Normen
32003R0343 Dublin-II Art20 Abs1 litd;
62002CJ0008 Leichtle VORAB;
62005CJ0287 Hendrix VORAB;
62008CJ0019 Petrosian VORAB;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §12;
AsylG 2005 §23 Abs3;
AsylG 2005 §23 Abs4;
AsylG 2005 §36 Abs1;
AsylG 2005 §36 Abs4;
AsylG 2005 §37 Abs1;
AsylG 2005 §5;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs5;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §9 Abs3 idF 2004/I/010;
32003R0343 Dublin-II Art20 Abs1 litd;
62002CJ0008 Leichtle VORAB;
62005CJ0287 Hendrix VORAB;
62008CJ0019 Petrosian VORAB;
AsylG 2005 §10;
AsylG 2005 §12;
AsylG 2005 §23 Abs3;
AsylG 2005 §23 Abs4;
AsylG 2005 §36 Abs1;
AsylG 2005 §36 Abs4;
AsylG 2005 §37 Abs1;
AsylG 2005 §5;
AVG §62 Abs1;
AVG §63 Abs5;
EURallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
ZustG §9 Abs3 idF 2004/I/010;
Spruch:
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 4.425,60, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und die Eltern der minderjährigen Dritt- und Viertbeschwerdeführer. Alle sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit und beantragten am 14. Juli 2006 in Österreich internationalen Schutz. Zuvor hatten sie bereits am 13. Dezember 2005 in Polen Asylanträge gestellt.
In Beantwortung der Wiederaufnahmegesuche des Bundesasylamtes vom 20. Juli 2006 stimmte das "Office for Repatriation and Aliens of the Republic of Poland" mit Telefaxen vom 20. Juli 2006 - gestützt auf Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung - der Wiederaufnahme der beschwerdeführenden Parteien zu.
Am 25. Juli 2006 langten beim Bundesasylamt Vollmachten der beschwerdeführenden Parteien ein, mit denen sie Mag. S, Diakonie Flüchtlingsdienst, Steinergasse 3, 1170 Wien, zu ihrer Vertreterin im Asylverfahren bestellten und ihr Zustellvollmacht erteilten.
Mit Bescheiden jeweils vom 22. Dezember 2006, den beschwerdeführenden Parteien am 28. Dezember 2006 zugestellt, wies das Bundesasylamt die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c Dublin-Verordnung Polen für die Prüfung der Anträge zuständig sei. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 wurden die beschwerdeführenden Parteien aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Polen gemäß § 10 Abs. 4 AsylG 2005 für zulässig erklärt.
Diese Bescheide wurden auch an die Zustellungsbevollmächtigte der beschwerdeführenden Parteien adressiert und nach zwei Zustellversuchen an der angeführten Adresse O Straße 20/1, Wien, am 29. Dezember 2006 beim Postamt 1172 hinterlegt. Laut Aktenvermerk einer Mitarbeiterin des Bundesasylamtes vom 29. Jänner 2007 seien die Bescheide als "nicht behoben" dem Bundesasylamt retourniert worden. Es sei zu einer Verwechslung der Adressen gekommen, sodass eine neuerliche Zustellung veranlasst worden sei.
Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen vom 11. Jänner 2007 wies die belangte Behörde mit den angefochtenen Bescheiden vom 23. Jänner 2007 gemäß §§ 5 und 10 AsylG 2005 ab. Sie führte unter anderem aus, die beschwerdeführenden Parteien hätten gegen die sowohl ihnen als auch ihrer bevollmächtigten Vertreterin zugestellten Bescheide "fristgerecht" Berufung erhoben. Davon, den Berufungen aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nahm sie "Abstand", weil eine Ausweisung nach Polen für die beschwerdeführenden Parteien aus näher dargelegten Gründen keine in § 37 Abs. 1 AsylG 2005 "genannte Gefahr" mit sich bringe.
Nach Erlassung der angefochtenen Bescheide durch Zustellung an das Bundesasylamt am 25. Jänner 2007 wurden die erstinstanzlichen Bescheide der Zustellungsbevollmächtigten Mag. S am 29. Jänner 2007 (betreffend die zweit- bis viertbeschwerdeführenden Parteien) bzw. am 31. Jänner 2007 (betreffend den Erstbeschwerdeführer) in der Steinergasse 3, 1170 Wien, zugestellt. Die beschwerdeführenden Parteien brachten dagegen, vertreten durch Mag. S, am 8. Februar 2007 eine (weitere) "Berufung" ein.
Gegen die angefochtenen Bescheide richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:
Die beschwerdeführenden Parteien rügen unter anderem, dass die angefochtenen Bescheide bereits vor rechtswirksamer Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide an ihre Vertreterin am
29. (bzw. 31.) Jänner 2007 erlassen worden seien. Ihre Vertreterin sei nicht an der Adresse O Straße 20, Wien, aufhältig gewesen und habe vom ersten Zustellvorgang keine Kenntnis erlangt. Da die erstinstanzlichen Bescheide nur rechtswirksam an ihre bevollmächtigte Vertreterin zugestellt werden könnten, hätten diese nicht dem Rechtsbestand angehört und die belangte Behörde hätte nicht (meritorisch) über die von ihnen selbst eingebrachten Berufungen absprechen dürfen. Zudem sei die Zuständigkeit zur Durchführung eines inhaltlichen Asylverfahrens infolge Ablaufs der Überstellungsfrist gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung auf Österreich übergegangen, weil seit der Zustimmung Polens zur Wiederaufnahme der beschwerdeführenden Parteien mehr als sechs Monate verstrichen seien.
