VwGH 2008/01/0256

VwGH2008/01/025620.1.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Jäger, über die Beschwerden 1. der M B N (geboren 1983), 2. des O A J B N (geboren 2004) und 3. der O T A (geboren 2007), alle in T, alle vertreten durch Dr. Joachim Rathbauer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Weißenwolffstraße 1/IV, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates je vom 20. Februar 2008, Zlen. 267.755/0/8E-XV/54/06 (1.), 267.757/0/3E-XV/54/06 (2.), 317.478-1/2E-XV/54/08 (3.), betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (zu 1. und 2.) bzw. §§ 3, 8, 10 Asylgesetz 2005 (zu 3.) (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres),

Normen

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EMRK Art3;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AsylG 2005 §10 Abs1 Z2;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1;
EMRK Art3;
VwGG §33a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

I. zu Recht erkannt:

Der erstangefochtene und der zweitangefochtene Bescheid wird jeweils in seinem Spruchpunkt II. (Refoulement) und III. (Ausweisung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der drittangefochtene Bescheid wird in seinem Spruchpunkt II. (subsidiärer Schutz) und III. (Ausweisung) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt sohin EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Kamerun, stellte am 11. August 2004 einen Asylantrag. Der Zweitbeschwerdeführer ist ihr am 6. September 2004 in Österreich geborener Sohn; für ihn stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am 14. September 2004 einen Asylantrag. Die Drittbeschwerdeführerin ist die am 27. September 2007 in Österreich geborene Tochter der Erstbeschwerdeführerin; für sie brachte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin am 16. Oktober 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz ein.

Mit dem erstangefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Erstbeschwerdeführerin gegen die erstinstanzliche Abweisung ihres Asylantrages gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kamerun als zulässig festgestellt (Spruchpunkt II.) und die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kamerun ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Zweitbeschwerdeführers gegen die erstinstanzliche Abweisung seines Asylantrages gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kamerun als zulässig festgestellt (Spruchpunkt II.) und der Zweitbeschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kamerun ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Mit dem drittangefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Drittbeschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes, mit dem ihr Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen und ihr der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt wurde, abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kamerun gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Drittbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Kamerun ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

Die Zulässigkeit der Abschiebung bzw. die Verweigerung von subsidiärem Schutz begründete die belangte Behörde in den angefochtenen Bescheiden gleichlautend nach Darlegung der maßgebenden Rechtslage und Judikatur fallbezogen damit, es seien keine Gründe hervorgetreten, die dafür sprächen, dass die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr (nach Kamerun) in eine ausweglose Situation geraten würden. Da vom "Wahrgehalt der Angaben" der Erstbeschwerdeführerin nicht auszugehen sei, könne sie "in ihren Familienverband zurückkehren". Sie habe über ihren Onkel hinausgehende familiäre Anknüpfungspunkte "(z.B. Cousins, Cousinen)". Der angeblich wohlhabende Vater des Zweitbeschwerdeführers lebe in Kamerun. Daher könne von einer fehlenden Existenzgrundlage der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Kinder (Zweitbeschwerdeführer und Drittbeschwerdeführerin) nicht ausgegangen werden. Zu beachten sei zudem, dass die Erstbeschwerdeführerin nach dem Tod ihrer Mutter durch Verkaufstätigkeit "ihren" Lebensunterhalt gesichert habe. Für die belangte Behörde sei nicht nachvollziehbar, warum das nach einer Rückkehr nicht mehr möglich sein sollte. Auf die allgemeinen Berichte über die Situation alleinstehender Frauen in Kamerun sei nicht einzugehen. Dass Zweitbeschwerdeführer und Drittbeschwerdeführerin in Österreich geboren seien und deren Immunsystem möglicherweise für ein Leben in Kamerun nicht geschaffen sei und im Falle der Rückkehr mit ihrer Erkrankung gerechnet werden müsse, sei kein Hinderungsgrund für eine Rückkehr. Kamerun verfüge über ausreichende medizinische Versorgung. Dafür, dass diese Einrichtungen für die Beschwerdeführer nicht zugänglich wären, bestehe kein Grund.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden.

Die belangte Behörde legte die Akten der Verwaltungsverfahren vor und beantragte, die Beschwerden als unbegründet abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

Die Beschwerdeführer bringen (unter anderem) vor, die belangte Behörde habe sich mit der Situation alleinstehender Frauen in Kamerun nicht auseinander gesetzt. Unabhängig von der Glaubwürdigkeit der Angaben der Erstbeschwerdeführerin sei ihr die Rückkehr in einen Familienverband nicht möglich; sie habe nur weitschichtige Verwandte wie Cousins. Für die Erstbeschwerdeführerin und ihre minderjährigen Kinder fehle eine Existenzgrundlage in Kamerun. Ohne Einkommen und Vermögen würden die Beschwerdeführer in eine ausweglose Situation im Sinne des Art. 3 EMRK geraten.

