VwGH 2008/22/0872

VwGH2008/22/087224.4.2012

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober sowie den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des B, vertreten durch Mag. Martin Nemec, Rechtsanwalt in 1210 Wien, Brünner Straße 37/5, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 9. September 2008, Zl. 152.351/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §11 Abs1 Z4;
12010E020 AEUV Art20;
62011CJ0256 Dereci VORAB;
NAG 2005 §11 Abs1 Z4;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die Bundesministerin für Inneres (die belangte Behörde) den am 15. September 2004 gestellten Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit seiner österreichischen Ehefrau gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 und § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei am 13. Mai 2002 mit einem bis 5. Juni 2002 gültigen Visum C in Österreich eingereist und habe am 4. Juni 2002 einen Asylantrag gestellt, der mit dem seit 23. August 2004 rechtskräftigen erstinstanzlichen Bescheid abgewiesen worden sei. Am 9. April 2004 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geehelicht.

Erhebungen durch die Bundespolizeidirektion Wien hätten ergeben, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehegattin offensichtlich kein gemeinsames Familienleben geführt habe, zumal seine Ehefrau nur kurzfristig an seiner Wohnadresse gemeldet gewesen, bei einer durchgeführten "Hauserhebung" dort auch nicht angetroffen worden und zu dieser Zeit mit Hauptwohnsitz bei ihrer Mutter aufrecht gemeldet gewesen sei. Auch habe er vor der Fremdenpolizeibehörde widersprüchliche Angaben zum Wohnsitz bzw. Aufenthalt seiner Gattin gemacht. Zum Zeitpunkt dieser Erhebung sei er zwar anwesend gewesen, sein Bruder habe aber versucht, die Identität des Beschwerdeführers zu verschleiern. Die Ehefrau des Beschwerdeführers habe anlässlich einer beabsichtigten Einvernahme am 9. November 2004 den Amtsraum "fluchtartig" verlassen und habe einen weiteren Termin zur Einvernahme am 18. November 2004 nicht wahrgenommen. Seine Ehefrau habe ihren Hauptwohnsitz bei ihrer Mutter am 1. September 2005 aufgegeben und sei seitdem als "obdachlos" gemeldet. In seiner Stellungnahme zum Vorhalt der Behörde, dass von einer Schein- bzw. Aufenthaltsehe auszugehen sei, habe er beteuert, dass er seine Ehegattin aus Liebe geheiratet habe.

Die Fremdenpolizeibehörde habe ausgehend von dem vorliegenden Sachverhalt und seinen als Schutzbehauptung zu qualifizierenden Aussagen gegen ihn ein Aufenthaltsverbot erlassen (Bescheid vom 6. Februar 2007); aufgrund der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der (gegen den abweislichen Berufungsbescheid der Sicherheitsdirektion erhobenen) Verwaltungsgerichtshofbeschwerde sei dieses aber nicht rechtskräftig. Allerdings müsse die belangte Behörde "nicht als Vorfrage für ihren Bescheid die Entscheidung" im Aufenthaltsverbotsverfahren abwarten. Angesichts des dargestellten Sachverhalts gehe die belangte Behörde vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe aus, weshalb gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ein Aufenthaltstitel zwingend zu versagen sei. Im Hinblick darauf bleibe kein Raum für eine Abwägung im Sinne des Art. 8 EMRK.

In eventu verwies die belangte Behörde schließlich noch darauf, dass § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung seines Antrages entgegen stünde und auch keine der Voraussetzungen des § 21 Abs. 2 NAG vorläge. Humanitäre Gründe seien in diesem Zusammenhang nicht festgestellt worden, zumal seine vermeintliche Integration auf einem unrechtmäßigen Aufenthalt beruhe, er versucht habe, durch Eingehen einer Aufenthaltsehe einen Aufenthaltstitel zu erlangen und es auch in Anbetracht der abweisenden Entscheidung des Bundesasylamts feststehe, dass er in seiner Heimat keiner Gefährdung oder Bedrohung im Sinne des § 50 FPG ausgesetzt sei und eine wesentliche Änderung der im Sinne des § 72 NAG maßgeblichen Sachverhaltselemente nicht aufgezeigt worden sei.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Im vorliegenden Beschwerdefall kommt im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (11. September 2008) das NAG in der Fassung BGBl. I Nr. 4/2008 zur Anwendung.

