Normen
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80 Abs1;
FrPolG 2005 §80 Abs2;
FrPolG 2005 §80 Abs4 Z3;
FrPolG 2005 §80;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §80 Abs1;
FrPolG 2005 §80 Abs2;
FrPolG 2005 §80 Abs4 Z3;
FrPolG 2005 §80;
VwGG §42 Abs2 Z1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 31. Mai 2006 wies die belangte Behörde eine Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Gambia, gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG hinsichtlich der Anhaltung seit 25. April 2006 ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass im Zeitpunkt ihrer Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen seien.
Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer werde seit 31. März 2006 in Schubhaft angehalten. Zur "Frage der Rechtmäßigkeit der Schubhaft dem Grunde nach und deren Verhältnismäßigkeit" werde auf die bereits erfolgten Entscheidungen der belangten Behörde (gemeint: über zwei früher eingebrachte Schubhaftbeschwerden) verwiesen. Bei der Feststellung der Zulässigkeit der Fortsetzung der Schubhaft werde an die "umfassende Begründung" der ersten Entscheidung angeknüpft und diese "vollinhaltlich" aufrechterhalten. Der nunmehr (neu erhobene) Vorwurf, die Fremdenpolizeibehörde habe ab 25. April 2006 nichts unternommen, um die Abschiebung des Beschwerdeführers in absehbarer Zeit durchzuführen, entbehre einer sachlichen Grundlage. Die Möglichkeit der Abschiebung sei aus medizinischen Gründen in Frage zu stellen gewesen. Dem vorgelegten Akt sei aber zu entnehmen, dass die Fremdenpolizeibehörde bemüht sei, die Abschiebung, die sich "wegen traumatischer Bedenken" nicht einfach zu gestalten scheine, nach Sicherstellung der medizinischen Bedürfnisse des Beschwerdeführers "als baldigst zu bewerkstelligen". Nachdem offenbar posttraumatische Belastungsstörungen des Beschwerdeführers gegen den sofortigen Vollzug der Abschiebung gesprochen hätten, sei - nach medizinisch notwendiger Heilbehandlung - "die Veranlassung einer einschlägig medizinische Begutachtung, dies auch hinsichtlich der Festlegung der näheren Modalität des tatsächlichen Abschiebungsvollzugs, ersehbar". Es sei außer Diskussion zu stellen, dass die Neuorganisation einer Flugabschiebung nach Gambia Zeit brauche, wobei diese "unverzüglich nach Vorliegen der vorgenannten Befundung", deren Ergebnis noch nicht eingelangt sei, aber "augenblicklich" erwartet werde, (zu ergänzen wohl:) vorgenommen werde. Für die "Zulässigkeitsprüfung - so auch in körperlicher Hinsicht - der Abschiebung" seien nach dem FPG "besondere Verfahren vorgesehen, deren Ausgang, der momentan nicht absehbar ist, im Verfahren, das der Sicherung letztlich dieser Maßnahme dient, ex lege Beabsichtigung (gemeint anscheinend: Berücksichtigung) zu finden" habe. Zwar sei die Höchstdauer der Schubhaft nach § 80 Abs. 2 FPG grundsätzlich mit zwei Monaten beschränkt. Der Beschwerdeführer übersehe aber, dass er eine bereits begonnene Abschiebung vereitelt habe, indem er sich im Flugzeug so benommen habe, dass es "zu einer Untersagung der Beförderung durch Anordnung des Piloten gekommen" sei. Es liege daher die "Voraussetzung für die Verlängerung der Schubhaft nach § 80 Abs. 4 Z 3 FPG" vor, worüber der Beschwerdeführer auch informiert worden sei. Der Umstand, zu einem noch nicht bestimmten Zeitpunkt als Zeuge vor Gericht aussagen zu müssen, sei auch im Stande der Schubhaft bzw. "bei der Abschiebung vom Ausland her" möglich. Die "derartige Sachlage" habe mit der Frage der Rechtmäßigkeit der Dauer der Schubhaft nichts zu tun. Es sei die Schubhaft "nach den Besonderheiten des Falles hinsichtlich der Länge nicht als unverhältnismäßig zu qualifizieren".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer rügt, die belangte Behörde habe wesentliches Vorbringen weder im Zuge der Sachverhaltsfeststellungen berücksichtigt noch einer rechtlichen Beurteilung unterzogen. Damit ist er im Recht.
