VwGH 2007/18/0855

VwGH2007/18/085522.3.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und die Hofräte Mag. Haunold und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des CX in W, vertreten durch Mag. Hermann Fröschl, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 27/11, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Oktober 2007, Zl. E1/132.423/2007, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
EMRK Art8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen, angefochtenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen chinesischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe am 31. März 2003 die österreichische Staatsbürgerin H. geheiratet und anschließend einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft" eingebracht. Daraufhin sei ihm ein Aufenthaltstitel erteilt worden. In weiterer Folge habe er einen Verlängerungsantrag für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" gestellt.

Bei ihrer am 19. September 2005 erfolgten niederschriftlichen Vernehmung habe die Ehefrau des Beschwerdeführers angegeben, derzeit Schulden in der Höhe von EUR 40.000,-- bei Katalogfirmen zu haben, seit 1998 arbeitslos zu sein und EUR 760,-- Notstandshilfe zu beziehen. Nebenbei verdiene sie ein wenig Geld dazu, indem sie bei Privatpersonen putze. Sie gebe zu, dass es sich bei der ehelichen Verbindung mit dem Beschwerdeführer um eine Scheinehe handle. Für diese habe sie vom Beschwerdeführer EUR 5.000,-- erhalten. Im Herbst 2002 sei sie in einem näher genannten Chinalokal in B vom vermutlich chinesischen Staatsangehörigen "Z." (richtiger Name: R.) auf die Möglichkeit einer Scheinehe mit einem chinesischen Staatsangehörigen angesprochen worden, wobei ihr R. für die Scheinehe EUR 5.000,-- angeboten habe. Nachdem sie in die Sache eingewilligt habe, sei sie im November 2002 von R. in ihrer Wohnung in B aufgesucht worden. Dieser habe ihr Anweisungen betreffend die Scheinehe, unter anderem darüber gegeben, mit ihren persönlichen Papieren und dem Beschwerdeführer zur chinesischen Botschaft nach W zu fahren, um die notwendigen Dokumente anzufordern. Im Dezember 2002 habe ihr R. den Beschwerdeführer persönlich in ihrer Wohnung in B vorgestellt. Im Jänner 2003 sei sie gemeinsam mit dem Beschwerdeführer mit der BB nach W zur chinesischen Botschaft gefahren. Sie habe sich mit ihm nicht unterhalten können, da er kein Deutsch und sie kein Chinesisch spreche. Im Zeitraum von Jänner bis März 2003 sei sie von R. und dem Beschwerdeführer mehrmals in ihrer Wohnung besucht worden, um über die Formalitäten betreffend die Scheinehe zu sprechen. Am 31. März 2003 habe sie den Beschwerdeführer am Meldeamt der Stadtgemeinde B scheinhalber mit Hauptwohnsitz an ihrer Adresse angemeldet. Weder der Beschwerdeführer noch seine Kinder hätten an dieser Adresse gewohnt. Um die Exekutive bei allfälligen Kontrollen zu täuschen, habe man in ihrer Wohnung persönliche Gegenstände des Beschwerdeführers, nämlich Kleidung, Schuhe und Jacken, deponiert. Als Trauzeugen der vor dem Standesamt der Stadtgemeinde B geschlossenen Ehe hätten G. und R. fungiert.

R. - so habe H. weiter ausgeführt - sei Betreiber eines näher genannten Lokals in O und eines weiteren Lokals in P. G. kenne sie bereits seit ca. 1992. Dieser sei mit einer chinesischen Staatsangehörigen scheinhalber verheiratet gewesen. Sie selbst besuche G. regelmäßig, ca. jeden zweiten Tag. Die Kosten des nach der Trauung in einem Chinalokal in B stattgefundenen Essens, bei dem außer ihr und dem Beschwerdeführer noch G. und R. anwesend gewesen seien, habe R. getragen. Den Betrag in der Höhe von EUR 5.000,-- für die Scheinehe habe sie am 31. März 2003 nach der Eheschließung in ihrer Wohnung vom Beschwerdeführer in Gegenwart von R. ausgezahlt bekommen. Die beiden Kinder des Beschwerdeführers seien in dessen Beisein an ihrer Wohnadresse scheinhalber angemeldet worden. Sie werde unverzüglich die Abmeldung der drei Chinesen und, da diese Scheinehe sexuell niemals vollzogen worden sei, die Annullierung beim Gericht veranlassen. Der Beschwerdeführer arbeite als Koch beim oben genannten Chinarestaurant in O. An dieser Adresse sei er auch wohnhaft. Es gebe keinen gemeinsamen Haushalt mit dem Beschwerdeführer. Dieser leiste keine finanziellen Beiträge zur Haushaltsführung und sei auch selbst versichert.

