VwGH 2007/09/0299

VwGH2007/09/029916.9.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde 1. der DS, 2. der BG, 3. des AG, 4. der GG, alle in X,

5. des DI Dr. techn. PF in G, und 6. des JH in X, alle vertreten durch Dr. Christian Böhm und Dr. Axel Reckenzaun, Rechtsanwälte in 8020 Graz, Annenstraße 10/1, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 12. Oktober 2006, Zl. FA7C-2- 7.3W/1-2006/1, betreffend Vorstellungsverfahren nach dem Steiermärkischen Prostitutionsgesetz (mitbeteiligte Partei: RW in G, vertreten durch Mag. Dr. Karner und Mag. Dr. Mayer, Rechtsanwaltspartnerschaft in 8010 Graz, Steyrergasse 103/2), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs4 Z1;
AVG §8;
B-VG Art119a Abs5;
GdO Stmk 1967 §94;
ProstG Stmk 1998 §4;
ProstG Stmk 1998 §6;
ProstG Stmk 1998 §7;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §68 Abs1;
AVG §68 Abs4 Z1;
AVG §8;
B-VG Art119a Abs5;
GdO Stmk 1967 §94;
ProstG Stmk 1998 §4;
ProstG Stmk 1998 §6;
ProstG Stmk 1998 §7;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 30. Jänner 2006 suchte der Mitbeteiligte bei der Marktgemeinde X um eine Bordellbewilligung für den Standort in G. an.

Den beschwerdeführenden Parteien wurde auf deren Antrag mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 13. Februar 2006 die Parteistellung in diesem Bewilligungsverfahren zuerkannt und damit begründet, dass durch den Betrieb des Bordells in die Rechtssphäre der Nachbarschaft eingegriffen werden könnte und für die Bejahung der Parteistellung bereits die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ausreichen würde.

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X vom 17. März 2006 wurde dem Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Bordellbewilligung am genannten Standort gemäß § 4 iVm §§ 6 und 7 des Steiermärkischen Prostitutionsgesetzes erteilt.

Die gegen diesen Bescheid von den beschwerdeführenden Parteien erhobene Berufung hat der Gemeinderat der Marktgemeinde X mit Bescheid vom 12. April 2006 als unbegründet abgewiesen.

Aus Anlass der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der beschwerdeführenden Parteien gemäß Art. 119a Abs. 5 B-VG iVm § 94 der Steiermärkischen Gemeindeordnung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 12. Oktober 2006 der Bescheid des Gemeinderates der Marktgemeinde X vom 12. April 2006 aufgehoben und zur neuerlichen Entscheidung an den Gemeinderat der Marktgemeinde X verwiesen.

In ihrer Bescheidbegründung führte die belangte Behörde nach Darlegung des Verfahrensganges und Zitierung der maßgeblichen Gesetzesstellen im Wesentlichen zunächst aus, dass im erstinstanzlichen Bewilligungsverfahren entgegen der Rechtsansicht des Bürgermeisters der Marktgemeinde X den beschwerdeführenden Parteien keine Parteistellung zuerkannt werden hätte dürfen. Zwar normiere § 8 des AVG grundlegende Regelungen über Parteien und Beteiligte, beinhalte jedoch keine klaren Aussagen darüber, wann von einem Rechtsanspruch oder rechtlichen Interesse die Rede sein könne. Die Frage, wer in dem konkreten Verwaltungsverfahren Parteistellung inne habe, könne folglich nicht allein auf Grund des AVG gelöst, sondern müsse vielmehr aus der jeweils anzuwendenden materiellen Verwaltungsvorschrift abgeleitet werden. Gemäß den Bestimmungen des Steiermärkischen Prostitutionsgesetzes komme dem Nachbarn im Verfahren um Bewilligung eines Bordells keine Stellung als Partei zu; weiters handle es sich beim Bescheid des Bürgermeisters der Marktgemeinde X nicht um einen Feststellungsbescheid, sondern um einen Bescheid mit rechtsgestaltender Wirkung.

