VwGH 2007/18/0202

VwGH2007/18/02029.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde der V Z in W, geboren am 24. September 1968, vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Marxergasse 21, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 26. Februar 2007, Zl. SD 1240/06, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §3;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44b Abs3;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73;
NAG 2005 §74;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
NAG 2005 §3;
NAG 2005 §43 Abs2;
NAG 2005 §44 Abs3;
NAG 2005 §44 Abs4;
NAG 2005 §44b Abs3;
NAG 2005 §54;
NAG 2005 §57;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73;
NAG 2005 §74;
VwGG §34 Abs1;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 26. Februar 2007 wurde die Beschwerdeführerin, eine ukrainische Staatsangehörige, gemäß § 53 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, aus Österreich ausgewiesen.

Die Beschwerdeführerin sei im September 2003 mit einem Touristenvisum in das Bundesgebiet gelangt und nach Ablauf der Gültigkeitsdauer des Visums unerlaubt in Österreich verblieben. Mit rechtskräftigem Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien (der Erstbehörde) vom 23. November 2004 sei sie ausgewiesen worden. Mit Beschluss (des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien) vom 9. September 2005 sei ihre Adoption durch eine österreichische Staatsbürgerin (den Behauptungen der Beschwerdeführerin zufolge ihre Großtante) bewilligt worden. Im Sommer 2005 sei die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben aus Österreich ausgereist und offenbar im Oktober 2005 unrechtmäßig nach Österreich zurückgekehrt. Bei ihrer unrechtmäßigen Einreise habe sie ihre Tochter von ihrem Heimatstaat nach Österreich mitgenommen. Am 9. November 2005 habe sie die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung beantragt. Bisher verfüge weder die Beschwerdeführerin noch ihre Tochter über einen Aufenthaltstitel. Die Beschwerdeführerin gehöre nicht der im § 47 NAG normierten Personengruppe an. Sie sei nicht in der Lage, ihren Aufenthalt vom Inland aus zu legalisieren. Wenn sie auf die Bestimmungen der §§ 72 ff NAG über die Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel hinweise, sei für sie nichts gewonnen, weil sie nicht dargelegt habe, dass von der Aufenthaltsbehörde ein derartiges Verfahren eingeleitet worden sei oder ihr gar ein humanitärer Aufenthaltstitel erteilt worden sei. Die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung seien - vorbehaltlich des § 66 Abs. 1 FPG - im Grund des § 53 Abs. 1 FPG gegeben.

Die Beschwerdeführerin sei geschieden und für zwei Kinder sorgepflichtig. Eines der Kinder befinde sich unrechtmäßig in Österreich. Weitere familiäre Bindungen bestünden zur Adoptivmutter, einer österreichischen Staatsbürgerin. Diese sei Pflegegeldbezieherin und werde von der Beschwerdeführerin auch gepflegt. Auf Grund der Angaben der Adoptivmutter und der Beschwerdeführerin sei die Erstbehörde zutreffend zu der Überzeugung gelangt, dass das Adoptionsverhältnis lediglich ein Pflegeverhältnis und der Verdacht der Scheinadoption gerechtfertigt seien. Diese Feststellungen seien im Berufungsverfahren unwidersprochen geblieben. Zwar sei angesichts aller Umstände von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens - dringend geboten sei. Mangels sonstiger besonders zu Gunsten der Beschwerdeführerin sprechender Umstände habe die belangte Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen. Die Pflegebedürftigkeit der Adoptivmutter sei berücksichtigt worden. Dieser Umstand könne die Interessen der Beschwerdeführerin jedoch nicht derart verstärken, dass dem gegenüber die genannten, einen hohen Stellenwert genießenden öffentlichen Interessen in den Hintergrund treten würden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerdeführerin bringt vor, der unrechtmäßige Aufenthalt eines Fremden würde "als bloße Verletzung von Formvorschriften keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung (auf dem Gebiet des Fremdenwesens) iSd § 37 Abs. 1 FrG (nunmehr § 66 Abs. 1 FPG) darstellen, wenn der Fremde als Angehöriger eines zur Niederlassung berechtigten EWR Bürgers gemäß § 47 Abs. 2 FrG 1997 Niederlassungsfreiheit genießt und daher einen Rechtsanspruch auf die Ausstellung einer Niederlassungsbewilligung hat". Dies habe umso mehr zu gelten, als es sich bei der Beschwerdeführerin um die Familienangehörige einer Österreicherin handle. Die gerichtliche Bewilligung der Adoption habe bewirkt, dass die Annahme an Kindesstatt "mit Vertragsabschluss rückwirkend Geltung" erlangt habe. Die Beschwerdeführerin sei daher ab dem 6. Oktober 2003 als Angehörige einer österreichischen Staatsbürgerin zu betrachten gewesen. Über diese Angehörigeneigenschaft habe sich die belangte Behörde bedenkenlos hinweg gesetzt. Tatsächlich sei "im aufenthaltsrechtlichen Verfahren die Vorfrage, ob inwieweit bei der (Beschwerdeführerin) eine Anwendung der Bestimmungen der §§ 72 ff NAG in Frage kommt, noch nicht entschieden. Im Falle einer Ausweisung wäre damit auch die Rechtswohltat des § 72 NAG für die (Beschwerdeführerin) sinnlos geworden, da gerade diese Bestimmung auf eine Sanierung des Formgebrechens einer (nunmehr) nicht zulässigen Inlandsantragstellung abzielt. Eine Ausweisung würde daher der (Beschwerdeführerin) den ihr vom Gesetzgeber eingeräumten Zugang zu dieser Möglichkeit der Erlangung eines Aufenthaltstitels abschneiden. Nachdem sich die belangte Behörde mit diesem Anliegen nicht auseinander gesetzt hat, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor".

