VwGH 2008/10/0103

VwGH2008/10/010316.6.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Stöberl, Dr. Pelant, Mag. Nussbaumer-Hinterauer und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Beschwerde des M M in Wien, vertreten durch Dr. Ursula Rath, Rechtsanwältin in Wien, diese vertreten durch Dr. Günther Neuhuber und Dr. Christoph Neuhuber, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 17. Jänner 2008, Zl. UVS-SOZ/58/8836/2007-4, betreffend Kostenersatz für Sozialhilfe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
SHG Wr 1973 §26 Abs1 Z1 idF 2006/058;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §56;
SHG Wr 1973 §26 Abs1 Z1 idF 2006/058;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Beschwerdeführer zur Rückerstattung eines Betrages in der Höhe von EUR 18.218,32 an im Zeitraum vom 1. Jänner 2004 bis 18. August 2007 gewährter Sozialhilfe verpflichtet.

Begründend wurde ausgeführt, gemäß § 26 Abs. 1 Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG) sei der Empfänger der Hilfe zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, soweit er über hinreichendes Vermögen verfüge oder hiezu gelange. Der Ersatz dürfe insoweit nicht verlangt werden, als dadurch der Erfolg der Hilfeleistung gefährdet würde. Der Beschwerdeführer habe nach den von ihm vorgelegten Unterlagen aus der Verlassenschaft seines Vaters einen Geldbetrag von EUR 33.997,94 erhalten. Im Zeitraum vom 1. Jänner 2004 bis 18. August 2007 habe er unbestritten Sozialhilfeleistungen in Höhe von EUR 18.218,32 erhalten. Der Beschwerdeführer bringe vor, dass er das aus der Verlassenschaft erhaltene Geld zur Bezahlung von Schulden verwendet habe. Dazu sei auszuführen, dass die Rückzahlung alter Schulden kein von der Sozialhilfe abzudeckendes Bedürfnis darstelle. Schon aus der Aufzählung der maßgeblichen Bestandteile des Lebensunterhaltes im WSHG ergebe sich, dass Sozialhilfeleistungen lediglich existentielle Grundbedürfnisse zu befriedigen hätten. Um diesen Zweck zu gewährleisten, griffen u.a. jene Vorschriften ein, wonach Ansprüche auf Leistungen der Sozialhilfe weder übertragen noch gepfändet oder verpfändet werden könnten. Die Ziele des Gesetzes würden verkannt, würde aus Mitteln der Sozialhilfe eine Art Deckungsfonds für Gläubiger geschaffen. Auch im Zusammenhang mit der Beurteilung, ob eine Notlage im Sinne sozialhilferechtlicher Vorschriften vorliege, habe der Verwaltungsgerichtshof wiederholt die Auffassung vertreten, dass der Hilfesuchende seine Hilfsbedürftigkeit nicht mit Schulden begründen könne, die er in der Vergangenheit - selbst zur Überwindung einer Notlage - eingegangen sei, es sei denn, dass die Schulden sich zur Zeit der Hilfegewährung noch im Sinne einer aktuellen oder unmittelbar drohenden Notlage des Hilfesuchenden auswirkten. Als Beispiel für eine im soeben dargelegten Sinn durch Schulden bedingte aktuelle Notlage werde in der Literatur etwa der drohende Verlust der Unterkunft genannt.

Hinsichtlich der Frage, ob der Beschwerdeführer noch über hinreichende Geldmittel verfüge, habe der erkennende Senat ein Ermittlungsverfahren bezüglich der Schulden zu führen, in dessen Rahmen dem Beschwerdeführer eine erhöhte Mitwirkungspflicht in Ansehung der Entstehung der behaupteten Schulden dem Grunde und der Höhe nach und deren Begleichung treffe. Die Behörde müsse sich dabei nicht mit Bestätigungen zufrieden geben, die Monate nach der behaupteten Zahlung ausgestellt worden seien, die keinen konkreten Grund für die behaupteten Darlehensgewährungen sowie die dabei errichteten Urkunden und getroffenen Vereinbarungen erkennen ließen (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2001, Zl. 2000/11/0170).