Die belangte Behörde setzte fort, dass die Bestimmung des § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG, die es einer Verwaltungsbehörde in Ausübung des Aufsichtsrechtes erlaube, rechtskräftige Bescheide aus dem Rechtsbestand zu beseitigen, in engem Zusammenhang mit dem in Art. 83 Abs. 2 B-VG verbürgten verfassungsgemäß garantierten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter zu sehen sei. Gemäß diesem verfassungsmäßigen Grundrecht und der entsprechenden Judikatur des Verfassungsgerichtshofes werde Art. 83 Abs. 2 B-VG auch dann durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen habe, z.B. wenn für die Entscheidung im Gesetz jede materielle Grundlage fehle. Das Steiermärkische Prostitutionsgesetz sehe keine Parteistellung der Nachbarn vor und beinhalte auch keinerlei Grundlage für den Bürgermeister als Bewilligungsbehörde der ersten Instanz, über Fragen der Parteistellung in inhaltlicher Form bescheidmäßig abzusprechen. Aufgabe der Gemeindebehörden sei es ausschließlich, im Vorverfahren die Vollständigkeit des Antrages bzw. der erforderlichen Unterlagen sowie im eigentlichen Verfahren die persönlichen und sachlichen Voraussetzungen für eine beantragte Bewilligungserteilung zu prüfen. Auch böten die allgemeinen Grundlagen über die Erlassung von Feststellungsbescheiden keine hinreichende Basis für die Entscheidung des Bürgermeisters, da es sich bei dem Bescheid vom 13. Februar 2006 nicht um einen Feststellungsbescheid, sondern um einen Bescheid mit rechtsgestaltender Wirkung handle, auf Grund dessen Personen eine Parteistellung zuerkannt worden sei, die sie entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen gar nicht innehaben. Im erstinstanzlichen Verfahren habe somit der Bürgermeister der Marktgemeinde X mit dem Bescheid vom 13. Februar 2006 eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihm entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen des Prostitutionsgesetzes überhaupt nicht zukomme. Die einzig mögliche im Rahmen seiner Zuständigkeiten korrekte Entscheidung des Bürgermeisters wäre ein zurückweisender Bescheid mangels Antragslegitimation bzw. mangels Parteistellung gewesen. Für eine inhaltliche Entscheidung im Zusammenhang mit Fragen der Parteistellung von Nachbarn biete das Materiengesetz keine Grundlage, der Bürgermeister habe folglich als sachlich unzuständige Behörde agiert.

Zur Berufungsentscheidung des Gemeinderates führte die belangte Behörde aus, dass dieser Bescheid vom 12. April 2006 insofern mit Rechtswidrigkeit behaftet sei, als die Behörde inhaltlich über eine Berufung abgesprochen habe, die vorweg als unzulässig zurückzuweisen gewesen wäre. Der Gemeinderat hätte vor einer Zurückweisung der Berufung zuerst den Bescheid des Bürgermeisters vom 13. Februar 2006 gemäß § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG mangels sachlicher Zuständigkeit des Bürgermeisters zur Zuerkennung der Parteistellung für nichtig erklären müssen und danach zur Beseitigung der rechtswidrig zuerkannten Parteistellung die gegenständliche Berufung mangels Parteistellung nach dem Steiermärkischen Prostitutionsgesetz als unzulässig zurückzuweisen gehabt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung durch den Verfassungsgerichtshof und Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 24. September 2007, B 1978/06-11, für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzte Beschwerde, in welcher die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, worin sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Wer durch den Bescheid eines Gemeindeorgans in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches im Bereiche der Landesvollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann gemäß § 94 der Steiermärkischen Gemeindeordnung nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Erlassung des Bescheides dagegen Vorstellung erheben, welche bei der Gemeinde einzubringen und von dieser der Aufsichtsbehörde vorzulegen ist. Die Aufsichtsbehörde hat den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt werden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zu verweisen.

Gemäß § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG können Bescheide von Amts wegen in wegen in Ausübung des Aufsichtsrechts von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde als nichtig erklärt werden, wenn der Bescheid von einer unzuständigen Behörde oder von einer nicht richtig zusammengesetzten Kollegialbehörde erlassen wurde.

Nach § 8 AVG sind Personen, die eine Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht, Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien.

Ein Feststellungsbescheid über die Parteistellung in einem bestimmten Verwaltungsverfahren ist an sich zulässig, um durch seinen Spruch, dem in diesem Fall Rechtskraftwirkung nicht abgesprochen werden kann, zu klären, ob einer bestimmten Person in dem betreffenden Verfahren Parteistellung zukommt und sie daher dem Verfahren beizuziehen ist. Die Zuständigkeit zu einer derartigen Entscheidung kommt den zur Sachentscheidung berufenen Behörden zu (vgl. etwa die in Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze I2, zu § 8 AVG unter E 255 ff abgedruckte hg. Judikatur).

2. Wie in der Beschwerde zutreffend aufgezeigt wird, verkennt die belangte Behörde in ihrer Argumentationskette, dass der Bürgermeister im erstinstanzlichen Verfahren betreffend die Bordellbewilligung auch zur Entscheidung über den Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung zuständig war und dieser Bescheid in Rechtskraft erwachsen ist. Der von der belangten Behörde dem Gemeinderat vorgezeichnete Weg, den erstinstanzlichen Bescheid zunächst gemäß § 68 Abs. 4 Z. 1 AVG zu beheben, ist somit verfehlt, da diese Bestimmung die amtswegige Behebung von Bescheiden durch die sachlich in Betracht kommende Oberbehörde als nichtig nur unter der Voraussetzung vorsieht, dass der Bescheid von einer unzuständigen Behörde getroffen wurde. Gerade dies ist aber hier nicht der Fall. In dem von den beschwerdeführenden Parteien (nach Rechtskraft dieses Bescheides) in weiterer Folge zur Bekämpfung des Berufungsbescheides des Gemeinderates hinsichtlich der Bordellbewilligung angestrengten Vorstellungsverfahren kommt der belangten Behörde eine inhaltliche Prüfung der Richtigkeit dieser Entscheidung über die Rechtsstellung der beschwerdeführenden Parteien daher nicht mehr zu.

Der angefochtene Bescheid ist dadurch mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 16. September 2010

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