VwGH 2008/22/0834

VwGH2008/22/08346.8.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der J, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margrit Swozil, Rechtsanwälte in 5020 Salzburg, Hubert-Sattler-Gasse 10, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 16. Juli 2008, Zl. 318.490/2-III/4/08, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §13 Abs3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §19 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §13 Abs3;
EMRK Art8;
NAG 2005 §19 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom 20. März 2008 auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem serbischen Ehemann gemäß den §§ 19 Abs. 1 und 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG ab.

Zur Begründung führte sie aus, dass die Beschwerdeführerin bereits am 20. Juli 2006 einen derartigen Antrag gestellt habe, der wegen des Vorliegens eines rechtskräftigen Aufenthaltsverbotes abgewiesen worden sei. Dieses Aufenthaltsverbot sei in der Folge aufgehoben worden. Die Beschwerdeführerin habe am 13. Jänner 2006 einen serbischen Staatsangehörigen geheiratet, der über einen Niederlassungsnachweis verfüge. Die Beschwerdeführerin habe den gegenständlichen Antrag am 20. März 2008 per Post durch ihren Rechtsvertreter bei der erstinstanzlichen Behörde eingebracht, während sie sich in unzulässiger Weise im Inland aufgehalten habe. Sie habe den Antrag entgegen § 19 Abs. 1 NAG nicht persönlich bei der Behörde gestellt; diese offenkundige Tatsache sei klar und eindeutig dokumentiert. "Eine neuerliche Befassung im Rahmen des Parteiengehörs ist daher entbehrlich."

Weiters hätte die Beschwerdeführerin ihren Antrag gemäß § 21 Abs. 1 NAG im Ausland einbringen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten müssen. Da sie sich zweifelsfrei zum Zeitpunkt der Antragstellung sowie zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung entgegen.

Der Antrag der Beschwerdeführerin und ihre Berufung würden die Behauptung humanitärer Gründe enthalten, weshalb von Amts wegen eine Überprüfung im Sinn des § 72 NAG durchgeführt werde. Die Beschwerdeführerin habe angegeben, dass sie zum Zeitpunkt der Aufhebung des Aufenthaltsverbotes bereits von ihrem jetzigen Ehemann schwanger gewesen wäre und nach Geburt des vierten Kindes am 17. März 2008 einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels bei der österreichischen Botschaft in Belgrad hätte stellen wollen. Auf Grund der Unruhen infolge der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo wäre sie jedoch gezwungen gewesen, ihre Heimat zu verlassen.

Diese Angaben könnten seitens der belangten Behörde nicht nachvollzogen werden, weil die Beschwerdeführerin seit 10. Februar 2006 durchgehend in Österreich aufhältig sei und vorher in einem Belgrader Stadtbezirk gelebt habe. Das Gebiet des Kosovo sei jedoch ca. 300 km entfernt. Somit wäre es ihr durchaus zumutbar und möglich gewesen, wie schon im Jahr 2006 den Antrag bei der österreichischen Botschaft in Belgrad einzubringen. Den drei ältesten Kindern der Beschwerdeführerin seien zwar Aufenthaltstitel für Österreich erteilt worden, dies allerdings nur deswegen, weil deren Großmutter über die Obsorge verfügt habe und diese dem Ehemann der Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 24. April 2008 übertragen worden sei. Die Beschwerdeführerin habe darauf hingewiesen, dass ein Kind seit der Geburt behindert wäre und daher Pflegegeld der Stufe 1 und erhöhte Familienbeihilfe erhalten würde.

Der bloße Umstand, dass die Beschwerdeführerin mit einem serbischen Staatsangehörigen verheiratet sei, welchem die Obsorge über die drei älteren Kinder zugesprochen worden sei, und weiters ein gemeinsames Kind vorhanden sei, stelle "alleine keinen humanitären Grund dar". Der Beschwerdeführerin sei somit der Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der "üblichen" gesetzlichen Bestimmungen zuzumuten. Es sei somit kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben, der die Inlandsantragstellung zulassen würde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:

Vorauszuschicken ist, dass zur Überprüfung des angefochtenen Bescheides im Blick auf den Zeitpunkt von dessen Erlassung die Rechtslage des NAG vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 maßgeblich ist.

Die belangte Behörde hat an sich zutreffend darauf verwiesen, dass eine Prüfung nach § 72 NAG vorzunehmen ist.

Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Demnach ist in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen und diesfalls die Inlandsantragstellung nach § 74 NAG zuzulassen.

Der Gerichtshof vermag sich dem Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Art. 8 EMRK nicht anzuschließen.

Der vorliegende Fall unterscheidet sich von den üblichen Nachzugsfällen darin, dass nicht die übrige Familie zu einem hier in Österreich lebenden und rechtmäßig aufhältigen Zusammenführenden nachkommen möchte, sondern die gesamte Familie mit Ausnahme der Mutter bereits rechtmäßig in Österreich lebt. Dabei ist hervorzuheben, dass der Stiefvater der Kinder, dem die Obsorge nunmehr zukommt, über einen Niederlassungsnachweis verfügt und diese Kinder in Österreich (in den Jahren 1995, 1997 und 1999) geboren wurden und offenkundig ihr ganzes Leben in Österreich verbracht haben. Wegen der schweren Erkrankung der Großmutter der Kinder war die Übertragung der Obsorge auf den Stiefvater erforderlich. Auch das nunmehr gemeinsame vierte Kind der Beschwerdeführerin ist seit der Geburt beim Vater in Österreich aufhältig. Unter diesen Umständen stellt die Verweigerung des Aufenthaltsrechts der Beschwerdeführerin zweifellos einen massiven Eingriff in ihr Familienleben dar. Dieser Eingriff ist auch unter Bedachtnahme auf Art. 8 Abs. 2 EMRK unverhältnismäßig und daher unzulässig.

Daran ändert der Umstand nichts, dass die belangte Behörde zutreffend in Zweifel gezogen hat, dass die Beschwerdeführerin aus Angst vor Verfolgung ihren serbischen Aufenthaltsort hätte verlassen müssen.

Zusammenfassend ist das öffentliche Interesse, zur Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens die Antragstellung im Ausland zu verlangen, dem persönlichen Interesse der Beschwerdeführerin an einem gemeinsamen Familienleben mit ihrem Ehemann, der über einen Niederlassungsnachweis in Österreich verfügt, mit dem hier aufhältigen gemeinsamen Kind und mit den drei älteren Kindern der Beschwerdeführerin, die in Österreich aufgewachsen sind und deren Obsorge dem Ehemann der Beschwerdeführerin zukommt, unterzuordnen.

Soweit die belangte Behörde die Abweisung des Antrags auf § 19 Abs. 1 NAG stützt, ist dies deswegen verfehlt, weil in diesem Fall ein Verbesserungsverfahren einzuleiten gewesen wäre (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2008, 2008/21/0212).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 6. August 2009

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