VwGH 2008/02/0128

VwGH2008/02/01285.8.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde der I H in L, vertreten durch Dr. Peter Lindinger und Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 18, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 9. April 2008, Zl. VwSen-281022/18/Kl/Sta, betreffend Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften, zu Recht erkannt:

Normen

ASchG 1994 §118 Abs3;
ASchG 1994 §130 Abs5 Z1;
BArbSchV 1994 §7;
BArbSchV 1994 §87 Abs2;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;
VwRallg;
ASchG 1994 §118 Abs3;
ASchG 1994 §130 Abs5 Z1;
BArbSchV 1994 §7;
BArbSchV 1994 §87 Abs2;
VStG §5 Abs1;
VStG §9;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Beschwerdeführerin als verwaltungsstrafrechtlich verantwortliche handelsrechtliche Geschäftsführerin der L GmbH, die persönlich haftende Gesellschafterin der I GmbH und Co KG sei, mit EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 23 Stunden) gemäß §§ 130 Abs. 5 Z. 1, 118 Abs. 3 AschG in Verbindung mit § 87 Abs. 2 BauV, bestraft, weil am 21. März 2006 auf der von der I GmbH und Co KG betriebenen Baustelle E Gasse in Wien ein Arbeitnehmer mit Arbeiten auf der ungesicherten Dachfläche des Flachdaches beschäftigt gewesen sei; obwohl Absturzgefahr vom Dach (Absturzhöhe ca. 12 m) bestanden habe, seien keine Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen vorhanden gewesen, der Arbeitnehmer sei auch nicht mittels persönlicher Schutzausrüstung gegen Absturz (Sicherheitsgeschirr) sicher angeseilt gewesen.

Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens stellte die belangte Behörde zunächst das im Spruch wiedergegebene Geschehen fest. Als weiteren Sachverhalt nahm die belangte Behörde an, der am Dach arbeitende Arbeitnehmer sei als Obermonteur der I GmbH und Co KG mit Schweißarbeiten auf dem Flachdach beschäftigt gewesen. Die Schweißarbeiten seien 3 bis 5 m von der Absturzkante entfernt durchgeführt worden. An der Absturzkante habe sich eine etwa 25 cm hohe und 44 cm breite Attika befunden. Die Lüftungsanlage sei bereits montiert gewesen, die konkreten Schweißarbeiten seien Nacharbeiten gewesen, nämlich Ausbesserungen einer undichten Schweißnaht. Die Arbeit habe ca. eine Stunde in Anspruch genommen. Der Arbeitnehmer sei hinsichtlich Sicherheitseinrichtungen bzw. Sicherheitsmaßnahmen geschult und unterwiesen worden und sei auch in Kenntnis gewesen, dass bei Arbeiten auf Dächern eine Absturzsicherung erforderlich sei bzw. dass Sicherheitsgeschirr als persönliche Schutzausrüstung zu verwenden sei. Da die Arbeiten aber nur kurze Zeit in Anspruch genommen hätten, habe er die persönliche Schutzausrüstung, die auf der Baustelle vorhanden gewesen sei, nicht verwendet. Unmittelbarer Vorgesetzter des Obermonteurs sei der Bauleiter Ing. C, der am Kontrolltag auch auf der Baustelle anwesend gewesen sei, aber in einem anderen Bereich. Dieser sei dann auf das Dach gekommen und sei im unmittelbaren Attikabereich des Daches vom Kontrollorgan wahrgenommen worden. Der Bauleiter komme ein bis zwei Mal in der Woche auf die Baustelle, jedenfalls zur wöchentlichen Baubesprechung. Dabei kontrolliere er auch die Baustelle und die Sicherheitsvorkehrungen. Auf der Baustelle gebe es auch einen Baustellenordner über Sicherheitsvorschriften, wobei der Inhalt des Ordners auf jeder Baustelle grundsätzlich gleich lautend sei. Einmal im Jahr gebe es auch eine Unterweisung in der Firma. Für Sicherheit in der Firma sei ein Mitarbeiter zuständig, der auch regelmäßig auf die Baustelle komme und kontrolliere. Dieser Mitarbeiter sei auch zu Beginn der Arbeit auf der Baustelle gewesen, allerdings sei dort erst ein Geschoss gestanden und sei zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, dass Arbeiten auf dem Dach stattfinden würden. Die Baustelle habe ca. ein Jahr gedauert, der für die Sicherheit zuständige Mitarbeiter sei in Abständen von 5 oder 6 Wochen auf die Baustelle gekommen, um die Vermessung für die Bauabrechnung vorzunehmen. Die Sicherheitsfachkraft des Unternehmens halte jährlich Schulungen ab, dies auch bei Neueintritt eines Arbeitnehmers. Auf der gegenständlichen Baustelle sei er nicht gewesen. Bei der jährlichen Schulung nähmen die Bauleiter und die Obermonteure teil. Arbeiten auf Dächern seien im Heizungs- und Lüftungsbereich eher selten. Die Absturzsicherungen seien bei den Schulungen ein Thema, wobei bei kurzfristigen Arbeiten Sicherheitsgurte verwendet werden müssten, bei länger dauernden Arbeiten müsse ein Geländer vorhanden sein. In der Regel sollten Absturzsicherungen vom Bauherren bzw. Baukoordinator festgelegt sein. Der zuständige Bauleiter mache keine Schulungen. Er kontrolliere wöchentlich die Baustelle und führe die Baustellenbesprechungen durch. Die zum Kontrollzeitpunkt durchgeführten Arbeiten seien Abschlussarbeiten gewesen. Der Bauleiter arbeite seit 11 Jahren in der Firma selbstständig. Die Beschwerdeführerin habe er auf der Baustelle nie gesehen. Zu Baustellenbesprechungen komme sie nur, wenn es Schwierigkeiten gäbe. Dies komme etwa einmal im Jahr vor. Dem Bauleiter sei bekannt, dass vor der Absturzkante ein Geländer vorhanden sein sollte, dieses hätte die Baufirma aufstellen müssen. Sonstige Sicherheitsmaßnahmen nach der BauV für Arbeiten auf Flachdächern seien dem Bauleiter nicht bekannt. Das Unternehmen beschäftige 100 bis 120 Mitarbeiter und betreue 14 bis 15 Baustellen. Arbeiten auf Dächern seien sehr selten. Absturzsicherungen würden vom Unternehmen nicht gebaut, diese sollten zur Verfügung gestellt werden.

Diese Feststellungen gründete die belangte Behörde auf die von ihr im Wesentlichen als glaubwürdig und widerspruchsfrei eingeschätzten Angaben der vernommenen Personen.

In rechtlicher Hinsicht gab die belangte Behörde die von ihr als maßgeblich erachteten Vorschriften wieder und führte aus, der objektive Tatbestand der Übertretung des § 87 Abs. 2 BauV liege vor, weil bei einer Absturzhöhe von ca. 12 m weder technische Absturzsicherungen vorhanden gewesen seien noch der Arbeitnehmer angeseilt gewesen sei. In subjektiver Hinsicht könne die Verwaltungsübertretung der Beschwerdeführerin vorgeworfen werden, weil es ihr nicht gelungen sei, ein wirksames Kontrollsystem nachzuweisen. Es reiche im Sinne der von der belangten Behörde dargestellten Rechtsprechung nicht aus, dass ein geeigneter Obermonteur und ein Bauleiter eingesetzt würden, die auch geschult und unterwiesen seien. Es reiche auch nicht, dass entsprechende Bauanleitungen auf der Baustelle vorhanden seien. Vielmehr hätte es eines weiteren Beweises bedurft, wie die Beschwerdeführerin Kontrollen durchführe, wie oft sie diese Kontrollen durchführe und welche konkreten Maßnahmen sie getroffen habe, um unter den vorhersehbaren Umständen die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften gewährleisten zu können. Die Beschwerdeführerin sei jedoch bestenfalls gelegentlich auf der Baustelle, der Bauleiter werde seinerseits von der Beschwerdeführerin nicht kontrolliert. Der für Sicherheitsvorkehrungen zuständige Mitarbeiter sei über Arbeiten auf dem Dach nicht informiert gewesen und habe daher keine entsprechenden Sicherheitsanweisungen gegeben. Auch komme er nur alle 5 bis 6 Wochen auf die Baustelle. Auch die Sicherheitsfachkraft des Unternehmens, die die jährlichen Schulungen durchführe, kenne die Baustelle nicht. Auch der zuständige Bauleiter sei nicht immer auf der Baustelle, weshalb insgesamt ein lückenloses Kontrollnetz nicht habe dargelegt werden können. Eine persönliche Schutzausrüstung sei ebenfalls nicht verwendet worden. Der Obermonteur sei selbstständig tätig gewesen und habe selbstständig entschieden, für die kurzzeitigen Arbeiten keine Schutzausrüstung zu verwenden. Gerade für solche eigenmächtigen Handlungen von Arbeitnehmern müsse das Kontrollsystem jedoch Platz greifen. Die Beschwerdeführerin habe daher den Entlastungsbeweis hinsichtlich des Kontrollsystems nicht erbracht, weshalb von fahrlässiger Tatbegehung auszugehen sei. Anweisungen alleine seien nicht ausreichend, denn deren Einhaltung müsse kontrolliert werden. Es fehle ein Vorbringen, dass die vom Obermonteur durchgeführten Arbeiten durch den Bauleiter oder die Beschwerdeführerin kontrolliert würden, allein die Anweisung, dass auf Dächern ein Angurten vorzunehmen sei, reiche nicht aus.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 87 Abs. 2 BauV müssen bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 BauV vorhanden sein.

