllung der gesetzlichen "Verleihungs"voraussetzungen abzuweisen gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten (eine Gegenschrift wurde nicht erstattet) durch die belangte Behörde erwogen hat:
1. Zur Wiederaufnahme des Verfahrens:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z. 1 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist.
Gemäß § 69 Abs. 3 AVG kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z. 1 stattfinden.
Gemäß § 69 Abs. 4 AVG steht die Entscheidung über die Wiederaufnahme der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat, wenn jedoch in der betreffenden Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, diesem.
Nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten wurde der Bescheid der belangten Behörde vom 29. Juni 2004, mit dem R.O. gemäß § 11a StbG die Staatsbürgerschaft verliehen und die Verleihung gemäß § 17 Abs. 1 Z. 1 StbG (ua.) auf den Beschwerdeführer erstreckt wurde, an diesem Tag an R.O. ausgehändigt.
Der am 19. Oktober 1990 geborene Beschwerdeführer war nicht nur im Zeitpunkt der Beantragung der Verleihung bzw. Erstreckung der Staatsbürgerschaft sondern auch bei Abschluss des Verfahrens unmündig minderjährig; er war somit während des gesamten Staatsbürgerschaftsverfahrens prozessunfähig (vgl. Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd. II, S. 260). Unstrittig ist weiters, dass R.O nicht die leibliche Mutter des Beschwerdeführers ist; ihr kam daher während dieses Verfahrens nicht die (gesetzliche) Vertretungsbefugnis hinsichtlich des Beschwerdeführers zu.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, darf die Erstreckung der Verleihung zufolge § 18 StbG nur gleichzeitig mit der Verleihung der Staatsbürgerschaft und nur mit demselben Erwerbszeitpunkt verfügt werden. Daher sind Erstreckungs- und Verleihungsverfahren unter einem zu führen. Diese zwingende Verfahrensverbindung ändert aber nichts daran, dass bei allen Verleihungs- und Erstreckungswerbern die Voraussetzungen gesondert zu prüfen sind. Demnach kommen (auch) unterschiedliche Ergebnisse der Prüfung der Voraussetzungen in Betracht. Davon ausgehend sind Bescheide über die Verleihung und Erstreckung der Staatsbürgerschaft selbständige Bescheide, die nur insofern in einem Zusammenhang stehen, als gemäß § 18 StbG die Rechtmäßigkeit der Erstreckung eine gleichzeitige Verleihung voraussetzt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2010, Zl. 2007/01/0991, mwN).
Daraus ergibt sich für den Beschwerdefall, dass die Aushändigung des Bescheides vom 29. Juni 2004 an R.O. nur in dem Umfang die Rechtswirkung einer Bescheiderlassung (gemäß § 23 Abs. 3 StbG iVm § 24 Z. 1 ZustG) entfalten konnte, als damit über deren Verleihungsantrag abgesprochen wurde. Soweit diese Erledigung hingegen die Erstreckung der Verleihung an den Beschwerdeführer zum Inhalt hatte, kommt diesbezüglich eine Bescheiderlassung insofern nicht in Betracht, als die Aushändigung an R.O. - mangels (gesetzlicher) Vertretungsbefugnis für den Beschwerdeführer - keine Rechtswirkungen entfaltete.
Soweit der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 22. November 2011 vorbringt, dass R.O. den "Staatsbürgerschaftserstreckungsbescheid" in der Folge (zu einem nicht näher genannten Zeitpunkt) dem Beschwerdeführer übergeben habe, wodurch im Hinblick auf die am 19. Oktober 2008 eingetretene Volljährigkeit des Beschwerdeführers "ein allfälliger Zustellmangel geheilt" sei, ist dem Folgendes entgegen zu halten:
Gemäß § 7 ZustG gilt - wenn im Verfahren der Zustellung Fehler unterlaufen - die Zustellung in dem Zeitpunkt als bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. "Empfänger" im Sinne dieser Bestimmung ist jedoch nicht die Person, für die das Dokument inhaltlich bestimmt ist, die es betrifft, sondern die Person, an die es die Behörde gerichtet hat, die in der Zustellverfügung von ihr als Empfänger angegeben worden ist ("formeller Empfängerbegriff"). Die fehlerhafte Bezeichnung einer Person als Empfänger in der Zustellverfügung kann nicht heilen (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998) 1900 ff angeführten Nachweise zur Rechtsprechung; ferner Thienel/Schultev-Steindl, Verwaltunsrecht5 (2009) 356 f; Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht9 (2011) Rz 203/1, alle mwN). Die Sanierungswirkung des § 7 ZustG hätte daher im vorliegenden Fall nur dann eintreten können, wenn die belangte Behörde die Zustellung des Bescheides vom 29. Juni 2004 verfügt und dabei als Empfänger des Bescheides den tatsächlichen gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers bezeichnet hätte und dieser Bescheid in weiterer Folge dem gesetzlichen Vertreter ausgehändigt worden wäre. Die behauptete Aushändigung des Bescheides an den Beschwerdeführer vermochte nach dem Gesagten schon auf Grund des Umstandes, dass dieser nicht "Empfänger" im Sinne des § 7 ZustG war, die Rechtswirkung der Zustellung nicht zu entfalten; daran ändert auch die später eingetretene Volljährigkeit des Beschwerdeführers nichts.
Die Wiederaufnahme eines Verfahrens nach § 69 AVG setzt voraus, dass es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt, welches durch (einen formell rechtskräftigen) Bescheid erledigt wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 69, Rz. 2 und 5, und die dort wiedergegebene hg. Judikatur).
Diese Voraussetzung lag nach dem Gesagten im Beschwerdefall hinsichtlich des Erstreckungsverfahrens nicht vor. Der belangten Behörde stand daher die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 iVm Abs. 4 AVG nicht zu. Indem die belangte Behörde dennoch von Amts wegen die Wiederaufnahme des Verfahrens verfügt hat, hat sie durch diese Entscheidung eine ihr nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen.
Spruchpunkt 1. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
2. Zur Abweisung des Antrages auf Erstreckung der Verleihung:
Gemäß § 19 Abs. 1 StbG (in der gegenständlich maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 124/1998) bedarf die Verleihung der Staatsbürgerschaft sowie die Erstreckung der Verleihung eines schriftlichen Antrages.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. können minderjährige Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, einen Antrag gemäß Abs. 1 nur selbst stellen; er bedarf der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Anträge anderer nicht eigenberechtigter Fremder bedürfen deren schriftlicher Zustimmung (§ 19 Abs. 3 StbG).
Nach dem Gesetz ist demnach Voraussetzung für ein selbständiges Auftreten im Staatsbürgerschaftsverfahren eine zumindest beschränkte Handlungsfähigkeit des Antragstellers (vgl. Thienel, aaO, S. 261). Diese kam - wie oben dargelegt - dem Beschwerdeführer am 4. April 2003 nicht zu. R.O. wiederum kam die (gesetzliche) Vertretungsbefugnis für den Beschwerdeführer nicht zu.
Demnach war bereits die Einbringung des Erstreckungsantrages infolge mangelnder Prozessfähigkeit des Beschwerdeführers bzw. mangels Vertretungsbefugnis der R.O. unwirksam.
Indem die belangte Behörde daher gemäß Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides über einen nicht gestellten Antrag abgesprochen hat, hat sie insofern ebenfalls eine ihr nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 3, Rz. 3, sowie die dort angeführte hg. Judikatur).
Spruchpunkt 2. des angefochtenen Bescheides war daher ebenso gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am 14. Dezember 2011
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