VwGH 2008/20/0410

VwGH2008/20/04107.10.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A, vertreten durch Dr. Markus Orgler, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Adolf-Pichler-Platz 4/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. Februar 2008, Zl. 231.097/0/5E-XI/33/02, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte am 26. Juli 2001 beim Bundesasylamt einen Asylantrag. Zu seinen Asylgründen brachte er zusammengefasst vor, er sei 1997 von einem bösen Geist befallen worden, von welchem ihn ein Heiler in "Nog" namens Dr. Eddy Okeke befreit habe. Um diese Behandlung zu bezahlen, habe er für Dr. Okeke gearbeitet. Als der Beschwerdeführer im Juli 2000 nach einem Einkauf zu Dr. Okeke zurückgekommen sei, seien dessen Haus und seine Kirche in Flammen gestanden. Von Schaulustigen habe er erfahren, dass eine Sondereinheit der Polizei (Bakassi Boys) das Feuer gelegt hätte. Dr. Okeke sei im Verdacht gestanden, Menschen getötet und deren Fleisch verkauft zu haben. Der Beschwerdeführer habe daraufhin zwei Monate im Haus seiner Eltern verbracht und sei dann zu einem Freund nach Onitsha gereist. Als er im November 2000 nach "Nog" zurückgekehrt sei, habe er das Haus seiner Eltern niedergebrannt vorgefunden und von Nachbarn erfahren, dass seine Angehörigen von den Bakassi Boys festgenommen worden seien. Da - wie bereits im Radio verlautbart - nach dem Beschwerdeführer gesucht worden sei, habe er aus Angst vor seiner Festnahme, Verschleppung oder gar Tötung Nigeria verlassen.

Mit Bescheid vom 29. August 2002 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend wurde nach Feststellungen zu den Bakassi Boys und deren auf einige Bundesstaaten begrenztem Einflussbereich ausgeführt, es handle sich bei der Fluchtgeschichte um einen frei erfundenen Sachverhalt. Dabei stützte sich das Bundesasylamt auf den Erhebungsbericht der österreichischen Botschaft in Lagos, nach welchem feststehe, dass es in Nigeria keine Stadt namens "Nog" und auch keinen Arzt namens Dr. Eddy Okeke gebe. Die behauptete landesweite Verfolgung durch die Bakassi Boys werde seitens der Behörde als reine Schutzbehauptung gewertet, der Beschwerdeführer sei keine bekannte Persönlichkeit, es gebe in Nigeria keine Meldepflicht und er hätte daher in Lagos bleiben können. Im Ergebnis sei es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine begründete Furcht vor Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention glaubhaft zu machen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er sich unter Vorlage von Länderberichten zu den Bakassi Boys und Dr. Eddy Okeke detailliert gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung wandte. Der Beschwerdeführer wies u.a. darauf hin, dass der Ort, an dem Dr. Eddy Okeke nach diesen Berichten gelebt habe, "Nawgu" heiße, was ähnlich wie "Nog" ausgesprochen werde, und beantragte die Ergänzung des Ermittlungsverfahrens.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. Februar 2008 wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG ab. Nach Wiedergabe der Einvernahmen vor dem Bundesasylamt traf die belangte Behörde lediglich die Feststellung, dass der Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 12. Dezember 2007 rechtskräftig verurteilt worden sei, schloss sich - unter wörtlicher Zitierung der diesbezüglichen Passagen des erstinstanzlichen Bescheides - der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes an und erhob diese zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei der Beweiswürdigung der Erstbehörde nicht substantiiert entgegengetreten. Einer Berufungsverhandlung habe es nicht bedurft, weil der Sachverhalt als geklärt anzusehen sei.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. die Nachweise im hg. Erkenntnis vom 11. Juni 2008, Zlen. 2008/19/0216, 0217).

Entgegen der Auffassung der belangten Behörde liegen die erwähnten Voraussetzungen für das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung im gegenständlichen Fall nicht vor, was die Beschwerde auch zutreffend rügt.

Der Beschwerdeführer hat die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes in seiner Berufung substantiiert bekämpft. Unter Vorlage von Berichten, die entgegen der erstbehördlichen Würdigung die Existenz des Wunderheilers Dr. Okeke in Nawgu (und dessen Ermordung durch Bakassi Boys im November 2000) belegen - und vor deren Hintergrund die Relevanz des Fluchtvorbringens weder im Hinblick auf § 8 AsylG noch auf § 7 leg. cit. von vornherein ausgeschlossen werden kann -, ist der Beschwerdeführer der Beweiswürdigung konkret entgegen getreten. Die belangte Behörde durfte deshalb nicht - unter Verweis auf die in der Berufung bereits widerlegte erstinstanzliche Beweiswürdigung - von einem ausreichend geklärten Sachverhalt ausgehen, sondern wäre verpflichtet gewesen, eine Berufungsverhandlung abzuhalten.

Dieser Verfahrensmangel ist insbesondere auch deshalb wesentlich, weil die belangte Behörde - anders als das Bundesasylamt - nicht vom Vorliegen einer inländischen Fluchtalternative ausgegangen ist. Es kann somit nicht ausgeschlossen werden, dass bei Einhaltung der Verhandlungspflicht ein anderes Verfahrensergebnis erzielt worden wäre.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Wien, am 7. Oktober 2010

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