VwGH 2006/14/0105

VwGH2006/14/010525.1.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Zorn, Dr. Robl und Dr. Büsser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der IK in K, vertreten durch Dr. Gustav Teicht und Dr. Gerhard Jöchl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Ebendorferstraße 7, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Tirol vom 10. Juni 2002, Zl. RV 104/1- T2/01 , betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum 1. September 1996 bis 31. August 2000 sowie Versagung der Weitergewährung der Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Normen

31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art1 lita idF 31998R1606;
31998R1606 Nov-31971R1408/31972R0574 Art1;
62003CJ0543 Dodl und Oberhollenzer VORAB;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art1 lita idF 31998R1606;
31998R1606 Nov-31971R1408/31972R0574 Art1;
62003CJ0543 Dodl und Oberhollenzer VORAB;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 381,90 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid forderte die belangte Behörde die Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für die beiden Kinder der Beschwerdeführerin betreffend den Zeitraum Oktober 1996 bis August 2000 zurück und versagte die Weitergewährung der Familienbeihilfe für diese beiden Kinder.

Unbestritten war die Beschwerdeführerin von September 1995 bis September 1996 als Lehrerin an der Handelsschule in K beschäftigt. Im Jahr 1996 übersiedelte der Ehemann der Beschwerdeführerin, ein griechischer Staatsangehöriger, mit den beiden Kindern nach Griechenland, wo er als selbständiger Unternehmer tätig ist. Die beiden Kinder besuchen seit September 1996 die deutsche Schule in Athen. Über Antrag der Beschwerdeführerin - nach ihren Angaben zum Zweck der Familienzusammenführung - wurde ihr ab September 1996 gemäß § 75 Abs. 1 BDG 1997 ein Urlaub unter Entfall der Bezüge (Karenzurlaub) gewährt. Seither hält sie sich - von gelegentlichen Aufenthalten in K abgesehen - ständig bei ihrer Familie in Griechenland auf.

Aus diesem Sachverhalt schloss die belangte Behörde, dass sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der Beschwerdeführerin seit September 1996 eindeutig nicht mehr in Österreich, sondern in Griechenland befinde. Nach Art. 73 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, Selbstständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO), habe ein Arbeitnehmer oder Selbstständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegt, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnen. Art. 1 lit. a VO definiere jedoch eindeutig, dass unter "Arbeitnehmer" nur eine Person zu verstehen sei, die pflichtversichert oder freiwillig versichert bzw. weiterversichert sei. Da die Beschwerdeführerin seit 9. September 1996 weder pflichtversichert noch freiwillig weiterversichert sei, fänden die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften auf sie keine Anwendung. Ab Oktober 1996 habe somit für die beiden Kinder kein Anspruch mehr auf die österreichische Familienbeihilfe bestanden.

Zwischen den Parteien ist strittig, ob gemeinschaftsrechtliche Vorschriften der Rückforderung der Familienbeihilfe bzw. der Versagung ihrer Weitergewährung entgegenstehen. Die Beschwerdeführerin stützt sich dabei auf die bereits genannte VO.

Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Ablehnung der Behandlung der Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. November 2002, B 1211/02, und deren Abtretung gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG - nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die genannte VO lautet in der konsolidierten Fassung ABl. L 028 vom 30. Jänner 1997 und nach Änderung durch die VO (EG) 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 ABl. L 209 auszugsweise:

"Art. 1

Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

  1. a) 'Arbeitnehmer' oder 'Selbständiger': jede Person,
  2. i) die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist;

    ii) die im Rahmen eines für alle Einwohner oder die gesamte erwerbstätige Bevölkerung geltenden Systems der sozialen Sicherheit gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken pflichtversichert ist, die von den Zweigen erfasst werden, auf die diese Verordnung anzuwenden ist,

(1) Vorbehaltlich des Artikels 14c (und 14f (eingefügt durch ABl. L 209/1998)) unterliegen Personen für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

...

Art. 73:

Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Art. 75 Abs. 1:

Familienleistungen werden in dem in Artikel 73 genannten Fall vom zuständigen Träger des Staates gewährt, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder den Selbständigen

gelten; ... Sie werden nach den für diese Träger geltenden

Bestimmungen unabhängig davon gezahlt, ob die natürliche oder juristische Person, an die sie zu zahlen sind, im Gebiet des zuständigen Staates oder in dem eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder sich dort aufhält."

Über Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgerichtes Innsbruck vom 16. Dezember 2003 erkannte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften mit Urteil vom 7. Juni 2005, Rechtssache C-543/03 "Christine D und Petra O gegen Tiroler Gebietskrankenkasse", im Spruchpunkt 1. zu Recht:

"Eine Person besitzt die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 geänderten und aktualisierten Fassung, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Artikel 1 Buchstabe a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die notwendigen Prüfungen vorzunehmen, um festzustellen, ob die Klägerinnen der Ausgangsverfahren in den Zeiträumen, für die die fraglichen Leistungen beantragt wurden, einem Zweig des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit angehört haben und damit unter den Begriff 'Arbeitnehmer' im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a fielen."

Dem genannten Vorabentscheidungsersuchen lag die Frage zu Grunde, ob die Klägerinnen der Ausgangsverfahren die Arbeitnehmereigenschaft im Sinn der genannten Verordnung deswegen verloren haben, weil ihr Arbeitsverhältnis geruht hat und sie in dieser Zeit keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen mussten. Im Fall beider Klägerinnen war das Arbeitsverhältnis wegen der Geburt von Kindern im fraglichen Zeitraum karenziert. In dem beim OLG Innsbruck anhängigen Verfahren begehrten die Klägerinnen Kinderbetreuungsgeld.

In den Entscheidungsgründen seines Urteils führte der EuGH aus, dass die Bedeutung des Arbeitnehmerbegriffs im Gemeinschaftsrecht nicht einheitlich sei, sondern vom jeweiligen Anwendungsbereich abhänge (Rnr. 27). Die Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" seien in Art. 1 Buchstabe a der Verordnung definiert. Sie bezeichneten jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1 Buchstabe a aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert sei (Rnr. 29). Eine Person besitze somit die Arbeitnehmereigenschaft im Sinn der genannten Verordnung, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Art. 1 Buchstabe a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert sei, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses (Rnr. 30). Dies sei vom nationalen Gericht zu prüfen (Rnr. 33).

Indem der EuGH bei der Prüfung, ob (karenzierte) Personen einem Zweig des Systems der sozialen Sicherheit angehört haben und damit unter den Begriff "Arbeitnehmer" im Sinn von Art. 1 lit. a) der VO fallen, ausdrücklich auf die Zeiträume abstellte, für die die fraglichen Leistungen beantragt wurden, stellte er klar, dass es nicht auf die Verhältnisse vor Beginn der Karenzierung ankommt.

Damit steht fest, dass der Beschwerde keine Berechtigung zukommt. Die belangte Behörde hat nämlich in der Begründung des angefochtenen Bescheides festgestellt, dass die Beschwerdeführerin seit 9. September 1996 weder pflichtversichert noch freiwillig weiterversichert war. Gegen diese - in der Beschwerde auch nicht relevierte - Ansicht hegt der Gerichtshof in Anbetracht der durch § 7 B-KUVG normierten Unterbrechung der Versicherung keine Bedenken.

Bemerkt sei, dass die Beschwerdeführerin in der an den Verfassungsgerichtshof gerichteten ursprünglichen Beschwerde bezogen auf Art. 1 der VO vorgebracht hat, dass es sich bei der Familienbeihilfe um eine Pflichtversicherung im Sinn eines Systems der sozialen Sicherheit handle. Dieses Vorbringen stellt einen Zirkelschluss dar. Es wird nämlich das gewünschte Ergebnis, das ist die Berechtigung zum Erhalt der Familienbeihilfe, bereits als deren Voraussetzung, nämlich als Bestand einer Pflichtversicherung, gewertet.

Von diesem Vorbringen abgesehen wird für den gegenständlichen Zeitraum der Bestand weder einer Pflichtversicherung noch einer freiwilligen Weiterversicherung behauptet. Da die Beschwerdeführerin somit nicht unter den Arbeitnehmerbegriff des Art. 1 der VO fällt, vermag sie gemeinschaftsrechtliche Ansprüche nicht mit Erfolg geltend zu machen. Nicht zielführend ist der Beschwerdehinweis, dass Beamte in den Geltungsbereich der VO vorerst gemäß Art. 2 Abs. 3 einbezogen waren und nunmehr durch den mittels der VO 1606/98 geänderten Art. 1 lit. a) Z i) einbezogen sind; auch für Beamte gilt nämlich nach dem klaren Wortlaut der VO grundsätzlich die Voraussetzung der Pflichtversicherung oder freiwilligen Weiterversicherung des Art. 1 lit. a).

Soweit die Beschwerde auf die Grundfreiheiten im Bereich der Europäischen Gemeinschaften verweist, ist ihr zu entgegnen, dass der EuGH in dem vergleichbaren Fall des Vorabentscheidungsersuchens in keiner Weise eine Verletzung dieser Grundfreiheiten gesehen hat. Auch aus der Sicht des Beschwerdefalles ist eine Verletzung von gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten nicht zu erkennen.

Da somit der nach § 2 Abs. 8 FLAG zulässigen Rückforderung der gezahlten bzw. der Versagung einer weiteren Familienbeihilfe keine Bestimmungen des Gemeinschaftsrecht entgegenstehen, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 25. Jänner 2006

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