Normen
AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs3;
B-VG Art8;
EMRK Art6 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AVG §13 Abs3;
AVG §63 Abs3;
B-VG Art8;
EMRK Art6 Abs1;
VwGG §39 Abs2 Z6;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführer gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz vom 11. September 2006, mit dem der mitbeteiligten Partei gemäß §§ 81, 77 und 353 ff GewO 1994 die gewerbebehördliche Betriebsanlagengenehmigung für ein näher umschriebenes Vorhaben erteilt worden war, gemäß § 13 Abs. 3 AVG zurückgewiesen. In ihrer Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführer gäben zur Begründung ihrer Berufung u.a. auszugsweise näher genannte Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in englischer Sprache wieder. Diese als wesentlicher Bestandteil der Begründung zu wertenden Auszüge erstreckten sich über ca. 14 Seiten der 28- seitigen Berufungsschrift. Die Berufung nehme mehrfach direkt auf die in englischer Sprache wiedergegebenen Urteile Bezug. Die belangte Behörde habe den Beschwerdeführern mit Schreiben vom 10. Oktober 2006 aufgetragen, die Berufung binnen zwei Wochen vollständig in deutscher Sprache einzubringen. Nach Art. 8 Abs. 1 B-VG sei die deutsche Sprache, unbeschadet der den sprachlichen Minderheiten bundesgesetzlich eingeräumten Rechte, die Staatssprache der Republik. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien schriftliche und mündliche Anbringen grundsätzlich in deutscher Sprache zu formulieren; ebenso wie bei unzulässigen könne auch bei fremdsprachigen Eingaben von der Behörde nach § 13 Abs. 3 AVG vorgegangen werden (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000, Zl. 2000/12/0026). Nichts anderes könne auch für Anbringen gelten, die in wesentlichen Teilen nicht in deutscher Sprache verfasst seien. Im gegenständlichen Fall sei knapp die Hälfte des Berufungsvorbringens in englischer Sprache formuliert. Bei Mehrparteienverfahren wie dem vorliegenden könne keinesfalls verlangt werden, dass auch den Antragsgegnern bzw. den anderen Parteien und Beteiligten des Verfahrens diese Rechtsprechung bekannt sei. Es sei unerlässlich, das gesamte Anbringen in deutscher Sprache zu verfassen, um auch diese Personen in die Lage zu versetzen, den Inhalt eines Anbringens zu verstehen, damit diesbezügliche Argumente vorgetragen werden könnten.
2. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 27. Februar 2007, B 7/07-3, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten hat.
In der vor dem Verwaltungsgerichtshof ergänzten Beschwerde machen die Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde. Die mitbeteiligte Partei hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
3. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
3.1. Im vorliegenden Fall sind nachstehende Bestimmungen maßgeblich:
§ 13 AVG idF BGBl. I Nr. 10/2004 lautet (auszugsweise):
"…
(3) Mängel schriftlicher Anbringen ermächtigen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels mit der Wirkung auftragen, daß das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf einer gleichzeitig zu bestimmenden, angemessenen Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
…"
§ 63 AVG idF BGBl. I Nr. 158/1998 lautet (auszugsweise):
"...
(3) Die Berufung hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.
…"
3.2. Die Beschwerdeführer bringen im Wesentlichen vor, der gesamte eigene Text der Berufung sei zur Gänze in deutscher Sprache abgefasst, nur die Zitate aus der Rechtsprechung des EGMR seien in der Originalsprache Englisch belassen. Das eigene Vorbringen umfasse etwa zwei Drittel des Textes, die Urteilszitate in englischer Sprache etwa ein Drittel des Textes, wobei die Berufung auch ohne Zitate in sich abgeschlossen, schlüssig und lesbar sei. Nur der englische und der französische Text der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) seien authentisch, was bedeute, dass die Gerichte und Behörden die Rechtsanwendung in diesen Sprachen durchzuführen hätten. Da die EMRK gegenüber dem Bundes-Verfassungsgesetz das jüngere und speziellere Gesetz sei, liege insofern eine formelle und materielle Teilderogation des Art. 8 B-VG vor. Die Entscheidungen des EGMR seien nur in einer Sprache "original", Urteile könnten nur in jener Sprachfassung authentisch sein, in der sie vom EGMR als Original im "Hudoc" (Anmerkung: Human Rights Documentation) kundgemacht worden seien. Die Beschwerdeführer hätten ihre eigenen Ausführungen ausschließlich in deutscher Sprache verfasst. Es sei nicht nachvollziehbar, warum zwar die Urteile des EGMR für die belangte Behörde, nicht aber für die Gegenseite maßgeblich sein sollten.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dürfe auch eine trotz Vorhalts unterlassene oder mangelhafte Verbesserung nicht für sich allein zur Zurückweisung eines Antrages nach § 13 AVG führen, sondern nur zur freien Würdigung der nicht vorgelegten Beweisgegenstände. Die belangte Behörde hätte daher nur das nicht in deutscher Sprache formulierte Vorbringen außer Betracht lassen dürfen.
