Normen
AsylG 1997 §25 Abs2;
AsylG 1997 §27 Abs3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §39a Abs1 idF 1982/199;
AVG §39a idF 1982/199;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
AsylG 1997 §25 Abs2;
AsylG 1997 §27 Abs3;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AVG §39a Abs1 idF 1982/199;
AVG §39a idF 1982/199;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 10. Dezember 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Dabei gab er an, am 15. September 1984 geboren zu sein. In seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 28. Dezember 2001 wurde ihm vorgehalten "wesentlich älter als 17 Jahre" auszusehen, und er wurde zu seiner Schulbildung befragt. In einer weiteren Einvernahme am 18. April 2002 gab er an, dem Stamm der Ibo anzugehören. Er habe in Enugu City, Enugu State, gelebt und Nigeria "wegen des Problems zwischen den Moslems und den Christen" verlassen. Etwa im April 2001 sei sein Vater, der Lehrer gewesen sei, nach Jos versetzt worden und dorthin übersiedelt. Der Beschwerdeführer habe in Enugu die Schule besucht, dort im Internat gelebt und in den Ferien seine Eltern besucht. Während er - als gerade Schulferien waren - zu Hause in Jos gewesen sei, hätten dort Kämpfe begonnen, in deren Zuge sein Vater getötet worden sei, worauf der Beschwerdeführer geflüchtet sei. Seine Mutter sei bereits vor drei Jahren bei einem Autounfall verstorben. Er habe in Nigeria kein Zuhause; zu seinen dortigen Verwandten habe kein gutes Verhältnis bestanden, weil sie keine Christen seien und Götzen anbeten würden. Er habe daher in Nigeria keine Familie.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 2. Mai 2002 gemäß § 6 Z 2 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 29. Mai 2002 Berufung.
Mit Bescheid vom 23. Juli 2002 gab die belangte Behörde dieser Berufung statt, behob den Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. Mai 2002 und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück. Die belangte Behörde stellte in diesem Bescheid nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 26. Juni 2002, in deren Zuge der Beschwerdeführer "in Augenschein genommen" und einer niederschriftlichen Befragung unterzogen worden sei, fest, dass der Beschwerdeführer jedenfalls das 18. Lebensjahr "zurückgelegt" habe und als volljährig zu betrachten sei. Da eine offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages nicht vorliege, sei der erstinstanzliche Bescheid aus diesem Grunde jedoch aufzuheben gewesen.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag ohne neuerliche Einvernahme des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG (erneut) fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Berufung, in der er rügte, dass das Bundesasylamt kein neuerliches Verfahren durchgeführt und ihn nicht noch einmal einvernommen habe.
Nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 26. November 2004 wies die belangte Behörde die Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Das Vorbringen des Beschwerdeführers sei - wie im angefochtenen Bescheid unter Hinweis auf seine während des gesamten Verfahrens gemachten Aussagen, welche "gravierende Widersprüche" enthielten, näher dargestellt wird - unglaubwürdig. Die Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG begründete die belangte Behörde damit, dass der Beschwerdeführer eine diesbezügliche Gefährdung nicht glaubhaft gemacht habe und in Nigeria derzeit keine "exzeptionelle Situation (Bürgerkrieg, Seuchenkatastrophe bzw. Hungersnot)" bestehe.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Der Beschwerdeführer macht geltend, bereits in der (ersten) Berufung vom 29. Mai 2002 gerügt zu haben, dass im Hinblick auf sein Geburtsdatum 15. September 1984 in erster Instanz der zuständige Jugendwohlfahrtsträger beizuziehen gewesen wäre. Weiters bringt er vor, dass er bei der Berufungsverhandlung am 26. November 2004 nicht mit Hilfe eines "berufsmäßigen Dolmetschers", sondern stattdessen durch den Verhandlungsleiter in englischer Sprache einvernommen worden sei.
