VwGH 2005/20/0108

VwGH2005/20/010830.6.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des A (auch A) in W, geboren 1987, vertreten durch Mag. Oliver Japchen, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Nottendorfergasse 11, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. November 2004, Zl. 254.047/0-VIII/23/04, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §5 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §6 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §8 Abs2 idF 2003/I/101;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §75 Abs1;
AsylG 1997 §5 idF 1999/I/004;
AsylG 1997 §6 Abs3 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §8 Abs2 idF 2003/I/101;
AVG §59 Abs1;
AVG §66 Abs4;
FrG 1997 §75 Abs1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste nach eigenen Angaben am 27. Februar 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 1. März 2004 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. Juni 2004 gab er als Fluchtgrund im Wesentlichen an, Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft hätten ihn nach dem Tod seines Vaters verfolgt und mit dem Tode bedroht, weil er sich geweigert habe, dessen Nachfolge als Stammesführer im Heimatdorf anzutreten. Diese Bedrohung habe er der Polizei nicht melden können, weil "diese Leute" auch "Macht über die Polizei" hätten, "die Vorgesetzten und die oberen Polizeiführer dieser Vereinigung" angehörten und mit ihr "Hand in Hand" arbeiteten.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 7. Oktober 2004 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchpunkt I), stellte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria fest (Spruchpunkt II) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III). In der Begründung dieser Entscheidung traf es zunächst die Feststellung, der Beschwerdeführer befinde sich wegen befürchteter Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, "ausgehend von Zivilisten", außerhalb seines Heimatlandes. Anschließend stellte die Behörde zur Situation in Nigeria unter anderem fest, traditionelle religiöse Glaubensrichtungen seien in Nigeria verbreitet. Manche von diesen würden als Zauberei oder "Wodoo" bezeichnet. Der nigerianischen Bevölkerung stehe es im Allgemeinen frei, diesen traditionellen Glaubensrichtungen zu folgen. Von der nigerianischen Polizei würden jedoch Untersuchungen durchgeführt, sofern die Praktiken von Kultgemeinschaften zu kriminellen Aktivitäten führen und es würden Maßnahmen gegen die Täter ergriffen. Beweiswürdigend führte das Bundesasylamt lediglich aus, die Aussagen des Beschwerdeführers seien glaubhaft und die Behörde ginge in der Folge davon aus. In rechtlicher Hinsicht könnten die vom Beschwerdeführer geltend gemachten bzw. befürchteten Übergriffe durch Private, nämlich Angehörige der Kultgemeinschaft mit der Bezeichnung Ogboni, seine Flüchtlingseigenschaft nicht begründen. Verfolgung im Sinne des Asylgesetzes müsse entweder von staatlichen Stellen oder einer "staatlichen de facto Macht" ausgehen oder der betreffende Staat müsse nicht in der Lage oder nicht gewillt sein, die von anderen Stellen ausgehende Verfolgung hintanzuhalten. Dass die staatlichen Behörden im Heimatland des Beschwerdeführers nicht in der Lage oder nicht gewillt gewesen seien, diesem Schutz vor Verfolgung zu gewähren, ergebe sich aus seinem Vorbringen nicht. Es sei dem Beschwerdeführer daher zuzumuten, sich staatlichen Stellen anzuvertrauen und dort Schutz und Hilfe vor den Übergriffen durch Angehörige dieser Sekte zu suchen. Kriminelles Unrecht werde im Heimatstaat des Beschwerdeführers, besonders, wenn das Leben oder die körperliche Unversehrtheit von Bürgern betroffen sei, vom Staat geahndet und bestraft. Eine Billigung oder Duldung der Bedrohung durch die Behörden seines Heimatstaates habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft gemacht, weil er keine polizeiliche Anzeige erstattet habe. Die von ihm genannten Handlungen stellten sich nicht als vom Staat initiiert oder geduldet dar und könnten deshalb nicht zur Asylgewährung führen oder Refoulementschutz rechtfertigen.

