Normen
EMRK Art2;
StPO §180;
VwRallg;
WaffGG 1969 §7 Z3;
WaffGG 1969 §7 Z4;
WaffGG 1969 §7;
EMRK Art2;
StPO §180;
VwRallg;
WaffGG 1969 §7 Z3;
WaffGG 1969 §7 Z4;
WaffGG 1969 §7;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Sohn des Beschwerdeführers, F T (im Folgenden: F.T.), verstarb am 24. Jänner 2005 an den Folgen einer im Zuge eines Polizeieinsatzes am 17. Jänner 2005 erlittenen Schussverletzung.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes seit dem Erkenntnis vom 6. März 2001, B 159/00, wonach im Falle der Tötung einer Person im Zuge einer Amtshandlung auch nahe Angehörige als Hinterbliebene zur Erhebung der Maßnahmenbeschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat legitimiert sind, erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 28. Februar 2005 Maßnahmenbeschwerde gegen die Bundespolizeidirektion Wien an die belangte Behörde. Mit am 6. Oktober 2005 mündlich verkündetem Bescheid (schriftlich ausgefertigt ebenfalls mit diesem Datum) wies diese die Beschwerde gemäß § 67c Abs. 3 AVG als unbegründet ab und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Aufwandersatz. Gegen diesen Bescheid wendet sich die gegenständliche Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und eines Lokalaugenscheins folgenden - hier weitgehend ungekürzt wiedergegebenen - Sachverhalt zu Grunde:
"Am 17.1.2005 kurz vor 16.00 Uhr wurde F T in seinem silberfarbenen KKW Audi S4 ohne polizeiliches Kennzeichen an der Kreuzung LGasse - ZGasse von einer Streifenbesatzung wahrgenommen, welche daraufhin mit eingeschaltetem Blaulicht dem Lenker folgte und ihn anzuhalten versuchte. Als F T merkte, dass ihn die Polizeibeamten anhalten wollten, begann er eine Fluchtfahrt, welche ihn über die Ngasse und Kstraße zum Fsteig und dann vorbei an der B H über die J-Straße zur J und weiter bis zum Nweg führte, und zu deren Details auf die im wesentlichen übereinstimmenden Angaben in den Schriftsätzen beider Parteien verwiesen werden kann. Hervorzuheben ist lediglich, dass es sich beim Zeitpunkt der Fluchtfahrt um die Stoßzeit an einem Montag handelte, dass F T mehrere Kreuzungen trotz Rotlicht der jeweiligen Verkehrslichtsignalanlage überquerte, darunter den äußeren G im Bereich der Kstraße, und dass er bei diesen und zahlreichen weiteren Gelegenheiten andere Verkehrsteilnehmer zum Abbremsen und Ablenken ihrer Fahrzeuge bzw. zum Zurückspringen nötigte, zumal er während dieser Fluchtfahrt sein Fahrzeug auf bis zu 120 km/h beschleunigte und auch die für Überholen, Spurwechsel, Bodenmarkierungen, Schutzwege etc. geltenden Rechtsvorschriften missachtete. Festzuhalten ist weiters, dass ein Beamter der ursprünglich verfolgenden Streifenbesatzung zweimal ausstieg und sich zum Fahrzeug des F T begab, um diesen anzusprechen und zum Aussteigen zu veranlassen, als er verkehrsbedingt anhalten musste. Bei der ersten derartigen Gelegenheit verriegelte F T sein Fahrzeug von innen, als er die Absicht des Beamten wahrnahm, bei der zweiten Gelegenheit fuhr er so los, dass er den Beamten mit der linken Seite seines Fahrzeug(s) von diesem wegstieß.
Kurz nachdem die erstverfolgende Streifenbesatzung das Fahrzeug des F T auf Grund dessen überlegener Motorleistung verloren hatte, wurde das Fahrzeug von den Beamten M und K wahrgenommen, denen es am Flötzersteig - trotz doppelter Sperrlinie auf der für den Gegenverkehr bestimmten Fahrbahnhälfte stadtauswärts fahrend - entgegenkam. Zu diesem Zeitpunkt hatten die beiden Beamten den Funkverkehr verfolgt und waren deshalb darüber informiert, dass ein silberner Audi S4 ohne Kennzeichen vor dem Funkwagen H IV von innerhalb des G über die Kstraße davon gefahren und von diesem verfolgt worden war, wobei er sich einer rücksichtslosen Fahrweise ('wie eine Wildsau') und einer extrem überhöhten Geschwindigkeit bedient hatte, sodass es ihm in der Folge gelungen war, den an der Grenze seiner Möglichkeiten nachfahrenden Streifenwagen abzuhängen ('unser Scheiß-Renault geht nicht so schnell'). Sie waren im Wesentlichen über die eingehaltene Fahrstrecke und Route informiert, sowie darüber, dass sich der Lenker mehrmals der Anhaltung entzogen hatte, jedoch nicht, unter welchen Umständen das beim zweiten Mal (im Bereich des L-Platzes) geschehen war.
Für einen verständigen Menschen ergab sich aus den den Beamten solcherart verfügbaren Informationen ein dringender Verdacht zumindest auf Diebstahl des betreffenden Fahrzeuges, soweit dem Lenker rationales Handeln unterstellt wird; andernfalls auf ein eben nicht der Vernunftkontrolle unterliegendes Verhalten. In Verbindung mit der Kenntnis der aktuellen Verkehrslage konnte weiters - auch ohne diesbezügliche Detailinformationen - mit größter Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass es bereits auf der im Funkverkehr beschriebenen Fahrtstrecke zu etlichen konkreten Gefährdungen von Menschen gekommen war. Nicht anders sahen dies die beteiligten Beamten.
Bei der anschließenden Nachfahrt ab dem Fsteig stellten die Beamten aus eigener Wahrnehmung fest, dass F T mit besonderer Rücksichtslosigkeit fuhr; so sahen sie einen den Schutzweg in der Sstraße querenden Fußgänger vor dem davonfahrenden Audi zurückspringen, ohne dass an diesem Fahrzeug die Bremslichter aufgeleuchtet hätten. Weiters beobachteten sie die Gefährdung einer Reihe entgegenkommender Lenker durch F T in der J-Straße, welche auf der befahrenen Strecke eine 30 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung aufweist, und - zumindest in ihrem oberen Teil - das Passieren entgegenkommender Fahrzeuge auf Grund ihrer geringen Breite nicht erlaubt, sodass nur durch Fahren auf halbe Sicht Unfälle verlässlich vermieden werden können. Diese Strecke befuhr F T mit etwa 80 km/h. Innerhalb dieser Strecke bog er auf einen unterhalb der J gelegenen Parkplatz ein, wobei vier bis fünf Personen zurückspringen mussten, um von seinem Auto nicht erfasst zu werden, und weitere Personen - es herrschte für die Jahreszeit relativ mildes Wetter, weshalb Ausflügler unterwegs waren - hinter ihren abgestellten Autos Schutz suchten, als sich das Fahrzeug des Flüchtenden drehte. Da das Fahrzeug nach diesem gefährlichen Manöver kurz zum Stehen kam, stieg Insp. K aus, konnte aber nicht einmal mehr auf das Fahrzeug zugehen, weil dieses schon wieder davonfuhr. Bei dieser Gelegenheit nahm er einen starren Gesichtsausdruck mit nach vorne gerichtetem Blick des Lenkers wahr, was ihn befürchten ließ, dass dieser auf seine Flucht fixiert und kaum mehr ansprechbar sei.
In Kenntnis des Umstandes, dass an den Parkplatz anschließend eine längere Strecke durch den Wald bis zur J und den dort angelegten Parkplätzen führt, sodann der darauf folgende Pweg ebenfalls im Wald verläuft, bis man wiederum zu einer Siedlung am Uweg gelangt, welcher in steilen Kurven abwärts Richtung Astraße führt, und in Kenntnis der weiteren Informationen aus dem Funkverkehr, wonach keine Unterstützung aus Richtung der Astraße zu erwarten war, da sich nur stadtseitig weitere nachkommende Streifenwagen befanden, entschloss sich Insp. K zum Waffengebrauch, und zwar vorerst durch die Abgabe von Schreck- bzw. Warnschüssen. Etwa zu diesem Zeitpunkt wurde von Seiten einer in den Funkverkehr eingebundenen Streife mitgeteilt, dass sich am vergangenen Freitag ein Bankraub mit einem Audi S, silber, ereignet habe. K gab noch vor Passieren des bei der J gelegenen Parkplatzes fünf Schüsse ab, unterbrach dann während der Vorbeifahrt und feuerte sodann noch einen weiteren Warnschuss ab, worauf ihn eine Ladehemmung zum Magazinwechsel zwang.
Da die zur Warnung abgegebenen Schüsse F T nicht zum Anhalten veranlassten, entschloss sich Insp. K nunmehr zur Abgabe von Schüssen auf das verfolgte Fahrzeug, worüber er sich mit seinem Kollegen kurz verständigte. Für den Schützen war dabei in erster Linie die Überlegung maßgeblich, dass sich der verfolgte Lenker auf einer rücksichtslosen Fluchtfahrt vor der Polizei durch mittlerweile beinahe das halbe Stadtgebiet befand, in deren Verlauf die Vermeidung von schweren Unfällen mit getöteten und schwer verletzten Personen nicht in der Macht des Lenkers gestanden, sondern teils glücklichen Umständen zuzuschreiben war, teils der Tatsache, dass der Lenker von einem Streifenwagen mit Blaulicht und Folgetonhorn verfolgt und gefährdete Personen dadurch gewarnt worden waren. Er befürchtete daher, dass es zu solch einem Unfall noch kommen werde, wenn es nicht gelänge, den flüchtenden Lenker anzuhalten. Realistische Alternativen zum Waffengebrauch gegen das Fahrzeug, welcher mit Lebensgefahr für den Lenker verbunden war, bestanden diesbezüglich nicht.