Es sei vorgebracht worden, dass der Beschwerdeführer in der Rgasse wohnhaft sei; nach der Zentralmeldeauskunft sei der Beschwerdeführer jedoch an der Adresse L-gasse 29/1 wohnhaft, er habe den Ladungsbescheid zur mündlichen Verhandlung dort auch persönlich übernommen. Insoweit daher unbelegt vorgebracht werde, der Beschwerdeführer habe seinen Erbteil dazu verwendet, Schulden zu bezahlen, sei dieses Vorbringen nicht glaubwürdig und gehe die belangte Behörde davon aus, dass es nur dazu führen solle, die Rückzahlung an geleisteter Sozialhilfe zu vereiteln. So habe es sich nach dem Vorbringen auch gar nicht um eigene Schulden des Beschwerdeführers, sondern um solche seiner Mutter und seines Bruders gehandelt.

Die belangte Behörde gehe daher davon aus, dass der Beschwerdeführer aus seiner Erbschaft unzweifelhaft über "hinreichendes" Vermögen im Sinne des § 26 Abs. 1 WSHG verfüge. Eine Gefährdung des Erfolges der Sozialhilfe sei im vorliegenden Fall schon in Anbetracht der Höhe des erhaltenen Geldbetrages ausgeschlossen.

Der Ersatzanspruch hänge schließlich auch nicht davon ab, ob für die Zukunft Sozialhilfe zu gewähren sei oder dies im Fall des Absehens von der Verpflichtung zum Ersatz vermeidbar wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, verzichtete aber auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 26 Abs. 1 Z. 1 Wiener Sozialhilfegesetz (WSHG), LGBl. Nr. 11/1973 idF LGBl. Nr. 58/2006, ist der Empfänger der Hilfe zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten verpflichtet, soweit er über hinreichendes Einkommen oder Vermögen verfügt oder hiezu gelangt.

Die belangte Behörde vertritt im angefochtenen Bescheid den Standpunkt, dass der Beschwerdeführer über hinreichendes Vermögen verfüge, weil er aus der Verlassenschaft nach seinem verstorbenen Vater einen Geldbetrag von EUR 33.997,94 erhalten habe. Die Behauptung, dass er diesen Erbteil dazu verwendet habe, seine Schulden zu bezahlen, wird als nicht glaubwürdig erachtet. Begründet wird dies damit, dass es sich nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers gar nicht um seine eigenen Schulden, sondern um jene seiner Mutter und seines Bruders gehandelt habe.

Die Beschwerde hält dagegen, der Beschwerdeführer habe seine Mittellosigkeit nicht selbst verursacht. Er sei schwerstbehindert und seit 1996 arbeitsunfähig. Die Kosten seiner Erhaltung trügen neben der Sozialhilfe seine Mutter und sein Bruder. Der Nachlass nach seinem verstorbenen Vater habe neben Verbindlichkeiten in Höhe von EUR 18.324,06 auch eine Eigentumswohnung in der Ogasse in Wien mit einem Einheitswert von EUR 10.786,42 beinhaltet. In einem Erbteilungsübereinkommen sei vereinbart worden, dass der Bruder des Beschwerdeführers diese Wohnung übernehme, sodann verkaufe und aus dem Verkaufserlös die restlichen Nachlassverbindlichkeiten sowie die Kosten der Räumung der Wohnung tilge. Mit dem noch verbleibenden Restkaufpreis seien offene, den Beschwerdeführer betreffende Verbindlichkeiten abgedeckt worden. Insbesondere sei der verbleibende Restkaufpreis der Eigentumswohnung in der O-gasse dafür aufgewendet worden, Bankverbindlichkeiten, welche für die Renovierung der Wohnung in der R-gasse entstanden seien, und andere, den Beschwerdeführer betreffende Aufwendungen anteilig abzudecken. Grundgedanke hierfür sei die Absicherung der Wohnmöglichkeit des Beschwerdeführers gewesen, damit dieser selbständig leben könne. Da anzunehmen sei, dass der Beschwerdeführer arbeitsunfähig bleiben werde und somit kein eigenes Einkommen ins Verdienen bringen könne, sei es für ihn von existentieller Bedeutung, eine gesicherte Wohnung zu haben, die er sich jetzt und auch in ferner Zukunft leisten könne. Dem Beschwerdeführer seien aus der Erbschaft nach seinem verstorbenen Vater keine Barmittel zugeflossen, sondern er habe das zurückbezahlt, was für ihn durch seine Mutter und seinen Bruder investiert worden sei.

Mit diesem Vorbringen wird im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt.

Der Ersatzanspruch nach § 26 Abs. 1 Z. 1 WrSHG setzt voraus, dass der potentiell zum Ersatz Verpflichtete im Zeitpunkt der Erlassung des Ersatzbescheides über die Geldmittel, die ihn in die Lage versetzen, der Ersatzpflicht nachzukommen, tatsächlich verfügt (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 29. Jänner 2010, Zl. 2009/10/0128); allfällige - insbesondere nicht leicht liquidierbare - Forderungen des Verpflichteten bilden keine taugliche Grundlage für den Anspruch.

Der angefochtene Bescheid beruht zunächst wesentlich auf der Feststellung, der Beschwerdeführer habe aus der Verlassenschaft nach seinem Vater einen Geldbetrag von EUR 33.997,94 erhalten. Diese Feststellung gründete die Behörde der Bescheidbegründung zufolge auf nicht näher bezeichnete "vom Beschwerdeführer vorgelegte Unterlagen"; der Beschwerdeführer habe den Erhalt dieses Geldbetrages nicht bestritten.

Demgegenüber hat der Beschwerdeführer - wie schon aus der Wiedergabe seines Vorbringens im angefochtenen Bescheid hervorgeht - erklärt, es seien ihm "aus der Verlassenschaft keine Barmittel zugeflossen". Auch sonst findet sich in den Akten nichts, was als Erklärung des Beschwerdeführers, es sei ihm aus der Verlassenschaft nach seinem Vater ein Geldbetrag zugekommen, gedeutet werden könnte.

Die Feststellung, der Beschwerdeführer habe den genannten Betrag "erhalten", kann somit nicht rechtmäßig auf ein entsprechendes Zugeständnis des Beschwerdeführers gegründet werden. Die "Unterlagen", auf die sich die belangte Behörde weiters bezieht, werden - wie gesagt - im angefochtenen Bescheid nicht bezeichnet. Sollte sich die Behörde damit auf die im Akt des Magistrats der Stadt Wien, MA 40, erliegende Aufstellung unter dem Titel "Verlassenschaft nach Dr. E. M." beziehen, ist Folgendes zu bemerken:

Nach Ausweis des ebenfalls einen Bestandteil der vorgelegten Akten bildenden notariellen Protokolls vom 1. Februar 2007 wurde die Verlassenschaft nach Dr. E. M. dessen Witwe (der Mutter des Beschwerdeführers) und den Söhnen (dem Beschwerdeführer und dessen Bruder) eingeantwortet. Dem abgeschlossenen Erbteilungsübereinkommen zufolge übernahm der Bruder des Beschwerdeführers einen mit Wohnungseigentum verbundenen Liegenschaftsanteil zur Gänze ins Eigentum; im Übrigen sollte die Erbteilung außergerichtlich erfolgen. Der oben erwähnten Aufstellung ist zu entnehmen, dass vom Reinnachlass von EUR 96.076,40 auf den Beschwerdeführer ein Anteil von EUR 33.997,94 entfiele, wovon nach Abzug von "Kreditabdeckung Rueppgasse" und "Kreditabdeckung Lampigasse" ein Betrag von EUR 3.178,51 verbleibe. Somit handelt es sich dabei nicht um eine Unterlage, auf die die Feststellung gegründet werden könnte, der Beschwerdeführer habe die Verfügungsmacht über Geldmittel von EUR 33.997,94 erlangt, geschweige denn, er habe im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides über hinreichende Geldmittel (wenigstens in der Höhe der Ersatzforderung) verfügt.

Abgesehen davon beruht auch die Auffassung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe (unbelegt) vorgebracht, er habe seinen Erbteil dafür verwendet, Schulden zu bezahlen, nicht auf einem mängelfreien Verfahren. Dabei wird übersehen, dass der Beschwerdeführer gerade nicht vorgebracht hat, er habe "seinen Erbteil … verwendet"; vielmehr gehen seine Behauptungen dahin, dass ihm sein Erbteil gar nicht zugekommen, sondern darüber von seiner Mutter und seinem Bruder verfügt worden sei. Mit dem Beweiswert der für die letztgenannte Behauptung des Beschwerdeführers angebotenen und durchgeführten Beweise (Zeugenaussage der Mutter des Beschwerdeführers) hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Die getroffenen Feststellungen beruhen somit nicht auf einer mängelfrei ermittelten Grundlage, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Behörde bei Vermeidung der aufgezeigten Mängel zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 16. Juni 2011

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