Aus den im Verwaltungsverfahren vorgelegten und im Verwaltungsakt erliegenden Länderberichten zu Kamerun - mit denen sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid nicht auseinandersetzte - geht hervor, dass Frauen in Kamerun vielfach diskriminiert werden, dass ihnen Erbschafts- und Besitzrechte verweigert werden, und dass Gewalt gegen Frauen verbreitet ist.

Vor diesem Hintergrund und angesichts des Vorbringens der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren wäre es Aufgabe der belangten Behörde gewesen, konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zur Frage zu treffen, ob ihnen im Falle der Abschiebung in ihren Herkunftsstaat ein "real risk" einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht; nur bei Verneinung dieser Frage ist die Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Kamerun gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 1997 idF BGBl. I Nr. 101/2003 bzw. die Verweigerung der Zuerkennung des Status als subsidiär Schutzberechtigter nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zulässig.

Die belangte Behörde erachtete die Abschiebung bzw. Verweigerung von subsidiärem Schutz für zulässig, weil die Erstbeschwerdeführerin mit ihren beiden Kindern (diese waren im Entscheidungszeitpunkt etwa dreieinhalb Jahre und 5 Monate alt) in "ihren Familienverband" zurückkehren könne.

Zu diesem angenommenen "Familienverband" traf die belangte Behörde aber keine näheren Feststellungen. Das von der Erstbeschwerdeführerin (zum Asylbegehren) vorgebrachte Bedrohungsszenario auf Grund der "Besitzstreitigkeiten mit dem Onkel" beurteilte die belangte Behörde als unglaubwürdig, sie legte ihrer Refoulement-Entscheidung aber erkennbar nicht zu Grunde, die Erstbeschwerdeführerin könne zum Onkel zurückkehren.

Nach den Angaben der Erstbeschwerdeführerin sind ihre Eltern (1988 der Vater und 2001 die Mutter) verstorben. Auch ihre Schwester ist ihren Angaben zufolge verstorben. Inwieweit der Erstbeschwerdeführerin die "Rückkehr" zu Cousins oder Cousinen in Kamerun möglich wäre, wurde in den angefochtenen Bescheiden nicht begründet. Dass für alle Beschwerdeführer eine "Rückkehr" zur Familie des Vaters des Zweitbeschwerdeführers möglich wäre, nahm die belangte Behörde nicht an. Die Erstbeschwerdeführerin hat ihren Angaben (vor der belangten Behörde) zufolge mit dem Vater des Zweitbeschwerdeführers nie (in Kamerun) zusammengelebt. Sie gab über die Beziehung zu diesem Mann an: "Mein Freund kam aus einer Familie, die ein wenig reich war und diese war nicht damit einverstanden, dass er sich mit einem Mädchen einlässt, das aus einer armen Familie kommt". Die belangte Behörde ließ auch unberücksichtigt, dass durch die Geburt der Drittbeschwerdeführerin, die nicht vom Vater des Zweitbeschwerdeführers stammt, geänderte familiäre Verhältnisse entstanden.

Die Einschätzung der belangten Behörde, für die Erstbeschwerdeführerin und ihre beiden Kinder bestehe auf Grund einer "Rückkehr in ihren Familienverband" und der Tatsache, dass der Vater des Zweitbeschwerdeführers "in Kamerun lebt", eine Existenzgrundlage in Kamerun, ist aus den getroffenen Feststellungen nicht ableitbar. Daran vermag der Hinweis auf eine Verkaufstätigkeit der Erstbeschwerdeführerin (als Händlerin am Markt) nach dem Tod der Mutter nichts zu ändern, ließ die belangte Behörde doch dabei die inzwischen geänderten Verhältnisse der damals (noch) kinderlosen Erstbeschwerdeführerin unberücksichtigt. Ob der Erstbeschwerdeführerin als alleinstehender Frau mit zwei kleinen Kindern (im Säuglings- und Kleinkindalter) Verkaufstätigkeit am Markt möglich wäre, wurde nicht festgestellt.

Um von der Zulässigkeit des Refoulements ausgehen zu können, hätte es unmissverständlicher Feststellungen und nachvollziehbarerer Erwägungen bedurft, die die Einschätzung der belangten Behörde zu stützen imstande sind.

Die angefochtenen Bescheide sind hinsichtlich der Refoulement-Entscheidungen einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof nicht zugänglich. Die belangte Behörde hat insofern die angefochtenen Bescheide mit Begründungsmängeln belastet, was auch auf die Ausweisungsentscheidungen durchschlägt.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG in dem im Spruch angeführten Umfang wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerden werfen - soweit sie sich jeweils auf die Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide beziehen - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden in diesem Umfang abzulehnen.

Wien, am 20. Jänner 2011

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte