VwGH 2008/21/0519

VwGH2008/21/051921.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der D, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. Februar 2008, Z. 317.670/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §74;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin, einer bosnischen Staatsangehörigen, eingebrachten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, die Beschwerdeführerin sei seit 23. August 1971 mit dem österreichischen Staatsbürger D verheiratet. Sie sei mit einem vom 12. Februar 2007 bis 12. Juni 2007 gültigen Visum C in das Bundesgebiet eingereist und nach Ablauf des Visums in Österreich geblieben. Der gegenständliche Antrag sei am 11. Juni 2007 eingebracht worden. Da sich die Beschwerdeführerin aber im Zeitpunkt der Entscheidung über ihren Antrag nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, stehe § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung entgegen.

Gemäß § 74 NAG könne die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung oder die Heilung von sonstigen Verfahrensmängeln zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt seien. Nach § 72 NAG könne die Behörde im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses (§ 11 Abs. 1 NAG), ausgenommen bei Vorliegen eines Aufenthaltsverbotes, in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eines Aufenthaltsbewilligung erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Gründe lägen insbesondere vor, wenn der Drittstaatsangehörige einer Gefahr gemäß § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ausgesetzt sei. Drittstaatsangehörigen, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konflikts verlassen hätten, dürfe eines Aufenthaltsbewilligung nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konflikts, höchstens jedoch für drei Monate, erteilt werden.

Die Beschwerdeführerin habe sowohl im Antrag als auch in der Berufung das Vorliegen humanitärer Gründe behauptet. Es sei vorgebracht worden, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin auf Grund seines am 31. Dezember 2006 erlittenen Schlaganfalles arbeitsunfähig sei und seitdem der ständigen Pflege und Betreuung bedürfe. Insoweit seien auch ärztliche Bestätigungen vorgelegt worden. Diese Krankheit und Pflegebedürftigkeit des Ehemannes könne aber schon deswegen keinen Anspruch auf Familiennachzug begründen, weil es sich dabei nicht um Lebensumstände handle, die für den antragstellenden Fremden selbst mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen, sondern für einen Dritten (gemeint: den Ehemann der Beschwerdeführerin) verbunden wären. Daher könne hier kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben sein.

Des Weiteren führte die belangte Behörde zur Bestimmung des § 21 Abs. 1 NAG aus, dass davon ausgegangen werden könne, dass bei Vorliegen dieses Versagungsgrundes ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK entbehrlich sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Juni 2008, B 531/08-3, ablehnte und die Beschwerde über gesonderten Antrag dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren ergänzte - Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Hinsichtlich der näheren Vorgeschichte wird auf das die Beschwerdeführerin betreffende, die Erlassung einer Ausweisung zum Gegenstand habende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0038, verwiesen.

Die Beschwerde wendet sich nicht gegen die Ansicht der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin habe die in § 21 Abs. 1 letzter Satz NAG festgelegte Voraussetzung, wonach von ihr die Entscheidung über ihren Erstantrag im Ausland abzuwarten gewesen wäre, nicht erfüllt.

Allerdings bringt die Beschwerdeführerin vor, anders als die belangte Behörde meine, müsse einem Drittstaatsangehörigen die Möglichkeit offen stehen, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen, wenn dies zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens geboten sei. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zur hier maßgeblichen Rechtslage des NAG festgehalten, dass, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG vorliegen, ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen ist, wobei diese Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch, etwa auf Familiennachzug, besteht (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das hg. Erkenntnis vom 27. September 2010, Zl. 2009/22/0049, mwN).

Zwar erkannte die belangte Behörde im vorliegenden Fall die Notwendigkeit, eine Prüfung nach § 74 iVm § 72 NAG vorzunehmen, ob die Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland trotz unrechtmäßigen Aufenthalts der Beschwerdeführerin zuzulassen sei. Sie führte diese Beurteilung aber lediglich unter dem Aspekt des Vorliegens einer besonderen Gefährdung oder Notlage für die Beschwerdeführerin selbst im Sinn des § 50 FPG durch. Hingegen prüfte die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht näher, ob auf Grund des Vorbringens, dessen Richtigkeit die belangte Behörde nicht in Abrede stellte, der Beschwerdeführerin ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug eingeräumt werden müsste. Eine darauf Bezug nehmende Beurteilung wäre aber im vorliegenden Fall umso mehr geboten gewesen, als die Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren mit näherer Begründung vorgebracht hat, auf Grund der schweren Erkrankung ihres Ehemannes sei es nicht möglich, das Familienleben in ihrem Heimatland weiter zu führen (vgl. zur Notwendigkeit der Prüfung sowie der Relevanz dieses Vorbringens nochmals das schon genannte, die Beschwerdeführerin betreffende hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2009/21/0038, welches insoweit auch für das gegenständliche Verfahren Maßgeblichkeit zeitigt, vgl. zu letzterem etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2008, Zl. 2008/22/0264, mwN).

Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 21. Dezember 2010

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