VwGH 2006/18/0334

VwGH2006/18/03348.6.2010

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und den Hofrat Dr. Enzenhofer, die Hofrätin Mag. Merl sowie die Hofräte Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schmidl, über die Beschwerde des A K, geboren am 4. März 1965, vertreten durch die Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG, 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg vom 10. August 2006, Zl. Fr-92/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z5;
EMRK Art3;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z5;
EMRK Art3;
EMRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg (der belangten Behörde) vom 10. August 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 und 5 sowie § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 29. April 2004 wegen des Vergehens der kriminellen Vereinigung nach § 278 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der Schlepperei nach § 104 Abs. 1 und 3 erster und zweiter Fall Fremdengesetz 1997 - FrG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Dieser Verurteilung sei zugrunde gelegen, dass er sich im Zeitraum Dezember 2002 bis Juni 2003 an einer kriminellen Vereinigung beteiligt und die rechtswidrige Einreise von indischen Staatsangehörigen in die Europäische Union (EU) gefördert habe, wobei er zumindest 15 "illegale" Personen bis zu ihrer Weiterschleppung in andere Länder der EU in seiner Wohnung gegen Entgelt untergebracht habe. Weiters habe er mit anderen Schleppern der Organisation in Italien, Indien, Belgien und Holland schlepperrelevante Gespräche geführt, illegal nach Österreich eingereisten Personen Zugtickets besorgt, diese Personen in weiterer Folge "in den Zug gesetzt" und Schlepperlöhne von "Illegalen" kassiert und für sich behalten.

Im Hinblick darauf seien die Tatbestände des § 60 Abs. 1 und 2 Z. 1 und 5 FPG erfüllt.

In Anbetracht der überaus gravierenden Straftaten des Beschwerdeführers gefährde sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit massiv. Diese negative Verhaltensprognose komme durch seine vorsätzlich begangenen Straftaten zum Ausdruck. Die große Anzahl von geschleppten Personen lasse erkennen, dass er durch diese Taten vorwiegend seinen Lebensunterhalt finanziert habe. Die Annahme gemäß § 60 Abs. 1 FPG, dass sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit vorwiegend auf dem Gebiet eines geordneten Fremdenwesens massiv gefährde, sei daher gerechtfertigt.

Der Beschwerdeführer sei im Jänner 1992 von Indien kommend legal in Österreich eingereist. In weiterer Folge habe er als Zeitungskolporteur gearbeitet und 1995 für vier bis fünf Monate Österreich verlassen, um in Indien zu heiraten. Anschließend sei er nach Österreich zurückgekehrt. Er sei hier ohne seine Ehegattin und ihre gemeinsamen Kinder aufhältig. Diese befänden sich nach wie vor in Indien. Auf Grund seiner jahrelangen Tätigkeit als Zeitungskolporteur sei er in Österreich jedenfalls beruflich integriert. Familiär habe er hier keine Anknüpfungspunkte. Durch das Aufenthaltsverbot werde nur schwach in sein Privat- und Familienleben im Sinn des § 66 FPG eingegriffen.

Das öffentliche Interesse an einer Beendigung des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich sei sehr groß, weil nur damit gesichert sei, dass von ihm zukünftig keine Rechtsbrüche mehr im Bundesgebiet begangen würden und somit die öffentliche Ordnung und Sicherheit durch ihn nicht mehr gestört werde. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG werde festgestellt, dass die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wögen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers.

Die vom Beschwerdeführer mit seiner Berufung vorgelegten ärztlichen Berichte hätten seine Alkoholkrankheit und den sehr angeschlagenen Gesundheitszustand beweisen sollen. Hiezu sei jedoch festzustellen, dass diese Umstände ohne Relevanz seien. Außerdem werde in einem Arztbericht vom 3. Mai 2006 ausgeführt, dass der Beschwerdeführer in einem subjektiv guten Zustand entlassen worden sei. Laut derzeitiger Aktenlage lägen keine Umstände vor, die die verhängte fremdenpolizeiliche Maßnahme unter Berücksichtigung der Bestimmungen der EMRK als unzulässig erscheinen ließen.

Über den vom Beschwerdeführer (in der Berufung) gestellten Antrag gemäß § 51 FPG habe die Erstbehörde zu entscheiden.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Auf dem Boden der im angefochtenen Bescheid getroffenen, insoweit unbestrittenen Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers vom 29. April 2004 begegnet die -- unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass die Tatbestände des § 60 Abs. 2 Z. 1 und 5 FPG erfüllt seien, keinen Bedenken.

