VwGH 2006/09/0040

VwGH2006/09/004026.6.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mizner und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des RG in L, vertreten durch Dr. Günter Gsellmann, Rechtsanwalt in 8041 Graz, Raiffeisenstraße 138 A, gegen die Spruchpunkte 2) und 3) des Bescheides der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 9. Jänner 2006, Zl. 102/19-DOK/05, betreffend Disziplinarstrafe der Entlassung, zu Recht erkannt:

Normen

BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
BDG 1979 §125a Abs3 Z5;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Disziplinarerkenntnis vom 19. Mai 2005 hat die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Finanzen - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 3. Dezember 2001 - den Beschwerdeführer (einen Beamten der ehemaligen Post- und Telegraphenverwaltung, jetzt Post AG) wie folgt für schuldig befunden:

"OO RG

Gesamtzusteller bei der

Zustellbasis L

ist schuldig,

1. am 3. Dezember 2004, das ist der letzte Arbeitstag vor seinem mit 6. Dezember 2004 erfolgten Urlaubsantritt, die 'Schusspost' nicht bearbeitet bzw. nicht weitergeleitet zu haben,

2. eine nichtbescheinigte Briefsendung mit Röntgenbild (Aufgabedatum laut OT-Stempel 26. November 2004), welche am 6. Dezember 2004 im Depotkasten in der S-Straße, L, von der Urlaubsvertretung des Beschuldigten vorgefunden wurde, nicht zugestellt zu haben,

3. am 7. Februar 2005 (Faschingsmonat) den Inhalt von zwei für die Depotstelle S-Straße, L, bestimmten Vorführsäcken (217 Briefsendungen und beanschriftete Info-Mails sowie auch Info-Post) nicht zugestellt, die beiden Vorführsäcke samt Inhalt im Keller des Wohnhauses K-Straße deponiert und auf Grund seiner Alkoholisierung darauf vergessen zu haben, wodurch die erst auf Grund des Anrufes einer Bewohnerin am 15. März 2005 mit mehrwöchiger Verspätung erfolgte Zustellung dieser Sendungen ermöglicht wurde, sowie

4. am 07. Februar 2005 den Zustellgang zwischen ca. 10.00 Uhr und 13.00 Uhr unterbrochen, im Gasthaus G in der K-Straße, L, entgegen den ihm bekannten Bestimmungen Alkohol konsumiert und den Zustellgang nach Zustellung der Sendungen für die Abgabestellen in der S-Straße wegen seiner Alkoholisierung abgebrochen zu haben.

Durch sein Verhalten hat OO RG sowohl gegen die Pflicht des Beamten, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen (§ 43 Abs. 1 BDG 1979), als auch gegen die Pflicht des Beamten, in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt (§ 43 Abs. 2 BDG 1979), verstoßen und sich somit Dienstpflichtverletzungen im Sinne des § 91 leg. cit. schuldig gemacht.

Es wird deshalb über ihn gemäß § 92 Abs. 1 Z. 4 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 die Disziplinarstrafe der Entlassung

verhängt."

Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung "wegen des Ausspruchs über die Schuld und die Strafe" und beantragte, ihn "nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in den Punkten 2. bis 4. freizusprechen und hinsichtlich der Anschuldigung nach Pkt. 1. eine angemessene Geldstrafe zu verhängen.

Zur Begründung führte er im Wesentlichen seine Alkoholabhängigkeit an.

Die belangte Behörde bestellte Dr. N zum Sachverständigen mit folgendem Auftrag:

"... Ersuchen um Erstellung eines Sachverständigengutachtens über" den Beschwerdeführer "bezüglich dessen Schuldfähigkeit (Diskretions- und Dispositionsfähigkeit) zur Zeit der Begehung der oben angeführten Dienstpflichtverletzungen; dies zur Klärung der Frage, ob" der Beschwerdeführer "zu den im Spruch des erstinstanzlichen Disziplinarerkenntnisses angeführten Zeitpunkten bzw. in diesem Zeitraum aus fachärztlicher Sicht in der Lage war, das disziplinäre Unrecht seiner Handlungen einzusehen und sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten."

Das vom Sachverständigen erstattete Gutachten vom 3. November 2005 gelangte zum Schluss,

"es ergibt sich daher - auch unter Einbeziehung der Tatsachen, dass der Untersuchte zur damaligen Zeit praktisch täglich derartige Alkoholmengen zu sich nahm - kein Hinweis für eine signifikant verminderte Dispositions- bzw. Diskretionsfähigkeit."

