Normen
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §49;
AVG §58 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
AVG §37;
AVG §39 Abs2;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §49;
AVG §58 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer, der sich seit 31. Mai 2003 (bis zu seiner Abschiebung am 22. April 2005) im Bundesgebiet aufgehalten habe, habe am 29. April 2003 die österreichische Staatsbürgerin M. in der Türkei nur deshalb geheiratet, um sich in einem Verfahren betreffend die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen zu können. Ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK wäre nicht geplant und in der Folge auch nicht geführt worden. Dies sei aus verschiedenen - inhaltlich näher dargestellten - Widersprüchen in den Aussagen des Beschwerdeführers und der M. abzuleiten, die anfangs lediglich versucht hätten, die Führung eines gemeinsamen Familienlebens im Haus der Mutter von M. in Österreich vorzuspiegeln.
Den Berufungsausführungen des Beschwerdeführers (darin hatte er - unter Anschluss schriftlicher Erklärungen der M., deren Mutter K. und von ihm selbst - näher ausgeführt, ein gemeinsamer Haushalt sowie ein gemeinsames Familienleben mit M. hätten im Haus der K. bis zuletzt bestanden, M. hätte vor rund einem Jahr ein Kind von ihm erwartet, wobei es jedoch zu einer Fehlgeburt gekommen sei; die Befragung von M. und K. als Zeugen werde beantragt) sei zu entgegnen, dass die belangte Behörde versucht habe, M. und K. niederschriftlich einvernehmen zu lassen. Beide Frauen hätten jedoch den an sie ergangenen Ladungen - M. nach Aufforderung durch die ersuchte Behörde, neuerlich unter Mitnahme eines Ausweises vorzusprechen - unentschuldigt keine Folge geleistet. Schon aus den bisher vorliegenden Aussagen sei allerdings eindeutig abzuleiten, dass vom Vorliegen einer "Aufenthaltsehe" auszugehen sei.
Es sei also der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG erfüllt, der - so sind die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde zu verstehen - für die Prognosebeurteilung bei einem Aufenthaltsverbot gegen einen Familienangehörigen einer Österreicherin gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG als Orientierungsmaßstab heranzuziehen sei. Danach legte die Behörde dar, dass das Verhalten des Beschwerdeführers die Annahme rechtfertige, sein Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen), zumal die rechtsmissbräuchliche Eheschließung noch nicht allzu lang zurückliege.
In den weiteren Überlegungen ging die belangte Behörde angesichts des Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet seit 31. Mai 2003, einer hier ausgeübten Berufstätigkeit und einer - wenn auch nur wirtschaftlich motivierten - Wohngemeinschaft mit seinem Onkel, wobei die Eltern und Geschwister des Beschwerdeführers in der Türkei lebten, von einem durch das Aufenthaltsverbot bewirkten Eingriff in sein Privat- und Familienleben aus. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass der Beschwerdeführer lediglich auf Grund einer missbilligten Scheinehe "keine Berechtigung nach dem AuslBG zur Ausübung einer Beschäftigung" benötigt habe. Eine Schmälerung seiner Integration folge auch daraus, dass diese "ein gewisses Maß an Rechtstreue" voraussetze. Dem großen Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung komme ein hoher Stellenwert zu, sodass das Aufenthaltsverbot im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei. Bei Abwägung der gegenläufigen Interessen nach § 66 Abs. 2 FPG könnten die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht als schwerwiegender beurteilt werden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Allfällige Privatinteressen an einem Weiterverbleib in Österreich hätten daher hinter die genannten öffentlichen Interessen zurückzutreten. Diese Überlegungen hätten auch für die Beurteilung des Ermessensspielraumes zu gelten. Für den Beschwerdeführer sprechende "günstige Parameter" seien nicht zu erblicken. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes "für die Dauer von fünf Jahren (sei somit) dringend geboten und daher vertretbar".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer, auf den als Familienangehörigen (§ 2 Abs. 4 Z. 12 FPG) einer Österreicherin gemäß § 87 zweiter Satz FPG die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG Anwendung finden (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0342 und Zl. 2006/21/0377), bestreitet das Vorliegen einer Aufenthaltsehe. Er rügt als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, dass die belangte Behörde zu dieser Frage weder ihn selbst (ergänzend) noch die von ihm in der Berufung namhaft gemachten Zeuginnen M. und K. einvernommen habe. Durch diese Beweisaufnahme hätte sich ergeben, dass seine Ehefrau M. von ihm schwanger gewesen sei und vom Vorliegen einer Scheinehe insgesamt nicht die Rede sein könne.
