VwGH 2007/01/0482

VwGH2007/01/048215.3.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Petritz, über die Beschwerde des D G in Haifa (Israel), geboren am 12. September 1954, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 19. Jänner 2007, Zl. MA 35/III - G 32/06, betreffend Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Normen

AVG §56;
StbG 1965 §32;
StbG 1965 §42 Abs3;
StbG 1985 §32;
StbG 1985 §42 Abs3;
AVG §56;
StbG 1965 §32;
StbG 1965 §42 Abs3;
StbG 1985 §32;
StbG 1985 §42 Abs3;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Land Wien Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde "gemäß §§ 39 und 42 Abs. 3 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 (StbG), zuletzt geändert durch die Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006" von Amts wegen fest, dass der am 12. September 1954 in Haifa (Israel) geborene Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft "gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StbG 1949" erworben und diese gemäß § 32 StbG durch den freiwilligen Eintritt in den israelischen Militärdienst am 23. Mai 1976 verloren habe.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer habe die österreichische Staatsbürgerschaft durch Geburt kraft Abstammung nach seinem Vater, H G, erworben. In der Zeit vom 5. November 1972 bis 2. Mai 1976 habe der Beschwerdeführer in Israel Pflichtmilitärdienst geleistet und sei danach zur Reserve entlassen worden. Um seine Berufsausbildung finanzieren zu können - die Familie des Beschwerdeführers habe in sehr schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen gelebt -, sei der Beschwerdeführer bereits am 23. Mai 1976 als Berufssoldat wieder in den israelischen Militärdienst eingetreten und sei dort bis zum 21. August 1977 verblieben. Nach seiner Entlassung habe er sich mit dem verdienten Geld eine Ausbildung zum Ingenieur an der Technischen Universität Haifa finanzieren können.

Da die Finanzierung einer Berufsausbildung keine "wirtschaftliche Notlage" im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes darstelle, sei der Eintritt des Beschwerdeführers in den israelischen Militärdienst insofern freiwillig erfolgt und habe der Beschwerdeführer dadurch die österreichische Staatsbürgerschaft gemäß § 32 StbG verloren. Es sei nicht relevant, dass der Beschwerdeführer nicht gewusst habe, dass er im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft sei bzw. ob ihm die Folgen seiner Handlung bewusst gewesen seien oder nicht. Die Beweggründe für den am 1. Mai 1983 erfolgten nochmaligen Wiedereintritt in den israelischen Militärdienst seien im Hinblick auf die damals nicht mehr besessene österreichische Staatsbürgerschaft nicht mehr zu beurteilen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Darin wird zusammengefasst vorgebracht, der Beschwerdeführer habe infolge seiner Unkenntnis über den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft keinen Willen zum Ausdruck bringen können, auf die österreichische Staatsbürgerschaft zu verzichten. Diese Rechtsansicht finde ihre Stütze auch darin, dass § 32 StbG in seinem zweiten Satz auf "§ 27 StbG" verweise, der den Erwerb einer fremden Staatsbürgerschaft regle und hiefür die Abgabe einer diesbezüglichen Willenserklärung verlange. Außerdem habe der Beschwerdeführer den Militärdienst "notgedrungen" zu seiner Existenzsicherung, insbesondere zum Zweck der Finanzierung seiner Ausbildung, und daher nicht freiwillig angetreten.

Schließlich leide der angefochtene Bescheid insofern an einem wesentlichen Begründungsmangel, als die belangte Behörde das öffentliche Interesse zur Erlassung des gegenständlichen Feststellungsbescheides nicht dargelegt habe.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:

1. Zunächst ist festzuhalten, dass in Angelegenheiten der Staatsbürgerschaft gemäß § 42 Abs. 3 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, in der Fassung der Staatsbürgerschaftsrechts-Novelle 2005, BGBl. I Nr. 37/2006 (im Folgenden: StbG) ein Feststellungsbescheid von Amts wegen erlassen werden kann, wenn ein öffentliches Interesse an der Feststellung besteht. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem die Frage des allfälligen Verlustes einer Staatsbürgerschaft nach § 32 StbG betreffenden Erkenntnis vom 17. Dezember 1996, Zl. 94/01/0651, ausgesprochen, dass sich das öffentliche Interesse an der amtswegigen Feststellung in einem derartigen Fall schon aus dem Interesse des Staates ergibt, nicht darüber im Zweifel zu sein, ob eine bestimmte Person Staatsangehöriger ist oder nicht. Die Erlassung des angefochtenen Bescheides war demnach jedenfalls zulässig (abgesehen davon, dass im gegenständlichen Fall die Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 28. Dezember 2006 ausdrücklich um Erlassung eines Feststellungsbescheides ersuchten) bzw. stellt das Fehlen einer diesbezüglichen näheren Begründung keinen relevanten Mangel dar.

2. Die im vorliegenden Beschwerdefall strittige Rechtsfrage, ob der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerschaft verloren hat, ist nach den staatsbürgerschaftsrechtlichen Vorschriften zu beurteilen, die zum betreffenden Zeitpunkt - das ist gegenständlich der 23. Mai 1976 - in Geltung standen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 91/01/0213, mwN). Im vorliegenden Beschwerdefall ist demnach die Bestimmung des § 32 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1965, in der Stammfassung BGBl. Nr. 250 (im Folgenden: StbG 1965), maßgeblich. Die Bestimmung hatte folgenden Wortlaut:

"Eintritt in den Militärdienst eines fremden Staates

§ 32. Die Staatsbürgerschaft verliert, wer freiwillig in den Militärdienst eines fremden Staates tritt. § 27 Abs. 2 findet sinngemäß Anwendung."

Dass die belangte Behörde demgegenüber ihren Bescheid auf § 32 StbG idF der WV BGBl. Nr. 311/1985 gestützt hat, schadet indes insoferne nicht, als beide Bestimmungen (bei nahezu identem Wortlaut) denselben Regelungsinhalt aufweisen und durch die Wiederverlautbarung lediglich die Formulierung aktualisiert wurde.

3. Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer durch seinen am 23. Mai 1976 erfolgten Dienstantritt als Ausbildner bei der israelischen (Berufs-)Armee in den Militärdienst eines fremden Staates im Sinne des § 32 StbG 1965 eingetreten ist; der Beschwerdeführer bestreitet jedoch die Freiwilligkeit des Eintritts.

4. Die Freiwilligkeit des Eintritts setzt zunächst die rechtliche Fähigkeit voraus, selbständig einen rechtsgeschäftlichen Willen bilden zu können, also Eigenberechtigung. Für nicht eigenberechtigte Personen normiert § 32 StbG (1965) die sinngemäße Anwendung des § 27 Abs. 2 leg. cit.; demnach verliert ein nicht Eigenberechtigter die Staatsbürgerschaft nur dann, wenn der Eintritt in den fremden Militärdienst auf Antrag oder mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters erfolgte.

Für das Vorliegen der Freiwilligkeit ist weiters erforderlich, dass der Eintritt nicht durch Irrtum oder Zwang verursacht wurde. Freiwilligkeit kann ferner auch dann nicht angenommen werden, wenn der Betroffene zum Eintritt in den Militärdienst durch die Rechtsordnung des anderen Staates verpflichtet wird (vgl. zu all dem Thienel, Österreichische Staatsbürgerschaft, Bd. II (1990) S. 313 f).

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zu den - im Wesentlichen mit der Bestimmung des § 32 StbG (1965) übereinstimmenden - Vorgängerbestimmungen des § 9 Abs. 1 Z. 2 StbG 1949 und des § 10 Abs. 1 Z. 2 StbG 1925 weiters zum Ausdruck gebracht, dass sich in gewissen Fällen eine Notlage derart auswirken könne, dass von der Freiwilligkeit des Eintrittes in den Dienst eines fremden Staates nicht mehr gesprochen werden könne; dies insbesondere dann, wenn zur Beseitigung oder Vermeidung einer unverschuldeten Notlage nur der Weg des Eintritts in den Dienst eines fremden Staates offengestanden habe. Allerdings werde dann zu untersuchen sein, ob der Notstand nicht durch eine Handlung des Betreffenden ausgelöst worden sei, die sich gegen die Interessen seines Heimatstaates gerichtet haben, die ihn etwa veranlasst haben, das österreichische Staatsgebiet zu verlassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Februar 1988, Zl. 87/01/0282, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

So wurde eine relevante Notlage etwa im Fall des Eintritts in den Dienst des jugoslawischen Staates angenommen, nachdem der Betroffene infolge der Verhängung einer achtmonatigen Freiheitsstrafe durch die Besatzungsmacht gezwungen war, aus Österreich zu fliehen und auf Grund einer schweren Kriegsinvalidität nicht anders imstande war, seinen Lebensunterhalt zu verdienen (hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1961, Zl. 2474/60 = VwSlgNF 5599 A).

