Normen
BAO §183 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
BAO §183 Abs1;
BAO §80 Abs1;
BAO §9 Abs1;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 991,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 26. April 2004 hielt das Finanzamt dem Beschwerdeführer vor, auf dem Abgabenkonto der L. AG hafte ein vollstreckbarer Abgabenrückstand in Höhe von 238.207,49 EUR aus. Lt. Firmenbuchauszug sei der Beschwerdeführer vom 1. März 1996 bis 5. September 2001 Vertreter (Vorstand) der L. AG und für die Entrichtung der in diesem Zeitraum fällig gewordenen Abgaben verantwortlich gewesen. Der für den Beschwerdeführer "relevante Teil" der Abgabenschuld betrage 121.822,35 EUR. Der Beschwerdeführer werde aufgefordert, für die Entrichtung Sorge zu tragen oder dem Finanzamt Unterlagen vorzulegen, die aussagekräftig dokumentieren könnten, dass der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden an der Entrichtung gehindert gewesen sei.
In der Vorhaltsbeantwortung vom 18. Mai 2004 brachte der Beschwerdeführer vor, dass ihn kein Verschulden an der Nichtentrichtung der Abgaben treffe. Als bei der Erstellung der Bilanz zum 30. April 2001 festgestellt worden sei, dass die zur Abdeckung der aufgenommenen Kredite notwendigen Aktiva gefehlt hätten, sei unter Einbeziehung der finanzierenden Banken, die Kredite bereits teilweise fällig gestellt hätten, mit der Muttergesellschaft vereinbart worden, dass diese eine ausreichende Kapitalerhöhung vornehme. Diese Zusage sei von der Muttergesellschaft in der Folge jedoch nicht eingehalten worden. Auch habe der Verdacht betrügerischer Handlungen einer Tochtergesellschaft der L. AG bestanden. Die Nichteinhaltung der Zusagen und der erwähnte Verdacht hätten dazu geführt, dass der Beschwerdeführer seinen vorzeitigen Austritt als Dienstnehmer der L. AG erklärt habe.
Mit Bescheid vom 28. Mai 2004 zog das Finanzamt den Beschwerdeführer als Haftungspflichtigen gemäß § 9 iVm § 80 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der L. AG im Ausmaß von insgesamt 49.489,20 EUR (Lohnsteuer Mai 2001 8.181,74 EUR, Lohnsteuer Juni 2001 23.126,46 EUR und Lohnsteuer Juli 2001
18.181 EUR) heran. Der Vertreter einer juristischen Person hafte für die von dieser nicht entrichteten Abgaben, wenn sie bei der juristischen Person nicht eingebracht werden könnten und der Vertreter nicht beweise, dass die Abgaben ohne sein Verschulden nicht hätten entrichtet werden können. Der Beschwerdeführer sei im Zeitraum vom 1. März 1996 bis 5. September 2001 Vertreter der L. AG gewesen. Es wäre Pflicht des Beschwerdeführers gewesen, für eine zeitgerechte Lohnsteuerzahlung Sorge zu tragen. Nach § 78 Abs. ? EStG 1988 sei der Arbeitgeber für den Fall, dass die ihm zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, verpflichtet, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden Betrag zu berechnen und abzuführen. In der Nichtbeachtung dieser Verpflichtung liege jedenfalls ein schuldhaftes Verhalten. Die vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gründe könnten "nicht als haftungsbefreiend anerkannt werden, weil dieser im obgenannten Zeitraum als voll verantwortlicher Vorstand im Handelsregister eingetragen war". Durch das pflichtwidrige Verhalten des Beschwerdeführers als Vertreter der L. AG sei auch die Uneinbringlichkeit des Abgabenrückstandes eingetreten.
In der Berufung machte der Beschwerdeführer geltend, er habe darauf vertrauen dürfen, dass auch die zur Abdeckung der Lohnsteuer im relevanten Zeitraum notwendigen Mittel vorhanden sein würden. Die Anweisung der Gehälter und die Abfuhr der Lohnsteuer sei im Bereich der L. AG so organisiert gewesen, dass die Hausbank jeweils mit der Überweisung beauftragt gewesen sei. Vor dem mit dem Haftungsbescheid "inkriminierten" Zeitraum sei dies auch klaglos durchgeführt worden. Auf Grund der auch in der Stellungnahme vom 18. Mai 2004 geschilderten Situation habe jedoch die Hausbank den Kontoüberziehungsrahmen reduziert und "ohne Zutun" des Beschwerdeführers lediglich die Gehälter angewiesen, nicht aber die darauf entfallende Lohnsteuer. Dies sei dem Beschwerdeführer nicht mitgeteilt worden und ihm auch durch längere Zeit nicht zur Kenntnis gelangt. Bei der L. AG habe es sich um eine reine Finanzierungsholding gehandelt, die keine Erlöse aus operativen Geschäften erzielt habe.