1. Würden die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Geburtsdatum zutreffen, so hätte er am 15. September 2002 sein
18. Lebensjahr vollendet und die Volljährigkeit erreicht (vgl. § 25 Abs. 1 AsylG iVm § 21 ABGB). Dem Beschwerdeführer wurde zwar nach dem 15. September 2002 der neuerliche Bescheid des Bundesasylamtes zugestellt und er wurde in der Berufungsverhandlung vor der belangten Behörde am 26. November 2004 nochmals zu seinen Fluchtgründen befragt. Er wäre aber, falls die Volljährigkeit tatsächlich erst am 15. September 2002 eingetreten sein sollte, während des gesamten ersten Rechtsganges nicht gemäß § 25 Abs. 2 AsylG durch den örtlich zuständigen Jugendwohlfahrtsträger gesetzlich vertreten gewesen und das Bundesasylamt hätte § 27 Abs. 3 dritter Satz AsylG (in der bis 30. April 2004 geltenden Fassung) nicht eingehalten, wonach minderjährige Asylwerber nur in Gegenwart eines gesetzlichen Vertreters einvernommen werden dürfen.
Eine nachvollziehbare Begründung für die Annahme, dass der Beschwerdeführer bereits zum Zeitpunkt seiner erstmaligen Befragung vor dem Bundesasylamt am 28. Dezember 2001 volljährig gewesen wäre, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Eine solche kann auch nicht im Bescheid der belangten Behörde vom 23. Juli 2002 erblickt werden, mit dem sie den im ersten Rechtsgang erlassenen Bescheid des Bundesasylamtes vom 2. Mai 2002 gemäß § 32 Abs. 2 AsylG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen hat, zumal die allein auf den Augenschein im Rahmen der Verhandlung am 26. Juni 2002 gegründete Einschätzung der belangten Behörde nicht geeignet ist, die in Bezug auf das Alter des Beschwerdeführers getroffenen Feststellungen schlüssig zu begründen. Dass der Verhandlungsleiter der belangten Behörde in Fragen der Altersbeurteilung über eine besondere fachliche Qualifikation verfügen würde, lässt sich dem Verwaltungsakt nicht entnehmen, und es kann aus der "langjährige(n) Erfahrung des Entscheiders im täglichen Umgang mit Staatsangehörigen aus dem Kulturkreis und der Rasse des (Beschwerdeführers)" schon deshalb nichts gewonnen werden, weil sich die nicht näher dargestellten Vergleichsfälle einer nachprüfenden Kontrolle entziehen (vgl. das Erkenntnis vom 22. November 2005, Zl. 2005/01/0415).
Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass im ersten Rechtsgang des gegenständlichen Asylverfahrens - insbesondere bei den vom Bundesasylamt vorgenommenen Einvernahmen - § 25 Abs. 2 AsylG und § 27 Abs. 3 dritter Satz AsylG (in der bis 30. April 2004 geltenden Fassung) nicht eingehalten wurden, sodass insoweit eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens vorliegt.
2. Ein Verfahrensmangel ist aber auch der belangten Behörde im Rahmen der Berufungsverhandlung vom 26. November 2004 unterlaufen. Bei der Einvernahme des Beschwerdeführers im Rahmen dieser Berufungsverhandlung ist - wie der Beschwerdeführer als Mangelhaftigkeit geltend macht - der zur Verhandlung geladene Dolmetscher für die englische Sprache nicht erschienen, worauf der Verhandlungsleiter selbst - ohne Beiziehung eines anderen Dolmetschers - die Verhandlung in englischer Sprache geführt und die Übersetzung der Aussagen für die Verhandlungsschrift vorgenommen hat.
Nach § 39a Abs. 1 AVG ist für den Fall, dass eine Partei oder eine zu vernehmende Person der deutschen Sprache nicht hinreichend kundig ist, "erforderlichenfalls der der Behörde beigegebene oder zur Verfügung stehende Dolmetscher (Amtsdolmetscher) beizuziehen". Als Dolmetscher gelten auch die Übersetzer (§ 39a Abs. 2 AVG).
Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage der Änderung des AVG, BGBl. Nr. 199/1982, mit der § 39a AVG eingeführt wurde (160 BlgNR XV. GP), soll durch die Formulierung dieser Regelung dem Umstand Rechnung getragen werden, dass "z.B. in einem Einparteienverfahren ein sprachkundiges Verwaltungsorgan die Aufgabe des Dolmetschers selbst übernehmen kann", womit auch dem Grundsatz der Sparsamkeit entsprochen werde. Für das Asylverfahren ist aber zu beachten, dass der Gesetzgeber mit dem Asylgesetz 1997 die "Garantie eines fairen Asylverfahrens" anstrebte, der auch die Einrichtung einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Berufungsbehörde in Asylsachen dienen soll und die bei der Gestaltung der Berufungsverhandlungen in einer für den Asylwerber erkennbaren Weise nach außen hin zum Ausdruck zu kommen hat (vgl. etwa die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 2002, Zl. 99/20/0430, und vom 20. März 2003, Zl. 2001/20/0068, mwH). Abgesehen davon, dass es sich beim Berufungsverfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat nicht um ein "Einparteienverfahren" im Sinne der ErläutRV zur AVG-Novelle 1982 handelt, wäre es mit der Garantie eines fairen Asylverfahrens jedenfalls unvereinbar, wenn das zur Entscheidung berufene Mitglied der Berufungsbehörde bei der Befragung des Asylwerbers zur Sache auch die Funktion des Dolmetschers inne hätte. Für die belangte Behörde war daher - auf Grund der mangelnden Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers - die Beiziehung eines Dolmetschers zur Berufungsverhandlung gemäß § 39a Abs. 1 AVG erforderlich, was die Behörde ja auch dazu veranlasst hat, den Dolmetscher zur Berufungsverhandlung zu laden. Dass sie die Verhandlung in der Folge dennoch ohne den - trotz Ladung nicht erschienenen - Dolmetscher durchführte, mag zwar im Hinblick darauf, dass im vorliegenden Fall die Berufungsverhandlung schon einmal hatte vertagt werden müssen, weil zum vorangegangenen Verhandlungstermin der - nun anwesende - Beschwerdeführer nicht erschienen war, unter rein verfahrensökonomischen Gesichtspunkten verständlich sein, dies ändert aber nichts daran, dass das Unterbleiben der Beiziehung des Dolmetschers nach dem zuvor Gesagten als Verstoß gegen die genannten Verfahrensvorschriften anzusehen ist.
3. Der Beschwerdeführer behauptet in seiner Beschwerde "Kommunikationsprobleme" auf Grund des Fehlens eines Dolmetschers und bekämpft auch die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides (die sich insbesondere auf Widersprüche in den während des gesamten Verfahrens gemachten Aussagen stützt). In der Beschwerde wird etwa aufgezeigt, dass der von der belangten Behörde bei der Beweiswürdigung herangezogene Widerspruch in den Angaben des Beschwerdeführers zu der von ihm besuchten Schule dadurch erklärbar sei, dass der Beschwerdeführer auf Grund von Sprachproblemen einmal die von ihm besuchte Schule, dann aber die Schule, in der sein Vater als Lehrer arbeitete, genannt habe. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid hat der Beschwerdeführer nicht angegeben, dass sein Vater zusammen mit seiner Schwester in der Kirche getötet worden sei, sodass der in dieser Angabe erblickte Widerspruch zu der später gemachten Aussage, wonach der Vater und die Schwester des Beschwerdeführers in deren Haus getötet worden seien, nicht vorliegt. Schließlich ist der angefochtene Bescheid auch insoweit mit einem Begründungsmangel behaftet, als die belangte Behörde sich darauf gestützt hat, dass sich in einer "Reihe ähnlicher, in sämtlichen Verhandlungsprotokollen nachzulesenden, Wortmeldungen" offenbare, dass beim Beschwerdeführer "zweifelsfrei ausschließlich wirtschaftlich motivierte Beweggründe" für seine Asylantragstellung vorlägen, ohne dass sie nachvollziehbar aufgezeigt hat, um welche "Wortmeldungen" es sich dabei gehandelt haben soll.
4. Die aufgezeigten Verfahrens- und Begründungsmängel sind auch relevant. Da der Beschwerdeführer in Verletzung des § 27 Abs. 3 AsylG vom Bundesasylamt nicht in Gegenwart seines gesetzlichen Vertreters vernommen wurde und die belangte Behörde ihre Beweiswürdigung auch darauf gestützt hat, dass Widersprüche zwischen den in erster Instanz und vor der Berufungsbehörde - ohne Beiziehung des erforderlichen Dolmetschers - gemachten Aussagen bestünden, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Berücksichtigung der (von der belangten Behörde nicht erkannten) Mangelhaftigkeit der erstinstanzlichen Vernehmung des Beschwerdeführers und die Beiziehung eines Dolmetschers bei der Befragung in der Berufungsverhandlung eine andere Beweiswürdigung nach sich gezogen hätten.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. Dezember 2006
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