In der Schubhaftbeschwerde wurde vorgebracht, dass der Beschwerdeführer seit 31. März 2006 zur Sicherung der Abschiebung in Schubhaft angehalten worden sei. Am 7. April 2006 sei versucht worden, ihn in Durchsetzung eines gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes in sein Heimatland abzuschieben. Dabei sei er von Beamten misshandelt und schwer verletzt worden. Er habe eine Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers erlitten. Diese Verletzungen seien auf Grund mangelhafter medizinischer Versorgung im Polizeianhaltezentrum erst über ein Monat nach deren Entstehen diagnostiziert worden. Der Beschwerdeführer habe sich in regelmäßiger ärztlicher Behandlung befunden. Infolge des gewalttätigen Übergriffs durch mehrere Beamte habe er nachweislich eine schwere Traumatisierung (posttraumatische Belastungsstörung) erlitten. Er würde weiterhin medikamentöser und psychotherapeutischer Behandlung bedürfen. Der neuerliche Versuch einer Abschiebung hätte ein hohes Risiko einer Retraumatisierung dargestellt und sei aus medizinischer Sicht in den nächsten Monaten nicht zumutbar gewesen. Demnach sei seine Abschiebung auf unbestimmte Zeit nicht möglich gewesen. Die Fremdenpolizeibehörde habe seit Abweisung bzw. Zurückweisung der bisher eingebrachten Schubhaftbeschwerden nichts unternommen, um die Abschiebung des Beschwerdeführers in absehbarer Zeit durchzuführen. Zum Beweis seiner Behauptungen legte der Beschwerdeführer der Schubhaftbeschwerde ein fachärztliches Gutachten bei.
In der an den Verwaltungsgerichtshof gerichteten Beschwerde brachte der Beschwerdeführer mit Blick auf die Verfahrensführung der belangten Behörde noch ergänzend vor, dem angefochtenen Bescheid sei nicht zu entnehmen, worin die belangte Behörde konkret gesetzte Schritte der Fremdenpolizeibehörde zur Durchführung der Abschiebung erblicke. Vielmehr bestätige die belangte Behörde, allerdings ohne dies klar auszudrücken, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers aus medizinischen Gründen in Frage gestellt sei. Das vorgelegte medizinische Gutachten sei keiner eigenständigen Würdigung unterzogen worden.
§ 76 Abs. 1 und § 80 Abs. 1 bis 4 FPG (samt Überschriften)
lauten:
"Schubhaft
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern. Über Fremde, die sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten, darf Schubhaft verhängt werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, sie würden sich dem Verfahren entziehen.
Dauer der Schubhaft
§ 80. (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert.
(2) Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf außer in den Fällen des Abs. 3 und 4 insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden,
1. weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder
2. weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder
3. weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als zehn Monate in Schubhaft angehalten werden. Ebenso kann die Schubhaft, die gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, länger als sechs Monate in zwei Jahren, aber nicht länger als zehn Monate in zwei Jahren aufrechterhalten werden."
Die belangte Behörde vertritt die Ansicht, die Fremdenpolizeibehörde sei ihrer Pflicht gemäß § 80 Abs. 1 FPG darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauere, insofern nachgekommen, als sie bemüht sei, die medizinischen Bedürfnisse des Beschwerdeführers sicherzustellen und die Abschiebung "als baldigst zu bewerkstelligen".
Dabei lässt sie allerdings gänzlich außer Acht, dass - beginnend mit 25. April 2006 - der Fremdenpolizeibehörde diverse (amts)ärztliche Befunde und Gutachten vorlagen, denen zu entnehmen war, aus medizinischer Sicht sei auf Grund einer posttraumatischen Belastungsreaktion eine Abschiebung des Beschwerdeführers bis auf Weiteres nicht möglich. Von einer mangelnden Realisierbarkeit der Abschiebung wegen dessen Gesundheitszustandes ging - den vorgelegten Akten zufolge - auch die Fremdenpolizeibehörde aus, die allerdings der Ansicht war, den Beschwerdeführer solange - auf unbestimmte Zeit - weiterhin in Schubhaft anhalten zu dürfen, bis jene medizinischen Bedenken, die einer Abschiebung entgegenstünden, wieder weggefallen seien.
