Normen
32003R0343 Dublin-II;
AsylG 1997 §5;
EMRK Art3;
VwRallg;
32003R0343 Dublin-II;
AsylG 1997 §5;
EMRK Art3;
VwRallg;
Spruch:
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Sudan, reiste am 13. Jänner 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl.
Eine vom Bundesasylamt eingeholte EURODAC-Auskunft ergab, dass der Beschwerdeführer am 30. Oktober und am 11. November 2004 in der Slowakei bereits Asylanträge gestellt hatte. Bei Einvernahmen am 17. und 24. Jänner 2005 gab der Beschwerdeführer dazu an, er wolle nicht in die Slowakei zurück, weil "die Slowaken" die Menschenrechte nicht respektierten. Als er in der Slowakei von der Polizei aufgegriffen worden sei, habe man ihn einvernommen und er sei dabei - aus näher dargestellten Gründen - mit einer Holzstange geschlagen und beschimpft worden.
Der Rechtsberater des Beschwerdeführers äußerte in einer Stellungnahme (auch unter Bezugnahme auf Judikatur der belangten Behörde) allgemeine Bedenken an der slowakischen Asylrechtspraxis und führte abschließend aus, dem Beschwerdeführer drohe im Falle der Rückstellung in die Slowakei eine Kettenabschiebung.
Über Anfrage des Bundesasylamtes vom 19. Jänner 2005 teilte die zuständige Dienststelle des slowakischen Innenministeriums mit Schreiben vom 31. Jänner 2005 mit, den Beschwerdeführer gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. c der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einen Mitgliedstaat gestellten Asylantrages zuständig ist (Dublin II-Verordnung), wieder aufzunehmen und die Verpflichtung zur Prüfung seines Asylantrages zu akzeptieren.
Mit Bescheid vom 4. Februar 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück, erklärte die Slowakei "gemäß Art. 16 (1) (c)" der Dublin II-Verordnung für zuständig und wies den Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Slowakei aus.
Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid gemäß §§ 5 Abs. 1, 5a AsylG ab. Nach kurzer Wiedergabe des Verfahrensverlaufes und der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen begründete die belangte Behörde ihre Entscheidung damit, dass im vorliegenden Fall kein dem Art. 13 Dublin II-Verordnung vorgehender Zuständigkeitstatbestand erfüllt sei, weshalb die Slowakei als jener Mitgliedstaat, in dem der Beschwerdeführer seinen ersten Asylantrag gestellt habe, für dessen Prüfung zuständig sei. Die vom Beschwerdeführer vorgetragenen Missstände in der Slowakei seien "in den Raum gestellte Behauptungen", seine Ausführungen, "dass die Slowaken die Menschenrechte nicht respektierten", seien "pauschaliter vorgetragene Anschuldigungen." Es bleibe zudem festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sein Asylverfahren in der Slowakei unter ganz anderer Identität als in Österreich geführt habe und erwiesen sich auch angesichts dessen die Vorwürfe gegen die Slowakei als nicht nachvollziehbare, nicht näher belegte Pauschalurteile, die nicht glaubhaft seien. Zur allgemein gehaltenen Stellungnahme des Rechtsberaters sei festzuhalten, dass sich dieser im Wesentlichen auf eine zeitlich bereits zurückliegende und überdies sehr kasuistische Judikatur einzelner Mitglieder der belangten Behörde beziehe. Einer "solchen individuellen Prüfung" bedürfe es auf Grund der vom Bundesasylamt zutreffend wiedergegebenen derzeitigen Rechtslage jedoch nicht. Weder aus den Angaben des Beschwerdeführers noch aus der allgemein gehaltenen Stellungnahme des Rechtsberaters seien daher stichhaltige Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass der Beschwerdeführer tatsächlich konkret Gefahr liefe, in der Slowakei Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen bzw. in einen Drittstaat weiter abgeschoben zu werden.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser sprach in seinem Erkenntnis vom 17. Juni 2005, B 336/05-11, aus, dass der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden sei, wies die Beschwerde deshalb ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber, ob der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in einem sonstigen Recht verletzt worden sei, ab. In der Begründung seiner Entscheidung führte der Verfassungsgerichtshof (u.a.) aus, dass eine Nachprüfung durch die österreichischen Behörden, ob Mitgliedstaaten der Europäischen Union (hier die Slowakische Republik) für Asylwerber aus Drittstaaten generell sicher seien, nicht zu erfolgen habe, weil die entsprechende Vergewisserung nicht durch die Mitgliedstaaten, sondern durch die Organe der Europäischen Union, im konkreten Fall durch den Rat bei Erlassung der Dublin II-Verordnung, erfolgt sei. Insofern sei auch der Verfassungsgerichtshof an die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben gebunden. Indem die Dublin II-Verordnung den Asylbehörden der Mitgliedstaaten aber ein Eintrittsrecht einräume, sei eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in einen anderen Mitgliedstaat im Einzelfall auch gemeinschaftsrechtlich zulässig. Sollte die innerstaatliche Überprüfung der Auswirkungen ergeben, dass Grundrechte des betreffenden Asylwerbers etwa durch eine Kettenabschiebung bedroht seien, so sei aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen das Eintrittsrecht zwingend auszuüben. Im gegenständlichen Fall habe sich die belangte Behörde mit der Frage befasst, ob das Risiko einer Kettenabschiebung durch die Slowakei bestehe und habe dieses Risiko verneint. Insofern habe sie weder eine grundrechtwidrige Gesetzesauslegung vorgenommen, noch seien ihr - aus der Sicht des vorliegenden Falles, in dem der Beschwerdeführer sich auf bloß pauschale Behauptungen zurückgezogen habe - grobe Verfahrensfehler unterlaufen, die einen vom Verfassungsgerichtshof im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtsprechung aufzugreifenden Eingriff in das Grundrecht nach Art. 3 EMRK darstellten. Ob die belangte Behörde aber eine ausreichende "ganzheitliche Bewertung der Gefahr an dem für die Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Art. 3 EMRK auch sonst gültigen Maßstab des 'real risk' " vorgenommen habe, müsse der Verwaltungsgerichtshof beurteilen.
