VwGH 2007/19/0869

VwGH2007/19/086915.12.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Mag. Nedwed und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des IS, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Juni 2007, Zl. 211.620/14/32E-II/04/04, betreffend § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

Auswertung in Arbeit!
Auswertung in Arbeit!

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gelangte am 26. Jänner 1999 in das Bundesgebiet und beantragte am folgenden Tag Asyl.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 14. Juli 1999 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Dieser Bescheid wurde von der belangten Behörde mit am 3. April 2003 verkündetem und am 23. Jänner 2004 ausgefertigtem Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG behoben und die Angelegenheit an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Nach einer Einvernahme des Beschwerdeführers wies das Bundesasylamt dessen Asylantrag mit Bescheid vom 20. September 2004 neuerlich gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt II.), und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchpunkt III.).

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 und 2 AsylG ab. Dieser Bescheid wurde mit hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2007, Zl. 2006/19/0232, insoweit wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben, als damit Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides (Ausweisung des Beschwerdeführers "aus dem österreichischen Bundesgebiet") bestätigt wurde. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Asylbehörden im vorliegenden Fall nicht berechtigt waren, die Ausweisung des Asylwerbers ohne Einschränkung auf den Herkunftsstaat auszusprechen. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Im fortgesetzten Verfahren forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 11. April 2007 auf, anzugeben, "ob seit dem seinerzeitigem Schluss des Ermittlungsverfahrens (§ 39 Abs. 3 AVG) in der hs. Verhandlung vom 4.7.2005 hinsichtlich der Zulässigkeit des Refoulements in Ihren Heimatstaat zusätzliche Anhaltspunkte durch Hervortreten eines seinerzeit noch nicht vorgelegenen bzw. erörterten Sachverhalts zu erwägen seien". Der Beschwerdeführer gab dazu keine Stellungnahme ab.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 8 Abs. 2 AsylG mit der Maßgabe ab, dass die zwangsweise Durchsetzung der Ausweisung des Beschwerdeführers nur nach Indien zulässig sei. Begründend führte sie aus, dass die Verfahrensanordnung vom 11. April 2007 unbeantwortet geblieben sei, weshalb das Ermittlungsergebnis der mündlichen Verhandlung vom 10. Juni 2005 zugrunde gelegt werde. Davon ausgehend sei dem hg. Erkenntnis vom 16. Februar 2007 Rechnung tragend spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde rügt, die belangte Behörde habe weder auf den nunmehr bald neunjährigen erlaubten Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet noch auf den Umstand, dass dieser seit Jahren einer geregelten Beschäftigung nachgehe, Bedacht genommen. Weiters habe sie die seit über einem Jahr bestehende aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin, mit der ein gemeinsames Familienleben bestehe, nicht berücksichtigt. Der Beschwerdeführer habe sich in Österreich nichts zuschulden kommen lassen und sei arbeitsrechtlich und gesellschaftlich integriert. Durch die verfügte Ausweisung liege ein Eingriff in sein nach Art. 8 EMRK geschütztes Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vor. Die belangte Behörde habe zu Unrecht keine Interessenabwägung durchgeführt.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerde einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG haben die Asylbehörden ihre den Asylantrag abweisende und Refoulementschutz verneinende Entscheidung im Regelfall mit einer Ausweisung des Asylwerbers in den Herkunftsstaat zu verbinden. Eine Ausweisung hat jedoch nicht zu erfolgen, wenn dadurch in unzulässiger Weise in die grundrechtliche Position des Asylwerbers eingegriffen wird. Dabei ist auf das Recht auf Achtung seines Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK Bedacht zu nehmen. In diesem Zusammenhang erfordert Art. 8 Abs. 2 EMRK eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs und verlangt somit eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/01/0479, mwN).

In dem - zu einer Ausweisung nach dem Asylgesetz 2005 - ergangenen Erkenntnis vom 29. September 2007, B 1150/07 = VfSlg. 18.224, führte der VfGH aus, der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe fallbezogen unterschiedliche Kriterien herausgearbeitet, die bei einer solchen Interessenabwägung zu beachten sind und als Ergebnis einer Gesamtbetrachtung dazu führen können, dass Art. 8 EMRK einer Ausweisung entgegensteht. Hiebei nennt der VfGH - jeweils mit Hinweisen auf Rechtsprechung des EGMR - die Aufenthaltsdauer, die vom EGMR an keine fixen zeitlichen Vorgaben geknüpft werde, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, den Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, aber auch Verstöße gegen das Einwanderungsrecht und Erfordernisse der öffentlichen Ordnung. Letztlich hebt der VfGH hervor, dass auch die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, bei der Abwägung in Betracht zu ziehen sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, Zl. 2006/20/0176, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zu den für die Frage der Ausweisung des Beschwerdeführers fallbezogen in Betracht kommenden Kriterien keine Feststellungen getroffen bzw. die erforderliche Interessenabwägung nicht vorgenommen. Der bloße Hinweis auf "das Ermittlungsergebnis der öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung vom 10.6.2005", in welcher lediglich festgehalten wurde, dass die ursprünglich beabsichtigte Eheschließung des Beschwerdeführers nicht stattgefunden habe und er zum Zeitpunkt der Verhandlung auch nicht mit einer anderen Frau verlobt gewesen sei, reicht dafür nicht aus, zumal sich dem Verhandlungsprotokoll kein Ermittlungsergebnis zur Beurteilung der Integration des Beschwerdeführers in Österreich entnehmen lässt. Darüber hinaus hat die belangte Behörde - abgesehen davon, dass ihr Schreiben vom 11. April 2007 keine Aufforderung an den Beschwerdeführer enthielt, allfällige Umstände, die seiner Ausweisung entgegen stehen könnten, bekannt zu geben - die bereits vor Erlassung des angefochtenen Bescheides aktenkundigen Tatsachen, wie insbesondere den zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides etwa 8 ½ Jahre währenden Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, seine Erwerbstätigkeit und die laut einem im Verwaltungsakt aufliegenden Datenblatt vom 5. April 2007 erfolgte Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, unberücksichtigt gelassen.

Die dargestellten Begründungsmängel hindern den Verwaltungsgerichtshof an der Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit der getroffenen Entscheidung, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Ein gesonderter Zuspruch von Umsatzsteuer findet in diesen Vorschriften keine Deckung, weshalb das darauf gerichtete Mehrbegehren der Beschwerde abzuweisen war.

Wien, am 15. Dezember 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte