Normen
AVG §62 Abs3;
AVG §62;
AVG §63 Abs5;
StVG §116 Abs4 idF 2000/I/138;
StVG §11g idF 2000/I/138;
StVG §120 Abs2 idF 2000/I/138;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
AVG §62 Abs3;
AVG §62;
AVG §63 Abs5;
StVG §116 Abs4 idF 2000/I/138;
StVG §11g idF 2000/I/138;
StVG §120 Abs2 idF 2000/I/138;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Leiters der Justizanstalt X vom 1. März 2004 wurde über den Mitbeteiligten gemäß § 107 Abs. 1 Z. 10 i.V.m. § 109 Z. 4 und § 113 StVG die Ordnungsstrafe der Geldbuße in der Höhe von EUR 22,-- verhängt, weil er dadurch gegen die allgemeinen Pflichten der Insassen der Strafanstalt verstoßen habe, dass er am 1. Februar 2004 sein kaltes Abendessen (Knackwurst) trotz mehrmaliger Abmahnung durch den Dienst habenden Abteilungsbeamten F.H., dieses zu unterlassen, aus dem Fenster geworfen habe.
Das Straferkenntnis wurde dem Mitbeteiligten am 1. März 2004 mündlich verkündet. Auf der Niederschrift über die mündliche Verkündigung ist folgender Vermerk festgehalten:
"Der ... R... (der Mitbeteiligte) verweigert nach erfolgter Rechtsmittelbelehrung die Unterschrift. Er unterzeichnet erst nach Erhalt einer Kopie des Straferkenntnisses!"
In dieser Niederschrift ist gleichfalls festgehalten, dass der Mitbeteiligte eine schriftliche Ausfertigung vom Straferkenntnis begehrt habe.
Die an die "Vollzugskammer beim Landesgericht Linz" gerichtete Beschwerde des Mitbeteiligten vom 20. März 2004 (Postaufgabedatum vom 22. März 2004) langte beim Landesgericht Linz am 24. März 2004 ein und wurde am selben Tag an das Oberlandesgericht Linz weitergeleitet, wo sie am 25. März 2004 einlangte.
Die Beschwerde des Mitbeteiligten wurde mit dem angefochtenen Bescheid in der Fassung des Berichtigungsbescheides vom 10. August 2004 zurückgewiesen. Die belangte Behörde begründete diese Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Beschwerde am 25. März 2004 beim Oberlandesgericht Linz eingelangt sei. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme zur allfälligen Verspätung der Beschwerde im Hinblick auf die verlangte schriftliche Ausfertigung am 11. März 2004 die Rechtzeitigkeit der am 22. März 2004 (Postaufgabestempel ) eingebrachten Beschwerde behauptet, zu der ihm vorgehaltenen Verkündung und falschen Adressierung habe er nicht Stellung genommen.
Die Beschwerde sei verspätet. Gemäß § 120 Abs. 2 StVG sei die Beschwerde gegen eine Entscheidung, außer bei Gefahr in Verzug, frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag zu erheben, an dem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet oder zugestellt worden sei. Nur wenn eine Beschwerde sich gegen eine Entscheidung richte, die nicht mündlich verkündet, sondern nur zugestellt werde, werde die Frist durch die Zustellung ausgelöst (Hinweis auf Drexler, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, Rz. 3 zu § 120). Im Fall eines Ordnungsstraferkenntnisses nach § 116 StVG werde die Rechtsmittelfrist des § 120 Abs. 2 StVG nicht durch die Zustellung ausgelöst, sondern durch die Verkündung (Hinweis auf Drexler, Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, Rz. 3 zu § 116). Infolge der die Rechtsmittelfrist auslösenden Verkündung am 1. März 2004 sei die am 22. März 2004 (Postaufgabe) erfolgte Einbringung verspätet. Die Beschwerde sei demnach zurückzuweisen.
