VwGH 2006/18/0306

VwGH2006/18/03064.10.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ströbl, über die Beschwerde des FG in L, geboren 1981, vertreten durch Mag. Dr. Ernst Reitmayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Herrenstraße 13, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 20. Juli 2006, Zl. VwSen-720108/4/Gf/Mu/Ga, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2;
FrPolG 2005 §86 Abs1;
FrPolG 2005 §87;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 20. Juli 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen slowenischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und § 86 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.

Der Beschwerdeführer lebe - bezogen auf den Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung vom 4. Oktober 2005 - seit vier Jahren in Österreich. Seine Familie (Eltern, Lebensgefährtin, Sohn) seien in Linz wohnhaft. Der Beschwerdeführer sei hier sozial und beruflich integriert.

Im Zeitraum zwischen Juli 2002 und September 2005 seien über den Beschwerdeführer insgesamt 19 rechtskräftige Strafen wegen Übertretungen von straßen- und kraftfahrrechtlichen Vorschriften verhängt worden, was auf dessen offenkundige Gleichgültigkeit gegenüber ordnungsrechtlichen Vorschriften schließen lasse.

Mit Urteil des "LG Ried" vom 28. Juni 2005 sei der Beschwerdeführer wegen der teils vollendeten, teils versuchten Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall und § 28 Abs. 3 erster Fall SMG iVm § 15 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Er habe im Zeitraum zwischen Anfang Dezember 2003 und Mitte März 2004 mehr als das Zweifache einer großen Menge Suchtgift im Sinn des § 28 Abs. 6 SMG, nämlich insgesamt 871 Ecstasy-Tabletten zu einem Stückpreis zwischen 4 und 10 Euro gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt. Durch die Verurteilung liege eine bestimmte Tatsache im Sinn des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG vor. Angesichts des gravierenden Fehlverhaltens bedeute ein weiterer Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die das Grundinteresse der Gesellschaft an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität berühre. Zudem sei der seit dem Ende des Fehlverhaltens im Jahr 2004 verstrichene Zeitraum jedenfalls zu kurz, um die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr der Begehung weiterer, insbesondere gleichartiger Delikte bereits als weggefallen oder entscheidend gemindert ansehen zu können, zumal gegen den Beschwerdeführer im Zeitraum zwischen Juli 2002 und September 2005 insgesamt 19 rechtskräftige Strafen wegen Übertretungen von straßen- und kraftfahrrechtlichen Vorschriften verhängt worden seien.

Zugunsten des Beschwerdeführers sei jedoch zu berücksichtigen, dass sich sein gerichtlich strafbares Verhalten nur über einen relativ kurzen Zeitraum von dreieinhalb Monaten erstreckt habe. Unter dem Aspekt des Art. 8 Abs. 2 EMRK könne der bloße Umstand, dass der Beschwerdeführer für die Dauer des Aufenthaltsverbotes seine Familie in Österreich nicht kontaktieren könne, das durch sein gesamtes deliktisches Fehlverhalten beeinträchtigte Allgemeininteresse nicht überwiegen. All dies berücksichtigend sei die Dauer des erstinstanzlich verhängten Aufenthaltsverbotes von zehn Jahren auf fünf Jahre herabzusetzen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Die Beschwerde bestreitet nicht die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die vom Beschwerdeführer verübten Straftaten und seine deswegen erfolgte Verurteilung sowie die 19 gegen ihn rechtskräftig verhängten Verwaltungsstrafen. Sie bringt indes vor, gegen einen EWR-Bürger könne ein Aufenthaltsverbot nur auf Grund des konkreten persönlichen Verhaltens und nicht allein auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung verhängt werden. Die Straftaten des Beschwerdeführers würden bereits zwei Jahre zurückliegen. Seither habe er sich wohlverhalten. Eine Wiederholung der "Suchtgiftaktivitäten" sei unwahrscheinlich. Es habe sich bei ihm um einen Ersttäter gehandelt. Das gerichtliche Strafverfahren habe seinen Eindruck auf ihn nicht verfehlt und er werde in Zukunft keine strafbaren Handlungen mehr setzen. Diese Einschätzung würde sich auch im Gerichtsurteil widerspiegeln, in dem nur eine bedingte Strafe ausgesprochen worden sei. Die belangte Behörde habe in keiner Form konkret und am Einzelfall argumentierend aufgezeigt, "weshalb vom Beschwerdeführer trotz bedingter Verurteilung im Strafverfahren eine derartige Gefahr ausgehen kann".

1.2. Gegen den Beschwerdeführer als freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 86 Abs. 1 erster Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Bei der Frage, ob gegen einen freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürger ein Aufenthaltsverbot erlassen werden darf, ist zudem § 60 Abs. 2 FPG von Bedeutung, auf dessen Katalog als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid mit Blick auf die Verurteilung des Beschwerdeführers nicht nur die übertretene Norm des SMG und die Höhe der verhängten Strafe, sondern die von ihm konkret begangenen strafbaren Handlungen festgestellt. Es trifft daher nicht zu, dass sie das Aufenthaltsverbot allein auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung verhängt hat. Demnach hat der Beschwerdeführer im Zeitraum zwischen Anfang Dezember 2003 und Mitte März 2004 mehr als das Zweifache einer großen Menge Suchtgift, nämlich insgesamt 871 Ecstasy-Tabletten zu einem Stückpreis zwischen 4 und 10 Euro, gewerbsmäßig in Verkehr gesetzt.

Gerade bei der Suchtgiftkriminalität handelt es sich um eine besonders gefährliche Kriminalitätsform, bei der die Wiederholungsgefahr besonders groß ist und der eine große Sozialschädlichkeit anhaftet, wozu noch kommt, dass die strafbare Handlung des Beschwerdeführers in Bezug auf eine die Grenzmenge nach § 28 Abs. 6 SMG zweifach überschreitende Menge begangen wurde. Überdies wird die mangelnde Verbundenheit des Beschwerdeführers mit rechtlich geschützten Werten auch durch die 19 gegen ihn verhängten Verwaltungsstrafen dokumentiert. Im vorliegenden Fall ist daher eine ausreichende Grundlage dafür vorhanden, aus dem Fehlverhalten des Beschwerdeführers den Schluss zu ziehen, dass von ihm eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr ausgeht, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, und dass ein Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung der Republik Österreich nachhaltig und maßgeblich gefährden würde. Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerde liegen die Straftaten des Beschwerdeführers noch nicht so lange zurück, dass daraus ein Wegfall oder eine maßgebliche Verringerung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr abgeleitet werden könnte. Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer vor seinem Suchtgiftdelikt in Österreich strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten und nunmehr auch berufstätig ist, bietet keine Gewähr dafür, dass er in Hinkunft keine weiteren derartigen Straftaten mehr begehen werde. Die Behörde hat das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen betreffend die Gewährung bedingter Strafnachsicht zu beurteilen. Daher kann der Einschätzung der belangten Behörde auch nicht mit dem Argument entgegen getreten werden, das Strafgericht habe nur eine bedingt nachgesehene Strafe ausgesprochen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Oktober 1998, Zl. 98/18/0287).

2. Die Beschwerde bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 66 FPG. Unbestritten steht fest, dass sich der Beschwerdeführer seit 2001 im Bundesgebiet aufhält und er mit seiner Familie (Eltern, Lebensgefährtin, Sohn) in Linz lebt und hier auch arbeitet. Im Hinblick darauf ist ein mit dem Aufenthaltsverbot verbundener relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG zu bejahen. Dennoch ist im Licht dieser Gesetzesbestimmung angesichts der Straftaten des Beschwerdeführers (vgl. I.1.) die Erlassung der Maßnahme in Ansehung des in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses - hier an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität - dringend geboten. Unter Zugrundelegung dieses großen öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers erweist sich auch das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Interessenabwägung als unbedenklich. Die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration des Beschwerdeführers hat in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch sein strafbares Verhalten, insbesondere durch sein Suchtgiftdelikt, eine ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren. Von daher gesehen ist der durch die Straftaten des Beschwerdeführers in Österreich bewirkten Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen und damit den nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes kein geringeres Gewicht beizumessen als den Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und die seiner Angehörigen.

3. Die Beschwerde war gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.

4. Angesichts der Erledigung der Beschwerde erübrigt sich eine Entscheidung über den Antrag, ihr die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Wien, am 4. Oktober 2006

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte