VwGH 2007/09/0113

VwGH2007/09/011315.5.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der A V in W, vertreten durch Dr. Wilhelm Frysak, Rechtsanwalt in 1220 Wien, Wagramer Straße 81/2/2, gegen das Disziplinarerkenntnis des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom 20. April 2007, Zl. DS-D-800/2006, betreffend Verhängung der Disziplinarstrafe einer Geldstrafe, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §38;
BDG 1979 §48 impl;
DO Wr 1994 §26 Abs1 idF 2006/042;
DO Wr 1994 §76 Abs1 Z3;
EMRK Art6 Abs1;
VwGG §39;
VwRallg;
AVG §38;
BDG 1979 §48 impl;
DO Wr 1994 §26 Abs1 idF 2006/042;
DO Wr 1994 §76 Abs1 Z3;
EMRK Art6 Abs1;
VwGG §39;
VwRallg;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I. Die im Jahr 1955 geborene Beschwerdeführerin stand zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung als Hausarbeiterin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Bundeshauptstadt Wien.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen, nunmehr beim Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Disziplinarerkenntnis vom 20. April 2007 wurde die Beschwerdeführerin nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung schuldig erkannt, sie habe als Hausarbeiterin einer näher bezeichneten Dienststelle die festgesetzte Arbeitszeit nicht eingehalten, da sie in der Zeit vom 23. März bis 11. April 2005, vom 13. bis 22. April 2005 sowie vom

27. bis 28. April 2005 dem Dienst eigenmächtig und unentschuldigt ferngeblieben sei.

Die belangte Behörde wertete dieses Verhalten als Begehung einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 26 Abs. 1 der Dienstordnung 1994 - DO 1994, LGBl. Nr. 56/1994 idF Nr. 42/2006, und verhängte - in teilweiser Stattgebung der Berufung der Beschwerdeführerin gegen das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis, womit die Disziplinarstrafe der Entlassung ausgesprochen worden war - über die Beschwerdeführerin gemäß § 76 Abs. 1 Z. 3 DO 1994 wegen dieser Dienstpflichtverletzung eine Geldstrafe in der Höhe des 7-fachen des Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage (gleichzeitig wurde das Verfahren hinsichtlich weiterer näher bezeichneter Tatzeiträume im Jahr 2004 eingestellt).

In der Begründung zum hier gegenständlichen Schuld- und Strafausspruch stützte die belangte Behörde diese Entscheidung - im Anschluss an eine zusammenfassende Wiedergabe des Verfahrensganges, u.a. des erstinstanzlichen Bescheides und der Berufung sowie neben Zitierung der maßgebenden gesetzlichen Bestimmungen und Darlegung der von ihr als im vorliegenden Fall relevant erachteten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:

Unbestritten sei, dass der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 2 - Personalservice als Dienstbehörde mit rechtskräftigem Bescheid vom 3. Juni 2005 hinsichtlich der vom Schuldspruch umfassten Zeiträume festgestellt habe, dass die Beschwerdeführerin den Anspruch auf ihr Diensteinkommen verloren habe, weil sie dem Dienst eigenmächtig und unentschuldigt ferngeblieben sei.

Auf Grund der daraus resultierenden Bindungswirkung betreffend das eigenmächtige und unentschuldigte Fernbleiben der Beschwerdeführerin im Tatzeitraum sei es der belangten Behörde im Disziplinarverfahren verwehrt gewesen, den Tatvorwurf einer neuerlichen Prüfung zu unterziehen. Da die Einhaltung der Arbeitszeit eine der grundlegendsten Dienstpflichten darstelle, könnten im Rahmen der durchzuführenden Strafbemessung lediglich die besonderen Umstände des Fernbleibens der Beschwerdeführerin vom Dienst bei der Beurteilung des Ausmaßes der Schuld bzw. bei der Beantwortung der Frage, ob die Beschwerdeführerin für die Dienstgeberin untragbar geworden sei, noch eine Rolle spielen.

Dazu führte die belangte Behörde aus wie folgt (Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof, Schreibfehler im Original):

"Im vorliegenden Fall steht für den Dienstrechtssenat der Stadt Wien auf Grund der ärztlichen Gutachten und Befunde, der Zeugenaussagen und der Aussage der (Beschwerdeführerin) fest, dass sie seit Jahren an Schmerzen litt. Aus orthopädischer Sicht wurde ein gewisses - wenn auch nicht die Dienstunfähigkeit bewirkendes - Substrat für diese Schmerzen bestätigt. Die Zeugin Dr. S.-C. gab an, dass der Patientenbrief des orthopädischen Spitals S. vom 24. August 2006 dem orthopädischen Zustand zur verfahrensgegenständlichen Zeit entspreche. In diesem wird über einen stationären Aufenthalt berichtet, es werden acht Diagnosen (Lumboischialgie, Dorsalgie, Zervikozephales Syndrom, Bandscheibenschaden L3/4 mit Radikulopathie, Coxarthrose einseitig, Hyperlordose der HWS, Osteochondrose zervikal, Spondylarthrose) genannt und insgesamt elf Therapien angeführt, was insgesamt den Schluss auf gesundheitliche Probleme der (Beschwerdeführerin) zulässt. Auch der neurologisch-psychiatrische Amtssachverständige Dr. B. ging davon aus, dass die (Beschwerdeführerin) sicherlich Schmerzen gespürt habe, auch wenn sie seiner Ansicht nach übertrieben habe. Der Zeuge Dr. H. nannte als plausible Erklärung für die Ursachen der Schmerzen rheumatische Beschwerden, die erst dann nachgewiesen werden könnten, wenn bereits Entzündungsherde vorlägen. Wenn die Amtsärzte keine konkrete Ursache für die chronischen Schmerzen fanden, bedeutet dies also nach den dargestellten Zeugenaussagen noch nicht, dass die Schmerzen nur vorgetäuscht wurden. Gegen eine solche Annahme sprechen vor allem die zahlreichen in Kauf genommenen Untersuchungen und Therapien und die Tatsache, dass die (Beschwerdeführerin) in den letzten eineinhalb Jahren deutlich weniger Krankenstände aufwies, sodass ausgeschlossen werden kann, dass sie mit den Schmerzangaben nur auf eine Ruhestandsversetzung zielte. Sie unterzog sich allen bekannten Behandlungen und Therapien. Sie absolvierte den Kuraufenthalt, physikalische Therapien, Infiltrationen, Infusionen, war in der Schmerzambulanz und stationär in der Abteilung für orthopädische Schmerztherapie im orthopädischen Spital S. und suchte verschiedene Fachärzte auf (für Orthopädie, Rheumatologie, Neurologie, Psychiatrie). Sie wirkte nach den im Berufungsverfahren getätigten, übereinstimmenden Zeugenaussagen aktiv an der Besserung ihres Schmerzleidens mit und kam der Vielzahl an Ladungen zu amtsärztlichen Untersuchungen immer nach.

Zusammenfassend ergibt sich somit für den erkennenden Senat das Bild, dass die (Beschwerdeführerin) seit Jahren an steten gesundheitlichen Beeinträchtigungen - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß - litt, die zwar in den verfahrensgegenständlichen Zeiträumen - objektiv gesehen - nicht zur Dienstunfähigkeit führten, aber auf Grund ihrer Therapieresistenz gepaart mit der auch vom psychiatrischen Amtssachverständigen wahrgenommenen schwierigen Persönlichkeitsstruktur, die mit einer geringen sozialen Kompetenz verbunden ist, bei der Strafbemessung zu berücksichtigen sind.

Auf Grund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles, die darin zu erblicken sind, dass die (Beschwerdeführerin) als Hausarbeiterin in erster Linie körperlichen Anstrengungen ausgesetzt ist, sie nicht entgegen besseren Wissens eine Krankheit lediglich vortäuschte, sondern - subjektiv beherrscht von ihren Schmerzen - von ihrer - objektiv nicht gegebenen - Dienstunfähigkeit überzeugt war und bisher disziplinarrechtlich unbescholten gewesen ist, kam der erkennende Senat zu der Überzeugung, dass die (Beschwerdeführerin) für die Dienstgeberin nicht untragbar im Sinne der (zuvor zitierten) Untragbarkeitsthese geworden ist und noch mit der höchstmöglichen Geldstrafe das Auslangen gefunden werden konnte, da diese der Schwere der Dienstpflichtverletzung gerecht und auch zum Ausdruck bringt, dass das Verhalten der (Beschwerdeführerin) nicht im Geringsten gebilligt wird. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass sie lediglich über eine begrenzte intellektuelle Begabung verfügt, sodass ihr die Tragweite ihrer Handlungen weit weniger (wenn auch nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit ausschließenden Ausmaß) einsichtig ist als einem durchschnittlichen Beamten. Erschwerend waren der längere Tatzeitraum sowie die Tatsache zu werten, dass eigenmächtige und unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst zu den schwerwiegendsten Dienstpflichtverletzungen zählen."

Gegen diesen Bescheid richtet sich im Umfang des Schuld- und Strafausspruches die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

II. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

II.1. Gemäß § 26 Abs. 1 des Gesetzes über das Dienstrecht der Beamten der Bundeshauptstadt Wien (Dienstordnung 1994), LGBl. Nr. 56/1994 idF Nr. 42/2006 (im Weiteren: DO 1994), hat der Beamte die festgesetzte Arbeitszeit einzuhalten.

Nach § 31 Abs. 1 DO 1994 hat der Beamte, wenn er durch Krankheit, Unfall oder einen anderen wichtigen, seine Person betreffenden Grund verhindert ist, den Dienst zu versehen, dies dem Vorgesetzten unverzüglich zu melden. Der Beamte hat den Grund für die Dienstverhinderung unverzüglich zu bescheinigen, wenn es der Vorgesetzte verlangt oder wenn die Dienstverhinderung länger als drei aufeinander folgende Kalendertage dauert. Die Dienstverhinderung durch Krankheit oder Unfall ist durch eine ärztliche Bestätigung oder durch eine Aufenthaltsbestätigung einer Krankenanstalt zu bescheinigen.

Ein wegen Krankheit, Unfall oder gemäß § 62 DO 1994 vom Dienst abwesender Beamter hat sich auf Verlangen des Magistrats einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen, an dieser Untersuchung, sofern es ihm zumutbar ist, mitzuwirken und sich gegebenenfalls einer zumutbaren Krankenbehandlung zu unterziehen. Wurde auf Grund der ärztlichen Untersuchung die Dienstfähigkeit des Beamten durch einen Amtsarzt bescheinigt, so darf abweichend von Abs. 1 eine innerhalb der darauf folgenden vier Monate eintretende Dienstverhinderung wegen Krankheit nur durch einen Amtsarzt bescheinigt werden. Der Magistrat hat den Beamten unverzüglich nach Einlangen der Meldung über die Dienstverhinderung durch einen Amtsarzt untersuchen zu lassen (§ 31 Abs. 2 DO 1994). Die Abwesenheit vom Dienst gilt als nicht gerechtfertigt, wenn der Beamte den sich aus Abs. 1 bis 3 ergebenden Verpflichtungen nicht nachkommt (§ 31 Abs. 4 DO 1994).

Gemäß § 32 Abs. 1 erster Satz DO 1994 verliert ein Beamter, der eigenmächtig und unentschuldigt dem Dienst fernbleibt, für die Zeit einer solchen Abwesenheit den Anspruch auf sein Diensteinkommen.

Gemäß § 75 Abs. 1 DO 1994 ist ein Beamter, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, nach dem 8. Abschnitt (Disziplinarrecht) zur Verantwortung zu ziehen.

Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist Abs. 1 nicht anzuwenden, wenn eine Belehrung oder Ermahnung (§ 34 Abs. 1 DO 1994) ausreicht, weil die Voraussetzungen des § 97 Abs. 1 Z. 4 vorliegen.

Gemäß § 76 Abs. 1 DO 1994 sind Disziplinarstrafen:

  1. 1. der Verweis,
  2. 2. die Geldbuße bis zum 1,5fachen des Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage,

    3. die Geldstrafe bis zum 7fachen des Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage,

    4. die Entlassung.

    Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist in den Fällen des Abs. 1 Z. 2 und 3 die verhängte Strafe in einem Vielfachen des Monatsbezuges (auf Zehntel genau) nach den im § 77 DO 1994 festlegten Grundsätzen zu bemessen. Bei der Berechnung der betragsmäßigen Höhe der Geldbuße oder Geldstrafe ist von dem Monatsbezug auszugehen, der der besoldungsrechtlichen Stellung entspricht, die der Beamte im Zeitpunkt der mündlichen Verkündung des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses, im Falle einer Disziplinarverfügung im Zeitpunkt der Ausfertigung derselben, erreicht hat.

    Gemäß § 77 Abs. 1 DO 1994 ist für die Höhe der Strafe die Schwere der Dienstpflichtverletzung maßgebend. Dabei ist insbesondere Rücksicht zu nehmen

    1. inwieweit das Vertrauen des Dienstgebers in die Person des Beamten durch die Dienstpflichtverletzung beeinträchtigt wurde

    2. inwieweit die beabsichtigte Strafe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten

    3. sinngemäß auf die gemäß §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches, BGBl. Nr. 60/1974, für die Strafbemessung maßgebenden Gründe.

    II.2. Im vorliegenden Fall vermeint die Beschwerdeführerin unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit des Inhaltes, dass sich die belangte Behörde zu Unrecht an den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 3. Juni 2005 gebunden gefühlt habe, weiters habe die belangte Behörde das Verschulden einer Dienstpflichtverletzung (subjektive Tatseite) nicht geprüft und bei der Strafbemessung einen Ermessensfehler begangen, indem sie bei einem geringen Verschulden der Beschwerdeführerin die höchste Geldstrafe verhängt habe. Unter dem Gesichtspunkt der Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften macht sie überdies Begründungsmängel hinsichtlich der subjektiven Tatseite und der Strafbemessung geltend.

    Der Beschwerde kommt schon Berechtigung zu, soweit sie sich gegen die von der belangten Behörde angenommene Bindungswirkung an den Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom 3. Juni 2005 richtet:

    Gemäß § 38 AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

    Eine Vorfrage im Sinne des § 38 AVG liegt nur dann vor, wenn es sich um eine für das gegenständliche Verfahren präjudizielle Rechtsfrage handelt, über die in einem anderen Verfahren als Hauptfrage bindend abzusprechen ist. Diese Konstellation liegt aber im vorliegenden Fall nicht vor, da im Disziplinarverfahren die Frage, ob die Disziplinarbeschuldigte unentschuldigt vom Dienst ferngeblieben und daher eine Strafe über sie zu verhängen ist, Hauptfrage des Verfahrens ist. Die rechtliche Situation besteht also darin, dass an denselben Sachverhalt (unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst) durch verschiedene Vorschriften mehrere Rechtsfolgen geknüpft sind, über die verschiedene Behörden (jeweils als Hauptfrage!) zu erkennen haben. In dieser Situation kann keine Vorfragenbindung einer der beiden Behörden an die Entscheidung der jeweils anderen Behörde bestehen; eine Bindung könnte nur dann gegeben sein, wenn diese gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist, wie z.B. hinsichtlich verurteilender strafgerichtlicher oder verwaltungsbehördlicher Erkenntnisse (vgl. dazu auch die grundlegende Arbeit von Walter, Probleme der Bindung an sozialversicherungsrechtliche Entscheidungen im Zivilprozess, FS Schmitz I, 1967, S. 459 ff, insbesondere S. 466; weiters VfSlg. 14.940/1997; Hengstschläger,

    Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Auflage, 2009, Rz 284; Thienel,

    Verwaltungsverfahrensrecht, 4. Auflage, 2006, S. 150; zu alldem auch Hengstschläger/Leeb, Kommentar zum Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Teilband, 2005, Rz 9 zu § 38, mwN).

