VwGH 2007/08/0035

VwGH2007/08/003525.5.2011

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde der R W in E, vertreten durch Dr. Klaus Mayr, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für OÖ, dieser vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Bürgerstraße 62, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 23. Jänner 2007, Zl. LGSOÖ/Abt.4/056600986/2006- 10, betreffend Anspruch auf Pensionsversicherung gemäß § 34 AlVG, zu Recht erkannt:

Normen

31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit Art4;
AlVG 1977 §34;
ASVG §227 Abs1 Z5;
ASVG §617 Abs3;
ASVG §8 Abs1 Z2 litb;
31979L0007 Gleichbehandlungs-RL Soziale Sicherheit Art4;
AlVG 1977 §34;
ASVG §227 Abs1 Z5;
ASVG §617 Abs3;
ASVG §8 Abs1 Z2 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 2004, Zl. 2002/08/0276, verwiesen, worin der Verwaltungsgerichtshof die von der Beschwerdeführerin erhobene Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 16. Juli 2002, mit dem der Beschwerdeführerin mangels Notlage - das anzurechnende Einkommen des Ehemannes der Beschwerdeführerin überstieg nach der Begründung das Ausmaß der Notstandhilfe - keine Notstandshilfe zuerkannt worden ist, als unbegründet abgewiesen hat. Die von der Beschwerdeführerin mit Schreiben an die belangte Behörde vom 5. April 2005 angestrengte Wiederaufnahme des genannten Verfahrens gemäß § 69 AVG blieb erfolglos (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2006, Zl. 2006/08/0002).

Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde der Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice T vom 11. Oktober 2006, womit ausgesprochen worden ist, dass kein Anspruch auf Pensionsversicherung der Beschwerdeführerin gemäß § 34 AlVG bestehe, keine Folge gegeben.

In der Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin "aufgrund der Partneranrechnung (Ehegatte)" seit 1. Juni 2006 keinen Anspruch auf Notstandshilfe habe. Vom 1. Juni bis einschließlich 19. September 2006 sei sie beim AMS arbeitsuchend vorgemerkt gewesen, wobei die Voraussetzungen (arbeitsfähig, arbeitslos, arbeitswillig, Einhaltung der Termine und Meldepflichten) für den Anspruch auf Pensionsversicherung - abgesehen von der Bestimmung betreffend das Alter des/der Arbeitslosen - erfüllt gewesen seien. Den Anspruch auf Pensionsversicherung hätten gemäß § 34 AlVG jedoch nur Personen, die - abgesehen von den übrigen Voraussetzungen - nach dem 31. Dezember 1954 geboren seien; dies treffe für die am 27. November 1950 geborene Beschwerdeführerin nicht zu.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes geltend machende Beschwerde, worin sich die Beschwerdeführerin in ihrem "Recht auf den Pensionsversicherungsanspruch für die Zeit vom 1.6.2006 bis 19.9.2006 gemäß § 34 AlVG" verletzt erachtet.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 14. Jänner 2004, Zl. 2002/08/0038, ausgeführt hat, hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) die Auffassung vertreten, dass eine indirekte Diskriminierung im Sinne des Art. 4 der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (in der Folge: RL) durch sozialpolitische Gründe gerechtfertigt werden kann. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird verwiesen.

Vor diesem Hintergrund hat der Verwaltungsgerichtshof in den Erkenntnissen vom 14. Jänner 2004, Zlen. 2002/08/0038 und 2002/08/0202, aus den in deren Begründung dargelegten Erwägungen die Auffassung vertreten, dass die in § 36 AlVG iVm § 6 der Notstandshilfeverordnung angeordnete Berücksichtigung des Einkommens eines im gemeinsamen Haushalt mit einer arbeitslosen Person lebenden Ehepartners (bzw. Lebensgefährten) bei Beurteilung der Notlage auch unter Bedachtnahme auf den Umstand, dass dadurch wesentlich mehr Frauen als Männer Einbußen in ihren Ansprüchen auf Notstandshilfe erleiden bzw. dieses Anspruchs zur Gänze verlustig gehen, nicht dem Diskriminierungsverbot des Art. 4 Abs. 1 RL widerspricht. Die vorliegende indirekte Diskriminierung konnte nämlich, soweit es die Gewährung von Notstandshilfe betrifft, mit dem sozialpolitischen Zweck der Leistungsgewährung nur an Bedürftige gerechtfertigt werden.

2. Gemäß § 227 Abs. 1 Z. 5 ASVG idF BGBl. I Nr. 179/1999 (in der Fassung vor dem SVÄG) gelten als Ersatzzeiten aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1955:

"5. in dem Zweig der Pensionsversicherung, in dem die letzte vorangegangene Beitragszeit vorliegt, die Zeiten, während derer der Versicherte nach dem 31. Dezember 1970 wegen Arbeitslosigkeit eine Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung nach dem Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977, BGBl. Nr. 609, oder Überbrückungshilfe nach dem Überbrückungshilfegesetz, BGBl. Nr. 174/1963, bezog bzw. die Zeiten, während derer der Anspruch auf Arbeitslosengeld ausschließlich gemäß § 16 Abs. 1 lit. l des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 geruht hat".

Der Gesetzgeber hat mit der zu § 34 Abs.1 AlVG idF BGBl. I Nr. 92/2000 geschaffenen Regelung für bestimmte Jahrgänge das System der Gewährung von Ersatzzeiten in Abhängigkeit zu einem Leistungsbezug nach dem AlVG aufrechterhalten, es jedoch auf Personen erstreckt, die wegen der Partneranrechnung keine Notstandshilfe beziehen konnten. So lautete § 34 Abs. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 92/2000:

"(1) Wer wegen der Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners (des Lebensgefährten bzw. der Lebensgefährtin) mangels Notlage keinen Anspruch auf Notstandshilfe hat und als Arbeitsloser im Jahr 2000 dem Jahrgang 1940, im Jahr 2001 dem Jahrgang 1940 oder 1941 und im Jahr 2002 dem Jahrgang 1940, 1941 oder 1942 angehört und als Arbeitslose im Jahr 2000 dem Jahrgang 1945, im Jahr 2001 dem Jahrgang 1945 oder 1946 und im Jahr 2002 dem Jahrgang 1945, 1946 oder 1947 angehört, erwirbt für die Dauer der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für die Notstandshilfe eine Ersatzzeit und eine Anspruchsvoraussetzung für die vorzeitige Alterspension bei Arbeitslosigkeit in der Pensionsversicherung aus dem Titel einer Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung."

§ 227 Abs. 1 Z. 5 ASVG knüpfte durch Aufnahme eines Verweises ("ferner die Zeiten nach § 34 Abs. 1 AlVG") idF des SVÄG 2000 daran an. Art. 2 Z. 15 des 2. SVÄG 2003, BGBl. I Nr. 145/2003, änderte die Verweisung sprachlich ("ferner Zeiten des Ausschlusses vom Bezug der Notstandshilfe nach § 34 AlVG") und das Pensionsharmonisierungsgesetz BGBl. I Nr. 142/2004 begrenzte - bei insoweit unverändertem Wortlaut - den Geltungsbereich des § 227 ASVG auf Zeiten vor dem 1. Jänner 2005.

Seit 1. Jänner 2005 wurde § 34 AlVG mit BGBl. I Nr. 142/2004 wie folgt geändert:

"§ 34. Wer ausschließlich wegen der Berücksichtigung des Einkommens des Ehepartners (der Ehepartnerin, des Lebensgefährten, der Lebensgefährtin) mangels Notlage keinen Anspruch auf Notstandshilfe hat, hat für die Dauer der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für den Bezug von Notstandshilfe Anspruch auf Pensionsversicherung wie während des Bezuges von Notstandshilfe. Auf den Anspruch auf Pensionsversicherung sind insbesondere § 7, mit Ausnahme des Abs. 1 Z 2 und 3, sowie die §§ 8 bis 13, 16, 17, 22, 24, 46, 47, 49 und 50 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Arbeitslosengeldes der Pensionsversicherungsanspruch tritt. Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen für den Fortbezug von Notstandshilfe gemäß § 37 erfüllt sind, sind Zeiträume mit Anspruch auf Pensionsversicherung Zeiträumen des Bezuges von Notstandshilfe gleich zu stellen. Die Pensionsversicherung ist jeweils für einen bestimmten, jedoch 52 Wochen nicht übersteigenden Zeitraum zu gewähren."