Demgegenüber hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass das Vorliegen einer wirtschaftlichen Notlage allein noch nicht ausreiche, mag die Notlage infolge eines bloß geringen Verdienstes auch "bedrückend" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. April 1957, Zl. 564/56) oder gar durch Arbeits- und Obdachlosigkeit "ohne jegliche Unterstützung" begründet sein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 1965, Zl. 363/65). Entscheidend ist danach vielmehr, dass der Eintritt in den fremden Militärdienst die einzige Möglichkeit zur Überwindung der Notlage darstellt (vgl. Thienel, aaO, S. 314).

5. Davon ausgehend kann der belangten Behörde nicht entgegen getreten werden, wenn sie fallbezogen den freiwilligen Eintritt des Beschwerdeführers in den israelischen Militärdienst bejahte.

5.1. Zunächst ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber mit dem Kriterium der Freiwilligkeit lediglich das Erfordernis einer rechtsgeschäftlich einwandfreien, unbeeinflussten Bildung des Willens zur Begründung des militärischen Dienstverhältnisses festschreibt: dem Betroffenen muss bewusst sein, dass er in den Militärdienst eines fremden Staates eintritt und er muss diesen Eintritt aus freier Überzeugung wollen. Auf die Unkenntnis der damit verbundenen Rechtsfolge - Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft - kommt es dabei nicht an (vgl. dazu das zu § 27 Abs. 1 StbG 1965 ergangene hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zl. 92/01/0722).

Es ist auch nicht relevant, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Begründung des Dienstverhältnisses zur israelischen Armee möglicherweise nicht einmal wusste, dass er im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft war (vgl. für den Anwendungsbereich des § 27 Abs. 1 StbG das erwähnte hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 91/01/0213: danach führte der durch einen diesbezüglichen Antrag erfolgte Erwerb der fremden Staatsbürgerschaft zum Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft, obwohl die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung infolge einer falschen Behördenauskunft irrtümlich vom bereits eingetretenen Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft ausgegangen war).

Sonstige Anhaltspunkte dafür, dass der Eintritt des Beschwerdeführers in den israelischen Militärdienst durch Zwang oder Irrtum bedingt war, liegen nicht vor.

Die Beschwerdeausführungen, wonach im gegenständlichen Fall die Abgabe einer auf die österreichische Staatsbürgerschaft bezogenen Verzichtserklärung durch den Beschwerdeführer erforderlich gewesen wäre, sind nicht nachvollziehbar. Zum einen regelt der in der Beschwerde in diesem Zusammenhang Bezug genommene § 27 Abs. 1 StbG (1965) die Abgabe einer auf den Erwerb einer fremden - und nicht auf den Verzicht der österreichischen - Staatsbürgerschaft gerichteten Willenserklärung. Zum anderen verkennt die Beschwerde grundsätzlich, dass § 32 zweiter Satz StbG (1965) lediglich auf § 27 Abs. 2 StbG (1965), nicht jedoch auf Abs. 1 leg. cit., verweist. Im vorliegenden Fall ist der in § 32 verwiesene § 27 Abs. 2 StbG (1965) nicht von Relevanz, da der Beschwerdeführer im bezughabenden Zeitpunkt eigenberechtigt war.

5.2. Vor dem Hintergrund der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch die Auffassung der belangten Behörde, wonach im Erfordernis der Finanzierung einer Berufsausbildung keine maßgebliche, die Freiwilligkeit des Eintritts in den Militärdienst Israels ausschließende Notlage des Beschwerdeführers zu erblicken sei, nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der belangten Behörde dahingehend zu folgen, dass nicht erkennbar ist, inwiefern eine qualifizierte Berufsausbildung zur "Existenzsicherung" des Beschwerdeführers unabdingbar erforderlich war. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer in seiner im Verwaltungsakt erliegenden "Erklärung bezüglich der Verpflichtung zur Berufsarmee" ausführte, dass ihm nach dem Tod seines Vaters für die gesamte Dauer seines Studiums eine Waisenrente gewährt worden sei, mit deren Hilfe er das Studium abgeschlossen habe.

Selbst wenn man - ungeachtet dieser Erwägungen - eine wirtschaftliche Notlage des Beschwerdeführers annehmen wollte, wäre diese nach den Grundsätzen der dargestellten Rechtsprechung nicht geeignet, die Freiwilligkeit seines Eintritts in die israelische Armee auszuschließen, zumal nicht zu erkennen ist, dass der vom Beschwerdeführer gewählte Schritt die einzige Möglichkeit zur Beseitigung seiner Notlage war (vgl. die zitierten hg. Erkenntnisse vom 20. Dezember 1965 und vom 10. Februar 1988).

6. Da sich die Beschwerde somit insgesamt als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008, insbesondere deren § 3 Abs. 2.

Wien, am 15. März 2010

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte