VwGH 2008/22/0256

VwGH2008/22/025610.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Nikolaus Schirnhofer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Aspernbrückengasse 4/8a, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 8. Februar 2008, Zl. 150.258/2- III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Normen

MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;
MRK Art8 Abs2;
MRK Art8;
NAG 2005 §2 Abs1 Z9;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §21 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs2;
NAG 2005 §72 Abs1;
NAG 2005 §74;
NAG 2005 §81 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) vom 8. Februar 2008 wurde ein am 3. Juli 2001 durch den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, persönlich in Wien gestellter Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittsta. - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG abgewiesen.

Die belangte Behörde legte ihre Entscheidung im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2000 mit einem von der griechischen Botschaft in Ankara ausgestellten Visum C, gültig vom 22. Juni 2000 bis 21. Juli 2000, eingereist sei und nach Ablauf dieses Visums das Bundesgebiet nicht mehr verlassen habe. Am 29. Mai 2001 habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und in der Folge den gegenständlichen Antrag gestellt. Die Ehe sei am 3. November 2005 rechtskräftig für nichtig erklärt worden. (Nach Mitteilung des Bezirksgerichtes Floridsdorf langte die Klage, die schließlich zu dieser Nichtigerklärung führte, am 23. November 2001 bei Gericht ein.)

Der Beschwerdeführer sei noch nie im Besitz eines Aufenthaltstitels für die Republik Österreich gewesen. Er sei zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides aufrecht in Wien 2 gemeldet.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde - unter Wiedergabe der Bestimmungen der §§ 82 Abs. 1, 81 Abs. 1, 21 Abs. 1, 74 und 72 Abs. 1 NAG - im Wesentlichen aus, dass das Verfahren über den gegenständlichen Antrag gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sei. Bei Erstanträgen - wie dem vorliegenden Antrag - sei § 21 Abs. 1 NAG zu beachten, wonach der Beschwerdeführer den Antrag vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einbringen und die Entscheidung darüber im Ausland abwarten hätte müssen. Auf eine "Begünstigteneigenschaft" könne sich der Beschwerdeführer wegen der Nichtigerklärung seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin nicht mehr berufen.

Im Weiteren nahm die belangte Behörde eine Beurteilung gemäß § 74 iVm § 72 Abs. 1 NAG vor: Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung angegeben, dass er sozial integriert sei und zu seinem Heimatstaat keinerlei Beziehung mehr habe; damit aber - so die belangte Behörde schließlich - sei kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass die belangte Behörde das Verfahren über den gegenständlichen Antrag zutreffend gemäß § 81 Abs. 1 NAG nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende geführt hat.

Der am 3. Juli 2001 gestellte Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung war daher in dem hier entscheidungswesentlichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach dem NAG zu beurteilen, was auch für das im vorliegenden Fall zur Anwendung kommende Erfordernis nach § 21 Abs. 1 NAG gilt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0257, mwN).

Die Beschwerde bestreitet nicht, dass es sich bei dem gegenständlichen Antrag um einen Erstantrag handelt, der entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland gestellt wurde, und dass der Beschwerdeführer die Entscheidung über diesen Antrag nicht im Ausland abgewartet hat.

Mit der Nichtigerklärung seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin - allfällige gleichheitsrechtliche Bedenken kommen sohin schon deswegen nicht zum Tragen - stand dem Beschwerdeführer die in § 21 Abs. 2 Z. 1 NAG Familienangehörigen von Österreichern (und damit auch deren Ehegatten; vgl. § 2 Abs. 1 Z. 9 NAG) - allerdings Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes vorausgesetzt - eröffnete Möglichkeit, die Entscheidung über den Antrag im Inland abzuwarten, jedenfalls nicht mehr offen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 2009, 2008/22/0291, mwN).

Das Recht, den Antrag auf Erteilung der Niederlassungsbewilligung im Inland stellen und die Entscheidung darüber hier abwarten zu dürfen, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 iVm § 72 Abs. 1 NAG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, so ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. April 2009, 2008/22/0389, mwN).

In diesem Zusammenhang verweist die Beschwerde - im Einklang mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren - darauf, dass dieser seit rund acht Jahren in Österreich sei, hier sozial integriert und noch nie "negativ in Erscheinung" getreten sei. Weiters brachte der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren wie auch in der Beschwerde vor, dass die Bundespolizeidirektion Wien "von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen" gegen ihn "abgesehen" habe. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren eine Verknüpfung folgt, die das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im Ausweisungsverfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung jedenfalls bei gleichgebliebenen Umständen als relevant erscheinen lässt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, 2008/22/0264, mwN).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte die belangte Behörde allerdings - ausgehend von dem wiedergegebenen Vorbringen in der Berufung - Feststellungen zu den näheren Umständen des Absehens der Fremdenpolizeibehörde von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Frage, ob maßgebliche Änderungen im Sachverhalt vorliegen, zur Beurteilung der besonderen Berücksichtigungswürdigkeit im Sinn des § 72 Abs. 1 NAG im vorliegenden Fall treffen müssen. Da die belangte Behörde dies unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 10. November 2009

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