Zu diesem Gutachten wurde dem Beschwerdeführer Parteiengehör gewährt. In der Stellungnahme vom 5. Dezember 2005 rügte der Beschwerdeführer, das Gutachten sei sowohl unrichtig als auch unvollständig.

Ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die belangte Behörde begründete dies mit einem Hinweis auf § 125a Abs. 3 Z. 5 BDG 1979 - erließ die belangte Behörde den nunmehr angefochtenen Bescheid mit folgendem Spruch:

"1) Der Berufung wird hinsichtlich des im ersten Satzteil des Spruchpunktes 4. des angefochtenen Disziplinarerkenntnisses enthaltenen disziplinären Vorwurfes der Unterbrechung seines Zustellganges am 7. Februar 2005 für die Dauer von ca. drei Stunden zwecks Konsums alkoholischer Getränke während dieser Zeit Folge gegeben und der Beschuldigte diesbezüglich freigesprochen.

2) Im Übrigen (hinsichtlich aller anderen

Schuldsprüche sowie auch hinsichtlich der Verhängung der

Disziplinarstrafe der Entlassung) wird der Berufung keine Folge

gegeben und das angefochtene Disziplinarerkenntnis bestätigt.

3) Der Beschuldigte hat die durch die

Einholung des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Univ.- Prof. Dr. N vom 3.11.2005 entstandenen Verfahrenskosten idHv EUR 437,28 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."

Erkennbar nur gegen die Spruchpunkte 2) und 3) dieses Bescheides richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Unter Eingehen auf das erwähnte Sachverständigengutachten rügt der Beschwerdeführer unter anderem die Unterlassung einer mündlichen Verhandlung, bei deren Durchführung die belangte Behörde zu einem für ihn günstigeren Ergebnis gekommen wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 125a BDG 1979 lautet:

"(1) Die mündliche Verhandlung vor dem Disziplinarsenat kann ungeachtet eines Parteienantrages in Abwesenheit des Beschuldigten durchgeführt werden, wenn der Beschuldigte trotz ordnungsgemäß zugestellter Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschienen ist, sofern er nachweislich auf diese Säumnisfolge hingewiesen worden ist.

(2) Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinarsenat kann ungeachtet eines Parteienantrages Abstand genommen werden, wenn der Sachverhalt infolge Bindung an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils eines Strafgerichtes oder eines Straferkenntnisses eines unabhängigen Verwaltungssenates zugrunde gelegte Tatsachenfeststellung hinreichend geklärt ist.

(3) Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Disziplinaroberkommission kann ungeachtet eines Parteienantrages Abstand genommen werden, wenn

  1. 1. die Berufung zurückzuweisen ist,
  2. 2. die Angelegenheit an die erste Instanz zu verweisen ist,
  3. 3. ausschließlich über eine Berufung gegen die Auferlegung eines Kostenersatzes zu entscheiden ist,

    4. sich die Berufung ausschließlich gegen die Strafbemessung richtet oder

    5. der Sachverhalt nach der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint.

(4) In den Fällen des Abs. 1 ist vor schriftlicher Erlassung des Disziplinarerkenntnisses dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, von dem Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis und dazu Stellung zu nehmen."

Nach der zu § 125a Abs. 3 Z 5 BDG 1979 ergangenen Rechtsprechung ist der Sachverhalt dann als nach der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde, und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird; darunter sind nicht nur inhaltsleere Bestreitungen zu verstehen. Die Berufungsbehörde darf insbesondere auch dann nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen nach § 125a Abs. 3 Z 5 BDG 1979 ausgehen (und demnach nicht von einer mündlichen Berufungsverhandlung absehen), wenn der Sachverhalt nicht hinreichend geklärt wurde, der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 21. September 2005, Zl. 2002/09/0133, und die darin angegebene Judikatur).

Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Fall ihre Entscheidung auf das zusätzliche Ermittlungsergebnis des im Berufungsverfahren erstatteten Sachverständigengutachtens gestützt ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren hinsichtlich des Ersatzes der Stempelgebühren war abzuweisen, weil dem Beschwerdeführer diesbezüglich Verfahrenshilfe gewährt wurde.

Wien, am 26. Juni 2006

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