In der gegen diese Entscheidung erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer erneut vor, von der Geheimgesellschaft der Ogboni verfolgt zu werden, die in ganz Nigeria "Agenten" habe, sodass nur eine Flucht ins Ausland lebensrettend sei. Die Polizei arbeite "Hand in Hand" mit der Gesellschaft. Wer sich weigere, einer Beitrittsaufforderung nachzukommen, werde getötet.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7, 8 AsylG ab. Begründend fasste sie den Inhalt der erstinstanzlichen Asylentscheidung dahingehend zusammen, das Bundesasylamt habe zwar das Vorbringen des Beschwerdeführers als glaubwürdig angesehen, die vorgebrachte Furcht vor Verfolgung ließe sich aber nicht unter einen der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe subsumieren. Im Folgenden führte die belangte Behörde aus, die Erstbehörde habe im angefochtenen Bescheid den entscheidungswesentlichen Sachverhalt und die ihm zu Grunde liegende Beweiswürdigung bereits zutreffend und richtig festgehalten. Es werde daher vollinhaltlich auf die diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid verwiesen. Der kurzen Berufung des Beschwerdeführers könnten keine zulässigen Neuerungen entnommen werden, welche geeignet wären, den von der Erstbehörde bereits festgestellten Sachverhalt in Frage zu stellen. Die Angaben des Beschwerdeführers erschienen - wie schon die Erstbehörde zutreffend und richtig ausgeführt habe - hinsichtlich der für die Flucht behaupteten Gründe zwar glaubwürdig, doch sei der Erstbehörde auch darin zu folgen, dass sich in diesen Gründen kein Sachverhalt verwirkliche, der unter einen der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände fallen würde. Die Berufungsschrift zeige keine Umstände auf, warum die rechtliche Beurteilung der Erstbehörde hinsichtlich der Prüfung des Antrages an den Maßstäben des § 7 AsylG unrichtig sein sollte. Es werde daher in diesem Zusammenhang, aber auch hinsichtlich der Aussprüche gemäß § 8 Abs. 1 und 2 AsylG, auf die zutreffenden rechtlichen Ausführungen der Erstbehörde verwiesen.

Gegen diese Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Die belangte Behörde geht in der Begründung des angefochtenen Bescheides unrichtig davon aus, das Bundesasylamt habe den Asylantrag des Beschwerdeführers - unter Zugrundelegung seines Vorbringens - deshalb abgewiesen, weil sich die vorgebrachte Furcht vor Verfolgung unter keinen der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe für die Asylgewährung subsumieren lasse. Tatsächlich hat das Bundesasylamt jedoch nicht das Vorliegen eines Konventionsgrundes in Zweifel gezogen, sondern seine abweisende Asylentscheidung damit begründet, dass es dem Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen sei, vor der Verfolgung durch Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft Schutz bei den nigerianischen Behörden zu suchen. Auch wenn die belangte Behörde in ihren weiteren Ausführungen "vollinhaltlich auf die zutreffende rechtliche Beurteilung der Erstbehörde" verweist, liegt dem angefochtenen Bescheid - ausgehend von der zuvor dargestellten Fehlinterpretation der erstinstanzlichen Entscheidung - somit eine von der Erstbehörde abweichende Rechtsansicht zu Grunde. Diese hält einer Überprüfung allerdings nicht stand, hat sich der Verwaltungsgerichtshof doch bereits in einer Reihe von Erkenntnissen mit der Asylrelevanz einer behaupteten und von der belangten Behörde als glaubwürdig eingeschätzten oder unterstellten Verfolgung durch "Ogboni" in Nigeria auseinander gesetzt und - je nach Fallgestaltung - auf die Möglichkeit eines Zusammenhanges mit den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen der "Religion" oder der "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" hingewiesen (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2001/20/0292, mwN). Schon aus diesem Grund kann der angefochtene Bescheid keinen Bestand haben.