Der Beschwerdeführer habe bei seiner Vernehmung am 21. September 2005 angegeben, von 1998 bis "glaublich" 2002 mit einer Chinesin verheiratet gewesen zu sein. Seine frühere Ehefrau sei "auf der Polizeibehörde" in O festgenommen worden. Sie sei Angestellte seines Chefs R., bei dem sie wohne. Wie seine frühere Ehefrau nach Österreich gekommen sei, wo seine Ehefrau H. geboren sei und wie ihre Eltern hießen, wisse er nicht. H. habe zwei Kinder und sei schon verheiratet gewesen. Ihr Sohn sei verstorben. Er wisse nicht, wie der Sohn und die Tochter hießen, er kenne auch die Haarfarbe der Tochter nicht. Ebenso wenig wisse er, was seine Ehefrau früher gearbeitet habe und was sie derzeit arbeite. Er könne einfache Dinge mit ihr in deutscher Sprache besprechen, könne allerdings keinen Beispielsatz angeben. Er habe sie in einem Restaurant in B, im Jahr 2001 oder 2002, kennengelernt. Er glaube nicht, dass jemand dabei gewesen sei. G. kenne er nicht. Mit seiner Ehefrau habe es Geschlechtsverkehr gegeben, das letzte Mal am Montag nach dem Abendessen. Die Eheschließung sei am 31. März 2003 in B erfolgt, R. und ein österreichischer Mann seien die Trauzeugen gewesen. Es habe in einem Chinalokal in B eine Hochzeitstafel für fünf Personen gegeben. Neben seiner Ehefrau und ihm selbst seien die Trauzeugen und ein anderer Österreicher, den er nicht kenne, anwesend gewesen. Er habe das Essen für alle bezahlt. Am Hochzeitstag habe er seiner Ehefrau in deren Wohnung EUR 5.000,-- gegeben. Der Mann, der ihm die Ehefrau drei oder vier Monate vor der Hochzeit in einem Lokal in B vorgestellt habe, sei auch dabei gewesen. Diesem Mann habe er kein Geld bezahlt, er habe ihn als Gegenleistung ab und zu zum Essen einladen müssen. Sein Chef R. sei dabei gewesen, als ihm H. vorgestellt worden sei. Er selbst wohne, wo er arbeite, er wohne in der Wohnung des Chefs. Mit seiner Ehefrau habe er keinen gemeinsamen Haushalt. Sie sei auch nicht mit ihm mitversichert.

R. habe bei seiner am 21. September 2005 erfolgten Vernehmung zugegeben, eine Scheinehe zwischen dem Österreicher G. und einer weiteren Person vermittelt zu haben. Er kenne H., die seinen chinesischen Angestellten (den Beschwerdeführer) scheinhalber geheiratet habe. Es sei ausgemacht gewesen, dass der Beschwerdeführer insgesamt EUR 9.000,-- an die Ehefrau in bar bezahlen sollte. Er wisse, dass bei der ersten Geldübergabe in der Wohnung der Ehefrau des Beschwerdeführers nach der Trauung EUR 4.500,-- bezahlt worden seien. Inzwischen habe der Beschwerdeführer bereits die gesamten EUR 9.000,-- für die Scheinehe an H. bezahlt. Das habe jener ihm selbst gesagt. R. glaube aber zu wissen, dass der Beschwerdeführer die EUR 9.000,-- als erstes an G. übergeben habe. Wahrscheinlich habe G. einen Teil, ca. EUR 5.000,--, an H. übergeben. Für G. und H. habe er stets bei den Vorbereitungen für die Scheinehen und auch am Standesamt B gedolmetscht. Er selbst habe "den chinesischen Menschen" auch immer erzählt, welche Papiere sie für die Hochzeiten benötigten und welche sie dafür in China anfordern müssten.

