VwGH 2008/21/0036

VwGH2008/21/003627.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des U, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für Kärnten vom 3. Mai 2007, Zl. KUVS- 732/8/2007, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste am 12. Juli 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. Juli 2002 die Gewährung von Asyl. Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 28. März 2007 wies der unabhängige Bundesasylsenat diesen Antrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab und erklärte gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria für zulässig. Einer dagegen erhobenen (zuletzt) zur Zl. 2008/23/0877 protokollierten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wurde mit Beschluss vom 9. Mai 2007, Zl. AW 2007/20/0433, die aufschiebende Wirkung zuerkannt, wobei ausgesprochen wurde, dass dem Beschwerdeführer wieder die Rechtsstellung als Asylwerber zukomme und im Besonderen jede Zurück- oder Abschiebung aus Österreich für die Dauer des (noch anhängigen) verwaltungsgerichtlichen Verfahrens unzulässig sei.

Am 27. Mai 2006 hatte der Beschwerdeführer die seit 26. Juli 2004 mit Hauptwohnsitz in Österreich gemeldete deutsche Staatsangehörige A. geheiratet, mit der er seither im gemeinsamen Haushalt in Villach lebt. Er leistete einer von der Bundespolizeidirektion Villach für den 26. April 2007 ausgesprochenen Ladung Folge, wobei ihm diese zur Kenntnis brachte, dass sein Aufenthalt in Österreich "nicht mehr rechtmäßig (sei) und dass gegen (ihn) das gelindere Mittel ausgesprochen wurde, weil die Behörde damit zur Zeit das Auslangen finde"; nachdem die "Reiseorganisation" abgeschlossen sei, werde er angehalten und in den Heimatstaat abgeschoben. Dazu verweigerte der Beschwerdeführer nach einem Aktenvermerk der Bundespolizeidirektion Villach "sowohl die Unterschrift der Niederschrift als auch die Unterschrift des Bescheides; er erklärte sich mit dieser Maßnahme nicht einverstanden, da er nicht in seinen Heimatstaat abgeschoben werden will". In der Folge kündigte der Beschwerdeführer die von ihm beabsichtigte Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof in seinem Asylverfahren und die beabsichtigte Beantragung der Zuerkennung aufschiebender Wirkung an.

Mit am selben Tag in Vollzug gesetztem Bescheid vom 26. April 2007 ordnete die Bundespolizeidirektion Villach daraufhin über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft "zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung (§§ 53, 54 FPG), der Abschiebung (§ 46 FPG)" an. In ihrer Begründung stützte sie sich auf den negativen Ausgang des erwähnten Asylverfahrens, wonach es Pflicht des Beschwerdeführers gewesen wäre, das österreichische Bundesgebiet freiwillig zu verlassen. Dies habe der Beschwerdeführer jedoch abgelehnt und darüber hinaus bei der beschriebenen Amtshandlung vom 26. April 2007 "sowohl die Unterschrift auf dieser Niederschrift als auch auf den Bescheid, betreffend gelinderes Mittel" verweigert. Er habe sich nicht bereit erklärt, in den Heimatstaat abgeschoben zu werden. Auf Grund dieser Verhaltensweise sei die Schubhaft trotz seiner familiären Verhältnisse notwendig gewesen.

Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung am 3. Mai 2007 verkündeten Bescheid wies die belangte Behörde eine dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 82 Abs. 1 sowie § 83 Abs. 1, 2 und 4 FPG als unbegründet ab und stellte fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Entscheidung vorlägen. In der Folge wurde der Beschwerdeführer, der mit weiterem Bescheid der Bundespolizeidirektion Villach vom 14. Mai 2007 (bestätigt mit Berufungsbescheid vom 11. Juli 2007) gemäß § 53 Abs. 1 FPG aus Österreich ausgewiesen wurde, bis zum 29. Mai 2007 in Schubhaft angehalten.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und Darstellung der Rechtslage fest, der Beschwerdeführer sei in Österreich verheiratet und habe mit seiner Ehegattin, die für seinen Unterhalt aufkomme, einen gemeinsamen Wohnsitz. Dass er darüber hinaus eigene Einkünfte aus einer unselbständigen Tätigkeit als Zeitungskolporteur beziehe, habe er "nicht näher konkretisiert". Auch sei er der Aussage seiner Ehefrau, dass diese für seinen Unterhalt aufkomme, nicht entgegengetreten. Außer der erwähnten "Verehelichung" bestünden "keine weiteren sozialen Verbindungen in Österreich, wobei ein Indiz dafür auch die mangelhaften Kenntnisse der deutschen Sprache des Beschwerdeführers" seien.