1.2. Anhaltspunkte dafür, dass die österreichische Adoptivmutter der Beschwerdeführerin ihr gemeinschaftsrechtliches Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, ergeben sich weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid.

1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Zurückweisungsbeschluss vom 20. Juni 2009, G 125/08-6, die Auffassung vertreten, dass die Fremdenpolizeibehörde bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 53 Abs. 1 FPG vorliegen, weil ein Fremder sich unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, ausschließlich zu prüfen hat, ob die (gemäß § 3 NAG der Niederlassungsbehörde obliegende) Dokumentation (der in § 54 NAG geregelte Niederlassungsnachweis) des direkt im Gemeinschaftsrecht begründeten Niederlassungsrechtes vorliegt. Die Fremdenpolizeibehörde hat hingegen nicht zu prüfen, ob der Fremde gemäß §§ 54 iVm 57 NAG tatsächlich zur Niederlassung in Österreich berechtigt ist.

Ein Antrag auf Erteilung einer (humanitären) Niederlassungsbewilligung als Familienangehöriger kann den Aufenthalt eines Fremden nur unter ganz besonderen Umständen legalisieren (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 31. März 2008, Zl. 2008/18/0094, und vom 16. Dezember 2008, Zl. 2008/18/0754), wie im Übrigen auch im Inland gestellte Anträge nach § 43 Abs. 2 sowie § 44 Abs. 3 und 4 NAG gemäß § 44b Abs. 3 NAG kein Aufenthalts- oder Bleiberecht begründen und an der Unrechtmäßigkeit des Aufenthaltes und der Zulässigkeit der Ausweisung im Grunde des § 53 Abs. 1 FPG nichts ändern (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 2009, Zl. 2009/18/0217).

1.4. Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, im September 2003 mit einem Visum C nach Österreich gekommen sowie - nach ihrer Ausreise im Sommer 2005 - im Oktober 2005 unrechtmäßig nach Österreich zurückgekehrt zu sein und noch nie über einen Aufenthaltstitel verfügt zu haben. Da sie sich nicht rechtmäßig iSd § 31 FPG im Bundesgebiet aufhält und ihr bisher kein Niederlassungsnachweis (Daueraufenthaltskarte iSd § 54 NAG bzw. Aufenthaltskarte iSd Art. 10 Richtlinie 2004/38/EG ) ausgestellt worden ist, kann die Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, nicht als rechtswidrig erkannt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. September 2009, Zl. 2009/18/0278).

2.1. Die Beschwerde verweist darauf, dass ein schützenswertes Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK vorliege. Aus dem vorliegenden Akt würden sich "starke Argumente für eine umfassende Integration der (Beschwerdeführerin) ergeben". Die Beschwerdeführerin habe sich "zum Zeitpunkt der Knüpfung familienrechtlicher Bindungen durch Adoption sicher sein" können, im Inland einen Aufenthaltstitel zu erlangen. Grundsätzlich könne auch ein unrechtmäßiger Aufenthalt integrationsbegründend wirken. Die Aufenthaltsbeendigung sei nicht dringend geboten.

2.2. Nach der hg. Judikatur (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2008/18/0094) wäre die Beschwerdeführerin nur dann vor einer Ausweisung gestützt, wenn eine rasche bzw. sofortige Erteilung eines (humanitären) Aufenthaltstitels zur Abwendung eines unzulässigen Eingriffes in ein durch Art. 8 EMRK geschütztes Privat- oder Familienleben erforderlich wäre.

Die persönlichen Bindungen der Beschwerdeführerin in Österreich (sie ist geschieden und für zwei Kinder sorgepflichtig, eines ihrer Kinder befindet sich in Österreich, weitere familiäre Bindungen bestehen zu ihrer Adoptivmutter, wobei die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Begründung ihrer Angehörigeneigenschaft bereits 37 Jahre alt war und sie sich von Anfang an der "Unsicherheit" ihres weiteren rechtlichen Schicksals in Bezug auf ihr Aufenthaltsrecht bewusst gewesen sein muss) stellen jedoch - auch nach den in der Judikatur des EGMR dargestellten Kriterien (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juni 2009, Zl. 2009/18/0138) - keine besonderen Umstände im Sinn des Art. 8 EMRK dar, die es ihr unzumutbar machen würden, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Verfahrens zur Erteilung eines Aufenthaltstitels von Österreich auszureisen. Im Hinblick darauf ist die Ausweisung zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und daher gemäß § 66 Abs. 1 FPG zulässig.

3. Im Übrigen sind weder aus der Aktenlage noch aus der Beschwerde besondere Umstände ersichtlich, die die Behörde zu einer Abstandnahme von der Ausweisung im Rahmen des ihr gemäß § 53 Abs. 1 FPG eingeräumten Ermessens hätten veranlassen müssen.

4. Die Beschwerde war sohin gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 9. November 2009

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