Gestaltungsmöglichkeiten habe es für den Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht gegeben. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass die Muttergesellschaft die gegebene Zusage, das erforderliche Kapital zuzuführen, auch einhalten würde.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Die Uneinbringlichkeit der Abgaben stehe fest, weil der Konkurs über das Vermögen der Primärschuldnerin mit Beschluss vom 15. April 2004 mangels Kostendeckung aufgehoben worden sei. Mit dem Vorbringen, "dass Kredite teilweise fällig gestellt worden wären, da die zur Abdeckung der aufgenommenen Kredite notwendigen Aktiva gefehlt hätten, die Muttergesellschaft jedoch trotz Zusage keine ausreichende Kapitalerhöhung vorgenommen hätte sowie betrügerische Handlungen vorgelegen wären", ziele der Beschwerdeführer offenbar darauf ab, die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten sei ihm deshalb unmöglich gewesen, weil keine Mittel zur Entrichtung der Abgaben zur Verfügung gestanden wären. Diesem Einwand sei entgegenzuhalten, dass es für die Haftung ohne Bedeutung sei, ob den Vertreter ein Verschulden am Eintritt der Zahlungsunfähigkeit treffe. Außerdem seien nach den Ausführungen des Beschwerdeführers die Gehälter von der Hausbank angewiesen worden, sodass der Primärschuldnerin liquide Mittel zur Verfügung gestanden seien. Auch das Vorbringen, dass die Hausbank unvorhergesehen den Kontoüberziehungsrahmen reduziert und daraufhin "ohne sein Zutun und Wissen lediglich die Gehälter angewiesen, nicht aber die darauf entfallende Lohnsteuer bezahlt hätte", sei nicht geeignet, den Beschwerdeführer zu entschuldigen, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes im Abschluss eines (globalen) Mantelzessionsvertrages, durch den die Bank bzw. die die Gehälter beziehenden Dienstnehmer als andrängende Gläubiger begünstigt und andere Gläubiger - insbesondere der Bund als Abgabengläubiger - benachteiligt würden, eine dem Geschäftsführer vorzuwerfende Pflichtverletzung liege. Der Abschluss eines Mantelzessionsvertrages sei dem Vertreter dann vorzuwerfen, wenn er es - insbesondere durch entsprechende Vertragsgestaltung - unterlassen habe, dafür vorzusorgen, dass auch im Fall einer Änderung der Verhältnisse die "Bedienung der anderen Schulden, insbesondere Abgabenschulden, nicht durch diesen Vertrag beeinträchtigt wird". Dem Geschäftsführer sei also vorzuwerfen, bei Abschluss des Zessionsvertrages keine Vorsorge für die künftige Abgabenentrichtung bzw. gegen die "bedingt durch den Zessionsvertrag eingetretene Benachteiligung des Abgabengläubigers getroffen zu haben", wobei eine Reduzierung des Kontoüberziehungsrahmens nicht als grundsätzlich unvorhersehbares Ereignis gewertet werden könne. Ein für die Haftung eines Geschäftsführers relevantes Verschulden liege vor, wenn sich der Geschäftsführer mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erklärt bzw. eine solche Beschränkung in Kauf genommen habe, die die künftige Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen, insbesondere den Abgabenbehörden gegenüber, unmöglich mache, wobei es auch unbeachtlich sei, ob die Beschränkung bereits vor der Übernahme der Funktion oder erst - wie im gegenständlichen Fall - während der laufenden Geschäftstätigkeit erfolge. Das Einverständnis, nur formell als Geschäftsführer zu fungieren, somit auf die tatsächliche Geschäftsführung keinen Einfluss zu nehmen, stelle eine derartige Beschränkung der Befugnisse eines Geschäftsführers dar, weil dadurch die Disposition über die Mittelverwendung und Abfuhr der darauf entfallenden Steuern aus der Hand gegeben werde. Wenn der Beschwerdeführer einwende, dass ihm "der Umstand der unterlassenen Abfuhr der Lohnsteuern nicht mitgeteilt worden wäre, bekennt er gerade dadurch die eingetretene Beschränkung ein". Infolge der schuldhaften Pflichtverletzung durch den Beschwerdeführer sei auch davon auszugehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben gewesen sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid dem Beschwerdeführer als für die Heranziehung zur Haftung relevantes Verschulden vorgeworfen, dass er mit der Bank einen so genannten Mantelzessionsvertrag abgeschlossen (und dadurch keine Vorsorge für die künftige Abgabenentrichtung getroffen habe) und weiters nur formell als Geschäftsführer agiert habe.
Zu Recht wird dazu in der Beschwerde der Vorwurf erhoben, aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren ließen sich diese Annahmen der belangten Behörde nicht ableiten. Dem Vorbringen in der Berufungsschrift, die Hausbank habe "ohne Zutun" des Beschwerdeführers lediglich die Gehälter angewiesen, nicht aber die darauf entfallende Lohnsteuer bezahlt, kann weder das Bestehen eines Mantelzessionsvertrages noch eine bloß formelle Stellung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer schlüssig entnommen werden.
Es wäre im Übrigen Aufgabe der belangten Behörde gewesen, Präzisierungen und allenfalls Beweise zum Entlastungsvorbringen des Beschwerdeführers abzufordern (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 26. Juli 2005, 2001/14/0024), um solcherart die näheren Umstände der "ohne Zutun" des Beschwerdeführers unterbliebenen Entrichtung der strittigen Abgaben (wozu in der Beschwerde auch vorgebracht wird, die Hausbank habe entgegen der Anweisung des Beschwerdeführers, die Gehälter und die Lohnsteuer zu überweisen, "eigenmächtig und anweisungswidrig" nur die Löhne angewiesen) festzustellen.
Da die belangte Behörde bei Vermeidung der Verfahrensmängel zu einem im Spruch anders lautenden Bescheid hätte kommen können, erweist sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 24. Oktober 2005
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