Normen
Auswertung in Arbeit!
Auswertung in Arbeit!
Spruch:
Der erst-, zweit- und viertangefochtene Bescheid werden insoweit, als damit die jeweiligen Spruchpunkte II. der erstinstanzlichen Bescheide bestätigt wurden, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (Erstbeschwerdeführer) bzw. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts (Zweitbeschwerdeführer und Viertbeschwerdeführerin) aufgehoben.
Der Bund hat dem Erst- und dem Zweitbeschwerdeführer sowie der Viertbeschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von je EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
II. den Beschluss
gefasst:
Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.
Ein Aufwandersatz im Verfahren der Drittbeschwerdeführerin findet nicht statt.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet und die Eltern der minderjährigen zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien. Alle beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit.
Der Erstbeschwerdeführer reiste gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin nach Österreich ein und beantragte am 23. März 2004 Asyl; die Drittbeschwerdeführerin stellte gleichzeitig einen Antrag auf Erstreckung des ihrem Ehemann zu gewährenden Asyls. Für die beiden in Österreich geborenen Kinder, den Zweitbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin, wurden am 8. März 2005 ein Asylantrag bzw. am 29. November 2006 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden vom 2. Dezember 2005 die Asylanträge der Erst- und Zweitbeschwerdeführer gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte deren Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies diese Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation aus (Spruchpunkt III.). Der Asylerstreckungsantrag der Drittbeschwerdeführerin wurde mit Bescheid vom selben Tag gemäß §§ 10, 11 AsylG abgewiesen. Mit Bescheid vom 25. September 2007 wurde der Antrag der Viertbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen und ihr der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Russische Föderation nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.) und die Viertbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen (Spruchpunkt III.).
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufung der Drittbeschwerdeführerin zur Gänze und die Berufungen der erst-, zweit- und viertbeschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. der erstinstanzlichen Bescheide ab und behob letztere im Umfang ihrer Spruchpunkte III. ersatzlos.
Die Zulässigkeit der Abschiebung bzw. die Verweigerung von subsidiärem Schutz begründete die belangte Behörde nach Feststellungen zur Lage in Tschetschenien fallbezogen ausschließlich damit, dass unter Zugrundelegung des individuellen Vorbringens und unter Berücksichtigung der vorliegenden Länderberichte sich kein Anhaltspunkt ergebe, der auf eine Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten schließen lasse.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten
Senat erwogen:
Zu I.:
Soweit der Erstbeschwerdeführer in seiner Beschwerde gegen den erstangefochtenen Bescheid im Hinblick auf den verweigerten Refoulementschutz geltend macht, dass dies im Widerspruch zu den Länderfeststellungen stehe, zeigt die Beschwerde eine Rechtswidrigkeit des erstangefochtenen Bescheids auf.
Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG sind in der Begründung des Berufungsbescheids die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu aus der ständigen hg. Rechtsprechung etwa das Erkenntnis vom 28. Mai 2009, Zlen. 2008/19/0938 bis 0942, mwN).
Die im erstangefochtenen Bescheid enthaltenen Länderfeststellungen beschreiben überwiegend eine von ständigen willkürlichen Gewaltakten und Übergriffen der Militärs und der Rebellen gekennzeichnete Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung in Tschetschenien sowie eine in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens stattfindende verschärfte Kampagne der Miliz gegen Tschetschenen, die allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit bzw. ihres kaukasischen Aussehens zunehmend unter einer Art Attentäter-Generalverdacht stünden, was auch Auswirkungen auf den Umgang der russischen Behörden mit rückkehrenden Tschetschenen habe.
So stellte die Behörde u.a. fest, dass die Lage in Tschetschenien schwierig und angespannt bleibe und nach wie vor schwere Menschenrechtsverletzungen stattfänden, an deren erster Stelle das "Verschwinden lassen" von Menschen stehe, weshalb weiter ein "Klima der Angst" herrsche. Tschetschenische Sicherheitskräfte und Einheiten der föderalen Truppen würden zunehmend mit willkürlichen Folterungen und dem "Verschwindenlassen" von Menschen in Verbindung gebracht. Bewaffnete Oppositionsgruppen der Tschetschenen seien wiederum für Kriegsverbrechen wie etwa gezielte Anschläge gegen Zivilpersonen verantwortlich. Neben den Aufsehen erregenden Terroranschlägen gegen die Zivilbevölkerung würden auch bei vielen Aktionen gegen russische Sicherheitskräfte Opfer unter der Zivilbevölkerung bewusst in Kauf genommen. Außerdem verübten die Rebellen gezielt Anschläge gegen Tschetschenen, die mit den russischen Behörden zusammenarbeiteten.