In der dagegen erhobenen Beschwerde des Bundesministers für Justiz gemäß § 121 Abs. 5 StVG wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend gemacht.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Artikel II des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991 (EGVG) lautet auszugsweise:
"(2) Von den Verwaltungsverfahrensgesetzen sind anzuwenden:
...
B. das AVG in vollem Umfang, das VStG mit Ausnahme der §§ 37, 39, 50 und 56 auf das behördliche Verfahren
...
32. der Vollzugsbehörden erster Instanz und der Vollzugsoberbehörden nach dem Strafvollzugsgesetz;
..."
Das Strafvollzugsgesetz, BGBl. Nr. 144/1969, ist im vorliegenden Fall in der Fassung BGBl. I Nr. 138/2000 anzuwenden.
§ 11g, § 22 Abs. 3, § 107 Abs. 4, § 116 Abs. 1 und 4 und § 120 Abs. 2 StVG lauten:
"§ 11g. Soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, haben die Vollzugskammern die Verwaltungsverfahrensgesetze sinngemäß anzuwenden, und zwar
1. im Beschwerdeverfahren außer dem Fall der Z 2 des AVG mit Ausnahme der §§ 2 bis 4, 12, 38, 40 bis 44g, 51, 55, 57, 63 bis 66 Abs. 1 und Abs. 3, 67a bis 67g, 73 Abs. 2 und 3 und 75 bis 80,
2. im Beschwerdeverfahren wegen eines Ordnungsstraferkenntnisses das AVG in dem in Z 1 genannten Umfang mit Ausnahme des § 11, sowie die §§ 1 bis 8, 19, 19a, 22, 25, 33, 32, 38, 44a Z 1 bis 3 und 5, 51 Abs. 6, 52 und 64 bis 66 VStG.
§ 22. ...
(3) Alle im Strafvollzug außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens ergehenden Anordnungen und Entscheidungen sind, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, ohne förmliches Verfahren und ohne Erlassung eines Bescheides zu treffen; soweit es nötig scheint, ist jedoch der wesentliche Inhalt der Anordnung oder Entscheidung im Personalakt des Strafgefangenen festzuhalten. In den Fällen der §§ 116 und 121 ist hingegen vom Anstaltsleiter oder von dem damit besonders beauftragten Strafvollzugsbediensteten ein Ermittlungsverfahren durchzuführen und ein Bescheid zu erlassen. Alle im Strafvollzug ergehenden Anordnungen und Entscheidungen einschließlich der Bescheide sind den Strafgefangenen mündlich bekanntzugeben. Das Recht, eine schriftliche Ausfertigung der Entscheidung zu verlangen, steht den Strafgefangenen nur in den Fällen der §§ 17, 116 und 121 zu.
§ 107. ...
(4) Für Ordnungswidrigkeiten gelten im Verfahren erster Instanz die allgemeinen Bestimmungen sowie die §§ 31, 38, 44a Z 1 bis 3 und 5, 52 und 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, in der jeweils geltenden Fassung, soweit in diesem Unterabschnitt nichts anderes bestimmt ist. Der Versuch ist strafbar.
§ 116. (1) Über die Verhängung von Ordnungsstrafen hat unbeschadet der Bestimmungen des § 108 die Vollzugsbehörde erster Instanz zu entscheiden. Richtet sich die Ordnungswidrigkeit aber gegen die Person des Anstaltsleiters, so steht die Entscheidung der Vollzugskammer zu. Die Zuständigkeit bleibt auch erhalten, wenn der Strafgefangene während eines anhängigen Ordnungsstrafverfahrens in eine andere Anstalt überstellt wird.
...
(4) Ein Straferkenntnis hat, wenn sich die Ordnungswidrigkeit nicht gegen die Person des Anstaltsleiters gerichtet hat, dieser, sonst sein Stellvertreter dem Strafgefangenen zu verkünden. Zugleich ist der Strafgefangene über die Möglichkeit einer Beschwerde (§ 120) zu belehren. Auf sein Verlangen ist ihm eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Der wesentliche Inhalt des Erkenntnisses ist in den Personalakten des Strafgefangenen ersichtlich zu machen.
