VwGH 2008/22/0745

VwGH2008/22/07459.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des D, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher u.a., Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 7. September 2007, Zl. 149.526/2- III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
MRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. September 2007 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines indischen Staatsangehörigen, vom 28. September 2005 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung als begünstigter Drittstaatsangehöriger zwecks Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Adoptivmutter gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Dies begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer am 27. November 2003 illegal eingereist sei. Da er unrichtige Angaben gegenüber einem österreichischen Organ betreffend seine Nationalität und Identität gemacht habe, sei gegen ihn ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von drei Jahren erlassen worden. Am 12. Dezember 2003 habe er einen Asylantrag eingebracht. Dieses Verfahren sei am 8. Februar 2007 "rechtskräftig negativ" abgeschlossen worden. Seitdem halte er sich illegal in Österreich auf.

Eine Antragstellung im Inland zwecks Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung sei gemäß § 21 Abs. 1 NAG nicht möglich. Die Behörde habe einen im Inland gestellten Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung abzuweisen, wenn kein "besonders berücksichtigungswürdiger Fall" aus humanitären Gründen vorliege. Das Berufungsschreiben des Beschwerdeführers enthalte "keinen Hinweis auf Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis". "Eine Abwägung nach Art. 8 MRK war daher entbehrlich." Mangels der Behauptung humanitärer Gründe im Sinn der §§ 72 iVm 74 NAG bzw. im Akt dazu amtswegig zu erkennender Elemente, die eine Prüfung dahingehend erfolgversprechend machen würden, werde seitens der belangten Behörde von einer nach § 74 NAG zulässigen Inlandsantragstellung Abstand genommen.

Der Beschwerdeführer könne kein Recht auf Freizügigkeit gemäß der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG geltend machen.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B 1989/07-7, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Eingangs ist auf das entsprechende Beschwerdevorbringen zu antworten, dass gemäß § 81 Abs. 1 NAG Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (mit 1. Jänner 2006) anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sind. Dem NAG ist weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen, der zufolge auf vor dessen Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0257).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gestellt hat. Demnach durfte die belangte Behörde diesen Antrag der Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG unterwerfen. Entgegen der Beschwerdeansicht handelt es sich bei dem Erfordernis der Auslandsantragstellung und des Abwartens der Entscheidung im Ausland nicht um eine formelle, sondern um eine materielle Voraussetzung für die Bewilligung des gegenständlichen Antrags (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2010, 2009/22/0022).

Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. Oktober 2008, 2008/22/0265 bis 0267).

Dem Hinweis in der Begründung des angefochtenen Bescheides, dass eine Prüfung nach den §§ 72, 74 NAG nicht erfolgversprechend sei, ist gerade noch zu entnehmen, dass die belangte Behörde ungeachtet der ansonsten widersprüchlichen Bescheidbegründung eine Abwägung nach Art. 8 EMRK vorgenommen hat.

Aus dem festgestellten Sachverhalt ist jedoch entgegen der Beschwerdeansicht nicht abzuleiten, dass durch die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung in unzulässiger Weise in das Privat- oder Familienleben des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK eingegriffen wird. Bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist nämlich zu berücksichtigen, dass sich der Beschwerdeführer erst seit November 2003 im Bundesgebiet aufhält und seiner Ausreiseverpflichtung nach rechtskräftiger Beendigung des Asylverfahrens im Februar 2007 nicht nachgekommen ist. Eine berufliche Integration wird nicht behauptet.

In Gesamtbetrachtung dieser Umstände reicht sein Zusammenleben mit der österreichischen Adoptivmutter in keiner Weise aus, sein Interesse an einem Verbleib in Österreich höher zu werten als das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, gegen das der Beschwerdeführer auch durch Verschleierung seiner Identität bei der Einreise verstoßen hat.

Der Eingriff in das Familienleben wird im Übrigen dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer bereits volljährig ist.

Soweit der Beschwerdeführer nun vorbringt, es wäre ihm und seiner Familie unzumutbar, das soziale Leben in Österreich zu beenden, ist ihm seine Aussage vom 1. Dezember 2003 vorzuhalten, der zufolge er nicht die Absicht gehabt habe, in Wien zu bleiben. Dadurch wird das Berufungsvorbringen relativiert, dass er "schon immer ein besonders inniges Verhältnis" zu seiner Adoptivmutter gehabt habe. Sein weiteres Vorbringen, er käme durch die Trennung von seiner Adoptivmutter in eine für ihn existenzbedrohende Situation, ist mit seiner Aussage nicht in Einklang zu bringen, dass er eine Rückkehr nach Indien angestrebt hätte.

Letztlich ist die Mängelrüge unberechtigt. Weder weist der angefochtene Bescheid relevante Begründungsmängel auf noch wurde dem Beschwerdeführer sein Parteiengehör vorenthalten. Auch wird die Relevanz eines Feststellungsmangels nicht dargelegt; die Beschwerde enthält nämlich kein Vorbringen, zu welchen weiteren Feststellungen die belangte Behörde hätte gelangen können.

Dem Verwaltungsverfahren ist auch kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass die Adoptivmutter des Beschwerdeführers ihr gemeinschaftsrechtliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe und dem Beschwerdeführer daher eine Berechtigung aus der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG zukomme.

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am 9. September 2010

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