Aus § 76 Abs. 1 und § 80 Abs. 2 FPG ergibt sich klar, dass eine Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nur dann rechtens sein kann, wenn eine Abschiebung auch tatsächlich in Frage kommt; steht von vornherein fest, dass diese Maßnahme nicht durchführbar ist, so darf die Schubhaft nicht verhängt werden. Umgekehrt schadet es - wie sich aus den Verlängerungstatbeständen des § 80 FPG ergibt - nicht, wenn der ins Auge gefassten Abschiebung zeitlich befristete Hindernisse entgegenstehen. Den erwähnten Verlängerungstatbeständen liegt freilich zu Grunde, dass die in Frage kommenden Hindernisse längstens innerhalb der zulässigen Schubhaftdauer beseitigt werden. Ist bereits bei Beginn der Schubhaft absehbar, dass das Abschiebehindernis nicht binnen dieser Frist zu beseitigen ist, so soll die Schubhaft nach den Vorstellungen des Gesetzgebers mithin von Anfang an nicht verhängt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0253, unter Hinweis auf das zum Fremdengesetz 1997 - FrG ergangene, aber auch für die Rechtslage nach dem FPG maßgebliche hg. Erkenntnis vom 17. November 2005, Zl. 2005/21/0019). Nichts anderes kann gelten, wenn während der Anhaltung in Schubhaft Umstände eintreten, aus denen erkennbar ist, dass die Abschiebung nicht in der restlichen noch zur Verfügung stehenden Schubhaftdauer bewerkstelligt werden kann (vgl. abermals das bereits erwähnte Erkenntnis vom 26. September 2007).
Dass sich die belangte Behörde mit dieser Frage auseinander gesetzt hätte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Dies wäre aber erforderlich gewesen, weil einem der belangten Behörde vorgelegten ärztlichen Gutachten (unter anderem) zu entnehmen war, dass der neuerliche Versuch einer Abschiebung des Beschwerdeführers in den nächsten Monaten aus medizinischen Gründen nicht vorstellbar sei. Die belangte Behörde bezog die ihr vorliegenden medizinischen Gutachten allerdings in Verkennung der Rechtslage nicht in ihre Entscheidung mitein, weil sie unzutreffend davon ausging, die regelmäßig von der Fremdenpolizeibehörde veranlassten Untersuchungen, um festzustellen, ob denn nunmehr aus medizinischen Gründen die Abschiebung durchgeführt werden könne, böten ausreichend Grundlage, um die (weitere) Anhaltung zu rechtfertigen. Daher traf die belangte Behörde auch keine Feststellungen zur möglichen Realisierbarkeit der Abschiebung innerhalb der zulässig verbleibenden Schubhaftdauer.
Darüber hinaus erweisen sich auch die Überlegungen der belangten Behörde zu § 80 Abs. 4 Z 3 FPG als nicht dem Gesetz entsprechend. Sie führte dazu aus, die (längere) Dauer der Schubhaft sei (allein) auf das Verhalten des Beschwerdeführers zurückzuführen, weil er sich im Flugzeug "so benommen" habe, dass es "zu einer Untersagung der Beförderung durch Anordnung des Piloten gekommen" sei, und der Beschwerdeführer auf diese Weise die Abschiebung vereitelt habe.
Die belangte Behörde setzte sich dabei aber in keiner Weise mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander, die nun schon länger bestehende Unmöglichkeit der Durchführung der Abschiebung sei letztlich nicht (mehr) auf sein Verhalten zurückzuführen, sondern vielmehr auf die während eines vorangegangenen Abschiebeversuches erfolgten Misshandlungen durch Polizeibeamte, und die Dauer bis zur Wiedererlangung der Abschiebefähigkeit gründe sich auf die von der Misshandlung herrührenden Verletzungen und Folgen, was nicht von ihm zu vertreten sei.
Zwar bestreitet der Beschwerdeführer nicht, ein Verhalten gesetzt zu haben, das Ursache für das Unterbleiben der Abschiebung gewesen war (um welches Verhalten es sich gehandelt hat, legte die belangte Behörde nicht dar), dennoch wäre die belangte Behörde verpflichtet gewesen, das erwähnte Vorbringen des Beschwerdeführers zu prüfen und einer Würdigung zu unterziehen. Dies unterließ sie aber, weil sie - in Verkennung der Rechtslage - davon ausging, es sei allein das vom Beschwerdeführer während des ersten Abschiebeversuchs gesetzte Verhalten entscheidend. Für den Verwaltungsgerichtshof steht indes außer Zweifel, dass eine maßgeblich auf die Misshandlung durch Polizeibeamte und deren Folgen zurückzuführende erhebliche Verlängerung der Dauer einer Anhaltung nicht § 80 Abs. 3 Z 4 FPG verwirklichen kann.
Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 23. Oktober 2008
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