§ 120. ...
(2) Eine Beschwerde kann außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem dem Strafgefangenen der Beschwerdegrund bekanntgeworden ist. Richtet sich die Beschwerde gegen eine Entscheidung, so kann sie außer bei Gefahr im Verzug frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet oder zugestellt worden ist. Beschwerden sind schriftlich oder zu der vom Anstaltsleiter festzusetzenden Tageszeit mündlich bei dem hiefür zuständigen Strafvollzugsbediensteten anzubringen. Richtet sich die Beschwerde gegen den Anstaltsleiter und wird sie innerhalb der Beschwerdefrist bei der zuständigen Vollzugskammer eingebracht, so gilt dies als rechtzeitige Einbringung. Die Vollzugskammer hat in diesem Fall die bei ihr eingebrachte Beschwerde unverzüglich an den Anstaltsleiter weiterzuleiten."
§ 62 AVG lautet auszugsweise:
"§ 62. (1) Wenn in den Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmt ist, können Bescheide sowohl schriftlich als auch mündlich erlassen werden.
(2) Der Inhalt und die Verkündung eines mündlichen Bescheides ist, wenn die Verkündung bei einer mündlichen Verhandlung erfolgt, am Schluss der Verhandlungsschrift, in anderen Fällen in einer besonderen Niederschrift zu beurkunden.
(3) Eine schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Bescheides ist den bei der Verkündung nicht anwesenden und jenen Parteien zuzustellen, die spätestens drei Tage nach der Verkündung eine Ausfertigung verlangen; über dieses Recht ist die Partei bei Verkündung des mündlichen Bescheides zu belehren.
(4)..."
Gemäß § 63 Abs. 5 erster und zweiter Satz AVG ist die Berufung von der Partei binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt für jede Partei mit der an sie erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Bescheides, im Fall bloß mündlicher Verkündung mit dieser.
Der beschwerdeführende Bundesminister macht geltend, dass gemäß § 11g Z. 1 StVG § 62 AVG (somit gemäß Abs. 3 das Recht, eine schriftliche Ausfertigung zu verlangen) anwendbar sei. § 62 AVG sei aber im Ergebnis zwingend mit "§ 63 Abs. 5 StVG" (gemeint: AVG) verbunden (Hinweis auf Walter - Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, Anm. 8 sowie die in den Een. 117 und 118 zu § 62 AVG angeführte hg. Judikatur). Die formelle Nichtanwendbarkeit des § 63 Abs. 5 AVG im Verfahren vor den Vollzugskammern wegen eines Ordnungsstraferkenntnisses (da diese Bestimmung im Katalog der angeführten Bestimmungen des AVG in § 11g Z. 1 StVG ausgenommen sei) gründe im Ergebnis wohl im Umstand, dass jene Bestimmungen des AVG nicht zur Anwendung gelangten, welchen eigenständige Regelungen des StVG gegenüberstünden. Gemäß § 116 Abs. 4 StVG habe ein Straferkenntnis, wenn sich die Ordnungswidrigkeit nicht gegen die Person des Anstaltsleiters gerichtet habe, dieser, sonst sein Stellvertreter dem Strafgefangenen zu verkünden. Zugleich sei der Strafgefangene über die Möglichkeit einer Beschwerde (§ 120 StVG) zu belehren. Auf sein Verlangen sei ihm eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Gemäß § 120 Abs. 2 StVG könne eine gegen eine Entscheidung gerichtete Beschwerde spätestens am 14. Tag nach jenem Tag erhoben werden, an welchem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet oder zugestellt worden sei. Eine eigenständige Regelung, dass im Falle der §§ 116 und 121 StVG (gemeint wohl: § 120 StVG) ausnahmslos die Verkündung die Rechtsmittelfrist in Gang setze, sei dem StVG darüber