Nach dem Magazinwechsel zielte Insp. K daher auf das Fahrzeug in Höhe der Stoßstange und schoss im Bereich (des) Pweges zweimal, jeweils ohne Wirkung. Er nahm daher an, nur den Asphalt unter dem verfolgten Kraftfahrzeug getroffen zu haben, und hielt bei den fünf noch folgenden Schüssen etwas höher an, nämlich gleich unterhalb der für das Fahrzeugkennzeichen vorgesehenen Stelle. K gab diese Schüsse im Abstand von jeweils ca. einer Sekunde ab, sodass er einer plötzlichen Bewegungsänderung des verfolgten Kraftfahrzeuges sofort Rechnung tragen konnte. Eine direkte Wahrnehmung der Einschläge in das Heck des Fahrzeuges war nicht möglich, die Beamten konnten nicht einmal erkennen, dass die Heckscheibe zersprang. Als nach dem fünften Schuss das Fluchtfahrzeug abrupt abgebremst wurde, stellte K das Feuer ein. F T war den verfolgenden Beamten persönlich nicht bekannt und wurde während der festgestellten Vorgänge auch von keinem anderen Beamten der belangten Behörde identifiziert.
(...)
Von den insgesamt sieben auf das Fahrzeug gezielten Schüssen traten laut Gutachten zwei unterhalb der Heckscheibe ein, gingen durch den Fahrersitz und verletzten F T am linken Arm und im Bereich des rechten Hüftknochens. Einer trat neben dem linken Rücklicht ein und blieb im linken hinteren Türfalz, ein weiteres Geschoß blieb oben im Rahmen der Heckklappe stecken. Ein Schuss streifte das Fahrzeugdach, einer zerstörte die Heckscheibe und trat durch die Windschutzscheibe wieder aus. Das - wie nach den Zeugenaussagen anzunehmen -letzte Projektil blieb mit seinem Mantel in der Kofferraumabdeckung stecken, der Kern wurde abgelenkt und verursachte im Schädel und Gehirn des F T tödliche Verletzungen."
Beweiswürdigend stützte die belangte Behörde die Feststellungen hinsichtlich des ersten Teiles der Fluchtfahrt auf die insoweit unstrittigen Angaben in der noch am Tag der Amtshandlung auf Basis der Angaben der beteiligten Beamten verfassten polizeilichen Anzeige, hinsichtlich des Verlaufs des zweiten Teiles der Fluchtfahrt ab dem Fsteig, des in dieser Phase gegebenen Wissens der einschreitenden Beamten, den daraus gezogenen Schlussfolgerungen und der Motivation zum Schusswaffengebrauch auf das als unbedenklich erachtete Protokoll über den Funkverkehr im gegenständlichen Zeitraum sowie auf die als glaubwürdig und nachvollziehbar erachteten Zeugenaussagen der Beamten Insp. K und RvI. M in der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich des letzten Aspekts - der (subjektiven) Gründe für den Waffengebrauch - führte die belangte Behörde beweiswürdigend u. a. aus:
"Unterschiedliche Sichtweisen zwischen den Parteien bestanden in der Frage der Gründe für den - insbesondere den lebensgefährdenden - Waffengebrauch, sowie was die Abgabe der einzelnen Schüsse anbelangt. Auch diesbezüglich folgt der Unabhängige Verwaltungssenat Wien den glaubwürdigen Aussagen von Insp. K und RvI. M. Daraus ergibt sich zwischen diesen beiden Beamten eine subjektiv etwas unterschiedliche Gewichtung einzelner Faktoren; so scheint der Funkspruch betreffend den flüchtigen Bankräuber (zu ergänzen: den Fahrer des Einsatzwagens) RvI. M von rechtlichen Bedenken, welche dieser in Bezug auf die Subsumption eines Schusswaffengebrauchs unter § 7 Z 3 des Waffengebrauchsgesetzes noch gehabt hatte, entlastet zu haben, während dieser Funkspruch für den Schützen Insp. K bei seinem Entschluss nicht maßgeblich war. Beide Beamte waren davon unabhängig allerdings überzeugt, dass es erforderlich war, die rücksichtslose Fahrt des flüchtenden Lenkers ehebaldigst zu beenden, um einen Unfall mit schweren Folgen zu verhindern.
Ferner besteht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass den Beamten die örtlichen Verhältnisse im Wesentlichen bekannt waren, nämlich dass sie kurz nach der J zu der steil Richtung Astraße abfallenden Siedlung am Uweg gelangen würden, wo die Unfallwahrscheinlichkeit besonders hoch und auf Grund des milden Wetters die Gefahr der Involvierung von Passanten gesteigert war. Das Beweisverfahren hat keinen Hinweis auf realistische Alternativen zum Schusswaffengebrauch ergeben, um ein Anhalten zu erzwingen. Die Beamten mussten somit davon ausgehen, dass eine Beendigung der Fahrt nur in ihrer Hand lag, und die belangte Behörde hatte in der Tat auch keine andere Möglichkeit dazu.
Der Schütze, Insp. K, vertrat seine Handlungsweise mit Überzeugung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat Wien, indem er angab, er habe sich verpflichtet gesehen, den Flüchtenden nach Möglichkeit noch vor der Einfahrt in diese Siedlung zum Stehen zu bringen, um absehbare schwerwiegende Gefährdungen von Menschen zu verhindern. Dabei konnte er dem Senat glaubwürdig vermitteln, dass diese Erwägungen beim Waffengebrauch für ihn in erster Linie maßgeblich gewesen sind. Das schließt nicht aus, dass bei allfälligen Überlegungen Insp. K, inwieweit sein Waffengebrauch mit § 7 des Waffengebrauchsgesetzes vereinbar sein werde, noch andere Schlussfolgerungen eine Rolle gespielt haben mögen, wie sie sich aus Situationen wie der gegenständlichen für jeden Polizisten mehr oder minder zwangsläufig ergeben: etwa, dass der Wagen entweder gestohlen sein oder dass der Flüchtende, sollte er überhaupt rational handeln, bei seiner Anhaltung durch die Polizei gravierende Nachteile - wie vor allem die Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe - befürchten musste, denen er mit seiner höchst gefährlichen Fahrweise entgehen wollte. Solche, die spätere rechtliche Bewertung seines Verhaltens betreffenden Überlegungen muss der Beamte jedoch nicht zwangsläufig angestellt haben; wenn doch, so waren sie kein entscheidendes Handlungsmotiv. Sein Handeln verfolgte vielmehr das Ziel, die rücksichtslose Flucht noch vor dem absehbaren Eintreten schwerer Folgen zu beenden."
Die Feststellungen zur Wirkung der abgegebenen Schüsse stützte die belangte Behörde auf ein - vom Landesgericht für Strafsachen Wien zum gegenständlichen Sachverhalt eingeholtes - Sachverständigengutachten, die Schätzung des zeitlichen Abstandes zwischen den abgegebenen Schüssen auf jeweils etwa eine Sekunde auf die vorgelegte Tatortmappe der Polizei, wonach im Bereich des Nweges fünf Patronenhülsen auf einer Strecke von etwa 50 m vorgefunden wurden. Dazu stellte die belangte Behörde - auszugsweise - folgende Überlegungen an:
"Von den folgenden fünf Schüssen ist der erste kurz nach Verlassen des Pweges in den Nweg abgegeben worden. Aus einer über die folgenden 50 m eingehaltenen Geschwindigkeit von 30 bis 50 km/h ergibt sich ein Zeitbedarf von 4 bis 6 Sekunden, sodass bei regelmäßiger Abgabe der fünf Schüsse ein Abstand von ca. 1 Sekunde jeweils anzunehmen ist. Dieser Zeitraum ermöglicht durchaus ein Zielen vor der Abgabe des Schusses, abgesehen davon, dass der Gebrauch der Waffe aus einem fahrenden gegen ein verfolgtes Fahrzeug - wie im Gutachten nachvollziehbar ausgeführt wird - zu den schwierigsten Formen des Waffengebrauchs überhaupt zählt. Vor allem aber erlaubt er das Abwarten einer sich als unmittelbare Schussfolge ergebenden Bewegungsänderung des Fahrzeuges (wie Verzögerung, Schleudern oder seitliches Ausbrechen)."
Rechtlich prüfte die belangte Behörde als Grundlage für den lebensgefährdenden Waffengebrauch sowohl § 7 Z. 3 des Waffengebrauchsgesetzes (im Folgenden: WaffGG) als auch Z. 4 leg. cit. und kam zu dem Schluss, dass die einschreitenden Beamten diesen jedenfalls auf einen der beiden Tatbestände stützen durften, der Waffengebrauch im Ergebnis also zulässig gewesen sei. Ausgehend von einer ex ante-Betrachtung zum Zeitpunkt der Schussabgabe habe es sich bei F.T. um einen allgemein gefährlichen Menschen gehandelt, von dem die Beamten annehmen durften, er sei entweder geisteskrank (Z. 4) oder einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, dringend verdächtig (Z. 3). Realistische Alternativen zum Schusswaffengebrauch, um ein Anhalten des F.T. zu erzwingen, hätten nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens nicht vorgelegen.
Zur Stützung des Schusswaffengebrauchs auf § 7 Z. 3 WaffGG zog die belangte Behörde Verdachtsmomente hinsichtlich einer Reihe von strafbaren Handlungen - schwerer Diebstahl, Raub, Widerstand gegen die Staatsgewalt und vorsätzliche Gemeingefährdung - in Betracht: Der dringende Verdacht der Begehung des Deliktes des Widerstands gegen die Staatsgewalt (§ 269 StGB) sei zwar aufgrund des Wegstoßens eines am ersten Teil der Verfolgung teilnehmenden Beamten mit dem Fahrzeug objektiv gegeben gewesen, komme aber mangels Wissens der einschreitenden Beamten um diesen Umstand zum Zeitpunkt des Schusswaffengebrauches - aus dem Funkverkehr sei lediglich hervorgegangen, F.T. habe sich einem oder mehreren Anhalteversuchen "entzogen", woraus die Erfüllung des Tatbildes des § 269 StGB nicht abzuleiten sei - für dessen Rechtfertigung nicht in Betracht. Aus dem gleichen Grund - es sei keine Weitergabe dieses Details der Fluchtfahrt über Funk erfolgt - könne auch dahin stehen, ob bereits die Überquerung des vierspurigen äußeren Gürtels bei Rotlicht in der Stoßzeit das Delikt der vorsätzlichen Gemeingefährdung (§ 176 StGB) erfülle.
Ausreichende Informationen seien jedoch - angesichts der rücksichtslosen Fluchtfahrt des Lenkers des kennzeichenlosen Audi -
für den dringenden Verdacht des schweren Diebstahls - nämlich des Fahrzeuges - vorgelegen. Diesbezüglich schade es auch nicht, dass der Schütze selbst diesen Verdacht nicht für hinreichend für den Schusswaffengebrauch gehalten habe, sondern dadurch nur möglicherweise bei seiner Entscheidung beeinflusst worden sei; es reiche das tatsächliche Wissen des Beamten über das Vorliegen der Voraussetzungen aus, ohne dass dieser auch noch die richtige Subsumtion unter die betreffende Gesetzesbestimmung vornehmen müsse.
Zum Funkspruch hinsichtlich eines mithilfe eines gleichartigen Fahrzeugs verübten Raubes führte die belangte Behörde (nur) aus, dieser möge zwar grundsätzlich geeignet gewesen sein, den Entschluss zum Waffengebrauch psychologisch zu erleichtern, habe aber den Feststellungen zufolge für das konkrete Vorgehen des Schützen keine Rolle gespielt. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, könne aber weder in der Information der ausführenden Organe über diesen Vorgang durch die Behörde, noch in der Tatsache, dass die befassten Organe über die kurz zuvor an der Grenze stattgefundene Festnahme des Verdächtigen noch nicht informiert waren, eine rechtswidrige Handlung bzw. Unterlassung der Behörde gesehen werden, da für die mit dem Bankraub befassten Organisationseinheiten der belangten Behörde ein Zusammenhang zwischen diesem und der gegenständlichen Verfolgung eines "Amokfahrers" nicht herzustellen gewesen sei.
Ein zweiter tauglicher Grund für den Schusswaffengebrauch liege darin, dass die Fluchtfahrt insgesamt das Tatbild der vorsätzlichen Gemeingefährdung (§ 176 StGB) erfüllt habe. Entgegen der Argumentation des Beschwerdeführers, der vom Flüchtenden ausgehende Gefahrenradius habe sich stets auf einzelne Fahrzeuge und Personen beschränkt, weshalb zwar mehrfach das Delikt der Gefährdung der körperlichen Sicherheit (§ 89 StGB) verwirklicht worden sei, eine Gemeingefährdung iSd § 176 StGB jedoch nicht vorgelegen habe, sei die Fluchtfahrt als einheitlicher Vorgang zu sehen, in deren Zuge für eine größere Anzahl von Menschen eine konkrete Gefahr entstanden sei. Der Tatbestand des § 176 StGB setze das gleichzeitige Eintreten der konkreten Gefährdung bei allen betroffenen Personen dann nicht voraus, wenn die Gefahr nach ihrer ein- oder mehrmaligen Realisierung weiter bestehe, weshalb
eine mehrmalige Konkretisierung derselben Gefahr -
z. B. entlang einer zusammenhängenden Strecke - ebenfalls dem Tatbild genüge. Das mit weit überhöhter Geschwindigkeit im städtischen Stoßzeitverkehr gefahrene Auto habe eine unbeherrschbare Gefahrenquelle dargestellt, in deren Gefahrenradius im Verlauf der zusammenhängenden Fluchtfahrt - wenn auch nicht allein im Zuge des Bremsmanövers auf dem Parkplatz unterhalb der J - jedenfalls mehr als zehn Personen geraten seien. Dieses Verständnis entspreche auch der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (im Folgenden: OGH) zur fahrlässigen bzw. vorsätzlichen Gemeingefährdung durch Geisterfahrer, wobei die gegenständliche Fluchtfahrt - was die vom Lenker ausgehende Gefährdung betreffe - durchaus mit einer Geisterfahrt zu vergleichen sei. Die handelnden Polizisten hätten somit vertretbar von einer größeren Anzahl konkret gefährdeter Personen ausgehen können.
Alternativ seien weiters auch die Voraussetzungen des § 7 Z. 4 WaffGG vorgelegen: Aus einer ex ante-Betrachtung sei für die einschreitenden Polizisten als Erklärungsmöglichkeit für das Verhalten des F.T. - neben dem Bewusstsein, ein mit mehrjähriger Haftstrafe bedrohtes Verbrechen begangen zu haben und dem Versuch, Selbstmord auf eine Weise zu begehen, die ihrerseits den Tatbestand eines Verbrechens darstellt - nur noch Geisteskrankheit verblieben. Für diese Annahme habe es in Form des starr nach vorne gerichteten Blickes des Flüchtenden und der Verweigerung jeglicher, auch visueller Kontaktaufnahme mit den verfolgenden Beamten, auch konkrete Anhaltspunkte gegeben. Auch hierfür sei es unerheblich, dass der Schütze den Waffengebrauch nicht konkret auf diese Ermächtigung gestützt habe, solange die Beamten aufgrund ihres tatsächlichen Eindrucks vom Lenker zu dem Schluss gekommen seien, dass es aufgrund dessen Unfähigkeit, auf Reize von außen noch zu reagieren, für seine Anhaltung keine andere Möglichkeit als den Waffengebrauch gegen das Fahrzeug gebe.
Die Befugnis zum lebensgefährdenden Waffengebrauch sei für die einschreitenden Beamten somit jedenfalls gegeben gewesen, auch wenn diese in der konkreten Situation ex ante nicht in der Lage gewesen seien zu beurteilen, ob es sich um einen Fall der Z. 3 oder der Z. 4 des § 7 WaffGG handle. Dies könne nach der Zielsetzung des WaffGG aber nicht dazu führen, dass deshalb der Waffengebrauch zu unterbleiben habe, da sonst der Zweck der Bestimmung, einen für die Sicherheit der Person allgemein gefährlichen Menschen nicht entkommen zu lassen, vereitelt würde. Zwar habe der Gesetzgeber für die Anwendung von § 7 Z. 3 und 4 WaffGG typische Fallkonstellationen vor Augen gehabt, in denen die allgemeine Gefährlichkeit für die einschreitenden Beamten aus der Kenntnis der Person - einer von ihr begangenen Straftat oder einer diagnostizierten Geisteskrankheit, mitunter in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme - abzuleiten sei, dies schließe aber den Waffengebrauch im hier vorliegenden - umgekehrt gelagerten - Fall nicht aus, wo mangels Kenntnis der Identität des Betreffenden die Beamten darauf angewiesen gewesen seien, aus der unmittelbar wahrgenommenen Gefährlichkeit des Flüchtenden Schlussfolgerungen auf deren mögliche Ursachen zu treffen. Diese Schlussfolgerungen führten zwingend zur Annahme eines Falles des § 7 WaffGG: Unterstellte man dem Flüchtenden rationales Verhalten, müsse man annehmen, dass dieser im Falle einer Anhaltung einen schweren Nachteil zu befürchten habe, wofür als einzige - nicht selbst in den Bereich der Geisteskrankheit fallende - Erklärung die Vermeidung einer mehrjährigen Gefängnisstrafe in Betracht komme; daneben allenfalls noch ein Suizidversuch, welcher aber ebenfalls bereits die Grenze zur Geisteskrankheit überschreiten könne. Unterstelle man hingegen kein rationales Verhalten, so müsse von einer Bewusstseinstrübung ausgegangen werden, die zu einer massiven Fremdgefährdung führe und die daher, sofern es sich dabei nicht um eine Geisteskrankheit im strengen psychiatrischen Sinne handle, einer solchen zumindest gleichwertig sei.
Letztlich würden Fälle wie der gegenständliche im Überschneidungsbereich der Z. 3 und Z. 4 leg. cit. liegen. Wollte man diese Bestimmungen jeweils so restriktiv auslegen, dass die vorliegende Konstellation unter keinen der beiden Tatbestände fiele, so gelangte man im Wege der Analogie zwangsläufig zur Zulässigkeit des lebensgefährdenden Waffengebrauchs, da in allen Einzelheiten vergleichbare Voraussetzungen vorlägen, wie sie in den Z. 3 und 4 angeführt seien, und auch die Bedrohung gewichtiger Rechtsgüter im gleichen Maße gegeben sei.
Soweit der Beschwerdeführer sich auf - näher dargestellte - Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zu Art. 2 EMRK beziehe, so seien diese nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar. Anders als im Fall McCann u.a. sei eine Vorausplanung der Polizeiaktion nicht in Betracht gekommen. F.T. habe auch zu jedem Zeitpunkt gewusst, dass er von der Polizei verfolgt wird; zur Flucht habe ihn offenbar gerade der Wunsch veranlasst, der Polizei zu entkommen, wobei er - rationale Überlegungen vorausgesetzt - damit rechnen habe müssen, dass er sich mit Fortdauer der Flucht immer mehr in Gefahr begibt, dass Waffengewalt gegen ihn eingesetzt werden könnte. Ein Waffengebrauch gegen die Reifen des Fahrzeuges bereits am L-Platz bzw. am Parkplatz unter der J, wie dies vom Beschwerdeführer (als gelinderes Mittel) vorgebracht worden sei, sei schon deshalb nicht in Betracht gekommen, weil dies nicht ohne Gefahr für unbeteiligte Personen möglich gewesen wäre. Im Übrigen würde der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ins Gegenteil verkehrt, wäre der wiederholte Versuch der Anwendung eines gelinderen Mittels (zu ergänzen: in Form des Versuchs, F.T. aus dem stehenden Fluchtwagen zu holen) deshalb rechtswidrig, weil aus der Ergebnislosigkeit des ersten Versuchs auch auf das Scheitern eines jeden weiteren Versuchs geschlossen hätte werden müssen.