3.3. Die Beschwerde ist im Ergebnis berechtigt.
Die belangte Behörde ist mit ihren Ausführungen grundsätzlich im Recht, dass schriftliche und mündliche Anbringen in deutscher Sprache zu formulieren sind; ebenso wie bei unzulässigen kann auch bei fremdsprachigen Eingaben von der Behörde nach § 13 Abs. 3 AVG vorgegangen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000, Zl. 2000/12/0026).
Der vorliegende Beschwerdefall unterscheidet sich jedoch wesentlich von jenem, der dem vorzitierten Erkenntnis zu Grunde lag: Die gegenständlich zu beurteilende Berufung umfasst eigenes Vorbringen der Beschwerdeführer in deutscher Sprache. Zusätzlich zu diesem Vorbringen und als Unterstützung für den Standpunkt der Beschwerdeführer wurden noch Originalzitate aus Urteilen des EGMR angeführt. Eine wörtliche Wiedergabe dieser Urteilserwägungen wäre jedoch nicht erforderlich gewesen, weil eine Auseinandersetzung mit dieser Rechtsprechung durch die belangte Behörde auch dann hätte erfolgen müssen, wenn lediglich die durch den EGMR entschiedene Rechtssache erkennbar bezeichnet worden wäre.
Zur Bestimmung des § 63 Abs. 3 AVG vertritt der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass an die Begründung eines Rechtsmittels keine allzu strengen Anforderungen zu stellen sind (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. Februar 1995, Zl. 95/05/0010, und vom 29. Juni 2005, Zl. 2003/04/0080).
Im Beschwerdefall lässt die Berufung der Beschwerdeführer erkennen, aus welchen Erwägungen die Beschwerdeführer die erstinstanzliche Entscheidung der Behörde bekämpfen. Darauf, ob die Begründung stichhältig ist, kommt es bei der Prüfung der formellen Erfordernisse eines Rechtsmittels nicht an (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2001, Zl. 99/05/0206).
4. Da sich die Zurückweisung der Berufung somit als rechtswidrig erweist, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Beschwerdeführer haben die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.
Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof ungeachtet eines Parteienantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Schriftsätze der Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens und die dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Akten des Verwaltungsverfahrens erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt und wenn Art. 6 Abs. 1 EMRK dem nicht entgegensteht.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigen. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen (exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend technische Angelegenheiten auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtigte.
Der EGMR hat in seiner Entscheidung vom 13. Oktober 2011, Nr. 36.801/06 (Fexler/Schweden), die Auffassung vertreten, dass an den Entfall der mündlichen Verhandlung ein weniger strenger Maßstab dann anzulegen ist, wenn schon in unterer Instanz eine Verhandlung vor einem Tribunal stattgefunden hat, oder wenn in unterer Instanz auf die Durchführung einer Verhandlung verzichtet und diese erst in höherer Instanz beantragt wurde (Rz 56 ff).
Im Beschwerdefall haben die Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat eine öffentliche mündliche Verhandlung nicht beantragt, obwohl ein solcher Antrag die Durchführung einer Verhandlung wahrscheinlich gemacht hätte. Die Unterlassung eines solchen Antrages ist nach der ständigen Rechtsprechung des EGMR als stillschweigender Verzicht auf die Verhandlung zu verstehen (vgl. z.B. die Entscheidung vom 21. März 2002, Nr. 32.636/96, AT/Österreich).
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist im vorliegenden Fall geklärt (insbesondere das Vorbringen der Beschwerdeführer in der Berufung). In der vorliegenden Beschwerde werden ausschließlich Rechtsfragen (nämlich, ob aus der Berufung der Beschwerdeführer in deutscher Sprache zu entnehmen ist, aus welchen Gründen sie den angefochtenen Bescheid bekämpfen) geltend gemacht, weshalb zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht geboten ist. Art. 6 EMRK steht im vorliegenden Fall somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Die Entscheidung konnte daher im Sinne des § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Der pauschaliert durch Verordnung festgesetzte Schriftsatzaufwand deckt auch die Umsatzsteuer, weshalb das darauf gerichtete Begehren abzuweisen war. Dies gilt in gleicher Weise für den Streitgenossenzuschlag, dessen Ersatz in den Kostenersatzbestimmungen des VwGG nicht vorgesehen ist.
Wien, am 22. November 2011
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