hinaus nicht zu entnehmen. § 120 Abs. 2 StVG regle im Übrigen auch die Rechtsmittelbelehrung in jenen (nicht §§ 116 und 121 StVG zurechenbaren) Fällen, in denen der Anstaltsleiter gemäß § 22 Abs. 3 erster Satz StVG lediglich formlos entscheide und die Anordnung oder Entscheidung dem Strafgefangenen gemäß § 22 Abs. 3 dritter Satz StVG nur mündlich bekannt gegeben werde. In diesem Fall könne der Lauf der Rechtsmittelfrist naturgemäß nur durch die Verkündung ausgelöst werden, weshalb § 120 Abs. 2 zweiter Satz StVG auf diese Variante Bezug nehme. Daher könne aus dieser Bestimmung kein Primat der Verkündung für den Beginn des Laufes der Rechtsmittelfrist für jene Fälle erschlossen werden, bei denen bei der Verkündung die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung des Straferkenntnisses begehrt werde. Soweit § 116 Abs. 4 StVG die mündliche Verkündung des Straferkenntnisses anspreche, sei dies (nur) im Kontext zu § 22 Abs. 3 StVG zu lesen, wonach alle im Strafvollzug ergehenden Anordnungen und Entscheidungen einschließlich der Bescheide den Strafgefangenen mündlich bekannt zu geben seien bzw. werde im § 116 Abs. 4 StVG expressis verbis ausnahmslos festgelegt, welcher Beamte die Verkündung durchzuführen habe. Eine darüber hinausgehende Bedeutung komme dieser Bestimmung nicht zu.
Im Ergebnis erscheine nach Auffassung des beschwerdeführenden Bundesministers daher schon aus den Bestimmungen des StVG die konkrete Rechtsfolgen auslösende Wirkung der Zustellung eines Ordnungsstraferkenntnisses ableitbar. Aus der Sicht des Beschwerdeführers könne der Bestimmung des § 116 Abs. 4 StVG keine die Anwendbarkeit des § 62 Abs. 3 AVG (und damit verbunden des § 63 Abs. 5 AVG) verdrängende Sondernormqualität beigemessen werden, wonach im Ergebnis allein die Verkündung eines Ordnungsstraferkenntnisses den Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang setze und Strafgefangene aber gleichzeitig zeitlich unbeschränkt, aber ohne jegliche Rechtswirkung eine schriftliche Ausfertigung eines Ordnungsstraferkenntnisses verlangen könnten. Die dadurch begründete Schlechterstellung eines Strafgefangenen als Partei im Ordnungsstrafverfahren erscheine mit dem allgemeinen prozessualen Rechtsgrundsatz eines fair trial nicht vereinbar.
Eine gegenteilige Interpretation, wonach trotz Zustellung eines Ordnungsstraferkenntnisses ausnahmslos die Verkündung den Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang setze, hätte zur Folge, dass ein (aus der "Klientel der Vollzugsbehörden" üblicherweise rechtsunkundiger) Rechtsmittelwerber vorweg, bloß auf Grund der mündlich bekannt gegebenen Entscheidungsgründe sein schriftliches Rechtsmittel verfassen müsste, um gegebenenfalls die Rechtzeitigkeit eines Rechtsmittels gegen ein Ordnungsstraferkenntnis zu wahren. Eine Frist, innerhalb der die Ausfolgung der schriftlichen Ausfertigung zu erfolgen hätte, sei im Rechtsbestand nicht ersichtlich. Abgesehen davon, dass die Wahrnehmung der Entscheidungsgründe bei Verkündung eines Ordnungsstraferkenntnisses unter Umständen emotional belastet und daher eingeschränkt sein könne, erscheine insbesondere bei einem dem Ordnungsstraferkenntnis zu Grunde liegenden komplexeren Sachverhalt eine zweckentsprechende Ausgestaltung des schriftlichen Rechtsmittels bei Verwertung der bloß mündlich verkündeten Entscheidungsgründe mit dem Grundsatz eines fair trial nicht vereinbar. Dieser erhalte besondere Bedeutung im Falle von