Anders als im Fall Makaratzis könne auch nicht von einem unkoordinierten Vorgehen, Kommunikationsproblemen oder gar einem Chaos beim Polizeieinsatz die Rede sein. Dass die belangte Behörde die Fluchtdauer und Fluchtrichtung nicht exakt vorhersehen habe können, und dass sie auch nicht schon im Vorhinein am Stadtrand Streifen postiert und Hindernisse errichtet habe, um den Flüchtenden allenfalls auch aus entgegenkommender Richtung aufhalten zu können, könne ihr aus diesen Gründen nicht zum Vorwurf gemacht werden. Gehe man davon aus, dass der Umstand, dass nur noch ein verfolgendes Fahrzeug mit dem Fluchtfahrzeug Schritt halten habe können, kein organisatorisches Versagen der belangten Behörde begründe, so habe es zum lebensgefährdenden Waffengebrauch letztlich keine wirksame Alternative gegeben. Im Übrigen komme der im Fall Makaratzis geäußerten abweichenden Meinung, wonach die Polizei auch verpflichtet sei, das Leben jener unbeteiligten Personen zu schützen, die durch die rücksichtslose Fluchtfahrt des Tatverdächtigen gefährdet werden, und deshalb an das Vorgehen der Polizei in einer solchen, schlecht vorhersehbaren und planbaren Situation keine erhöhten Anforderungen zu stellen seien, im vorliegenden Fall "uneingeschränkt Bedeutung" zu, zumal von einem unkoordinierten Vorgehen der Polizei oder von organisatorischen Mängeln keine Rede sein könne.
Die dagegen gerichtete Beschwerde macht sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes - aufgrund falscher Anwendung der §§ 5, 6 und 7 WaffGG - als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend. Inhaltlich rechtswidrig sei die - auf eine Reihe von Tatbeständen gestützte - Annahme der Behörde, wonach die Voraussetzungen des § 7 Z. 3 und 4 WaffGG vorgelegen seien, zudem sei der Schusswaffengebrauch nicht verhältnismäßig im Sinne der §§ 5 und 6 WaffGG erfolgt. Verfahrensvorschriften seien verletzt worden, da die belangte Behörde zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit weitere Feststellungen zum genauen Hergang der Schussabgabe - insbesondere zu Schusszielen und Schussintervallen - sowie zur Gefährlichkeit der zukünftigen Fahrtroute zu treffen gehabt hätte. Weiters habe die belangte Behörde Feststellungen dazu verabsäumt, dass am Fahrzeug des F.T. ein A4-Blatt am hinteren Scheibenwischer befestigt gewesen sei, das als (handschriftlicher) Ersatz für das polizeiliche Kennzeichen gedient habe, wodurch die Identität des Flüchtenden für die einschreitende Behörde feststellbar gewesen wäre.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gesetzliche Grundlagen:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl. Nr. 149 in der Fassung BGBl. I Nr. 146/1999 (WaffGG), lauten:
"§ 2. Organe der Bundespolizei, der Bundesgendarmerie und der Gemeindewachkörper dürfen in Ausübung des Dienstes nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes von Dienstwaffen Gebrauch machen:
- 1. im Falle gerechter Notwehr;
- 2. zur Überwindung eines auf die Vereitlung einer rechtmäßigen Amtshandlung gerichteten Widerstandes;
- 3. zur Erzwingung einer rechtmäßigen Festnahme;
- 4. zur Verhinderung des Entkommens einer rechtmäßig festgehaltenen Person;
5. zur Abwehr einer von einer Sache drohenden Gefahr.
(...)
§ 4. Der Waffengebrauch ist nur zulässig, wenn ungefährliche oder weniger gefährliche Maßnahmen, wie insbesondere die Aufforderung zur Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes, die Androhung des Waffengebrauches, die Verfolgung eines Flüchtenden, die Anwendung von Körperkraft oder verfügbare gelindere Mittel, wie insbesondere Handfesseln oder technische Sperren, ungeeignet scheinen oder sich als wirkungslos erwiesen haben.
§ 5. Stehen verschiedene Waffen zur Verfügung, darf nur von der am wenigsten gefährlichen, nach der jeweiligen Lage noch geeignet scheinenden Waffe Gebrauch gemacht werden.
§ 6. (1) Zweck des Waffengebrauches gegen Menschen darf nur sein, angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen. In den Fällen des § 2 Z. 2 bis 5 darf der durch den Waffengebrauch zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen.
(2) Jede Waffe ist mit möglichster Schonung von Menschen und Sachen zu gebrauchen. Gegen Menschen dürfen Waffen nur angewendet werden, wenn der Zweck ihrer Anwendung nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann.
ABSCHNITT II
Lebensgefährdender Waffengebrauch
§ 7. Der mit Lebensgefährdung verbundene Gebrauch einer Waffe gegen Menschen ist nur zulässig:
- 1. im Falle gerechter Notwehr zur Verteidigung eines Menschen;
- 2. zur Unterdrückung eines Aufstandes oder Aufruhrs;
- 3. zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens einer Person, die einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist, überwiesen oder dringend verdächtig ist, das für sich allein oder in Verbindung mit ihrem Verhalten bei der Festnahme oder Entweichung sie als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet;
4. zur Erzwingung der Festnahme oder Verhinderung des Entkommens eines Geisteskranken, der für die Sicherheit der Person oder des Eigentums allgemein gefährlich ist.
§ 8. (1) Der lebensgefährdende Waffengebrauch gegen Menschen ist ausdrücklich, zeitlich unmittelbar vorangehend und deutlich wahrnehmbar anzudrohen. Gegenüber einer Menschenmenge ist die Androhung zu wiederholen. Als Androhung des Schußwaffengebrauches gilt auch die Abgabe eines Warnschusses.
(2) Der lebensgefährdende Waffengebrauch ist nur dann zulässig, wenn dadurch Unbeteiligte voraussichtlich nicht gefährdet werden, es sei denn, daß er unvermeidbar scheint, um eine Menschenmenge von Gewalttaten abzuhalten, durch die die Sicherheit von Personen mittelbar oder unmittelbar gefährdet wird.
(3) Im Falle gerechter Notwehr finden die Bestimmungen der Abs. 1 und 2 keine Anwendung."
2. Zu den Voraussetzungen des lebensgefährdenden Waffengebrauchs gemäß § 7 WaffGG:
2.1. Zur zusammenfassenden Würdigung von Z. 3 und Z. 4 des § 7 WaffGG:
Die Annahme der belangten Behörde, die einschreitenden Beamten hätten ex ante davon ausgehen können, dass entweder der Tatbestand der Z. 3 oder jener der Z. 4 des § 7 WaffGG erfüllt sei, weil sich keine Erklärung für das Verhalten des Flüchtenden finden lasse, die nicht unter eine der beiden genannten Bestimmungen falle, erweist sich als nicht stichhaltig.
Sowohl Z. 3 als auch Z. 4 leg. cit. verlangen eine Gefährlichkeitsprognose, wonach sich der Mensch, gegen den sich der lebensgefährdende Waffengebrauch richtet, als eine für die Sicherheit der Person oder des Eigentums (in Z. 3 auch: des Staates) allgemein gefährliche Person darstellen muss; diese Gefährlichkeitsprognose knüpft daran an, dass der Betreffende entweder (Z. 3) der Begehung einer (qualifizierten) strafbaren Handlung überwiesen bzw. dringend verdächtig oder (Z. 4) geisteskrank ist. In jedem Fall müssen aber beide Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Ein bloßer Umkehrschluss - aus der beobachteten Gefährlichkeit des Flüchtenden wird gefolgert, sein Verhalten könne nur auf der Angst vor einer drohenden mehrjährigen Haftstrafe (und somit einer vorangegangenen strafbaren Handlung) bzw. auf einer Geisteskrankheit beruhen - reicht dafür nicht aus.
Dass es bei § 7 Z. 3 WaffGG zunächst auf das Erfordernis (zumindest) des dringenden Verdachts auf Begehung einer bestimmten schweren Straftat ankommt, entspricht auch den aus den Gesetzesmaterialien ersichtlichen Intentionen des Gesetzgebers. So wurde in den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (497 BlgNR XI. GP), in der diesbezüglich noch allein darauf abgestellt wurde, dass der Betreffende eines (näher umschriebenen) Verbrechens überwiesen oder dringend verdächtig ist, dazu Folgendes ausgeführt:
"Gemäß Artikel 2 Abs. 2 lit. b der Menschenrechtskonvention wird die Tötung eines Menschen nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt, um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern.
Eine völlige Ausschöpfung des von der Menschenrechtskonvention gewährten Spielraumes würde dazu führen, daß auch bei geringfügigen gerichtlich strafbaren Delikten, ja sogar in den Fällen einer Festnehmung wegen einer Verwaltungsübertretung, ein Schußwaffengebrauch zulässig wäre. Eine derartige Ausdehnung des Schußwaffengebrauches scheint jedoch rechtspolitisch nicht vertretbar. Der Schußwaffengebrauch soll wegen der Schwere der körperlichen Beeinträchtigung des Betroffenen zur Erzwingung einer Festnehmung oder zur Verhinderung des Entkommens einer Person nur in den Fällen schwerster gerichtlich strafbarer Delikte erlaubt sein. Der Gesetzentwurf läßt daher den Schußwaffengebrauch nur gegen Personen zu, die eines Verbrechens gegen den Staat oder die Person oder eines Verbrechens gegen das Eigentum in großem Ausmaß überwiesen oder dringend verdächtig sind. Aber auch in diesen Fällen handelt es sich nur um ein rechtliches Dürfen und um keine Blankovollmacht zum Schußwaffengebrauch. Das ganze Waffengebrauchsgesetz verfolgt ja die Tendenz, einen Waffengebrauch, wenn irgend möglich, überhaupt zu vermeiden oder in seinen Auswirkungen so gelinde als möglich zu halten."
