Normen
ABGB §90;
AlVG 1977 §36 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NotstandshilfeV §2 Abs2 idF 1989/388;
ABGB §90;
AlVG 1977 §36 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §45 Abs3;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NotstandshilfeV §2 Abs2 idF 1989/388;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stand mit Unterbrechungen seit 1993 im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.
Auf den im Verwaltungsakt befindlichen Antragsformularen für Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung führte der Beschwerdeführer als Wohnadresse jeweils C.gasse 22A /1/2 an, weiters gab er an, dass er seit 1992 von seiner Gattin MK getrennt sei und kein gemeinsamer Haushalt vorliege.
Aus im Akt befindlichen Auszügen aus dem Melderegister vom 22. Mai 2007 ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer seit 1999 an der Adresse "C(...)gasse 22 A 2", MK seit 1994 an der Adresse "C(...)gasse 22A" gemeldet ist.
Aus einer vom Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle P (in der Folge: AMS P), mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift vom 25. Mai 2007 geht im Wesentlichen hervor, dass der Beschwerdeführer angab, er wohne mit seiner Gattin gemeinsam in einem Einfamilienhaus, aber in getrennten Räumen.
Einem mit 12. Juli 2007 datierten Erhebungsbericht ist zu entnehmen, dass am 9. Juli 2007 von einem Mitarbeiter des AMS eine Erhebung an der Adresse C.gasse 22A vorgenommen worden ist. Es handle sich um ein Einfamilienhaus, im Garten sei ein hölzerner Geräteschuppen mit einer "Türnummer" 2 wahrgenommen worden, am Gartentor sei eine Klingel plus Türschild "Familie K" vorhanden. Nach dem Läuten sei von einem circa 13-jährigen Burschen geöffnet worden, es sei um ein Gespräch mit MK ersucht worden, der junge Mann habe spontan angegeben, sie sofort zu holen. Nach einigen Minuten sei der Beschwerdeführer erschienen und habe angegeben, MK sei nicht zu Hause. Die Erlaubnis zum Betreten des Hauses sei dem ermittelnden Mitarbeiter des AMS ohne weitere Begründung vom Beschwerdeführer verweigert worden. Der Beschwerdeführer habe angegeben, im Geräteschuppen zu wohnen, und habe auf den Einwand des Erhebungsbeamten, dass ein Wohnen in diesem Schuppen unmöglich wäre, angegeben, "schon längere Zeit" nicht mehr im Geräteschuppen zu wohnen. Daraufhin sei das Gespräch vom Beschwerdeführer beendet worden. Am 11. Juli 2007 sei eine telefonische Rückfrage beim für dieses Rayon zuständigen Zusteller S. erfolgt, der unter anderem angegeben habe, bei persönlichen Zustellungen immer den Beschwerdeführer und MK gemeinsam im Haus angetroffen zu haben, auch bei üblichen Zustellungen sei immer der Beschwerdeführer aus dem Haus gekommen, niemals aus dem Geräteschuppen, die Post für den Beschwerdeführer und MK werde immer im Wohnhaus (Nr. 22a) zugestellt. Dass im Schuppen Tür 2 sei und der Beschwerdeführer dort wohne, habe S. ausdrücklich verneint. S. kenne das Ehepaar seit drei bis vier Jahren an dieser Adresse, eine getrennte Lebensweise sei ihm nicht aufgefallen.
Aus dem Verwaltungsakt geht nicht hervor, dass diese Ermittlungsergebnisse dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht wurden.
In einer Niederschrift vom 12. Juli 2007 ist festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer vom Leistungsbezug mit Bezug auf die erhebungsdienstliche Ermittlung abmelde.
Im Rahmen einer am 19. Juli 2007 mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift gab dieser im Wesentlichen an, seine Ehe mit MK sei nach wie vor aufrecht. Er lebe seit 1993 von seiner Gattin getrennt. Seit 1986 lebe er an der Adresse C.gasse 22a/1/2. Er erhalte von MK weder Unterhaltszahlungen noch Sachleistungen.
Laut einer Niederschrift vom 29. August 2007 betreffend "Klage Unterhaltsvorschuss" hat der Beschwerdeführer bei Gericht vorgesprochen, hätte aber vorweg 270,-- Euro zahlen müssen, ein Betrag, über den er nicht verfüge. 1994 habe er die Scheidung beantragt, seine Frau wolle sich nicht scheiden lassen, er müsste ihr 40.000,-- Euro zahlen.