Straferkenntnissen, die in der Folge einer weiteren Behandlung im Rahmen des § 115 StVG zugänglich seien. Ebenso würde die bekämpfte Rechtsmeinung auch die Befassung eines allfällig gewillkürten Rechtsvertreters beeinträchtigen, der mangels Anwesenheit bei der Verkündung des Ordnungsstraferkenntnisses zur Ausführung eines zweckentsprechenden Rechtsmittels wohl eher auf schriftlich vorliegende Entscheidungsgründe als auf die dahingehende Wahrnehmung seines Mandanten angewiesen sei. In dem diese Problematik bereits ansprechenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. Jänner 2001, Zl. 98/20/0588, habe der Verwaltungsgerichtshof im Ergebnis angedeutet, dass der Zweck der schriftlichen Ausfertigung für die Anwendung der Bestimmungen des AVG spräche, jedoch eine diesbezügliche Klarstellung durch die Novelle BGBl. I Nr. 138/2000 unterblieben sei. Eine weitere Auseinandersetzung mit dieser Problematik erfolge in diesem Erkenntnis nicht.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers sei der Lauf der Rechtsmittelfrist durch die Zustellung der Bescheidausfertigung am 11. März 2004 auf Grund des am Tage der Verkündung dahingehend gestellten Begehrens in Gang gesetzt worden und habe die 14-tägige Frist daher am 25. März 2004 geendet, an welchem Tag die Beschwerde bei der belangten Behörde eingelangt sei. Es sei somit zu Unrecht die verfahrensgegenständliche Berufung als verspätet zurückgewiesen worden.
Dem Vorbringen kommt im Ergebnis Berechtigung zu. Zentral ist im vorliegenden Fall die Frage, wann die Berufungsfrist im Falle des Verlangens einer schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Straferkenntnisses betreffend eine Ordnungsstrafe zu laufen beginnt. In § 116 Abs. 4 dritter Satz StVG ist dem Strafgefangenen in Abweichung von dem im § 22 Abs. 3 StVG verankerten Grundsatz der mündlichen Verkündung bzw. Bekanntgabe von Entscheidungen ausdrücklich ein Recht darauf eingeräumt, dass ihm auf sein Verlangen eine schriftliche Ausfertigung des Straferkenntnisses zugestellt werde. Diese Regelung enthält für dieses Verlangen des Strafgefangenen im Unterschied zu der diesbezüglichen Regelung in § 62 Abs. 3 AVG allerdings keine Frist.
Drexler (Kommentar zum Strafvollzugsgesetz, S 212 f, Rz. 3 zu § 116), auf den sich die Vollzugskammer beim Oberlandeslandesgericht Linz im angefochtenen Bescheid berufen hat, vertritt dazu die Ansicht, dass der mündlichen Verkündung eines Straferkenntnisses gegenüber einem Strafgefangenen (er beruft sich dabei im Besonderen auf den pädagogischen Auftrag und den Charakter einer Strafanstalt dahin zu wirken, dass der normunterworfene Strafgefangene von der Berechtigung einer gegen ihn getroffenen Maßnahme überzeugt werde) eine gänzlich andere, viel fundamentalere Bedeutung zukomme, als der "bloß mündlichen Verkündung" im Sinne des § 63 Abs. 1 AVG. Daraus leitet er ab, dass § 116 Abs. 4 dritter Satz StVG, was die Frage des Verlangens einer schriftlichen Ausfertigung betrifft, die speziellere Regelung sei, die die diesbezüglichen Vorschriften des AVG verdrängt. Der Strafgefangene könne danach unbefristet die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses verlangen. Die Bestimmung des § 120 Abs. 2 StVG, wonach die Beschwerdefrist bei Entscheidungen ab Verkündung oder Zustellung zu laufen beginne, ist daher - so Drexler - für Beschwerden gegen zwingend zu verkündende Ordnungsstraferkenntnisse auf den ersten Fall einzuschränken.