Im Ausschussbericht (1193 BlgNR XI. GP) wurde zu § 7 Z. 3 WaffGG ergänzt:
"Diese Bestimmung ist als eine der wichtigsten des ganzen Gesetzentwurfes anzusehen, weil darin statuiert wird, in welchen Fällen zur Erzwingung einer Festnehmung oder zur Verhinderung des Entkommens einer Person gegen diese eine Waffe in lebensgefährdender Art angewendet werden darf. Der Verfassungsausschuß hat sich in Berücksichtigung der Expertenausführungen (...) dazu entschlossen, die Bestimmungen des Gesetzentwurfes noch enger zu fassen und die denkbaren Anlaßfälle demnach noch weitergehend zu verringern. Hiebei stand fest, daß ein lebensgefährdender Waffengebrauch jedenfalls nur bei einem qualifizierten Verbrechen in Erwägung gezogen werden kann. Dieses Verbrechen muß entweder an sich schon den Täter, der festgenommen oder dessen Entweichen verhindert werden soll, als einen für die Sicherheit des Staates, der Person oder des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnen, oder es muß diese 'allgemeine Gefährlichkeit' aus dem Verbrechen im Zusammenhalt mit dem Verhalten des Täters bei der Festnahme oder versuchten Entweichung abzuleiten sein. Dies wird die Sicherheitsorgane zweifellos immer wieder zu schwerwiegenden Sofortentscheidungen nötigen, was sich jedoch, wie bisher auch, nicht vermeiden läßt."
Davon ausgehend kann nicht zweifelhaft sein, dass der Gesetzgeber den lebensgefährdenden Waffengebrauch gemäß § 7 Z. 3 WaffGG zunächst an das Vorliegen einer qualifizierten strafbaren Handlung, hinsichtlich der der Betreffende überwiesen oder dringend verdächtig ist, geknüpft hat; erst bei Vorliegen dieses Tatbestandsmerkmals bedarf es einer weiteren Prüfung, ob diese strafbare Handlung allein oder in Verbindung mit dem Verhalten bei der Festnahme oder Flucht den Betreffenden als allgemein gefährlichen Menschen kennzeichnet. Den genannten Gesetzesmaterialien ist aber auch zu entnehmen, dass der Gesetzgeber eine abschließende Regelung der Zulässigkeit des lebensgefährdenden Waffengebrauchs vorgenommen hat. Die Bildung weiterer Tatbestände im Wege der Analogie scheidet daher - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - von vornherein aus. Im Ergebnis kann ein lebensgefährdender Waffengebrauch nach § 7 WaffGG somit nur rechtmäßig sein, wenn von dessen alternativen Tatbeständen (zumindest) ein bestimmter konkret erfüllt ist.
2.2. Zu § 7 Z. 4 WaffGG:
Der lebensgefährdende Waffengebrauch nach § 7 Z. 4 WaffGG setzt das Vorliegen einer Geisteskrankheit voraus. Nicht tatbildlich sind daher schlichte Desorientiertheit, Verwirrtheit, abnormes Verhalten und sonstige Auffälligkeiten (Hauer/Keplinger, Waffengebrauchsgesetz3 (2009), Anm. 9. zu § 7). Zu diesem Ergebnis führt auch eine historische Interpretation der Bestimmung: Der Begriff der Geisteskrankheit war zum Zeitpunkt der Erlassung des WaffGG in der Entmündigungsordnung (RGBl. Nr. 207/1916) enthalten, welche zwischen den Tatbeständen der Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunksucht und Missbrauch von Nervengiften differenzierte. Auch vor diesem Hintergrund kann eine bloße "Bewusstseinstrübung" nicht unter dem Begriff der Geisteskrankheit subsumiert werden.
Ob der Tatbestand des § 7 Z. 4 WaffGG das Vorliegen einer (durch einen medizinischen Sachverständigen) bereits festgestellten Geisteskrankheit voraussetzt oder - wie in der Literatur vertreten wurde (vgl. Hauer/Keplinger, a.a.O) - (bloß) auf eine (ex-ante) Abschätzung durch einen durchschnittlich verständigen medizinischen Laien abstellt, bedarf hier keiner abschließenden Klärung. Selbst bei Zugrundelegung der zuletzt genannten Ansicht kommt als konkreter Hinweis auf das Vorliegen einer Geisteskrankheit - nach dem zur Erklärung des "Gesamtverhaltens" des F.T. Gesagten - allein der kurze Kontakt eines der Beamten mit dem Flüchtenden auf dem Parkplatz unterhalb der J in Frage, als dieser einen "starren Gesichtsausdruck mit nach vorne gerichtetem Blick" des F.T. wahrnahm. Für die Annahme des Vorliegens einer - über ein bloßes "nicht der Vernunftkontrolle unterliegendes Verhalten" hinaus gehenden - Geisteskrankheit konnte dieser kurze Kontakt aber nicht ausreichen.
2.3. Zu den bei § 7 Z. 3 WaffGG von der belangten Behörde in Betracht gezogenen Delikten:
2.3.1. Zum anzuwendenden Maßstab:
Zur Zulässigkeit des Waffengebrauchs kann es nicht darauf ankommen, dass eine Person tatsächlich eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat. Vielmehr ist entscheidend, ob die einschreitenden Organe ein Verhalten wahrnehmen, das von ihnen in vertretbarer Weise als einen strafbaren Tatbestand erfüllend qualifiziert werden kann (vgl. zur vertretbaren Annahme eines gefährlichen Angriffs iSd Sicherheitspolizeigesetzes etwa die hg. Erkenntnisse vom 29. Juni 2000, Zl. 96/01/1071, und vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0096, mwN). Demnach kann zwar ex ante nicht das Wissen um die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale verlangt werden (zum Vorliegen einer "großen Menge" an Suchtgift vgl. das zuletzt genannte hg. Erkenntnis vom 8. März 1999, Zl. 98/01/0096), es wird aber eine Subsumtion des wahrgenommenen Sachverhalts unter die Tatbestandsmerkmale konkreter Delikte verlangt (zur Unterstellung einer "Belästigung" von Kindern unter Tatbestände des Sexualstrafrechts vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Juli 1998, Zl. 97/01/0448). Ein dringender Tatverdacht setzt einen höheren Grad der Wahrscheinlichkeit voraus, dass eine Person die ihr angelastete Straftat begangen hat. Bloße Vermutungen reichen zur Annahme eines dringenden Tatverdachtes nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 14. November 2006, Zl. 2005/01/0577, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des OGH zum Erfordernis des dringenden Tatverdachts in § 180 StPO (alt)). Verdacht ist die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung einer Straftat geschlossen werden kann (vgl. etwa das Urteil des OGH vom 15. April 1997, 11 Os 54/97).
2.3.2. Zum Verdacht des schweren Diebstahls:
Die belangte Behörde bejaht zunächst das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts hinsichtlich eines schweren Diebstahls am Fluchtfahrzeug. Diesbezüglich war zwar davon auszugehen, dass es sich bei dem gegenständlichen "Audi S" um eine Sache handelte, deren Wert EUR 3.000,-- übersteigt, woraus sich für deren Diebstahl gemäß § 128 Abs. 1 Z. 4 StGB eine Strafdrohung von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe ergab. Die getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht dazu aus, vom "dringenden" Verdacht des Diebstahls dieses Fahrzeuges durch den flüchtenden F.T. auszugehen. Die belangte Behörde führte dazu (nur) aus, aus den den Polizisten vorliegenden Informationen habe sich "für einen
verständigen Menschen ... ein dringender Verdacht zumindest auf
Diebstahl des betreffenden Fahrzeuges (ergeben), soweit dem Lenker rationales Handeln unterstellt wird", und stützte dies offensichtlich auf das Fehlen einer Kennzeichentafel in Verbindung mit dem (Flucht‑)Verhalten des Fahrers. Schon die Einschränkung "soweit dem Lenker rationales Handeln unterstellt wird" zeigt, dass auch die belangte Behörde andere plausible Erklärungen für das Verhalten des F.T. als möglich ansieht. Dies wird in der weiteren Argumentation zur übergreifenden Betrachtung von § 7 Z. 3 und 4 WaffGG noch deutlicher, in der die belangte Behörde Überlegungen zu (ex ante) möglichen Erklärungen für das Verhalten des Flüchtenden - Befürchtung eines schweren Nachteiles in Form einer mehrjährigen Haftstrafe (implizit: aufgrund irgendeines Deliktes), suizidales Verhalten, Geisteskrankheit oder einer solchen gleichzusetzende Bewusstseinstrübung - anstellt. Die Annahme des Diebstahls des Fahrzeuges stellt daher eine bloße Vermutung dar, die sich zwar auf das Fehlen der Kennzeichentafel am Auto stützen, insgesamt aber keinen dringenden Tatverdacht hinsichtlich einer konkreten Straftat begründen konnte.
2.3.3. Zum Verdacht des Bankraubes:
Die Ausführungen der belangten Behörde zu den für die einschreitenden Polizisten auf Grund eines Funkspruches vorliegenden Informationen über einen mit einem Audi S als Fluchtauto drei Tage zuvor verübten Bankraub - diese mögen zwar grundsätzlich geeignet gewesen sein, den Entschluss zum Waffengebrauch psychologisch zu erleichtern, hätten den Feststellungen zufolge aber für das konkrete Vorgehen des Schützen keine Rolle gespielt - können angesichts der zu den Verdachtsmomenten hinsichtlich anderer Straftaten dargestellten Ansicht der belangten Behörde, eine richtige rechtliche Subsumtion durch den Schützen sei nicht notwendig, solange dieser nur im Bewusstsein über das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen handle, nur so verstanden werden, dass die belangte Behörde den Verdacht des Bankraubes gegenüber F.T. aufgrund der vorliegenden Informationen nicht für ausreichend erachtete, um darauf den lebensgefährdenden Waffengebrauch stützen zu können. Nach Lage des Falles trifft diese Einschätzung auch zu, zumal aus der genannten Information ein dringender Tatverdacht nicht abzuleiten war.
2.3.4. Zum Verdacht der vorsätzlichen Gemeingefährdung:
Eine vorsätzliche Gemeingefährdung nach § 176 Abs. 1 StGB begeht, wer anders als durch eine der in den §§ 169, 171 oder 173 StGB mit Strafe bedrohten Handlungen eine Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen oder für fremdes Eigentum in großem Ausmaß herbeiführt. Eine größere Anzahl von Menschen nehmen Lehre und Rechtsprechung ab einer Richtzahl von neun bis zehn im Gefahrenradius befindlicher Personen an (vgl. dazu Fabrizy, StGB Kurzkommentar10 (2010), Rz 3 zu § 176; Mayerhofer, Wiener Kommentar zum StGB2, 38. Lieferung (2007), Rz 8 zu § 176; Flora, Salzburger Kommentar zum StGB, 18. Lieferung (2008), Rz 15 zu § 176; Kienapfel/Schmoller, Strafrecht Besonderer Teil III (2009), Rz 3 zu §§ 176, 177). Eine konkrete Gemeingefährdung setzt voraus, dass die größere Zahl von Personen gleichzeitig in den Gefahrenradius gerät, eine kumulative Verletzungsmöglichkeit vorliegt und der Vorsatz die konkrete Gemeingefährdung, das heißt die Herbeiführung eines solchen Sachverhaltes umfasst. Der Täter muss die Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen zumindest ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden. Ob der Täter diese gefährdeten Personen wahrgenommen hat oder hätte wahrnehmen können, ist nicht Voraussetzung der Deliktsverwirklichung (vgl. den Beschluss des OGH vom 4. März 2004, 15 Os 14/04).