Diese Ausführungen verhelfen der Beschwerde zum Erfolg:
Wenn der Beschwerdeführer selbst auch Gelegenheit zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme hatte, wodurch sein rechtliches Gehör gewahrt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2006/21/0158), ist es dennoch im Interesse der der Behörde obliegenden Erforschung der materiellen Wahrheit unzulässig, sich mit den von einer Partei zur Bescheinigung ihrer Behauptungen vorgelegten schriftlichen Erklärungen dritter Personen, deren Einvernahme als Zeugen ausdrücklich beantragt wurde, zu begnügen und die darin enthaltenen Ausführungen als unglaubwürdig abzutun. Eine solche Würdigung ist der Sache nach einer unzulässigen vorgreifenden Beweiswürdigung in den Fällen der Abstandnahme von beantragten Beweisaufnahmen gleichzuhalten. Vielmehr ist die Behörde in einem derartigen Fall gemäß § 39 Abs. 2 AVG zu einer eingehenden zeugenschaftlichen Vernehmung der betreffenden Personen über die maßgebenden Tatumstände vor einer solchen Würdigung verhalten. Die Vernehmung eines Zeugen hat nämlich, ganz abgesehen von der strafrechtlichen Sanktion der Falschaussage, im Lichte der Erforschung der materiellen Wahrheit insofern den Vorzug gegenüber einer schriftlichen Erklärung, als die Zeugenaussage ihrem Wesen nach in Frage und Antwort des Vernehmenden und des Zeugen besteht, woraus an sich schon durch die Betrachtung des Fragenkomplexes aus verschiedenen Gesichtspunkten mehr Aufklärung zu gewinnen sein wird als aus schriftlichen Darlegungen (vgl. ausführlich das hg. Erkenntnis vom 26. September 1995, Zl. 94/08/0152, und - ihm folgend - etwa die hg. Erkenntnisse vom 27. Juli 2001, Zl. 98/08/0190, und vom 19. Oktober 2005, Zl. 2002/08/0237).
An dieser Pflicht ändert - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - auch der Umstand nichts, dass die Zeuginnen M. und K. den ihnen ordnungsgemäß zugestellten Ladungen unentschuldigt keine Folge geleistet haben. Dies darf nämlich nicht zu Lasten der die Einvernahme von Zeugen beantragenden Partei gehen. Vielmehr wäre die belangte Behörde gehalten gewesen, als Zeugen geladene Personen - erforderlichenfalls durch Verhängung von Zwangsstrafen oder durch Vorführung - zum Erscheinen und zur Aussage zu verhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. November 1987, Zl. 85/18/0098 mwN = ZfVB 1988/1588;
Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, § 49 AVG/E 13;
Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, § 49 AVG/E 3a).
Die belangte Behörde hat daher von der erstmaligen Einvernahme der Zeugin K. und der ergänzenden Befragung der Zeugin M. zu Unrecht abgesehen. Da auch nicht ersichtlich ist, dass allfällige Ausführungen dieser Zeuginnen zu den genannten - vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren ausreichend präzisierten - Themen jedenfalls und von vornherein ungeeignet wären, zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes beizutragen, stellt die Unterlassung ihrer Vernehmung einen relevanten Verfahrensmangel dar (vgl. die bereits zitierten hg. Erkenntnisse vom 26. September 2007 und vom 7. Februar 2008).
Aus diesem Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die - zusätzlich verzeichnete - Umsatzsteuer in der Pauschalierung bereits enthalten ist.
Wien, am 17. Juli 2008
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