Dem kann sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anschließen. Wenn der Gesetzgeber dem Strafgefangenen entgegen dem sonst weitgehend geltenden Grundsatz der mündlichen Verkündung im StVG ausdrücklich ein Recht einräumt, eine schriftliche Zustellung des Straferkenntnisses zu verlangen, kann ihm nicht zugesonnen werden, dass - wie dies der Beschwerdeführer zutreffend meint - mit dieser Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eines Straferkenntnisses keinerlei Rechtswirkungen, insbesondere nicht das In-Gang-Setzen der Berufungsfrist, verbunden sein sollen. Nach der nunmehrigen Anordnung in § 11g StVG i.d.F. BGBl. I Nr. 138/2000 ist § 62 AVG im Ordnungswidrigkeitenverfahren anzuwenden. Nach den Ausführungen in den Materialien zu § 11g StVG (vgl. 297 BlgNR. XXI. GP, S. 11 Punkt 1.) ist allerdings auch bei den nach dieser Bestimmung im Ordnungswidrigkeitenverfahren anzuwendenden AVG-Bestimmungen weiters ihre tatsächliche Anwendbarkeit nach dem Grundsatz des Vorranges der spezielleren Regelung vor der allgemeineren zu prüfen. Insbesondere der verfassungsrechtliche Grundsatz, dass wirksame Rechtsmittel gegen behördliche Entscheidungen eingeräumt sein müssen, spricht gegen die Ansicht, dass § 116 Abs. 4 dritter Satz StVG § 62 Abs. 3 AVG verdrängt. Ein schriftlicher Bescheid verbessert die Möglichkeit des Rechtsunterworfenen, sich mittels des zur Verfügung stehenden Rechtsmittels zu verteidigen. Es ist davon auszugehen, dass die in § 62 Abs. 3 AVG vorgesehene Frist für das Verlangen einer schriftlichen Ausfertigung des Bescheides auch für das in § 116 Abs. 4 StVG vorgesehene diesbezügliche Verlangen des Strafgefangenen gilt.
§ 120 Abs. 2 StVG sieht vor, dass die Beschwerde frühestens am ersten Tag, spätestens aber am vierzehnten Tag nach jenem Tag erhoben werden muss, an welchem die Entscheidung dem Strafgefangenen verkündet oder zugestellt worden ist. Die Auslegung dieser Bestimmung stellt kein Problem dar, wenn nur eine mündliche Verkündung oder nur eine Zustellung des Straferkenntnisses erfolgt. Für den Fall, dass eine mündliche Verkündung eines Straferkenntnisses und in der Folge auf Verlangen des Strafgefangenen innerhalb von drei Tagen die Zustellung eines schriftlichen Bescheides stattfindet, lässt diese Bestimmung keine Präferenz erkennen, was für den Lauf der Berufungsfrist maßgeblich ist. Im Sinne des möglichst wirksamen Rechtsschutzes, der dem Strafgefangenen durch die Möglichkeit der Zustellung des Straferkenntnisses eingeräumt wird, ist anzunehmen, dass in diesem Fall für den Lauf der Berufungsfrist die Zustellung des schriftlichen Bescheides maßgeblich ist. Bei dieser Interpretation des § 120 Abs. 2 dritter Satz StVG spielt es keine Rolle, dass
§ 63 Abs. 5 AVG gemäß § 11g StVG im Ordnungswidrigkeitenverfahren nicht anzuwenden ist.
Die Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz ist somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Mitbeteiligte die Beschwerdefrist gemäß § 120 Abs. 2 StVG versäumt hat. Der Mitbeteiligte hat sofort bei der Verkündung des Straferkenntnisses die Zustellung einer schriftlichen Ausfertigung verlangt. Die Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des erstinstanzlichen Straferkenntnisses erfolgte am 11. März 2005; die 14-tägige Berufungsfrist endete im vorliegenden Fall somit am 25. März 2005. An diesem Tag langte die Beschwerde bei der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Linz ein.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 25. April 2006
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