1. Zur Zuständigkeit der belangten Behörde zur Entscheidung in der Sache:
Wird - wie hier - der Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesasylamt zurückgewiesen, so ist die mit dieser Zurückweisung verbundene Ausweisung gemäß § 36 Abs. 1 und 4 erster Satz AsylG 2005 formell durchsetzbar. Da die beschwerdeführenden Parteien im erstinstanzlichen Verfahren gemäß § 12 AsylG 2005 faktischen Abschiebeschutz hatten, kam demnach für die Zustellung der erstinstanzlichen Bescheide die Sonderbestimmung des § 23 Abs. 3 und 4 AsylG 2005 zur Anwendung.
§ 9 Abs. 3 Zustellgesetz idF BGBl. I Nr. 10/2004 lässt gesetzliche Regelungen zu, die vorsehen, dass nicht dem Zustellungsbevollmächtigten, sondern der Partei persönlich zugestellt wird. Eine solche abweichende Regelung enthält § 23 Abs. 3 und 4 AsylG 2005. Wie aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (952 BlgNR 22. GP, 47) ersichtlich ist, liegt die Zielsetzung der Bescheidzustellung an den Asylwerber "als Empfänger" in der Sicherung der Ausweisung insbesondere durch Verhängung der Schubhaft. § 23 Abs. 3 AsylG 2005 bestimmt (arg.: ".. jedenfalls der Asylwerber als Empfänger zu bezeichnen. ..."), dass der Bescheid jedenfalls mit der Zustellung an den Asylwerber persönlich erlassen und damit rechtsverbindlich wird. Der Lauf der Rechtsmittelfristen beginnt hingegen erst mit der Zustellung des Bescheides an den Zustellungsbevollmächtigten (§ 23 Abs. 4 zweiter Satz AsylG 2005). Verzögert sich die Bescheidzustellung an den Zustellungsbevollmächtigten, so wurde der Bescheid zwar durch Zustellung an den Asylwerber erlassen, mangels Zustellung einer weiteren Ausfertigung an den Vertreter jedoch die Berufungsfrist nicht in Gang gesetzt. Dies hindert den Asylwerber aber nicht an der Erhebung einer Berufung. Es gilt insofern dasselbe wie im Fall, dass der Bescheid zwar mündlich verkündet, die schriftliche Ausfertigung jedoch noch nicht zugestellt wurde (so zutreffend Feßl, Besondere Verfahrensbestimmungen über Zustellungen im Asylverfahren (§ 23 AsylG 2005), UVS aktuell 2006, 56 ff; ebenso Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 431 f).
Fallbezogen bedeutet dies, dass die erstinstanzlichen Bescheide bereits mit der Zustellung an die beschwerdeführenden Parteien selbst am 28. Dezember 2006 erlassen wurden. Die nachfolgende Zustellung dieser Bescheide an ihre Vertreterin ist nur mehr für den Lauf der Berufungsfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG von Bedeutung. Die beschwerdeführenden Parteien waren - ebenso wie gegen einen mündlich verkündeten und daher rechtlich existierenden Bescheid auch schon vor Zustellung der verlangten schriftlichen Bescheidausfertigung zulässigerweise Berufung erhoben werden kann (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 7. September 1990, Zl. 86/18/0207, vom 29. September 1992, Zl. 92/08/0122, und vom 30. März 1993, Zl. 92/08/0234) - berechtigt, bereits vor der (rechtswirksamen) Zustellung dieser Bescheide an ihre Zustellungsbevollmächtigte Berufung zu erheben. Die belangte Behörde hat daher insofern zu Recht meritorisch über die von ihnen selbst am 11. Jänner 2007 erhobenen Berufungen entschieden und ist zutreffend nicht von deren Unzulässigkeit ausgegangen.
2. Zum Zuständigkeitsübergang gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung:
Die beschwerdeführenden Parteien zeigen richtig auf, dass die belangte Behörde den Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist des Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung nicht beachtet hat.
Die vorliegenden Fälle gleichen in den entscheidungswesentlichen Punkten betreffend den Übergang der Zuständigkeit für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung auf Österreich sowohl in sachverhaltsmäßiger als auch in rechtlicher Hinsicht jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2007/20/1040, zugrunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird daher auf dieses Erkenntnis verwiesen.
Die belangte Behörde hat nicht die ihr gemäß § 37 Abs. 1 AsylG 2005 zustehende Möglichkeit in Anspruch genommen, den gegen die Bescheide des Bundesasylamtes vom 22. Dezember 2006 erhobenen Berufungen der beschwerdeführenden Parteien die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sondern davon "Abstand" genommen. Die Frist für die Überstellungen gemäß Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin-Verordnung begann somit ab der Annahme der Anträge auf Wiederaufnahme durch Polen am 20. Juli 2006 zu laufen und endete in Ermangelung des Vorliegens eines Rechtsbehelfes mit (explizit zuerkannter) aufschiebender Wirkung am 20. Jänner 2007. Zu diesem Zeitpunkt ging die Zuständigkeit für die Prüfung der Asylanträge gemäß Art. 20 Abs. 2 Dublin-Verordnung von Polen auf Österreich über.
Die angefochtenen Bescheide vom 23. Jänner 2007 waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 11. November 2010
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