VwGH 2007/01/1153

VwGH2007/01/115325.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerden

1. der M A, geboren 1981, 2. des S A, geboren 2001, 3. der M A, geboren 2000, 4. des K A, geboren 2006, und 5. der Z A, geboren 2003, alle in W, alle vertreten durch Mag. Dr. Ingrid Weber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/1/1/30, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1.) 6. September 2007, Zl. 314.333-1/2E-VII/43/07,

  1. 2.) 10.September2007, Zl.314.331-1/2E-VII/43/07,
  2. 3.) 10.September2007, Zl.314.332-1/2E-VII/43/07,
  3. 4.) 10.September2007, Zl.314.329-1/2E-VII/43/07, und
  4. 5.) 10.September2007, Zl.314.330-1/2E-VII/43/07, betreffend §68 AVG und §10 Asylgesetz 2005(zu 1.) bzw. §§3, 8, 10 Asylgesetz 2005(zu 2. bis 5.) (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §10 Abs5 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §32 Abs7 idF 2003/I/101;
AsylG 2005 §34 Abs4;
AsylG 2005 §36 Abs3;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;
AsylG 1997 §10 Abs5 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §32 Abs7 idF 2003/I/101;
AsylG 2005 §34 Abs4;
AsylG 2005 §36 Abs3;
VwGG §42 Abs3;
VwRallg;

 

Spruch:

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.286,40, zusammen somit EUR 6.432,--, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien, diese sind (ausgehend von den angefochtenen Bescheiden) Staatsangehörige von Serbien. Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus dem Kosovo, gehört der albanischen Volksgruppe an und reiste am 19. Oktober 2001 gemeinsam mit der Drittbeschwerdeführerin in das Bundesgebiet ein. Sie beantragte am selben Tag (für sich) Asyl sowie (für die Drittbeschwerdeführerin) die Erstreckung des ihr zu gewährenden Asyls. Am 2. April 2002 stellte die Erstbeschwerdeführerin auch für den in der Zwischenzeit in Österreich geborenen Zweitbeschwerdeführer einen Asylerstreckungsantrag. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesasylamtes vom 19. April 2002 rechtskräftig abgewiesen.

Am 26. Februar 2007 beantragte die Erstbeschwerdeführerin (abermals) internationalen Schutz. Gleichzeitig beantragten ihre vier Kinder - der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin waren in der Zwischenzeit in Österreich geboren worden - (erstmals) internationalen Schutz.

Der Antrag der Erstbeschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 3. August 2007 gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und die Erstbeschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien, Provinz Kosovo, ausgewiesen. Mit Bescheiden vom selben Tag wurden die Anträge der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen, diesen der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt und gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 deren Ausweisung nach Serbien, Provinz Kosovo, verfügt.

Die dagegen erhobene Berufung der Erstbeschwerdeführerin wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 6. September 2007 gemäß § 68 Abs. 1 AVG und § 10 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 abgewiesen. Die Berufungen der zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien wurden mit Bescheiden der belangten Behörde vom 10. September 2007 gemäß § 3 AsylG 2005 abgewiesen. Weiters wurde diesen der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 nicht zuerkannt. Unter einem wurden die zweit- bis fünftbeschwerdeführenden Parteien gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 nach Serbien, Provinz Kosovo, ausgewiesen.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerden kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen hat:

1. Die relevanten Bestimmungen des AsylG 2005 (in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 100/2005) lauten (samt Überschriften):

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

...

22. Familienangehöriger: wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung unverheiratetes minderjähriges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Familieneigenschaft bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat;

...

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger (§ 2 Z 22) von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, es sei denn,

1. dass die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Angehörigen in einem anderen Staat möglich ist oder

2. dem Asylwerber der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen ist.

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

...

Wirkung von Berufungen

§ 36. (1) Einer Berufung gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag zurückgewiesen wird, kommt eine aufschiebende Wirkung nicht zu. Einer Berufung gegen eine mit einer solchen Entscheidung verbundenen Ausweisung kommt die aufschiebende Wirkung nur zu, wenn sie vom unabhängigen Bundesasylsenat zuerkannt wird.

(2) Der Berufung gegen andere Entscheidungen und der damit verbundenen Ausweisung kommt die aufschiebende Wirkung zu, wenn sie nicht aberkannt wird.

(3) Wird gegen eine zurückweisende oder abweisende Entscheidung im Familienverfahren auch nur von einem betroffenen Familienmitglied Berufung erhoben, gilt diese auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen (§ 2 Z 22) betreffenden Entscheidungen; keine dieser Entscheidungen ist dann der Rechtskraft zugänglich. Allen Berufungen gegen Entscheidungen im Familienverfahren kommt aufschiebende Wirkung zu, sobald zumindest einer Berufung im selben Familienverfahren aufschiebende Wirkung zukommt.

..."

2. Die Erläuternden Bemerkungen zum Fremdenrechtspaket 2005 (vgl. RV 952 BlgNR XXII. GP, 54 f) führen zum Familienverfahren nach dem AsylG 2005 unter anderem Folgendes aus:

"Der vorgeschlagene § 34 - er entspricht im Wesentlichen dem § 10 AsylG 1997 - dient der Beschleunigung der Asylverfahren von Asylwerbern im Familienverband; das durch die AsylG-Nov 2003 geschaffene Regelungssystem ersetzt die so genannte 'Asylerstreckung'.

Die Bestimmungen des § 34 sind auf die Ehegatten und minderjährigen, unverheirateten Kinder eines Asylberechtigten oder eines Asylwerbers oder sonst Schutzberechtigten anzuwenden; deren Antrag auf internationalen Schutz wird ex-lege als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes nach den Bestimmungen des § 34 zu behandeln sein.

