VwGH 2007/18/0507

VwGH2007/18/05072.9.2008

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger sowie die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des H P in W, geboren am 4. März 1980, vertreten durch Dr. Michael Vallender, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Paulanergasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 11. Juni 2007, Zl. SD 661/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 11. Juni 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung die Feststellungen zugrunde, dass der Beschwerdeführer seit 1995 im Bundesland lebe und zuletzt - auf Grundlage seiner seit 15. Juni 2004 rechtskräftig geschiedenen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin - über einen unbefristeten Aufenthaltstitel verfügt habe. Der mittlerweile geschiedene Beschwerdeführer sei für ein Kind aus dieser Ehe sorgepflichtig, nicht jedoch obsorgeberechtigt. Sonstige familiäre Bindungen bestünden zu den Eltern, bei denen er auch gemeldet sei.

Während der ersten drei Jahre seines Aufenthalts habe der Beschwerdeführer bei seiner Mutter gelebt, die damals nicht arbeitstätig gewesen sei; er sei erst seit 28. Juni 2006 unselbständig erwerbstätig.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 6. Oktober 2004 sei der Beschwerdeführer nach §§ 99 Abs. 1, 105 Abs. 1, 125, 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 und 2 Z. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 18 Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung liege zugrunde, dass der Beschwerdeführer - nachdem er erfahren habe, dass seine geschiedene Ehefrau einen mehrfachen SMS-Wechsel mit einem Arbeitskollegen gehabt habe - einen Racheakt gegen diesen Mann geplant habe.

Er habe mit dem Mann eine Aussprache vereinbart, jedoch zu dem Treffen sechs Freunde mitgenommen, die ihn bei seinem Racheplan unterstützen sollten. Nachdem der Mann im Auto des Beschwerdeführers Platz genommen habe, seien diese Freunde zugestiegen, wobei einer der unbekannten Täter zwecks Bedrohung eine Schusswaffe gezückt und sie während der ganzen, darauf folgenden Autofahrt in der Hand gehalten habe. Während der länger dauernden Autofahrt habe der Beschwerdeführer dem Mann einen Stoß mit dem Ellbogen versetzt, von diesem die Herausgabe des Handys verlangt, die Speicherungen des Handys nach Mitteilungen von seiner geschiedenen Ehefrau überprüft und schließlich die SIM-Karte bewusst und willentlich zerstört.

Nachdem die Fahrt in Niederösterreich geendet habe, habe der Mann aussteigen müssen und sei am Boden liegend - allen voran durch den Beschwerdeführer - durch Schläge vorrangig im Kopf- und Oberkörperbereich malträtiert worden. Dadurch habe der Mann eine Schädelprellung, eine Zerrung der Halswirbelsäule, Brustkorb- und Rückenprellungen, einen Bluterguss im linken Auge sowie einen knöchernen Strecksehnenausriss des linken Mittelfingers erlitten. Nach Beendigung dieser Tätlichkeiten habe ein unbekannter Täter die Schusswaffe gegen den Hinterkopf des Mannes gerichtet, wodurch dieser neuerlich überzeugt gewesen sei, nunmehr endgültig ermordet zu werden.

Der Beschwerdeführer und seine Freunde hätten den Mann schwer geschockt und offenkundig verwirrt zurückgelassen; er habe nach seiner Auffindung durch einen Passanten keinerlei sachdienliche Angaben machen können, im Spital stationär aufgenommen werden müssen und noch Wochen nach der Tat an langsam besser werdenden Gedächtnis- und Schlafstörungen gelitten.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass die angeführte Verurteilung des Beschwerdeführers "den im § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierten Sachverhalt" erfülle, weshalb die Voraussetzungen zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Grunde des § 60 Abs. 1 FPG gegeben seien.

Im Hinblick auf die Dauer der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers und den Umstand, dass dessen Mutter, bei der er gelebt habe, in diesem Zeitraum nicht arbeitstätig gewesen sei, seien auch Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 des Assoziationsratsbeschlusses (ARB) Nr. 1/80 auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar.

Auf Grund der familiären Bindungen des Beschwerdeführers im Bundesgebiet sei zwar zweifelsfrei von einem mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit und der Gesundheit Dritter - dringend geboten sei. Wer - wie der Beschwerdeführer - aus offenbar gekränkter Eitelkeit in einem derartigen Ausmaß straffällig werde und einen anderen auf derartige Weise malträtiere und schwer am Körper verletze, lasse seine offenbare mangelnde Verbundenheit mit maßgeblichen in Österreich gültigen Rechtsvorschriften erkennen. Solcherart sei eine zu Gunsten des Beschwerdeführers ausfallende Verhaltensprognose nicht möglich; es könne daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbotes dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG sei.

Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthaltes ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Gleichzeitig sei jedoch zu berücksichtigen, dass die einer jeden Integration zugrunde liegende soziale Komponente durch das dargestellte strafbare Verhalten erheblich an Gewicht gemindert werde. Die familiären Bindungen zu seinen Eltern, mit denen der Beschwerdeführer offenbar gemeinsam lebe, würden dadurch relativiert, dass er längst volljährig sei. Ebenso relativiert erschienen die Bindungen zum Kind, für das der Beschwerdeführer zwar sorgepflichtig, nicht jedoch obsorgeberechtigt sei. Berücksichtigt werde auch, dass der Beschwerdeführer beschäftigt gewesen sei bzw. derzeit beschäftigt sei.

