VwGH 2008/21/0355

VwGH2008/21/035517.7.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 34, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 13. Februar 2008, Zl. Senat-FR-08-1036, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4;
FrPolG 2005 §83 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein der tschetschenischen Volksgruppe angehörender russischer Staatsbürger, reiste am 9. Jänner 2008 nach Österreich und ein stellte noch am selben Tag bei der Erstaufnahmestelle-Ost in Traiskirchen einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz.

In der Folge wurden eine asylrechtliche Erstbefragung und anschließend eine Vernehmung durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft Baden durchgeführt, wobei der Beschwerdeführer angab, dass sein Vater seit dem Jahr 2003 vermisst sei. Er (Beschwerdeführer) habe bei seiner "Oma" gewohnt, wo er 2004 von russischen Soldaten verhört und misshandelt worden sei. Nach Verlassen des Hauses hätten die Soldaten "eine Art Granate" in das Haus geworfen, wodurch er verletzt worden sei. Danach habe er Tschetschenien aus Angst um sein Leben verlassen und sei nach Aserbaidschan ausgereist. Baku habe er am 25. Oktober 2007 Richtung Polen verlassen, wo er Anfang November 2007 eingetroffen sei und wo er sich bis 8. Jänner 2008 in einem Lager aufgehalten habe. Sein dortiges Asylverfahren sei noch nicht abgeschlossen, er habe Polen verlassen, weil er sich dort nicht sicher gefühlt habe und in Österreich medizinische Behandlung erhoffe. Hier lebe auch eine Tante. Nach Polen wolle er nicht zurück.

Mit dem gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassenen Bescheid vom 9. Jänner 2008 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden sodann gegen den Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 Asylgesetz 2005 und zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG angeführt.

Mit Schreiben vom 12. Jänner 2008 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 Asylgesetz 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt beabsichtige, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, und dass seit 10. Jänner 2008 "Dublin-Konsultationen" mit Polen geführt würden. Am 28. Jänner 2008 schließlich erließ das Bundesasylamt einen mit einer durchsetzbaren Ausweisung verbundenen Zurückweisungsbescheid gemäß §§ 5 und 10 Asylgesetz 2005.

Der Beschwerdeführer erhob per 7. Februar 2008 Schubhaftbeschwerde. In dieser führte er insbesondere aus, durch Granatsplitter gesundheitlich beeinträchtigt und überdies schwer traumatisiert zu sein. Außerdem gab er die Anschrift seiner schon im Zuge der ersten Befragungen namentlich genannten Tante bekannt, zu der er eine "intensive Familienbeziehung" habe und bei der er wohnen könnte.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. Februar 2008 gab die belangte Behörde der Schubhaftbeschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG iVm § 83 FPG keine Folge. Sie stellte zudem fest, dass die für die Verhängung der Schubhaft gesetzlichen Voraussetzungen weiterhin vorlägen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat im bekämpften Bescheid resümierend ausgeführt, dass sich die Situation des Beschwerdeführers vom durchschnittlichen "Dublin-Fall" unterscheide und in einem besonderen Licht erscheine; "unter Anwendung der allgemeinen Lebenserfahrung" sei in einem "erhöhten Grad" ein Untertauchen des Beschwerdeführers zu befürchten. Mit diesen Formulierungen nimmt sie erkennbar auf das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, Bezug, in dem mit ähnlichen Wendungen zum Ausdruck gebracht worden ist, dass die Verhängung der Schubhaft in "Dublin-Fällen" nicht zu einer "Standardmaßnahme" gegen Asylwerber werden dürfe.

Der Sache nach ist die belangte Behörde allerdings dem genannten Erkenntnis und den darin festgelegten Grundsätzen nicht gefolgt. Sie ließ nämlich - und insoweit gleicht der vorliegende Fall jenem, der dem genannten Erkenntnis vom 30. August 2007 zu Grunde lag - unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer unbestritten unmittelbar nach seiner Einreise nach Österreich einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz stellte, dabei von sich aus mit den österreichischen Behörden in Kontakt trat und schließlich bei seiner ersten Einvernahme noch am Tag der Einreise offenkundig wahrheitsgemäße Angaben über seine Identität und den Ablauf seiner bisherigen Flucht erstattete. Warum davon ausgehend ein "Untertauchen in die Anonymität" zu befürchten gewesen sein soll, ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die Begründung des schon mehrfach genannten Erkenntnisses 2007/21/0043 verwiesen werden. Wenn die belangte Behörde in diesem Zusammenhang ins Treffen führt, dass der Beschwerdeführer Polen verlassen habe, ohne den Ausgang des Asylverfahrens abzuwarten, so ist sie neuerlich auf die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28. September 2004, B 292/04, VfSlg. 17288, zum Ausdruck gebrachte Auffassung zu verweisen, wonach der Umstand, dass ein Asylwerber bereits in einem anderen Land die Gewährung von Asyl beantragt habe, für sich nicht den Schluss rechtfertige, dass er unrechtmäßig in einen anderen Staat weiterziehen und sich so dem Verfahren entziehen werde. Dem hat sich der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt angeschlossen (insbesondere auch im Erkenntnis 2007/21/0043), und das gilt sinngemäß für die Annahme eines Untertauchens innerhalb Österreichs. Auch dass der Beschwerdeführer - wie im bekämpften Bescheid festgehalten - klar zum Ausdruck bringe, sich einer Außerlandesbringung zu widersetzen, ist vor dem Hintergrund der aktenkundigen Angaben des Beschwerdeführers zu relativieren; er deponierte nämlich bloß, nicht nach Polen zu wollen und zu diesem Zweck gegebenenfalls einen Anwalt einschalten zu wollen.

Dass gegen den Beschwerdeführer ab 28. Jänner 2008 eine durchsetzbare asylrechtliche Ausweisung vorlag und insoweit (bereits) der Schubhaftgrund nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht war, vermag fallbezogen an der aufgezeigten Rechtswidrigkeit des bekämpften Bescheides - auch hinsichtlich seines Ausspruches nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG über das Vorliegen der für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen - nichts zu ändern. Das gilt jedenfalls in Anbetracht der Behauptungen des Beschwerdeführers über die familiären Beziehungen zu seiner Tante und die bei ihr gegebene Wohnmöglichkeit sowie weiter über seine medizinische Behandlungsbedürftigkeit. Die belangte Behörde hielt diese Behauptungen zwar für "Schutzbehauptungen", sie hätte dann aber nicht von einem im Sinn des § 83 Abs. 2 Z 1 FPG "aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärten Sachverhalt" ausgehen und deshalb nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen.

Zusammenfassend war der angefochtene Bescheid wegen der (prävalierenden) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. Juli 2008

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