Ziel der Bestimmungen ist Familienangehörigen (§ 2 Z 22) den gleichen Schutz zu gewähren, ohne sie um ihr Verfahren im Einzelfall zu bringen. Wenn einem Familienmitglied der Status eines Asylberechtigten zuerkannt wird, soll dieser allen anderen Familienmitgliedern - im Falle von offenen Verfahren zur gleichen Zeit von der gleichen Behörde - zuerkannt werden.

(...)

Die Asylverfahren einer Familie sind unter einem zu führen, wobei jeder Antrag auf internationalen Schutz gesondert zu prüfen ist; es erhalten alle Familienmitglieder einen eigenen Bescheid, mit dem über die Asylgewährung oder über die subsidiäre Schutzgewährung abgesprochen wird. Jener Schutzumfang, der das stärkste Recht gewährt, ist auf alle Familienmitglieder anzuwenden. Das gemeinsame Führen der Verfahren hat den Vorteil, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen, die Österreich einer Familie gewährt, abgesprochen wird. Diese Vereinfachung und Straffung der Verfahren wird auch im Berufungsverfahren fortgesetzt. Eine von einem Familienmitglied eingebrachte Berufung gegen einen abweisenden oder zurückweisenden Bescheid hat zur Folge, dass diese Berufung auch die Bescheide der anderen Familienmitglieder in Berufung zieht (§ 36 Abs. 3).

(...)

(§ 36) Abs. 3 vervollständigt das System des Familienverfahrens; wird von einem Familienmitglied gegen eine zurück- oder abweisende Entscheidung Berufung ergriffen, gelten alle verbundenen Verfahren als mit angefochten; kommt einer Berufung aufschiebende Wirkung zu, kommt sie allen Berufungen zu. Damit wird erreicht, dass alle Anträge von Familienmitgliedern (im Sinne von § 2 Z 22) von der gleichen Behörde zum gleichen Zeitpunkt entschieden werden können."

3. Die Bestimmungen des AsylG 2005 über das Familienverfahren im Inland knüpfen damit im Wesentlichen an die Vorgängerbestimmungen im Asylgesetz 1997, wie sie durch die AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101/2003, geschaffen wurden, an. Zu diesen Bestimmungen im Asylgesetz 1997 hat der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgeführt, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist, um einen gleichförmigen Verfahrensausgang sicherzustellen (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, Zlen. 2007/01/0532 bis 0535, mwN).

4. Dies trifft auch auf die Rechtslage nach dem AsylG 2005 zu. Die (mit § 10 Abs. 5 Asylgesetz 1997 nahezu wortgleiche) Bestimmung des § 34 Abs. 4 AsylG 2005, wonach alle Familienangehörigen entweder den gleichen Schutzumfang erhalten oder alle Anträge "als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen" sind, ist daher dahingehend zu verstehen, dass im Familienverfahren gegenüber allen Familienangehörigen dieselbe Art der Erledigung zu treffen ist. Ist daher der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen, so sind entweder alle Anträge zurückzuweisen oder alle Anträge abzuweisen. Diese Gleichförmigkeit des Familienverfahrens, das letztlich der Verfahrensbeschleunigung und somit der Verfahrensökonomie dient (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 3. September 2009, U 804/09), wird dabei nicht nur durch § 34 Abs. 4 AsylG 2005, sondern auch durch die (mit § 32 Abs. 7 Asylgesetz 1997 im Wesentlichen übereinstimmende) Bestimmung des § 36 Abs. 3 AsylG 2005 zum Ausdruck gebracht, wonach selbst bei nur einer Berufung eines betroffenen Familienmitglieds diese auch als Berufung gegen die die anderen Familienangehörigen betreffenden Entscheidungen gilt und keine dieser Entscheidungen dann der Rechtskraft zugänglich ist (vgl. zum Ganzen die insoweit auf die Rechtslage nach dem AsylG 2005 übertragbaren Ausführungen im genannten hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, Zlen. 2007/01/0532 bis 0535; siehe weiters Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 497 f). In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof zu § 34 Abs. 4 AsylG 2005 - in Fortsetzung der Judikatur zum Asylgesetz 1997 - bereits erkannt, dass bei Aufhebung (nur) eines Bescheides eines Familienangehörigen dies (infolge der ex tunc-Wirkung einer Aufhebung nach § 42 Abs. 3 VwGG) auch auf die Bescheide der übrigen Familienangehörigen durchschlägt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2007, Zl. 2007/20/0281).

5. Nach dem Gesagten hat es somit nicht der Rechtslage entsprochen, dass das Bundesasylamt den Antrag der Erstbeschwerdeführerin alleine und im Gegensatz zu den Sachentscheidungen betreffend die übrigen Familienmitglieder zurückgewiesen hat. Der belangten Behörde war es aber verwehrt, über den Antrag der Erstbeschwerdeführerin selbst meritorisch zu entscheiden, zumal Sache des Berufungsverfahrens nur die Zurückweisung des Antrages durch die Vorinstanz gewesen ist. Sie hätte den Bescheid des Bundesasylamtes betreffend die Erstbeschwerdeführerin daher ersatzlos beheben müssen (vgl. dazu abermals das hg. Erkenntnis vom 28. Oktober 2009, Zlen. 2007/01/0532 bis 0535, mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 11. November 2008, Zl. 2008/23/1251, mwN).

Der erstangefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Da dies nach dem Obgesagten auf die zweit- bis fünftangefochtenen Bescheide der übrigen Familienangehörigen durchschlägt, waren auch diese gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

6. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 25. November 2009

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