    Darüber hinaus zeigt die Beschwerdeführer auch zutreffend auf, dass sich die belangte Behörde (ausgehend von der - nicht vorliegenden - Bindungswirkung) nicht ausreichend mit der konkreten Vorwerfbarkeit der inkriminierten Dienstpflichtverletzung und damit dem Grad des Verschuldens der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt hat (vgl. dazu auch die im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, zum BDG 1979 entwickelten Grundsätze, welche sinngemäß auch für die Auslegung des § 77 Abs. 1 erster Satz sowie Z. 2 und Z. 3 DO 1994 gelten).

    Nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 leg. cit. sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (§§ 37 ff AVG), die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), Seite 1044 wiedergegebene ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

    Diesen Erfordernissen wird der angefochtene Bescheid insoweit nicht gerecht, als es die belangte Behörde in Verkennung des Nichtvorliegens einer Bindungswirkung des Bescheides der Dienstbehörde vom 3. Juni 2005 verabsäumte, Feststellungen zur objektiven Tatseite sowie zur Vorwerfbarkeit der inkriminierten Dienstpflichtverletzung zu treffen und nur auf die Strafbemessung eingegangen ist; somit leidet er unter Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

    Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde, sofern sie neuerlich das Verhalten der Beschwerdeführerin als Begehung einer Dienstpflichtverletzung gemäß § 26 Abs. 1 DO 1994 werten und zu dem selben Verfahrensergebnis gelangen sollte, ebenso zu begründen haben, wieso trotz Wegfalles des weitaus überwiegenden Teiles der im erstinstanzlichen Verfahren inkriminierten Abwesenheitszeiten die Ausschöpfung des Höchstmaßes der Disziplinarstrafe gemäß § 76 Abs. 1 Z. 3 DO 1994 unter Berücksichtigung der bisherigen disziplinarrechtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin, ihrer Persönlichkeitsstruktur und ihrer zugestandenen gesundheitlichen Beeinträchtigung gerechtfertigt wäre.

    Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

    Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben. Dem steht auch Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht entgegen: Der EGMR sieht den Entfall der nach dieser Bestimmung grundsätzlich gebotenen öffentlichen Verhandlung dann als zulässig an, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die eine Ausnahme davon rechtfertigen (vgl. etwa die Urteile des EGMR in den Fällen Jussila gegen Finnland, 23. November 2006, Nr. 73053/01; Bösch gegen Österreich, 3. Mai 2007, Nr. 17912/05; Hofbauer gegen Österreich 2, 10. Mai 2007, Nr. 7401/04). Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände etwa dann angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder hoch technische Fragen betrifft; der Gerichtshof verwies in diesem Zusammenhang aber auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige. Im vorliegenden Beschwerdefall ging es um rechtliche Fragen, nämlich insbesondere die in der Beschwerde angezweifelten Bindungswirkung eines dienstbehördlichen Bescheides im Disziplinarverfahren. Im Hinblick darauf, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Grundlage des von der belangten Behörde angenommenen Sachverhaltes zu überprüfen hat (§ 41 Abs. 1 VwGG), ist nicht ersichtlich, welchen Beitrag zur Feststellung des Sachverhaltes die vom Beschwerdeführer begehrte öffentliche mündliche Verhandlung hätte leisten können. Zudem wurde der Beschwerde im Ergebnis ohnedies stattgegeben, womit im fortgesetzten Verfahren weitere Ermittlungen anzustellen sind und der Beschwerdeführer die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens darzulegen. Angesichts der in der Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend gemachten Rechte sowie nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise war somit im vorliegenden Fall die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung nicht geboten.

    Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

    Wien, am 15. Mai 2009

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