Ungeachtet dessen steht die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides, der Beschwerdeführer habe vor seinen Verfolgern Schutz bei den nigerianischen Behörden finden können, in unlösbarem Widerspruch zu der gleichzeitigen Annahme des Bundesasylamtes, die Aussagen des Beschwerdeführers seien glaubhaft und die Behörde ginge in ihrer rechtlichen Beurteilung davon aus. Der Beschwerdeführer hat nämlich auch angegeben, er habe sich deshalb nicht um Hilfe an die nigerianische Polizei gewandt, weil "diese Leute" (gemeint: die Mitglieder der Ogboni-Gesellschaft) auch "Macht über die Polizei" hätten, "die Vorgesetzten und die oberen Polizeiführer" dieser Vereinigung angehörten und mit ihr "Hand in Hand" arbeiteten. Hinzu kommt, dass es die Behörde erster Instanz unterlassen hat, ihre gegenteiligen Länderfeststellungen ("Von der nigerianischen Polizei werden Untersuchungen durchgeführt, sofern die Praktiken von Kultgemeinschaften zu kriminellen Aktivitäten führen. Von den Behörden werden Maßnahmen gegen die Täter ergriffen.") in ihrer Beweiswürdigung auf nachvollziehbare Grundlagen zu stützen (vgl. in diesem Zusammenhang etwa auch das hg. Erkenntnis vom 15. Mai 2003, Zl. 2002/01/0560). Deshalb kam eine Bestätigung des erstinstanzlichen Bescheides seitens der belangten Behörde durch bloßen Verweis auf dessen vermeintliche Richtigkeit - auch unter Zugrundelegung der vom Bundesasylamt vertretenen Rechtsauffassung - nicht in Betracht.

2. Ist der die Abweisung des Asylantrages betreffende Spruchpunkt I. des von der belangten Behörde bestätigten Bescheides somit - wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, so können aus den dafür maßgeblichen Gründen auch die auf § 8 Abs. 1 und 2 AsylG in der Fassung der AsylG-Novelle 2003 gestützten Spruchpunkte II. und III. des Bescheides, betreffend den Ausspruch der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat und die damit verbundene Ausweisung, nicht Bestand haben. Beide Aussprüche hängen von der rechtlichen Voraussetzung ab, dass der Asylantrag abzuweisen ist.

Dessen ungeachtet ist in Bezug auf Spruchpunkt III. (Ausweisung des Beschwerdeführers) anzumerken, dass die Ausweisung "aus dem Bundesgebiet" - wie bei Ausweisungen nach dem Fremdengesetz üblich - in dem von der belangten Behörde bestätigten Bescheid nicht zielstaatsbezogen formuliert wurde. In dem Erkenntnis vom 17. März 2005, G 78/04 u.a., dem der Verwaltungsgerichtshof in diesen beiden Punkten folgt, hat der Verfassungsgerichtshof u.a. klargestellt, dass auch in den Fällen des § 6 Abs. 3 AsylG - ein solcher Fall liegt hier nicht vor - keine Ausweisung ohne vorherige Refoulementprüfung stattzufinden hat und die Ausweisung durch die Asylbehörden sowohl in den Fällen des § 6 Abs. 3 AsylG als auch in den Fällen des § 8 Abs. 2 AsylG - wie vorliegend - nur zur Abschiebung in den Staat berechtigt, auf den sich die Refoulementprüfung bezogen hat.

Beides ist nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes im Spruch des Bescheides zum Ausdruck zu bringen. So erfordert einerseits schon der Zusammenhang mit § 75 Abs. 1 FrG auch in den Fällen des § 6 Abs. 3 AsylG einen Ausspruch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG, der in diesen Fällen - angesichts der in § 6 AsylG enthaltenen Voraussetzung des Fehlens eines begründeten Hinweises (auch) auf das Vorliegen subsidiärer Schutzgründe - stets auf Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat zu lauten haben wird. Andererseits wird ungeachtet der Bezeichnung des Herkunftsstaates im Ausspruch gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Ausweisung nach § 6 Abs. 3 oder § 8 Abs. 2 AsylG - in diesem Punkt nicht anders als schon nach der Rechtslage vor der AsylG-Novelle 2003 die Ausweisung nach § 5 AsylG - als zielstaatsbezogene Ausweisung zu formulieren sein. Eine bloße Ausweisung "aus dem Bundesgebiet" - wie sie im vorliegenden Fall von der belangten Behörde bestätigt wurde - würde sich im Spruch von einer Ausweisung nach dem Fremdengesetz nicht deutlich unterscheiden und die rechtlich wesentliche Einschränkung der Entscheidung auf den Staat, auf den sich die Refoulementprüfung bezog, nicht zum Ausdruck bringen.

3. Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 30. Juni 2005

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