Gemäß § 617 Abs. 3 ASVG gilt dieser mit § 34 AlVG idF BGBl. I Nr. 142/2004 iVm § 8 Abs. 1 Z. 2 lit. b ASVG eingeführte Anspruch auf die Gewährung von Beitragszeiten zur Pensionsversicherung nur für Personen, die ab dem 1. Jänner 1955 geboren sind, nicht also für Jahrgänge, die weder von der früheren Regelung des § 34 noch von der Neuregelung des § 34 AlVG erfasst sind.

Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass sich die aus der Anrechnung des Partnereinkommens ergebende indirekte Diskriminierung von Frauen angesichts des notwendigerweise identen Personenkreises in gleicher Weise bei der Anrechnung von Zeiten der Arbeitslosigkeit in der Pensionsversicherung ergibt, soweit diese Anrechnung vom Bezug der Notstandshilfe abhing (vgl. § 227 Abs. 1 Z. 5 ASVG in der Fassung vor dem SVÄG 2000, BGBl. I Nr. Nr. 92/2000). Die für die Gewährung einer Leistung bei Bedürftigkeit herangezogene sozialpolitische Rechtfertigung kann aber nicht auch für die Gewährung oder Versagung von Pensionsversicherungszeiten herangezogen werden. Es besteht nämlich kein sachlicher Zusammenhang, der die Anerkennung von Zeiten zur Pensionsversicherung ebenfalls in Abhängigkeit vom Aspekt der Bedürftigkeit als gerechtfertigt erscheinen lassen könnte; dies würde vielmehr zum Ergebnis einer "doppelten" Diskriminierung führen, indem Bedürftige neben der Zuerkennung von Notstandshilfe auch Pensionsversicherungszeiten angerechnet erhalten, während für Nicht-Bedürftige keines von beiden in Betracht käme.

Der Verwaltungsgerichtshof ist daher der Auffassung, dass hinsichtlich jener nicht erfassten Jahrgänge, darunter auch jener der (am 27. November 1950 geborenen) Beschwerdeführerin, in der Nichtzuerkennung von Pensionsversicherungszeiten trotz vorliegender Meldung als Arbeitsuchende eine aus sozialpolitischen Gründen nicht zu rechtfertigende Diskriminierung im Sinne des Art. 4 der eingangs genannten Richtlinie vorliegt und dass diese Diskriminierung im Falle der Beschwerdeführerin für die im vorliegenden Verfahren strittigen Zeiträume dadurch zu beheben ist, dass § 617 Abs. 3 ASVG unangewendet zu bleiben hat.

Diese Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes wurde den Parteien im Hinblick auf § 41 Abs. 1 zweiter Satz VwGG zur Kenntnis gebracht und Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. In den eingebrachten Stellungnahmen hat sich die Beschwerdeführerin der Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes angeschlossen, während sich die belangte Behörde gegen die Nichtanwendung von § 617 Abs. 3 ASVG im erwähnten Umfang ausgesprochen hat. Die dazu von der belangten Behörde im Wesentlichen ins Treffen geführten verfassungsrechtlichen Bedenken, dass dadurch eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dahingehend erzielt würde, dass vor dem 1. Jänner 1955 geborene Personen mit Leistungsanspruch nur Ersatzzeiten, jedoch jene Personen, die auf Grund der Anrechnung des Partnereinkommens keinen Leistungsanspruch haben, sogar eine Versicherungszeit (gemeint: Beitragszeit) erwerben würden, vermag der Verwaltungsgerichtshof - insbesondere vor dem Hintergrund, dass der zweiten Personengruppe, soweit es die Gewährung von Notstandshilfe betrifft, durch Anrechnung des Partnereinkommens die dargelegte indirekte Diskriminierung widerfährt - nicht zu teilen.

3. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 25. Mai 2011

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