Die wiedergegebenen Erklärungen des Beschwerdeführers vom 26. April 2007 seien - abgesehen von der für die Verhängung der Schubhaft allein nicht hinreichenden fehlenden Ausreisewilligkeit -

dahin zu verstehen, dass er mit der Anordnung eines gelinderen Mittels (in Villach in der angemeldeten Unterkunft wohnhaft zu bleiben und sich jeden Mittwoch bei der Polizeiinspektion L. zu melden) nicht einverstanden sei. Darüber hinaus habe er keine Bereitschaft gezeigt, an der Vorbereitung aufenthaltsbeendender Maßnahmen mitzuwirken, und habe zum Verbleib seines (angeblich verloren gegangenen) Reisepasses (näher dargestellte) widersprüchliche Angaben gemacht.

Im Hinblick auf "eine nicht attestierte grundsätzliche Ausreisewilligkeit des Beschwerdeführers", des vorhin beschriebenen Verhaltens und des Umstandes, dass eine ordnungsgemäße Abschiebung nach Nigeria einen beträchtlichen Aufwand und hohe Kosten für die Republik Österreich verursache, komme somit die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht in Betracht. Vielmehr bestehe ein begründetes erhebliches Risiko, dass der Beschwerdeführer, der in Österreich verbleiben wolle, durch eigenes Handeln (etwa kurzfristiges Untertauchen) eine konkret geplante und organisierte zwangsweise Ausreise bzw. Abschiebung verhindern könnte. Die Verhängung der Schubhaft erweise sich daher, auch unter Berücksichtigung des Rechts des Beschwerdeführers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK, als gerechtfertigt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 5. Dezember 2007, B 1208/07-8, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

Über die im vorliegenden Verfahren ergänzte Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 1 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern.

Die Zulässigkeit dieser Maßnahme verlangt nach ständiger höchstgerichtlicher Rechtsprechung die Prüfung ihrer Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit, zu deren Beurteilung eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung (Aufenthaltsbeendigung) und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen ist. Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. nach deren Vorliegen der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder es/sie zumindest wesentlich erschweren. Fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein - insoweit ist der belangten Behörde beizupflichten - erfüllt dieses Erfordernis noch nicht. Die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls vermag somit für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen, sondern der Sicherungsbedarf muss in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa eine mangelnde soziale Verankerung in Österreich in Betracht kommt (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0246, mwN).

Für die Bejahung eines Sicherungsbedarfs sind im Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet entscheidend, woraus die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, gerechtfertigt werden kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2008, Zl. 2007/21/0162, mwN). Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei Prüfung des Sicherungsbedarfs freilich auch sein bisheriges Verhalten zu berücksichtigen (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2007/21/0542, mwN).

Dabei hat die belangte Behörde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes zunächst schon das Verhalten des Beschwerdeführers vom 26. April 2007 unrichtig gewertet: Unter Berücksichtigung des Zusammenhanges seiner - oben auszugsweise wiedergegebenen - insgesamt abgegebenen Erklärungen wollte er sich nämlich vor allem gegen die Erlassung einer Ausweisung und gegen seine Abschiebung (vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes in seinem Asylverfahren), nicht aber gegen die Anordnung des dargestellten gelinderen Mittels aussprechen. Dies hat der Beschwerdeführer auch in späteren erläuternden Eingaben und in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde ausdrücklich klargestellt.

Unter Berücksichtigung des Aufenthalts in Österreich seit Juli 2002, der seit dem 27. Mai 2006 aufrechten Ehe, des gemeinsamen Wohnsitzes mit seiner deutschen Ehefrau, von der er im Übrigen auch Krankenversicherungsschutz abzuleiten in der Lage ist, sowie des Umstandes, dass er behördlichen Ladungen regelmäßig Folge geleistet und insgesamt kein aus den vorgelegten Verwaltungsakten hervorgehendes Verhalten gesetzt hat, das konkret den Schluss auf die Gefahr der Absicht eines Untertauchens zuließe, steht nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes die Bejahung eines für die Anordnung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 1 FPG erforderlichen Sicherungsbedarfs mit dem Gesetz nicht im Einklang (vgl. dazu weiters das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zl. 2007/21/0541).

Vor allem aber kam dem Beschwerdeführer, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. März 2009, Zl. 2009/21/0037 (mit Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 22. Jänner 2009, Zl. 2008/21/0671) dargelegt hat, infolge der aufrechten Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen nach Maßgabe des § 54 Abs. 1 NAG ein Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet zu.

Da die belangte Behörde dies alles unberücksichtigt gelassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 27. Mai 2009

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