Dazu hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Der Verfassungsgerichtshof hat in der zuvor auszugsweise wiedergegebenen Begründung seines Erkenntnisses vom 17. Juni 2005 dargelegt, dass die Teilnahme der Slowakischen Republik an der Zuständigkeitsordnung der Dublin II-Verordnung eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung eines Asylwerbers in diesen Mitgliedstaat im Einzelfall nicht unzulässig macht, sondern eine solche Prüfung aus innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Gründen zwingend geboten ist. In diesem Sinne vertreten die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass die verfassungskonforme Auslegung des § 5 AsylG unter anderem die Berücksichtigung von Kriterien des Art. 3 EMRK erforderlich macht (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, Zl. 2006/19/0673). Es ist daher erforderlich, dass die Asylbehörden, wenn insofern vom Asylwerber konkrete Anhaltspunkte dargetan werden (vgl. hiezu auch die Punkte 4.2.2. und 4.2.4. der Entscheidungsgründe im hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0095) oder solche von amtswegen bekannt sind, fallbezogen eine Gefahrenprognose erstellen, die sich auf die persönliche Situation des betroffenen Asylwerbers zu beziehen hat und in ganzheitlicher Bewertung beurteilt, ob ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - "real risk" besteht, der Asylwerber könnte im Zielstaat eine Behandlung erfahren, die zur Folge hätte, dass den österreichischen Behörden durch die Überstellung in diesen Staat eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorzuwerfen wäre (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2002/20/0582, sowie die im zuvor genannten hg. Erkenntnis vom 25. April 2006 unter Punkt 2.2. der Entscheidungsgründe zitierten weiteren Rechtsprechungsnachweise).
Entgegen diesen Rechtsgrundsätzen hat die belangte Behörde die Ansicht vertreten, es bedürfe "einer solchen individuellen Prüfung" nicht. Damit hat sie die Rechtslage verkannt und kann der Bescheid deshalb keinen Bestand haben.
Daran ändert nichts, dass die belangte Behörde - ungeachtet ihrer unzutreffenden Rechtsauffassung - eine kurze Prüfung der konkreten und ausreichend Anlass zu Bedenken gebenden Einwände des Beschwerdeführers gegen eine Rückstellung in die Slowakische Republik (der Beschwerdeführer hatte vorgebracht, bei seiner Einvernahme durch die slowakische Polizei mit einer Holzstange geschlagen worden zu sein) vornahm, erweisen sich diese Ausführungen doch als zu formelhaft und zu undeutlich, um als schlüssige Begründung eine Kontrolle des angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof zu ermöglichen. Insbesondere ist nicht zu erkennen, wie das Argument der belangten Behörde, der Beschwerdeführer sei in der Slowakei unter einem anderen Namen als in Österreich aufgetreten, mit ihrer Schlussfolgerung, seine "Vorwürfe gegen die Slowakei" (namentlich vor allem die erhobenen Misshandlungsvorwürfe gegen die slowakischen Sicherheitsbehörden) seien "angesichts dessen ... nicht näher belegte Pauschalurteile" nachvollziehbar in Beziehung zu setzen ist. Eine fallbezogene Gefahrenprognose im Sinne der zuvor genannten Rechtsgrundsätze hätte es vielmehr notwendig gemacht, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen des Beschwerdeführers auch im Vergleich zu den der belangten Behörde bekannten Erfahrungsberichten über die Verhältnisse in der Slowakischen Republik zu messen und - bei allfälliger Wahrunterstellung seiner Angaben über Erlebtes - zu beurteilen, ob der Beschwerdeführer bei Rückstellung in den Zielstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Gefahr liefe, neuerlich einer derartigen Behandlung unterzogen zu werden. Solche Überlegungen lässt der angefochtene Bescheid aber offensichtlich zufolge der von der belangten Behörde vertretenen (unrichtigen) Rechtsansicht zum Erfordernis einer individuellen Prüfung des Vorbringens des Beschwerdeführers vermissen.
Der angefochtene Bescheid war daher - unbeschadet des Umstandes, dass die Beschwerde gegen die slowakische Asylrechtspraxis sonst nur Einwände erhebt, die vom Verwaltungsgerichtshof in dem zitierten Vorerkenntnis vom 25. April 2006, Zl. 2006/19/0673, für unzureichend erachtet wurden, um ein "real risk" einer Kettenabschiebung bei Rückstellung in die Slowakische Republik zu begründen - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten mündlichen Verhandlung war gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abzusehen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 8. Juni 2006
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