Der Beschwerdeführer und A. (die frühere Ehefrau des Beschwerdeführers) - so R. weiter - seien vor ca. drei Jahren gemeinsam zu ihm gekommen. Damals seien diese noch verheiratet gewesen. Die beiden wohnten seit damals bei ihm im Haus in O. Er glaube, dass sich die beiden bei der chinesischen Vertretung in W hätten scheiden lassen, sicher sei er sich aber nicht. Die Trauzeugen bei der Hochzeit des Beschwerdeführers und der H. seien er und G. gewesen. Der Beschwerdeführer wohne bei ihm, sei aber nicht polizeilich gemeldet. A. sei illegal in Österreich und bei ihm seit drei Jahren als Kindermädchen angestellt. Sie könne kein Deutsch. Der Beschwerdeführer arbeite bei ihm als Koch, verdiene EUR 1.100,-- und sei bei der Krankenkasse gemeldet. Der Sohn des Beschwerdeführers arbeite als Schankgehilfe und sei nicht bei der Krankenkasse angemeldet.

Bei seiner am 20. September 2005 erfolgten niederschriftlichen Vernehmung habe J., der Sohn des Beschwerdeführers, unter anderem angegeben, mit seiner älteren Schwester am 31. August 2004 in Österreich eingereist zu sein. Sein Vater sei vor ca. zehn Jahren nach Österreich gekommen, seine Mutter sei immer noch in China. R. sei wie ein Onkel. J. arbeite seit Anfang August in O ohne Arbeitsbewilligung als Hilfskraft im Lokal des R. Das angebliche Kindermädchen A. sei seine Mutter, die bereits länger in Österreich sei. Er sei sich nicht sicher, ob seine Eltern wirklich geschieden seien. Seine Mutter habe ihm gesagt, er solle immer angeben, dass sie in China sei. Er selbst habe niemals in B gewohnt. Ob sein Vater wieder verheiratet sei, wisse er nicht. Den Namen H. habe er nur einmal auf einer Visitenkarte gelesen, gesehen habe er diese Frau noch nie.

Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 14. Juni 2006 das Vorliegen einer Scheinehe bestritten. Die Zahlung von EUR 5.000,-- sei im Hinblick auf den gemeinsamen Haushalt mit H. erfolgt. Dieser Betrag sei gemeinsam mit seiner Ehefrau für den Ankauf von diversen Möbeln und Einrichtungsgegenständen verwendet worden. Es sei sicher amtsbekannt, dass sogenannte Scheinehen einen höheren Betrag kosteten. Er habe seine Frau aus Zuneigung und Liebe geheiratet, die Ehe bestehe seit mehr als drei Jahren harmonisch weiter.

In seiner Berufung vom 7. März 2007 habe - so die belangte Behörde - der Beschwerdeführer erstmalig angegeben, dass es zu den Aussagen im Jahr 2005 deshalb gekommen sei, weil es "wie in jeder Ehe zu dem Zeitpunkt Schwierigkeiten gegeben habe". Seither seien jedoch fast zwei Jahre vergangen und hätten sich die Eheleute wieder versöhnt. Es sei eine Lebensgemeinschaft vorhanden.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, es bestehe kein Anlass, an der Richtigkeit der Zeugenaussage der Ehefrau des Beschwerdeführers zu zweifeln. Diese könne weder aus dem Fortbestand der Ehe noch aus einer allfälligen Scheidung bzw. Nichtigerklärung Nutzen ziehen. Der Beschwerdeführer seinerseits habe jedoch ein massives Interesse, das Eingehen einer sogenannten Scheinehe zu dementieren. Schließlich sichere ihm die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin das weitere Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet sowie den freien Zugang zum Arbeitsmarkt.

Ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer sogenannten Scheinehe stelle insbesondere der Umstand dar, dass H. ausführlich und genau dargelegt habe, wie das gesamte Procedere bis zur Heirat abgelaufen sei. Der Beschwerdeführer hingegen vermöge lediglich lapidar zu behaupten, dass keine Scheinehe vorliege. Nähere Angaben zu seiner Ehefrau sei er schuldig geblieben.

Angesichts der nachvollziehbaren und glaubwürdigen Aussagen seiner Ehefrau, der übrigen Aussagen und der Erhebungen stehe sohin fest, dass der Beschwerdeführer die Ehe geschlossen und sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf die Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Darüber hinaus habe er für die Eheschließung einen Vermögensvorteil geleistet. Seine Angaben, insbesondere in seiner Berufung, seien als bloße Schutzbehauptung zu werten.

Der Missbrauch des Rechtsinstitutes der Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Rechte stelle eine schwerwiegende Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 87 iVm § 86 FPG seien gegeben.

Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers sei zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens, zur Verhinderung von Aufenthalts- bzw. Scheinehen - dringend geboten sei. Es bestehe ein hohes öffentliches Interesse an der Verhinderung von Scheinehen. Gegen diese Interessen habe der Beschwerdeführer gravierend verstoßen. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei dringend geboten und zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG.

Auch im Rahmen der gemäß § 66 Abs. 2 FPG gebotenen Interessenabwägung sei die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes zu bejahen. Nur auf Grund der durch seine Eheschließung mit einer österreichischen Staatsbürgerin bevorzugten Stellung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz habe der Beschwerdeführer eine unselbständige Beschäftigung eingehen können. Die durch den Aufenthalt im Bundesgebiet erzielte Integration des Beschwerdeführers werde durch die bewirkte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens auf Grund des Eingehens einer Scheinehe wesentlich gemindert. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet wögen keinesfalls schwerer als das öffentliche Interesse an der Erlassung dieser Maßnahme.

Schließlich begründete die belangte Behörde, weshalb von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auch nicht im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen gewesen sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer - nach dem Inhalt des Verwaltungsaktes - Österreicherin im Sinn des § 87 FPG, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat, ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 (erster bis vierter Satz) FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind diese Voraussetzungen dann gegeben, wenn ein Fremder im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG eine Ehe geschlossen und sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Februar 2011, Zl. 2008/18/0598, mwN).

2.1. Gegen die Annahme der belangten Behörde hinsichtlich des Vorliegens einer Aufenthaltsehe (Scheinehe) bringt die Beschwerde im Wesentlichen vor, die Behörde habe ihrer Entscheidung ausschließlich die sich aus den im Jahr 2005 erfolgten Vernehmungen ergebenden Feststellungen zugrunde gelegt. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 14. Juni 2006 und in seiner Berufung vorgebracht, dass seit den genannten Vernehmungen inzwischen zwei Jahre verstrichen seien, er sich mit seiner Ehefrau wieder versöhnt habe und eine Lebensgemeinschaft mit dieser vorhanden sei. In seiner Berufung habe er darauf hingewiesen, dass sich die erstinstanzliche Behörde mit diesen Umständen in keiner Weise auseinandergesetzt habe. Die belangte Behörde wäre von Amts wegen dazu verpflichtet gewesen, ihn zu diesem Vorbringen zu vernehmen. Auch seine Ehefrau wäre zu laden und zu vernehmen gewesen.

Ohne die erforderlichen Beweisaufnahmen könne nicht festgestellt werden, ob er mit seiner Ehefrau zurzeit in Lebensgemeinschaft lebe und ob er sich mit dieser wieder versöhnt habe. Da er nicht zur Situation seiner Ehe seit 2005 vernommen worden sei, habe er nicht ausreichend Gelegenheit gehabt, seine Rechte und rechtlichen Interessen geltend zu machen.

Aus den Vernehmungen im Jahr 2005 ergebe sich, dass seine Ehe damals in einer Krise gesteckt sei. Eine Ehe sei jedoch ein Dauerverhältnis, das nicht punktuell betrachtet werden könne. Die Ehe könne sich bessern, indem sich beide Ehegatten wieder versöhnten. Zum Faktum der Versöhnung der Ehe nach dem Jahr 2005 hätten keine Beweisaufnahmen stattgefunden.

2.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Die belangte Behörde hat unter Zugrundelegung der Aussagen der Ehefrau des Beschwerdeführers und der Ergebnisse der weiteren Vernehmungen vom September 2005 schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass der Beschwerdeführer im Jahr 2003 die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin H. ausschließlich deshalb geschlossen hat, um ihm problemlos eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung zu verschaffen.

Voraussetzung für die Verwirklichung des - das missbräuchliche Eingehen einer Aufenthaltsehe zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen betreffenden - Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG (in der Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) ist jedoch auch, dass ein gemeinsames Familienleben nie geführt wurde.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0003, unter Verweis auf die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR 22. GP 99) ausführte, ist der genannte Tatbestand jedenfalls dann nicht verwirklicht, wenn nach der Eheschließung ein als Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK zu qualifizierendes "Eheleben" geführt wurde. Auch im Erkenntnis vom 3. April 2009, Zl. 2008/22/0591, hat der Verwaltungsgerichtshof hervorgehoben, dass die Beschwerde kein Argument für eine Annahme enthalte, es wäre zu irgendeinem Zeitpunkt (nach der Eheschließung) tatsächlich ein Familienleben geführt worden.

Nach Ausweis der Verwaltungsakten hat der Beschwerdeführer, der auch bei seiner im September 2005 erfolgten Vernehmung ausgesagt hatte, es habe mit seiner Ehefrau Geschlechtsverkehr gegeben, in seiner Stellungnahme vom 14. Juni 2006 vorgebracht, mit seiner Ehefrau "noch immer im gemeinsamen Haushalt" zu leben und mit dieser ein normales Familienleben zu führen, das "leider" oft durch berufsbedingte Abwesenheit geprägt sei. Auf Grund der durch seine berufliche Tätigkeit zunächst in O und seit Jänner 2006 in W bestehenden Distanz zum gemeinsamen (ehelichen) Wohnsitz sei es notwendig gewesen, teilweise in Räumlichkeiten seiner Arbeitgeber zu übernachten.

In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid erklärte der Beschwerdeführer - wie in der Beschwerde - das Zustandekommen der Aussagen im Jahr 2005 damit, dass es in seiner Ehe zu diesem Zeitpunkt Schwierigkeiten gegeben habe, sich die Eheleute inzwischen jedoch wieder versöhnt hätten. Es sei eine Lebensgemeinschaft vorhanden.

Der angefochtene Bescheid trifft zu dem in der Stellungnahme vom 14. Juni 2006 und in der Berufung erstatteten Vorbringen keine ausreichenden Feststellungen.

Der Verwaltungsakt enthält ein Schreiben der Stadtpolizei B vom 22. Mai 2006 an die damals noch örtlich zuständige Bezirkshauptmannschaft B, wonach die in deren Auftrag erfolgten Erhebungen ergeben hätten, dass der Beschwerdeführer an der Meldeadresse der Beschwerdeführerin "noch aufhältig bzw. noch wohnhaft" sei.

Einem Aktenvermerk vom 30. Mai 2006 betreffend eine telefonische Rücksprache mit einem Vertreter der Stadtpolizei B zufolge habe bei einer Hauserhebung nur die Ehefrau angetroffen werden können, welche den Reisepass und den Meldezettel des Beschwerdeführers vorgewiesen habe. Sie habe angegeben, der Beschwerdeführer sei momentan an seinem Arbeitsplatz und "der RSa" (die an den Beschwerdeführer adressierte und am 20. April 2006 hinterlegte, jedoch nicht behobene Erledigung vom 13. April 2006 über die Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme) sei nur abzuholen vergessen worden.

Gemäß einer im Akt aufliegenden Anfrage an das Zentrale Melderegister war der Beschwerdeführer vom 31. März 2003 bis 3. Oktober 2005 an der Adresse seiner Ehefrau in B mit Hauptwohnsitz gemeldet. Bis 2. Dezember 2005 war er in weiterer Folge bei seinem Arbeitgeber R. in O, jedoch danach bis 29. Juni 2006 erneut an der Adresse seiner Ehefrau gemeldet. Seit 29. Juni 2006 hat der Beschwerdeführer seinen Hauptwohnsitz in W, wobei er seit 7. Juli 2006 mit Nebenwohnsitz an der Adresse seiner Ehefrau gemeldet ist.

H. hatte jedoch noch bei ihrer Vernehmung im September 2005 unter Hinweis darauf, dass die Ehe sexuell niemals vollzogen worden sei, angekündigt, u.a. den Beschwerdeführer, mit dem es keinen gemeinsamen Haushalt gebe, unverzüglich abzumelden. Mit der Frage, weshalb es trotz ihres seinerzeitigen Eingeständnisses einer Scheinehe dennoch nur zwei Monate nach der Abmeldung dennoch erneut zu einer Wohnsitzmeldung des Beschwerdeführers an ihrer Adresse gekommen ist, hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt.

Vor dem Hintergrund der dargestellten, im angefochtenen Bescheid teilweise nicht berücksichtigten Umstände hätte die belangte Behörde aber das vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 14. Juni 2006 und in seiner Berufung erstattete Vorbringen nicht ohne weiteres als bloße Schutzbehauptung werten dürfen. Es ist nicht auszuschließen, dass ergänzende Erhebungen, insbesondere eine erneute Vernehmung der Ehefrau des Beschwerdeführers, ergeben hätten, dass die Eheleute ein Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK geführt haben. Nach dem oben Gesagten wäre in diesem Fall der hier in Rede stehende Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG aber nicht erfüllt.

3. Da der Sachverhalt somit in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf und Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese in dem Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am 22. März 2011

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