Der von der Menschenrechtsorganisation "Memorial" gemeldete Rückgang von Gewaltverbrechen sei aufgrund der viel höheren Dunkelziffer als trügerisch zu bezeichnen; wegen des unter Kadyrow herrschenden Klimas der Angst bleibe auch häufig ungeklärt, wie viele Verbrechen aus welchen Motiven auf sein Konto gingen. An die Stelle des alten Konflikts sei nun eine Atmosphäre der weitgehenden Willkür und Rechtlosigkeit unter dem autoritären Regime Kadyrows getreten. Auch wenn sich die Lebensumstände für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in letzter Zeit etwas verbessert haben sollen, wird dies von der belangten Behörde im Folgenden insoweit relativiert, als die humanitäre Notlage der über 200.000 tschetschenischen Binnenvertriebenen und der Flüchtlinge außerhalb Tschetscheniens als besorgniserregend bleibend beschrieben wird. Die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien sei nicht gewährleistet. In den Gebieten, in denen sich russische Truppen aufhielten - was mit Ausnahme schwer zugänglicher Gebirgsregionen das ganze Territorium der Teilrepublik betreffe -, leide die Bevölkerung einerseits unter den ständigen Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffen durch russische Soldaten und Angehörige der Truppe von Ramsan Kadyrow, andererseits unter Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen. Auch wenn nach Einschätzung von Menschenrechts- und internationalen Organisationen die Anzahl der Gewaltakte sowohl von Seiten der durch Fahndungserfolge der russischen und tschetschenischen Sicherheitskräfte geschwächten Rebellen als auch von Seiten der Sicherheitskräfte selbst zuletzt abgenommen hätten, seien willkürliche Überfälle bewaffneter, nicht zuzuordnender Kämpfer, Festnahmen und Bombenanschläge immer noch an der Tagesordnung.
Im Zusammenhang mit der intensiven Fahndung nach den Drahtziehern von und Teilnehmern an Terrorakten werde von einem signifikant erhöhten Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen in Moskau und anderen Teilen Russlands berichtet und gebe es eine verschärfte Kampagne der Miliz gegen Tschetschenen allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen stünden unter einer Art Generalverdacht. Es wird eine "nicht gerade zimperlich" vorgehende Miliz und Polizei festgestellt, bei welcher Zivilisten aufpassen müssten, nicht in die Schusslinie zu geraten.
Die Infrastruktur werde nur sehr langsam wieder aufgebaut. Beinahe alle Waren seien importiert und fast unerschwinglich teuer. Das mache es für die Menschen noch schwerer, wieder auf eigenen Füßen zu stehen. Die tschetschenische Bevölkerung lebe unter sehr schweren Bedingungen. Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sei - insbesondere in Grosny äußerst - mangelhaft. Die medizinische Grundversorgung wird zunächst zwar als "theoretisch grundsätzlich" ausreichend bezeichnet, unmittelbar anschließend jedoch attestiert, die medizinische Versorgung in Tschetschenien sei unzureichend.
Darauf aufbauend vermeinte die belangte Behörde "unter Zugrundelegung des individuellen Vorbringens" des Erstbeschwerdeführers und "unter Berücksichtigung der vorliegenden Länderberichte", dass sich kein Anhaltspunkt dafür ergebe, der auf eine Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 und 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten schließen ließe.
Diese Einschätzung ist aber aus den von der belangten Behörde im erstangefochtenen Bescheid getroffenen Länderfeststellungen nicht ableitbar. Um von der Zulässigkeit des Refoulements ausgehen zu können, hätte es unmissverständlicher Feststellungen und nachvollziehbarer Erwägungen bedurft, die den Standpunkt der belangten Behörde zu stützen imstande sind.
Damit hat es die belangte Behörde aber unterlassen, nachvollziehbar darzulegen, warum sie trotz der von ihr selbst angenommenen dramatischen Sicherheitslage zum Erlassungszeitpunkt des erstangefochtenen Bescheides zu dem Schluss gelangen konnte, dass kein Anhaltspunkt für eine Gefährdung des Erstbeschwerdeführers bei seiner Rückkehr bestehe.
Der erstangefochtene Bescheid war somit insoweit, als damit gemäß § 8 Abs. 1 AsylG das Refoulement des Erstbeschwerdeführers hinsichtlich der Russischen Föderation für zulässig erklärt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Dieser Umstand schlägt im Familienverfahren gemäß § 10 AsylG (Zweitbeschwerdeführer) bzw. § 34 Abs. 4 AsylG 2005 (Viertbeschwerdeführerin) auch auf die Verfahren des Zweitbeschwerdeführers und der Viertbeschwerdeführerin durch (vgl. dazu das bereits erwähnte Erkenntnis vom 17. Juni 2010). Die diese beschwerdeführenden Parteien betreffenden Bescheide der belangten Behörde waren daher aus diesem Grund in dem im Spruch angeführten Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Zu II.:
Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Beschwerden werfen, abgesehen von der unter I. der Entscheidungsgründe behandelten Fragen, keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden im übrigen Umfang abzulehnen.
Den Verfahrensaufwand vor dem Verwaltungsgerichtshof haben die Parteien im Verfahren der Drittbeschwerdeführerin in diesem Fall selbst zu tragen (§ 58 Abs. 1 VwGG).
Wien, am 15. Dezember 2010
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)