Von dem Erfordernis, Feststellungen zu einer größeren Anzahl konkret im Gefahrenradius befindlicher und somit gleichzeitig gefährdeter Personen zu treffen (vgl. die bereits zitierte Entscheidung vom 4. März 2004, 15 Os 14/04), geht der OGH im Hinblick auf Gemeingefährdungen im Straßenverkehr allerdings in solchen Fällen ab, in denen etwa durch das kilometerlange Befahren einer im Stadtgebiet gelegenen, als vierspurige Einbahn geführten Straße mit einem Kleinmotorrad mit 120 km/h in unzulässiger Fahrtrichtung bei Gegenverkehr und in alkoholisiertem Zustand, oder in Gefährdungssituationen auf Autobahnen (Befahren der falschen Richtungsfahrbahn ("Geisterfahrer"), Werfen von Pflastersteinen von einer Autobahnbrücke) die konkrete Gefahr einer Massenkarambolage - und somit wiederum die gleichzeitige Gefährdung einer größeren Anzahl von Menschen oder für Eigentum in großem Ausmaß - besteht (vgl. dazu etwa die Urteile des OGH vom 14. Jänner 2003, 14 Os 128/02, vom 14. September 1999, 14 Os 87/99, und vom 27. April 1988, 14 Os 20/88).
Im vorliegenden Fall nahm der schließlich von der Waffe Gebrauch machende Polizist auf dem von ihm beobachteten Teil der Fluchtfahrt des F.T. zunächst eine Reihe von Gefährdungen entgegenkommender Lenker und eines Fußgängers wahr. Er war den Feststellungen der belangten Behörde zufolge über den vorangehenden Abschnitt der Fluchtfahrt hinsichtlich der Fahrtroute und der Fahrweise ("rücksichtslos und mit extrem überhöhter Geschwindigkeit") informiert, nicht aber über dabei gesetzte konkrete Gefährdungen. Ungeachtet des zuletzt genannten Umstandes ergab sich für den Beamten vor dem Hintergrund, dass diese Fluchtfahrt in der Hauptverkehrszeit im innerstädtischen Bereich W über eine lange Strecke unternommen wurde, dass F.T. mit äußerster Rücksichtslosigkeit vorging und Gefährdungen zahlreicher Unbeteiligter in Kauf nahm. Sodann nahm der Beamte den Vorfall auf dem Parkplatz unterhalb der J wahr, bei dem den Feststellungen der belangten Behörde zufolge vier bis fünf Personen zurückspringen mussten, um von seinem Auto nicht erfasst zu werden, und weitere (nach Aussage eines der Polizisten in der Verhandlung vor der belangten Behörde etwa zehn) Personen hinter ihren abgestellten Autos Schutz suchten, als sich das Fahrzeug von F.T. (infolge des abrupten Bremsmanövers) drehte. Bei dieser Sachlage durfte der Beamte daher in vertretbarer Weise annehmen, dass F.T. die konkrete Gefahr einer gleichzeitigen Gefährdung einer größeren Anzahl von Personen iSd § 176 StGB herbeigeführt hat und damit dessen Verhalten diesem Tatbestand unterstellen. Auf das Wissen um die Erfüllung sämtlicher Tatbestandsmerkmale etwa im Hinblick darauf, ob alle am Parkplatz anwesenden Personen einer (ausreichend) konkreten Gefährdung ausgesetzt waren, um sie in die Beurteilung der erforderlichen größeren Anzahl von Personen iSd § 176 StGB einbeziehen zu können, konnte es bei der gebotenen ex ante-Beurteilung nicht ankommen.
Dass der Beamte den Flüchtenden als einen allgemein gefährlichen Menschen ansehen durfte, liegt angesichts des dargestellten Verlaufs der Fluchtfahrt auf der Hand und wird von der Beschwerde auch nicht substantiell bestritten. Im Ergebnis lagen somit - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - die Tatbestandsvoraussetzungen für einen lebensgefährdenden Waffengebrauch nach § 7 Z. 3 WaffGG vor, da der einschreitende Polizist vom dringenden Verdacht der Begehung einer vorsätzlichen Gemeingefährdung durch F.T. im Zuge seiner Fluchtfahrt ausgehen durfte und die Modalitäten der Fluchtfahrt diesen als einen für die Sicherheit der Person und des Eigentums allgemein gefährlichen Menschen kennzeichneten.
3. Zur Verhältnismäßigkeit des Waffengebrauchs:
Gemäß den Bestimmungen der §§ 4 bis 6 WaffGG ist der Waffengebrauch nur zulässig, wenn keine geeigneten ungefährlichen oder weniger gefährlichen Maßnahmen zur Verfügung stehen. Stehen verschiedene Waffen zur Verfügung, darf nur die am wenigsten gefährliche, nach Lage des Falles noch geeignet scheinende Waffe zum Einsatz kommen. Jede Waffe ist mit möglichster Schonung von Menschen und Sachen zu gebrauchen. Außer im Falle der Notwehr darf der durch den Waffengebrauch zu erwartende Schaden nicht offensichtlich außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg stehen. Gegen Menschen dürfen Waffen nur angewendet werden, wenn der Zweck ihrer Anwendung nicht durch Waffenwirkung gegen Sachen erreicht werden kann. Zweck des Waffengebrauches gegen Menschen darf nur sein, angriffs-, widerstands- oder fluchtunfähig zu machen.
Der solcherart normierte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist vor dem Hintergrund verfassungsgesetzlicher Vorgaben - im Bereich des lebensgefährdenden Waffengebrauchs insbesondere Art. 2 EMRK - zu sehen.
3.1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Art. 2 EMRK:
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hatte sich bereits mehrfach mit der Frage zu befassen, in welchen Fällen polizeilicher Schusswaffengebrauch eine Verletzung des Rechts auf Leben gemäß Art. 2 EMRK darstellt.
Diese Bestimmung lautet:
"Artikel 2 - Recht auf Leben
(1) Das Recht jedes Menschen auf das Leben wird gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden.
(2) Die Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie sich aus einer unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung ergibt:
a) um die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung sicherzustellen;
b) um eine ordnungsgemäße Festnahme durchzuführen oder das Entkommen einer ordnungsgemäß festgehaltenen Person zu verhindern;
c) um im Rahmen der Gesetze einen Aufruhr oder einen Aufstand zu unterdrücken."
Im Fall Wasilewska und Kalucka (Urteil vom 23. Februar 2010, Nr. 28975/04 und 33406/04) hat der EGMR seine diesbezügliche Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst (Randnummern 41 bis 48): Bei Art. 2 EMRK handle es sich um eine der grundlegendsten Bestimmungen der Konvention, die einen der wesentlichen Grundwerte derjenigen demokratischen Gesellschaften, die den Europarat bilden, beinhalte. Behauptungen einer Verletzung dieser Bestimmung müssten mit äußerster Sorgfalt untersucht werden. In Fällen der Gewaltanwendung durch staatliche Organe komme es nicht nur auf das Verhalten derjenigen Personen an, die die Gewalt angewendet haben, sondern auch auf die Begleitumstände einschließlich der bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen und der Planung und Kontrolle der fraglichen Operation.
Der Schutzumfang des Art. 2 EMRK umfasse nicht nur Fälle absichtlicher Tötung, sondern auch Situationen, in denen in zulässiger Weise Gewalt angewendet werde und es - als unbeabsichtigte Folge - zur Tötung von Menschen komme. Die Frage, ob lebensgefährdende Gewalt absichtlich eingesetzt wurde, sei aber nur ein Faktor bei der Beurteilung ihrer Notwendigkeit. Jede Gewaltanwendung müsse unbedingt erforderlich ("absolutely necessary") sein, um einen oder mehrere der Zwecke, die in Art. 2 Abs. 2 lit. a bis c EMRK genannt sind, zu erreichen. Aus dem Begriff der "unbedingt erforderlichen Gewaltanwendung" ergebe sich eine strengere Verhältnismäßigkeitsprüfung als in denjenigen Fällen, in denen staatliche Handlungen auf ihre Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft gemäß den Absätzen 2 der Art. 8 bis 11 EMRK zu prüfen sind. Insbesondere müsse die eingesetzte Gewalt streng proportional zum Erreichen des zulässigen Ziels sein. Der Einsatz von Gewalt durch staatliche Organe zur Erreichung eines der Ziele des Art. 2 Abs. 2 EMRK sei dann gerechtfertigt, wenn gute Gründe für das Vorliegen der genannten Voraussetzungen sprechen würden und diese Annahme auf ehrlicher Überzeugung beruhe, selbst wenn sie sich nachträglich als falsch herausstelle. Eine andere Sichtweise würde den staatlichen Organen bei der Ausübung ihrer Pflichten eine unrealistische Last auferlegen, dies - möglicherweise - auf Kosten ihres Lebens und des Lebens anderer.
Grundsätzlich könne eine Notwendigkeit, lebensgefährdende Gewalt einzusetzen, nicht angenommen werden, wenn bekannt sei, dass die festzunehmende Person keine Gefahr für Leib oder Leben darstelle und nicht verdächtigt werde, eine gewalttätige Straftat begangen zu haben, selbst wenn die Unterlassung des Einsatzes lebensgefährdender Gewalt den Verlust einer Gelegenheit zur Festnahme bedeute. Das legitime Ziel der Durchführung einer ordnungsgemäßen Festnahme nach Art. 2 Abs. 2 lit. b EMRK könne die Gefahr, Menschenleben zu gefährden, somit nur in Situationen absoluter Notwendigkeit rechtfertigen.