Insgesamt erschienen die dem Beschwerdeführer zuzuschreibenden privaten Interessen an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet zwar gewichtig, keinesfalls jedoch ausgeprägt. Dem gegenüber stehe das hohe öffentliche Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten und am Schutz der Gesundheit und der körperlichen Unversehrtheit Dritter. Bei Abwägung dieser Interessenlagen gelange die belangte Behörde zu der Ansicht, dass die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer wögen als das in seinem Fehlverhalten gegründete hohe öffentliche Interesse "an seinem Verlassen und Fernbleiben des Bundesgebietes". Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes erweise sich daher auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG als zulässig. Dabei bedenke die belangte Behörde auch, dass der Beschwerdeführer - wenn auch eingeschränkt - den Kontakt zu seinen Familienangehörigen vom Ausland aus wahrhaben könne, eine Einschränkung, die er im öffentlichen Interesse zu tragen haben werde.

Ein Sachverhalt im Sinn des § 61 FPG sei nicht gegeben.

Mangels sonstiger, besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.

Was dessen Gültigkeitsdauer betreffe, so könne im Hinblick auf das dargelegte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers auch unter Bedachtnahme auf dessen Lebenssituation vor Ablauf der festgesetzten Frist nicht erwartet werden, dass die für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Auf dem Boden der Verurteilung des Beschwerdeführers durch das Landesgericht für Strafsachen Wien vom 6. Oktober 2004 begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

1.2. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde liegt dieser Verurteilung ein besonders grausames und brutales Vorgehen des Beschwerdeführers gemeinsam mit sechs Komplizen gegen ein dieser Übermacht ausgeliefertes Opfer zugrunde. Der Beschwerdeführer hat durch sein gravierendes, gegen die körperliche Integrität gerichtetes Fehlverhalten seine Gewaltbereitschaft nachdrücklich unter Beweis gestellt und das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewaltkriminalität erheblich beeinträchtigt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0474).

In Anbetracht dieses oben (unter I.1.) näher dargestellten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers begegnet daher auch die weitere Beurteilung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand.

2.1. Die belangte Behörde hat im Rahmen der Interessenabwägung nach § 60 Abs. 6 iVm § 66 FPG zu Gunsten des Beschwerdeführers die Dauer seines inländischen Aufenthaltes seit 1995, sein Beschäftigungsverhältnis hier und seine familiären Bindungen zu seinen Eltern und dem Kind aus seiner geschiedenen Ehe berücksichtigt. Zu Recht hat sie die aus seinem bisherigen inländischen Aufenthalt resultierende Integration in ihrer sozialen Komponente durch sein strafbares Verhalten als erheblich gemindert angesehen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 2008, Zl. 2008/18/0505).

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet steht jedoch die aus seiner Straftat resultierende Gefährdung des maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von strafbaren Handlungen im Bereich der Gewaltkriminalität (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 2008, Zl. 2007/18/0911) gegenüber, welches das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung (weiterer) strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten erscheinen lässt.

Die belangte Behörde hat zu Recht der durch das Fehlverhalten des Beschwerdeführers bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beigemessen als den angeführten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers.

2.2. Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang als sekundären Verfahrensmangel rügt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, Feststellungen zum "sonstigen Privatleben" des Beschwerdeführers zu treffen, und ausführt, der Beschwerdeführer habe "zweifellos" Kontakt zu seiner geschiedenen Ehegattin, verfüge über Bindungen zu deren Verwandten und einen beruflichen und privaten Freundeskreis, so ist dem schon das im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende Neuerungsverbot (§ 41 Abs. 1 VwGG) entgegenzuhalten: Im Administrativverfahren hat der Beschwerdeführer ein konkretes Vorbringen in diese Richtung nicht erstattet.

3. Soweit die Beschwerde vermeint, der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes stünde wegen der Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers die Bestimmung des § 55 Abs. 3 FPG entgegen, so ist dem zu erwidern, dass diese Bestimmung eine ununterbrochene und rechtmäßige Niederlassung des Fremden über einen Zeitraum von zumindest zehn Jahren vor der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes voraussetzt; im Hinblick auf die im Jahr 2004 erfolgte Straftat des seit 1995 im Bundesgebiet lebenden Beschwerdeführers kommt diese Bestimmung nicht zur Anwendung.

4.1. Schließlich führt die Beschwerde ohne nähere Begründung aus, der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes stehe im konkreten Fall der Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB Nr. 1/80) entgegen.

4.2. Damit lässt die Beschwerde allerdings außer Acht, dass die belangte Behörde - ausgehend von den nicht bekämpften Feststellungen zum Beginn der Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers erst mit 28. Juni 2006 und zur mangelnden Berufstätigkeit von dessen Mutter, als der Beschwerdeführer bei ihr lebte - die Anwendung des ARB Nr. 1/80 zu Recht verneint hat:

So knüpft Art. 7 ARB Nr. 1/80 daran an, dass der Familienangehörige, zu dem ein Nachzug erfolgt, dem regulären Arbeitsmarkt eines EU-Mitgliedstaates angehört (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 2007, Zl. 2007/18/0262). Die durch Art. 6 ARB Nr. 1/80 verbürgten Rechte wiederum setzen die ordnungsgemäße Beschäftigung eines türkischen Arbeitnehmers über einen Zeitraum von zumindest einem Jahr voraus (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0394).

Die Beurteilung der belangten Behörde, dass sich der Beschwerdeführer auf die Bestimmungen des ARB Nr. 1/80 nicht mit Erfolg stützen kann, begegnet daher keinem Einwand.

5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. September 2008

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