Mit Bescheid des AMS P vom 15. November 2007 wurde die Zuerkennung der Notstandshilfe des Beschwerdeführers für den Zeitraum vom 25. Mai 2002 bis zum 30. September 2007 widerrufen bzw. die Bemessung rückwirkend berichtigt und ein Betrag in der Höhe von EUR 36.898,-- zurückgefordert. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe das Dienstverhältnis seiner Gattin nicht gemeldet; durch die Neuberechnung sei die im Spruch genannte Rückforderung entstanden.
In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er von seiner Gattin seit 1992 getrennt lebe.
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Berufung des Beschwerdeführers teilweise Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid dahingehend abgeändert, dass die Zuerkennung der Notstandshilfe für die Zeiträume vom 25. Mai 2002 bis zum 8. Juni 2002, vom 15. Juni 2002 bis zum 11. Juli 2007 sowie vom 19. Juli 2007 bis zum 30. September 2007 widerrufen und für die Zeiträume vom 25. Mai 2002 bis zum 8. Juni 2002 und vom 15. Juni 2002 bis 30. April 2007 ein Betrag in der Höhe von EUR 34.124,-- zurückgefordert werde. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens im Wesentlichen aus, auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, vor allem auf Grund der beim Zentralen Melderegister gespeicherten Daten, des Lokalaugenscheins, der Angaben des zuständigen Zustellers und der Angaben des Beschwerdeführers in der Niederschrift vom 12. Juli 2007, komme die belangte Behörde zu dem eindeutigen Resultat, dass die Ehe des Beschwerdeführers mit seiner Gattin nach wie vor aufrecht sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 24 Abs. 2 AlVG ist, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung des Arbeitslosengeldes als gesetzlich nicht begründet herausstellt, die Zuerkennung zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen.
Gemäß § 25 Abs. 1 AlVG ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgebender Tatsachen herbeigeführt hat oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Gemäß § 38 Abs. 1 AlVG sind auf die Notstandshilfe die oben genannten Bestimmungen über das Arbeitslosengeld sinngemäß anzuwenden.
Gemäß § 33 Abs. 3 AlVG liegt Notlage vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist.
Gemäß § 36 Abs. 2 AlVG sind in den Richtlinien über die Höhe der Notstandshilfe auch die näheren Voraussetzungen festzulegen, unter denen Notlage als gegeben anzusehen ist. Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (des Lebensgefährten) zu berücksichtigen.
§ 2 Abs. 2 NotstandshilfeV idF BGBl. Nr. 388/1989 lautet:
"(2) Bei der Beurteilung der Notlage sind die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des (der) Arbeitslosen selbst sowie des mit dem Arbeitslosen (der Arbeitslosen) im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) zu berücksichtigen. Durch eine vorübergehende Abwesenheit (Kur-, Krankenhausaufenthalt, Arbeitsverrichtung an einem anderen Ort uä.) wird der gemeinsame Haushalt nicht aufgelöst. Gleiches gilt, wenn der (die) Arbeitslose die Hausgemeinschaft mit dem Ehepartner (Lebensgefährte bzw. der Lebensgefährtin) nur deshalb aufgegeben hat oder ihr ferngeblieben ist, um der Anrechnung des Einkommens zu entgehen."
Der im Gesetz angeordneten Berücksichtigung des Einkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners liegt offenbar die Annahme zu Grunde, dass dieser wegen der Lebens- (Wohn-) Gemeinschaft auch zum gemeinsamen Wirtschaften zumindest zum Teil beiträgt. Gemäß § 90 ABGB sind die Ehegatten einander zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft sowie (unter anderem) auch zum gemeinsamen Wohnen verpflichtet. Von diesem (typischen) Bild einer aufrechten Ehe darf die Behörde auch im Verwaltungsverfahren nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz grundsätzlich ausgehen, solange nicht die Parteien eine davon abweichende Lebensführung behaupten und die erforderlichen Beweismittel benennen oder beibringen. Anders würde nämlich bei Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich, wie jener nach der gemeinsamen oder getrennten Haushaltsführung von Gatten, die Behörde gar nicht in der Lage sein, von sich aus eine zweckentsprechende Ermittlungstätigkeit zu entfalten. Die Behörde ist daher berechtigt, vom Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes dann weiterhin auszugehen, wenn sie die gegenteiligen Behauptungen der Partei unter Berücksichtigung der Ermittlungsergebnisse für unglaubwürdig erachtet und die von der Behörde dazu in der Begründung des Bescheides angestellten Überlegungen einer Schlüssigkeitsprüfung standhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, 2006/08/0318, mwN).
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde erstmals im Wesentlichen vor, dass sich im Doppelhaus C.gasse 22a im Erdgeschoss die 100 m2 große Wohnung der Tochter des Beschwerdeführers und MKs befinde, darüber im ersten Stock die ca. 50m2 große Wohneinheit von MK, bestehend aus zwei Zimmern, WC, Waschgelegenheit und Kochgelegenheit. Der Beschwerdeführer selbst lebe im Sommer vor allem im Gartenhaus, sonst im Keller des Haupthauses. Er habe einen eigenen Zugang durch die Garage, MK benütze den Hauseingang. Im Keller habe er einen 20 m2 großen Raum mit Dusche. Daneben befänden sich ein WC sowie eine Speis. Die Wohneinheit könne er absperren. Dazu, dass er im Haus angetroffen wurde, brachte der Beschwerdeführer vor, dass er auf seinen Enkel A aufgepasst habe. Den Briefträger habe der Beschwerdeführer inzwischen gesprochen und dieser habe gesagt, dass er nie eine "solche Auskunft" gegeben habe. Den Namen des Briefträgers kenne der Beschwerdeführer nicht. Es seien verschiedene Briefträger im Einsatz und gebe zahlreiche Aushilfskräfte. Als Zeugen nennt der Beschwerdeführer seine Töchter.
Mit diesem Vorbringen verstößt der Beschwerdeführer nicht gegen das Neuerungsverbot des § 41 Abs. 1 VwGG, weil ihm nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten entgegen der Vorschrift des § 37 AVG im Verwaltungsverfahren keine Gelegenheit geboten wurde, zum von der belangten Behörde herangezogenen Sachverhalt Stellung zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1993, Zl. 92/01/1041): Aus dem Verwaltungsakt ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer im Verfahren vor der Behörde erster Instanz Parteiengehör zu den Ergebnissen der Ermittlungstätigkeit vor Ort am 9. Juli 2007 sowie der telefonischen Befragung des Postzustellers am 11. Juli 2007 gewährt wurde. Soweit die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift ausführt, dem Beschwerdeführer sei im Rahmen der Niederschrift am 25. Mai 2007 Parteiengehör gewährt worden und ihm im Zuge der Erhebungen vor Ort am 9. Juli 2007 die Möglichkeit eingeräumt worden, zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen, ist ihr entgegenzuhalten, dass bei der Niederschrift vom 25. Mai 2007 kein rechtliches Gehör zu den Erhebungen vor Ort gewährt werden konnte, die ja erst am 9. Juli 2007 stattfanden. Im Übrigen ist das Parteiengehör in förmlicher und für die Partei erkennbarer Weise (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, S 715, E 464 zu § 45 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung) und hinsichtlich des gesamten Inhalts der Beweisaufnahme zu erteilen (vgl. die bei Walter/Thienel, aaO, S 694, E 322 zu § 45 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung), was im vorliegenden Fall nicht geschehen ist.
Zwar kann die Verletzung des Parteiengehörs im Verfahren erster Instanz auch durch die mit der Berufung gegebene Möglichkeit der Stellungnahme saniert werden, dies aber nur dann, wenn dem Beschwerdeführer durch den erstinstanzlichen Bescheid das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens zur Kenntnis gebracht wurde (vgl. die bei Walter/Thienel, aaO, S 724, E 523 zu § 45 AVG wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Der erstinstanzliche Bescheid enthält weder eine Darstellung des Verfahrensgangs noch eine Sachverhaltsfeststellung, weshalb der Beschwerdeführer keine Möglichkeit hatte, zu den Ermittlungsergebnissen Stellung zu nehmen. Auch im Verfahren vor der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer kein rechtliches Gehör eingeräumt.
Der Beschwerdeführer zeigt mit seinem Vorbringen einen Verfahrensmangel auf, welcher auch wesentlich ist: Er bringt vor, dass er im Haus C.gasse 22a eine abgeschlossene Wohneinheit bewohnt. Vor dem Hintergrund der hg. Rechtsprechung zur getrennten Wohnungsnahme im selben (Einfamilien)Haus, die voraussetzt, dass es sich baurechtlich um zwei getrennte Wohneinheiten handelt (vgl. § 49 Abs. 3 iVm § 119 der Wiener Bauordnung) (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 25. September 1990, Zl. 90/08/0127, und vom 16. Juni 1992, Zl. 92/08/0062), scheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer keinen gemeinsamen Haushalt mit MK führt. Jedenfalls wird sich die belangte Behörde auch mit dem im Rahmen des Parteiengehörs erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beweiswürdigung auseinanderzusetzen haben.
Der angefochtenen Bescheide war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Da der Beschwerdeführer auf Grund der Bewilligung der Verfahrenshilfe von der Eingabegebühr befreit war, war ihm diesbezüglich kein Aufwandersatz zuzusprechen.
Wien, am 17. Februar 2010
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