Art. 2 EMRK beinhalte weiters eine Verpflichtung des Staates, einen angemessenen gesetzlichen Rahmen zu schaffen, der die Fälle, in denen Vollzugsorgane Gewalt und Schusswaffen einsetzen dürfen, unter Berücksichtigung internationaler Standards festlegt. In Übereinstimmung mit dem Prinzip strikter Verhältnismäßigkeit, der Art. 2 EMRK innewohne, müsse der nationale gesetzliche Rahmen für Festnahmen den Schusswaffengebrauch an eine genaue Beurteilung der Begleitumstände und insbesondere an eine Einschätzung der Art des Delikts, das der Flüchtende begangen habe, und der Gefahr, die von ihm ausgehe, binden. Zwar zeige der Wortlaut des Art. 2 EMRK, dass der Einsatz lebensgefährdender Gewalt durch Polizisten in gewissen Situationen gerechtfertigt sein könne; nichtsdestotrotz gewähre Art. 2 EMRK keinen Freibrief ("carte blanche"). Unkontrollierte und willkürliche Handlungen durch staatliche Organe seien unvereinbar mit einer effektiven Achtung der Menschenrechte. Polizeiaktionen müssten nicht nur auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, sondern durch diese auch ausreichend reguliert sein, dies innerhalb eines Systems angemessener und effektiver Kontrollmechanismen gegen Willkür und Missbrauch von Gewalt. Bei der Beurteilung, ob die eingesetzte Gewalt mit Art. 2 EMRK vereinbar ist, sei es daher von Bedeutung, ob die Operation in einer Weise geplant und kontrolliert wurde, dass der Einsatz lebensgefährdender Gewalt soweit als möglich reduziert bzw. der unbeabsichtigte Verlust von Menschenleben im größtmöglichen Ausmaß verhindert worden sei. Weiters müsse das nationale Gesetz, das Polizeiaktionen regle, ein angemessenes und effektives Kontrollsystem gegen Willkür, missbräuchliche Gewalt und vermeidbare Unfälle sicherstellen. Insbesondere müssten Vollzugsorgane ausgebildet werden zu beurteilen, ob eine absolute Notwendigkeit des Einsatzes von Schusswaffen bestehe, dies nicht nur anhand des Wortlauts der relevanten Regelungen, sondern auch unter Berücksichtigung der herausragenden Stellung der Achtung menschlichen Lebens als Grundwert.
Davon ausgehend sei nicht nur zu prüfen, ob der Einsatz lebensgefährdender Gewalt im Einzelfall zulässig gewesen sei, sondern auch, ob die jeweilige Operation in einer Weise geplant und organisiert worden sei, um das Risiko für das Leben des Betreffenden im größtmöglichen Ausmaß zu minimieren.
3.1.1. Verhältnismäßigkeit und Organisationsverschulden:
Fall McCann u.a. und Folgejudikatur
Zentral für die Formulierung des strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes war der Fall McCann u.a.
(Urteil des EGMR vom 27. September 1995, Nr. 18984/91). Der EGMR kam darin zur Annahme einer Verletzung von Art. 2 EMRK durch die Tötung dreier - im Nachhinein hatte sich herausgestellt: zu diesem Zeitpunkt unbewaffneter - IRA-Mitglieder in Gibraltar. Der EGMR führte dazu aus, zwar hätten die Schützen - Angehörige einer britischen Antiterroreinheit - im Zeitpunkt der Schussabgabe der Situation entsprechend gehandelt, weil sie auf Grund ihres Informationsstandes annehmen durften, die Terroristen seien im Begriff, eine Autobombe zu zünden. Die Instruktion der Soldaten in diesem Sinne habe jedoch auf fehlerhafter Einsatzplanung beruht. Die Behörden seien nämlich hinsichtlich der von den mutmaßlichen Terroristen ausgehenden Gefahr von einer Reihe von Annahmen ausgegangen, die sich allesamt im Nachhinein als falsch erwiesen hätten, während sie dem widersprechende, ebenso vertretbare Annahmen außer Betracht gelassen hätten. Schließlich hätte bereits die Gestattung der Einreise der mutmaßlichen Terroristen nach Gibraltar trotz Kenntnis aller relevanten Verdachtsmomente die Gefahr der Entstehung einer lebensgefährdenden Situation unverhältnismäßig gesteigert.
Keine Verletzung von Art. 2 EMRK sah der Gerichtshof dem gegenüber im Fall Andronicou und Constantinou (Urteil des EGMR vom 9. Oktober 1997, Nr. 86/1996/705/897), in dem er den Tod sowohl des Geiselnehmers als auch der Geisel im Rahmen einer Geiselbefreiung durch Mitglieder einer zypriotischen Spezialeinheit zu beurteilen hatte. Der Schusswaffengebrauch habe zum Zeitpunkt der maßgeblichen Ereignisse auf der begründeten Annahme der eingesetzten Polizisten beruht, es sei notwendig, den Geiselnehmer zu töten, um ihr eigenes und das Leben der Geisel zu retten. Zu Organisation und Planung des Polizeieinsatzes führte der Gerichtshof u.a. aus, die Entscheidung für den Einsatz bewaffneter Mitglieder einer Spezialeinheit sei als letzter Ausweg getroffen worden, nachdem alternative Strategien ins Auge gefasst, aber verworfen worden seien, und die Einsatzkräfte bis zum letztmöglichen Moment versucht hätten, den Geiselnehmer (von dem befürchtet wurde, dass er die Geisel töten und dann Selbstmord verüben würde) durch Dialog zur Aufgabe zu drängen. Die Einsatzkräfte hätten in Bezug auf eine mögliche Gewaltanwendung klare Anweisungen erhalten. Trotz zugestandener Mängel (etwa die mangelnde Erfahrung des Verhandlungsleiters der Polizei und die Störung der Operation durch Schaulustige) habe die Ausführung des Einsatzes somit letztlich der erforderlichen Verhältnismäßigkeit entsprochen.
In Abgrenzung zu McCann u.a. sprach der EGMR auch im Fall Kenneth Brady (Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 3. April 2001, Nr. 55151/00) zum tödlichen Schusswaffengebrauch durch einen Polizisten, der sich während eines versuchten Raubüberfalles mit einer Waffe bedroht fühlte, aus, dass sich aus bloßen Fehleinschätzungen noch keine Verantwortung des Staates unter Art. 2 EMRK ergebe, auch wenn die Polizeioperation zumindest theoretisch effizienter hätte ausgeführt werden können.
Ähnlich stellt sich der Fall Bubbins (Urteil des EGMR vom 17. März 2005, Nr. 50196/99) dar, wo der Gerichtshof - zur Tötung eines mutmaßlichen Einbrechers, von dem sich schließlich herausstellte, dass es sich um den (alkoholisierten) Besitzer der betreffenden Wohnung gehandelt hatte - zur Organisation des Einsatzes ebenfalls aussprach, dass dieser durchgängig unter der Kontrolle und Aufsicht von erfahrenen Offizieren stand, eine Befehlskette bestand und der Einsatz der bewaffneten Kräfte ausreichend überwacht wurde. Auch in diesem Fall seien bei der Durchführung der Operation Fehleinschätzungen passiert (vor allem indem relevante Informationen nicht weitergegeben worden waren), bei der nachträglichen Beurteilung der Ereignisse sei jedoch Vorsicht geboten.
Dass die Durchführung eines Einsatzes, in dessen Zuge es zu einem polizeilichen Schusswaffengebrauch kommt, auf ausreichender Planung beruht hat, durch die die Notwendigkeit des Rückgriffes auf potentiell tödliche Mittel so gering wie möglich gehalten wurde, hat allerdings der verantwortliche Staat gegenüber dem EGMR darzustellen (vgl. den Fall Vachkovi, Urteil des EGMR vom 8. Juli 2010, Beschwerde Nr. 2747/02).
3.1.2. Ungeplante Polizeieinsätze und Fluchtfahrten: Fall Makaratzis und Folgejudikatur
Im Fall Makaratzis (Urteil des EGMR vom 20. Dezember 2004, Nr. 50385/99) erkannte der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 2 EMRK durch exzessiven Waffengebrauch der griechischen Polizei. Ein Autofahrer war nach einer Verfolgungsfahrt (welche in der Nähe der amerikanischen Botschaft in Athen begonnen hatte, die zu diesem Zeitpunkt als potentielles Terrorziel angesehen wurde), in deren Rahmen er mehrere Unfälle mit Verletzungsfolgen verursacht hatte, durch polizeilichen Schusswaffengebrauch verletzt worden. Der Gerichtshof wies zwar darauf hin, dass es sich um eine polizeiliche Operation gehandelt habe, die nicht geplant werden konnte, und dass Versuche, den Flüchtenden mit anderen Mitteln zu stoppen, gescheitert waren, erachtete den Ablauf des Einsatzes jedoch als "chaotisch". Der Wagen des Flüchtenden war aus unterschiedlichen Richtungen von insgesamt 16 Kugeln getroffen worden, die von verschiedenen Polizisten abgefeuert wurden. Die Polizeizentrale hatte zwar einigen Polizisten über Funk Anweisungen gegeben, andere waren aber ihren Kollegen aus eigenem Antrieb zu Hilfe gekommen, ohne irgendwelche Anweisungen erhalten zu haben. Als Gründe für eine unverhältnismäßige Gefahrenerhöhung sah der Gerichtshof die zu diesem Zeitpunkt mangelhafte gesetzliche Grundlage für polizeilichen Schusswaffengebrauch sowie das Fehlen einer klaren Befehlskette.
Im Fall Juozaitiene und Bikulcius (Urteil des EGMR vom 24. April 2008, Nr. 70659/01 und 74371/01) hatte sich der Gerichtshof mit dem Schusswaffengebrauch im Rahmen einer Fluchtfahrt zu beschäftigen, durch den zwei Beifahrer des Flüchtenden getötet wurden. Eine Verletzung von Art. 2 EMRK erkannte der Gerichtshof hier (u.a.) darin, dass durch die Art und Weise ("impulsiveness") des Schusswaffengebrauchs (insgesamt elf Schüsse aus unterschiedlichen Richtungen und Entfernungen) eine besonders große Gefahr für das Leben - auch der Beifahrer (den Polizisten war bekannt, dass sich zumindest eine weitere Person im Wagen befand) - bestanden habe, die angesichts dessen, dass vom Fahrer zu diesem Zeitpunkt keine unmittelbare Gefahr ausgegangen sei, als unverhältnismäßig erachtet wurde. Die Polizisten hatten zwar versucht, den Wagen mit anderen Mitteln zu stoppen, zum Zeitpunkt des Schusswaffengebrauchs sei dessen Notwendigkeit aufgrund einer erkennbaren Beschädigung des Fluchtwagens jedoch bereits wieder verringert gewesen.
Im Fall Vasil Sashov Petrov (Urteil des EGMR vom 10. Juni 2010, Nr. 63106/00) hat der Gerichtshof eine Verletzung von Art. 2 EMRK durch (lebensbedrohende, aber nicht tödliche) Schüsse auf einen (zu Fuß) Flüchtenden angenommen. Der Gerichtshof beurteilte die gesetzlichen Regelungen als mangelhaft und ging davon aus, dass die einschreitenden Polizisten nicht davon ausgehen konnten, dass der Flüchtende eine gewalttätige Straftat begangen habe und gefährlich sei. Zudem wiesen besondere Umstände -
der Betreffende wurde aus kurzer Distanz von vorne angeschossen und war berauscht - darauf hin, dass der Schusswaffengebrauch nicht das gelindeste Mittel zur Festnahme darstellte.
3.2. Zur Verhältnismäßigkeitsprüfung der belangten Behörde:
3.2.1. Die belangte Behörde geht davon aus, dass es zum lebensgefährdenden Schusswaffengebrauch keine realistische Alternative gegeben habe. Diese Annahme stützt sie - in den Feststellungen - darauf, dass in Kenntnis des (präsumtiven) weiteren Verlaufes der Fluchtfahrt keine (aus der Gegenrichtung kommende) Unterstützung zu erwarten war und sich nur "stadtseitig weitere nachkommende Streifenwagen" befanden. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt sie weiters aus, es könne der Bundespolizeidirektion Wien kein Vorwurf gemacht werden, dass sie nicht schon am Stadtrand Streifen postiert und Hindernisse errichtet habe, um den Flüchtenden aus der entgegenkommenden Richtung aufhalten zu können, zumal die Fluchtdauer und Fluchtrichtung nicht exakt vorhergesehen habe werden können.
Diese Beurteilung greift nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung des EGMR zu kurz. Dem angefochtenen Bescheid lassen sich keine Feststellungen zur Frage entnehmen, ob die Durchführung des vorliegenden Einsatzes auf ausreichender Planung beruht hat. Denn auch bei an sich ungeplanten Einsätzen ist - wie oben dargestellt - organisatorisch darauf zu achten, dass der lebensgefährdende Waffeneinsatz als letzte Möglichkeit zur Erreichung des angestrebten Zieles eingesetzt wird. Dafür sind aber Ermittlungen bei der Bundespolizeidirektion Wien als im Maßnahmenbeschwerdeverfahren belangte Behörde erforderlich. So lassen sich dem angefochtenen Bescheid keine Feststellungen dahin entnehmen, welche Einsatzkräfte der Bundespolizeidirektion Wien im fraglichen Zeitraum und im Nahebereich zur Fluchtroute überhaupt zur Verfügung gestanden wären, um etwa ein - von der belangten Behörde theoretisch als mögliches Alternativverhalten in Betracht gezogenes - Aufhalten mittels Straßensperren in jenem Bereich, den die einschreitenden Polizisten selbst als zu erwartende weitere Fluchtroute angenommen haben, beurteilen zu können.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Feststellungen zur konkreten Abwicklung des Einsatzes im Sinne einer Koordinierung der zur Verfügung stehenden Polizeikräfte nicht getroffen wurden. Dem insoweit von der belangten Behörde verwerteten Funkprotokoll ist zu entnehmen, dass bis zum Waffengebrauch zumindest sechs Polizeifahrzeuge per Funk in den Einsatz eingebunden waren, wobei diese offenbar teils durch Anweisungen der Funkstelle, teils aufgrund eigener Einschätzung ihre Position eingenommen haben; aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich, dass überdies drei weitere Polizeistreifen in den Einsatz eingebunden waren. Zur Frage, ob der Bundespolizeidirektion Wien für derartige Einsätze Einsatzpläne vorlagen, und ob ausgehend davon bei Koordinierung der vorhandenen Kräfte durch eine zentrale Einsatzleitung eine alternative Form der Beendigung der Fluchtfahrt möglich gewesen wäre, hat die belangte Behörde weder Ermittlungen gepflogen noch Feststellungen getroffen.
Soweit sich die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auf ein Sondervotum im Fall Makaratzis beruft, um zu begründen, warum an das Vorgehen der Polizei in einer derartigen Situation keine erhöhten Anforderungen zu stellen seien, genügt es darauf hinzuweisen, dass der EGMR dieser Auffassung in seinem in einer Großen Kammer getroffenen Urteil mehrheitlich nicht gefolgt ist. Der angefochtene Bescheid kann demnach schon von daher keinen Bestand haben.
3.2.2. Wollte man mit der belangten Behörde davon ausgehen, dass zum lebensgefährdenden Schusswaffengebrauch keine geeigneten ungefährlichen oder weniger gefährlichen Alternativen zur Verfügung standen, so bedarf es einer Beurteilung, ob von der Waffe mit möglichster Schonung von Menschen Gebrauch gemacht wurde.
In diesem Zusammenhang traf die belangte Behörde die oben wiedergegebenen Feststellungen zur Schussabgabe, ohne allerdings - wie die Beschwerde zu Recht aufzeigt - darauf einzugehen, dass sich nach den Angaben des Schützen in der von ihm eingenommenen Schussposition ("aus dem Fenster gelehnt"; Versuch, sich auf den "rechten Außenrückspiegel aufzustützen") "mehr die linke Fahrzeughälfte" des Fluchtfahrzeuges angeboten habe und er "in einem Bereich zwischen Mitte und linkem Reifen im Heckbereich angehalten" und damit gerechnet habe, "dass bei einem Treffer der Reifen oder der Tank getroffen wird oder dass es entsprechend laut ist und der Lenker dadurch beeinflusst wird". Diese Aussagen stimmen insoweit mit den Ausführungen im vorliegenden Schussgutachten in Verbindung mit der im Verwaltungsakt einliegenden Tatortmappe überein, wonach fünf der sieben Einschüsse im linken Fahrzeugbereich und zwei im Bereich der Fahrzeugmitte festgestellt wurden.
Bei dieser Sachlage hätte es aber jedenfalls einer Beschäftigung mit der Frage bedurft, ob in der gegebenen Situation eines (mit Lebensgefahr verbundenen) Schusswaffengebrauchs gegen das Fluchtfahrzeug, um dieses im Bereich der Reifen oder des Tanks zu beschädigen oder durch Lärmerzeugung im Fahrzeuginneren den Fahrer zu beeinflussen, ein Zielen auf die rechte Fahrzeughälfte, in der sich im Fahrzeug kein Insasse befand, nicht die ungefährlichere Alternative dargestellt hätte bzw. ein derartiges Zielen weniger effektiv oder unverhältnismäßig schwerer zu bewerkstelligen gewesen wäre. Wäre von zwei Handlungsalternativen, die beide dasselbe Ergebnis erzielen könnten, eine mit einer weit höheren Lebensgefahr für Menschen verbunden, so könnte nicht gesagt werden, dass bei Auswahl dieser Alternative von der Waffe mit möglichster Schonung von Menschen Gebrauch gemacht wurde.
Nach den Aussagen des Schützen sei es ihm "schon gelungen, richtig zu zielen"; er habe deshalb nicht damit gerechnet, dass sich der Oberkörper des Lenkers direkt in seiner Zielzone befunden habe, da er aufgrund seiner höheren Sitzposition im verfolgenden Fahrzeug die Schüsse von rechts oben nach links unten abgegeben habe. Selbst wenn die zuletzt genannte Annahme des Schützen dadurch zu erklären wäre, dass er (wie von ihm angegeben) derartige Schussabgaben zuvor weder angewendet noch geübt hat und eine Schussabgabe bei der Verfolgung eines Fahrzeuges auch nicht Teil der Ausbildung ist, so bedürfte es auch in diesem Aspekt einer (sachverständigen) Klärung, ob es sich beim ausgewählten Zielbereich gegenüber Schussabgaben auf die rechte Fahrzeughälfte um - was deren generelle Gefährlichkeit für den Lenker anbelangt - gleichwertige Alternativen gehandelt hat. Der Umstand, dass sämtliche Schüsse auf das Fahrzeug den vom Schützen anvisierten linken bzw. mittigen Fahrzeugbereich getroffen, ihn in der Höhe (bis zur Stoßstange bzw. Kennzeichenhalterung) aber überwiegend verfehlt haben, legt die Annahme gleichwertiger Alternativen jedenfalls nicht nahe und hätte daher Anlass zu weiteren Ermittlungen geben müssen. Dass es sich nach dem vorliegenden Schussgutachten bei einem Schusswaffengebrauch aus einem fahrenden Fahrzeug auf ein fahrendes Fahrzeug um eine der schwierigsten Situationen für die Verwendung von Faustfeuerwaffen handelt und präzise Schüsse - etwa gezielte Schüsse auf die Reifen - "auch von einem gut trainierten Schützen nur schwer erwartet werden" können, vermag daran schon deshalb nichts zu ändern, weil es bei Berücksichtigung dessen in noch stärkerem Ausmaß darauf ankäme, schon bei Auswahl des Zielbereiches gefahrenvermindernd vorzugehen.
4. Da die belangte Behörde nach dem Gesagten in Verkennung der Rechtslage die für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit des Schusswaffengebrauchs erforderlichen Feststellungen nicht getroffen hat, war der angefochtene Bescheid schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am 18. November 2010
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