Solche Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) sind nach § 7 Abs. 1 BauV bei Absturzgefahr anzubringen, die an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei einer Absturzhöhe von mehr als 2,00 m vorliegt (Abs. 2 Z. 4 leg. cit.).

Nach dem Wortlaut des § 87 Abs. 2 BauV iVm § 7 BauV sind bei Vorliegen der Voraussetzungen die dort genannten Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Die von der Beschwerdeführerin in der Beschwerde vorgetragene Ansicht, die Bestimmung des § 87 Abs. 2 BauV müsse teleologisch dahin reduziert werden, dass Sicherheitsvorkehrungen nur bei "konkreter" Absturzgefahr anzubringen seien, widerspricht dem klaren Wortlaut (vgl. das Erkenntnis vom 5. September 2008, Zl. 2008/02/0129). Einschränkungen in diese Richtung sieht die Bestimmung nämlich nicht vor. In den Tatbeständen der BauV sind jene Voraussetzungen auf Baustellen normiert, bei deren Vorliegen der Verordnungsgeber jedenfalls von einer Absturzgefahr ausgeht. Ob im Einzelfall zusätzlich eine "konkrete" Gefahr gegeben ist, ist nicht entscheidend.

Zur Behauptung in der Beschwerde, die Beschwerdeführerin habe ein wirksames Kontrollsystem eingerichtet, ist Folgendes auszuführen:

Gemäß § 5 Abs. 1 VStG genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Unter dem Gesichtspunkt des § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG ist es im Hinblick auf ein das Verschulden ausschließendes "wirksames Kontrollsystem" nicht ausreichend, dass auf den einzelnen Baustellen Bauleiter bzw. Vorarbeiter und Poliere mit der Überwachung der Einhaltung an Ort und Stelle verantwortlich sind, bzw. vom verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen mindestens wöchentliche Kontrollen durchgeführt werden; ferner sei auch die Erteilung von Anordnungen (Weisungen) und Schulungen nicht ausreichend (vgl. aus jüngerer Zeit etwa das Erkenntnis vom 28. März 2008, Zl. 2007/02/0147).

Mit ihrem Vorbringen hat die Beschwerdeführerin zwar allgemein das Bestehen eines Kontrollsystems behauptet, jedoch nicht erkennbar dargelegt, wie dieses Kontrollsystem im Einzelnen auf der beschwerdegegenständlichen Baustelle funktionieren hätte sollen. Hiezu wäre es erforderlich gewesen aufzuzeigen, welche Maßnahmen im Einzelnen der unmittelbar Übergeordnete im Rahmen des Kontrollsystems zu ergreifen verpflichtet sei, um durchzusetzen, dass jeder in dieses Kontrollsystem eingebundene Mitarbeiter die arbeitnehmerschutzrechtlichen Vorschriften auch tatsächlich befolge und welche Maßnahmen schließlich der an der Spitze der Unternehmenshierarchie stehende Anordnungsbefugte vorgesehen habe, um das Funktionieren des Kontrollsystems insgesamt zu gewährleisten, das heißt sicherzustellen, dass die auf der jeweils übergeordneten Ebene erteilten Anordnungen (Weisungen) zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften auch an die jeweils untergeordnete, zuletzt also an die unterste Hierarchie-Ebene gelangten und dort auch tatsächlich befolgt würden.

Nach der hg. Rechtsprechung reichen nämlich etwa stichprobenartige Überprüfungen der Baustellen und die Erteilung von Weisungen für das geforderte Bestehen eines wirksamen Kontrollsystems zur Hintanhaltung von Verstößen gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften nicht aus. Gleiches gilt für eine Verwarnung für den ersten festgestellten Verstoß. Es entspricht auch der ständigen Rechtsprechung, dass gerade für den Fall eigenmächtiger Handlungen von Arbeitnehmern gegen Arbeitnehmerschutzvorschriften das entsprechende Kontrollsystem Platz zu greifen hat (vgl. das eben zitierte Erkenntnis vom 28. März 2008).

Auch in der Beschwerde wurde kein Vorbringen erstattet, welche Kontrolle über die Erteilung von Weisungen hinaus erfolgte. Nach den Feststellungen wurde die Arbeit des konkreten Arbeitnehmers auf dem Dach während der gesamten dort verbrachten Zeit kein einziges Mal einer Kontrolle unterzogen. Auch hat das weisungswidrige Verhalten des Arbeitnehmers zu keinen Konsequenzen geführt. Vor dem dargestellten rechtlichen Hintergrund ist die belangte Behörde daher im Hinblick auf die Feststellungen im angefochtenen Bescheid zutreffend davon ausgegangen, dass die Beschwerdeführerin kein wirksames Kontrollsystem zur Einhaltung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen eingerichtet hat.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 5. August 2009

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