Der Beschwerdeführer bestreitet pauschal das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und rügt in diesem Zusammenhang die nicht vorgenommene Einvernahme der von ihm beantragten Zeugen, ohne den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen konkret entgegen zu treten. Damit zeigt er aber keinen relevanten Verfahrensmangel der belangten Behörde auf, zumal weder seinem Antrag auf Zeugeneinvernahme noch der Beschwerde konkret zu entnehmen ist, was die Zeugen im Falle ihrer Vernehmung hätten aussagen können, zu welchen konkreten Feststellungen die belangte Behörde anhand dieser Aussagen hätte gelangen können, und weshalb die belangte Behörde anhand dessen zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können.

Die Beschwerde beanstandet auch, dass sich die belangte Behörde auf das gegen den Beschwerdeführer erlassene Aufenthaltsverbot bezogen habe, obwohl aufgrund einer dagegen beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerde und der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof das diesbezügliche Verfahren noch nicht endgültig abgeschlossen sei. Dem ist zu entgegen, dass einerseits das im Instanzenzug erlassene Aufenthaltsverbot durch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nur in seiner Durchführung gehemmt, nicht aber seiner formellen Rechtskraft beraubt wurde, und andererseits die belangte Behörde die Antragsabweisung ohnedies nicht mit dem bloßen Hinweis auf das Aufenthaltsverbot begründet, sondern das Ermittlungsergebnis des fremdenpolizeilichen Verfahrens ausführlich wiedergegeben, hinreichend gewürdigt und ihrem Bescheid zugrunde gelegt hat. Die so getroffenen Feststellungen werden in der Beschwerde nicht konkret bestritten. Vor dem Hintergrund der dem Verwaltungsgerichtshof hinsichtlich der Beweiswürdigung bloß eingeschränkt zukommenden Überprüfungsbefugnis kann der belangten Behörde im Ergebnis nicht entgegen getreten werden, wenn sie das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bejaht hat. Davon ausgehend hat sie zu Recht den Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG herangezogen.

Eine Interessenabwägung im Hinblick auf Art. 8 EMRK (vgl. § 11 Abs. 3 NAG) ist bei Vorliegen des absoluten Versagungsgrundes des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG entgegen der Beschwerdeansicht nicht vorzunehmen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. März 2011, Zl. 2008/22/0454). Die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen gehen daher ins Leere.

Die Erteilung eines Aufenthaltstitels war im Beschwerdefall auch nicht auf Grund des Unionsrechts geboten, weil im Fall einer Aufenthaltsehe nicht davon auszugehen ist, die Verweigerung eines Aufenthaltsrechts würde dazu führen, dass sich die die österreichische Staatsbürgerschaft und somit die Unionsbürgerschaft besitzende Ehefrau de facto gezwungen sähe, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen (vgl. zu diesem Kriterium das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 15. November 2011, C-256/11 , Dereci u.a., insbesondere Randnr. 64 ff.)

Aus der Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 ist für den nach der Aktenlage am Arbeitsmarkt bereits integrierten Beschwerdeführer im Übrigen auch nichts zu gewinnen, weil das Eingehen einer Aufenthaltsehe bzw. Scheinehe auf Grund der darin liegenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung auch nach den früher anwendbaren Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes (in Verbindung mit dem Fremdengesetz (1992)) und des Fremdengesetzes 1997 einen Versagungsgrund für die Erteilung eines Aufenthaltstitel dargestellt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2008/21/0202).

Die belangte Behörde hat damit zu Recht den Antrag des Beschwerdeführers gestützt auf § 11 Abs. 1 Z 4 NAG iVm § 30 Abs. 1 NAG abgewiesen.

Bei diesem Ergebnis kam es auf die von der belangten Behörde als Eventualbegründung zusätzlich herangezogenen Abweisungsgründe nicht an. Auf das dazu erstattete Beschwerdevorbringen musste daher nicht weiter eingegangen werden. Angemerkt wird lediglich, dass sich die Eventualbegründung - Abweisung gemäß § 21 Abs. 1 NAG wegen unzulässiger Inlandsantragstellung - nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union zur Anwendbarkeit der Stillhalteklauseln wegen einer unzulässigen Verschlechterung der Rechtsposition türkischer Staatsangehöriger durch das Erfordernis des § 21 Abs. 1 NAG als nicht tragfähig erwiesen hätte (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2011, Zl. 2008/22/0180, auf dessen Begründung insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).

Die Beschwerde war nach dem oben Gesagten gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 24. April 2012

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