1.2. Dieser Verurteilung liegt zugrunde, dass sich der Beschwerdeführer - wie oben (I. 1.) dargestellt - an einer kriminellen Vereinigung beteiligt und die rechtswidrige Einreise von zumindest 15 indischen Staatsangehörigen in die EU gefördert hat.

Dieses massive Fehlverhalten des Beschwerdeführers stellt eine gravierende Beeinträchtigung des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der organisierten Schlepperkriminalität dar. In Anbetracht dieses Fehlverhaltens ist die Auffassung der belangten Behörde, dass die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, nicht zu beanstanden.

2.1. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid unter dem Blickwinkel des § 66 FPG bzw. des Art. 8 Abs. 2 EMRK und bringt vor, dass der Beschwerdeführer - wie er bereits in seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid geltend gemacht habe - an einer schweren, akuten Krankheit leide, welche in Indien nicht behandelt werden könne, und deshalb Gefahr liefe, im Falle einer erzwungenen Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Indien zu Tode zu kommen oder in seiner Gesundheit massiv gefährdet zu werden. Die belangte Behörde habe die Rechtslage verkannt, wenn sie die Auffassung vertrete, es wäre nicht relevant, dass er auf die Möglichkeit, seine akute Bauchspeicheldrüsen- und Herzerkrankung in österreichischen Krankenhäusern zu behandeln, angewiesen sei. Die von ihm benötigte medizinische Behandlung müsste vom Beschwerdeführer in seinem Heimatland privat bezahlt werden, sodass er keine Möglichkeit hätte, diese dort zu erhalten.

2.2. Nach der Judikatur des EGMR (vgl. dazu etwa die Zusammenfassung im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 6. März 2008, B 2400/07) hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK, so etwa, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch das hg. Erkenntnis vom 30. April 2009, Zlen. 2008/21/0288 bis 0290).

Der Verwaltungsgerichtshof hat allerdings bereits mehrfach ausgesprochen, dass bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch dem Umstand Bedeutung zukommt, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land - sollte ein solches als Zielort überhaupt in Betracht kommen - außerhalb von Österreich der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung des persönlichen Interesses an einem Verbleib in Österreich darstellen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Mai 2009, Zl. 2008/21/0260, mwN).

Vor diesem Hintergrund hätte sich die belangte Behörde mit der vom Beschwerdeführer in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung behaupteten medizinischen Behandlungsnotwendigkeit in Österreich und mit der Frage, ob für den Beschwerdeführer im Fall des Unterbleibens der in den mit der Berufung vorgelegten Arztberichten vom 3. Mai 2006 und 22. Mai 2006 empfohlenen weiteren Behandlungen ein reales Risiko bestünde, unter qualvollen Umständen zu sterben, bzw. ob es eine grundsätzliche Behandlungsmöglichkeit im Heimatstaat des Beschwerdeführers gibt, näher befassen müssen. Insoweit hat die belangte Behörde daher mit ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid, dass die gesundheitsbedingten Umstände bei der Beurteilung der privaten Interessen im Rahmen des § 66 FPG ohne Relevanz seien, die Rechtslage verkannt. Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid darauf verweist, dass laut dem Arztbericht vom 3. Mai 2006 der Beschwerdeführer in einem subjektiv guten Zustand (aus der Behandlung der Universitätsklinik in S) entlassen worden sei, so hätte sie sich auch mit dem mit der Berufung vorgelegten weiteren Arztbericht derselben Universitätsklinik vom 22. Mai 2006 auseinandersetzen müssen, dem zufolge sich der Beschwerdeführer in der Zeit vom 11. Mai 2006 bis 22. Mai 2006 neuerlich in Spitalsbehandlung befand und als weitere Therapie eine "chirurgische Sanierung" empfohlen wurde.

Da somit die Notwendigkeit für einen Fremden, sich in Österreich einer medizinischen Behandlung zu unterziehen, nach den oben dargestellten Grundsätzen in der hg. Rechtsprechung - entgegen der Rechtsauffassung der belangten Behörde - eine maßgebliche Verstärkung des persönlichen Interesses des Fremden an einem Verbleib in Österreich bewirken kann und die belangte Behörde in Verkennung dieser Rechtslage nähere Feststellungen zu der vom Beschwerdeführer in seiner Berufung vorgebrachten Behandlungsnotwendigkeit in Österreich unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

3. Gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG konnte von der beantragten Verhandlung Abstand genommen werden.

4. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am 8. Juni 2010

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